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Als Andi die Tür aufschloss, sah sie zu ihrer Erleichterung, dass die Putzfrau da gewesen war. Es war nicht etwa so, als wären sie alle Chaoten – weit gefehlt. Ab und zu aber kam es doch vor, dass es im Wohnzimmer ein bisschen unordentlich aussah. Freitagabends schauten sie sich in der Regel alle gemeinsam auf dem sechzig Zoll großen Plasmabildschirm im Wohnzimmer einen Film an. Die Popcornschalen, die Softdrinkdosen und Chipstüten lagen oft noch am Samstagabend auf den kleinen Beistelltischen, sogar noch am Sonntagmorgen. Es kam ganz darauf an, wie viel ihre Stiefmutter getrunken hatte.

Jetzt war das Wohnzimmer aufgeräumt und sauber und sah so hübsch aus wie ein Foto in einer Ausgabe des Architectural Digest. Die Kissen waren aufgeschüttelt, der Teppich gesaugt, die Glasoberflächen glänzten, und die Zeitschriften lagen fächerförmig auf dem Couchtisch.

»Was für eine schöne Wohnung«, lobte Mr. Marseille.

»Danke«, sagte Andi. »Ich bin in einer Minute fertig.«

Sie rannte die Treppe hinauf.

Ich schaute immer wieder auf meine Taschenuhr. Dann warf ich einen Blick aus dem Fenster. Auf der Straße war alles ruhig. Ich rechnete damit, dass es nicht lange so blieb.

Marvin Skolnik, der Anwalt, hatte wirklich ein wunderschönes Haus. Etwas zu modern für meinen Geschmack, aber gut ausgestattet mit hochwertigen Möbeln. Im kleinen Arbeitszimmer neben dem Salon stand ein hübscher Schreibtisch aus Mahagoni. Auf dem Anrufbeantworter blinkte ein rotes Licht.

Ich spähte auf die Tür oben an der Treppe, ehe ich das Arbeitszimmer betrat und einen Lederhandschuh überstreifte. Ich drehte die Lautstärke des Anrufbeantworters herunter und drückte dann auf die Taste, um die einzige neue Nachricht abzuhören.

»Andi, hier ist Dad. Ich habe versucht, dich auf deinem Handy zu erreichen, aber es ging nur die Mailbox an. Ich bin schrecklich beunruhigt wegen eines Anrufs, den ich von der Polizei bekommen habe. Bitte ruf mich sofort an, wenn du das hier abgehört hast.«

Ich schaute wieder auf meine Uhr. Wir hatten nicht viel Zeit.

Ich löschte die Nachricht und ging zur Treppe.

Als Andi in ihrem Kleiderschrank hektisch einen Bügel nach dem anderen zur Seite schob, wünschte sie sich, sie hätte sich das Skaterkleid gekauft.

Sie starrte auf die Kleidung auf den Bügeln: Nein, nein, nein, nein.

Schließlich entschied sie sich für ein burgunderrotes Lolakleid, bürstete ihr Haar, besprühte sich mit Quelques Fleurs von Houbigant und zog ihre besten High Heels an.

Alles in Rekordzeit.

Sie war außer Atem.

Ehe sie ihr Zimmer verließ, klingelte das Handy in ihrer Handtasche. Sie hatte entweder eine Text- oder eine Sprachnachricht erhalten. Wer immer das war, musste warten.

Beruhige dich, Andi.

Sie versuchte, sich ihre Yogatechniken und Meditationskurse nach Andrew Weil ins Gedächtnis zu rufen, doch sie erinnerte sich an nichts. Vermutlich hatte sie einen Puls von 120 und einen Blutdruck von 200 zu 190.

Ein paar Sekunden später stieg sie die Treppe hinunter.

Der junge Mann, der sich Marseille nannte, blätterte in einem Exemplar von Travel & Leisure.

Er hob lächelnd den Blick, legte die Reisezeitschrift aus der Hand und streckte den Arm aus.

»Miss Andrea Skolnik«, sagte er. »Du bist eine lebende Puppe.«

Tanz der Toten
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