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Eddie war sehr zufrieden mit sich. Die Sprechanlage an der Rezeption hatte eine Taste, mit der alle Zimmer erreicht werden konnten. Gewiss war die Anlage für Notfälle konzipiert worden, um die Gäste zu alarmieren, beispielsweise, wenn Feuer ausbrechen würde.
Er hätte nicht gedacht, dass die Todesanzeige von Anna Waller, die er neben seiner eigenen, erschossenen Frau gefunden hatte, noch einmal zu etwas anderem gut sein würde, als ihn rasend vor Wut zu machen, und ihn in tiefe Verzweiflung zu stürzen. Doch die Informationen, die er mit der Anzeige erhalten hatte, waren entscheidend gewesen. Waller hatte einen Sohn und sein Vater lebte auch noch. Nahe Angehörige waren schon immer das beste Druckmittel gewesen, um zu erreichen, was man wollte und das ganz ohne Gewalt, was ihm ein wenig missfiel. Aber manchmal war es das effektivere Mittel.
Raphael hatte Männer in der Mangel gehabt, die gegen körperliche Gewalt immun waren. Er hatte ihnen Dinge angetan, die kein normaler Mensch aushalten konnte. Er hatte ihnen das Gesicht mit einem heißen Bügeleisen versengt, ihren Kopf zwischen einen Schraubstock geklemmt und gekurbelt, bis er kurz vorm Platzen stand wie eine reife Melone. Manchmal hatte er es übertrieben und die Köpfe hatten tatsächlich nachgegeben. Udo hatte getobt.
»Tot nutzen Sie uns nichts!«, hatte er geschrien. Raphael hatte nur mit den Achseln gezuckt und sich die Sauerei angeschaut. Die auf den Boden tropfende Gehirnmasse hatte ihn interessiert, aber nicht berührt. Für ihn war alles das Gleiche. Erdbeerjoghurt, Gehirnmasse, kein Unterschied.
Raphael hatte ihre Hoden mit der Zange und dem Hammer bearbeitet und ihnen die Finger einzeln ausgerissen. Sie waren in Ohnmacht gefallen, aber sie hatten nicht getan oder gesagt, was er von ihnen verlangt hatte. Dann irgendwann war sein Bruder Udo gekommen und hatte den harten Burschen die Namen ihrer Kinder vorgelesen, manchmal auch die der Eltern und Frauen, wobei die Frauen am wenigsten den gewünschten Effekt erzielten. Und auf einmal waren sie bereit zu kooperieren.
Martin Waller war keiner von den harten Burschen und er würde schon gar nicht seinen Sohn und seinen Vater einem Risiko aussetzen. Waller würde zu ihm kommen wie die Motte zum Licht. Er zog jedoch die Möglichkeit in Betracht, dass Waller vorher irgendeinen Unfug ausprobieren würde, um doch noch davon zu kommen. Waller war kein Profi. Er handelte emotional. Oft war das nachteilig, aber manchmal gab es auch so etwas wie Anfängerglück. Eddie wusste, dass er jetzt die Trümpfe auf seiner Seite hatte, aber auf keinen Fall durfte er überheblich oder nachlässig werden.
Eddie überlegte, ob Waller eine Waffe haben könnte, mit der er ihn aus dem Hinterhalt angreifen konnte. Dann kam ihm die Erinnerung, dass er seine eigene Pistole, seine großkalibrige Remington, dabei gehabt hatte, als er im Schnee draußen bewusstlos wurde. Danach war die Waffe weg gewesen.
Wenn Waller sie hatte, was wahrscheinlich war, musste er aufpassen. Dann fiel Eddie wieder das offene Fenster in der ersten Etage ein. Vielleicht würde Waller jetzt versuchen, darüber zu türmen. Aber dann, wie sollte es weitergehen? Zu Fuß konnte Waller nicht fliehen, bei dem Sturm und der Kälte. Das Risiko war zu groß. Aber vielleicht gab es auch noch etwas da draußen, an das er nicht gedacht hatte. Sei es drum. Das Fenster in der ersten Etage war in jedem Fall ein Loch, das er stopfen musste. Eddie erhob sich von dem bequemen Drehstuhl an der Rezeption und betrachte die Waffe, die er von dem Mann im Büro des Direktors, dem Mann, der ihn gekannt hatte, erbeutet hatte. Eine Remington, immerhin mit .357 Magnum Munition. Nicht so stark wie seine Ruger, aber um einen Menschen mit einem gezielten Schuss zu töten, reichte sie allemal aus. Dann setzte er sich in Bewegung und schritt die Treppen zur ersten Etage empor.