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Mich hat es immer sehr glücklich gemacht, wenn ich Anabelle ermöglichen konnte, sich den Dingen zu widmen, die sie interessierten und ihr am Herzen lagen.
Ich verstehe nicht viel vom Nähen, aber ich interessiere mich sehr für Mode. Wenn ich mir alte Filme anschaue, in denen Geschichten erzählt werden, die das Leben in den Vierziger- und Fünfzigerjahren schildern, überfällt mich Wehmut. Wobei ich gar nicht weiß, ob es möglich ist, ein solches Gefühl für eine Zeit und Schauplätze zu empfinden, die viele Jahrzehnte vor der eigenen Geburt liegen.
In diesen Geschichten zogen die Menschen zu bestimmten Gelegenheiten ihre besten Sachen an. Wenn sie in die Kirche, ins Restaurant oder auch nur einkaufen gingen. In vielen dieser Geschichten trug der Familienvater sogar einen Anzug und eine Krawatte beim Essen innerhalb der Familie.
Leider ist das heutzutage nicht mehr üblich. Wenn ich Jugendliche auf der Straße sehe, die in Pyjamahosen aus Flanell herumlaufen, fürchte ich um den Fortbestand der Zivilisation.
Aus diesem und vielen anderen Gründen hat es mir nie etwas ausgemacht, in dieses Geschäft mit den vielen Ballen feinster Gabardine, den zahllosen Rollen Seidengarn in allen erdenklichen Farben und den Unmengen an feiner Spitze zu gehen. Auch Anabelle fühlt sich dann immer wie im siebten Himmel, was mich umso mehr freut.
Am Tag unseres letzten Tanztees hielt ich mich hinten im Geschäft auf und träumte mit offenen Augen von dem, was vor uns lag, als ich es hörte. Die beiden Wörter ließen mir das Blut in den Adern gefrieren.
»Miss White?«
Das hatte die Frau hinter der Theke gesagt. Ich hatte nicht auf sie geachtet, weil ich mich auf andere Dinge konzentrierte, vor allem auf die Vorbereitungen für unseren Tee später an diesem Tag. Die Frau hatte dunkle Augen und lange dunkle Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie war sehr hübsch und machte einen tüchtigen Eindruck.
Wenn ich mich nicht irre, hatte diese Frau, als wir den Laden betraten, einen Haufen alter Knöpfe auf der Theke nach Material und Größe sortiert. Alte Knöpfe und Spitze waren einer der Gründe, warum Anabelle dieses Geschäft ausgewählt hatte.
»Anabelle?«, sagte die Frau.
Ich trat schnell durch den Vorhang in den Raum hinten im Ladenlokal und spähte durch den Vorhang. Anabelle schaute nicht in meine Richtung, auch nicht der Mann und die Frau, die nun links und rechts neben ihr standen.
Kurz darauf verließen alle den Laden. Ich stand eine ganze Weile reglos da. Es dauerte lange, bis ich begriff, was für ein schreckliches Unglück geschehen war.
Es war viele Jahre her, seitdem Anabelle und ich länger als ein paar Stunden getrennt gewesen waren. Der bloße Gedanke daran war mir unerträglich.
Sie hatten mir meine Anabelle genommen.
Sie hatten mir mein Leben genommen.