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Martin hatte nichts gegen eine Hotelführung einzuwenden und Zurbriggens Gesicht hellte sich augenblicklich wieder auf. Sie gingen an der Rezeption vorbei. Eugen Bumann nickte Martin von seinem Schreibtisch aus freundlich zu.
Zurbriggen zeigte Martin in der Eingangshalle, die jetzt menschenleer war, ein paar Stühle und einen Tisch, die an den Ecken leichte Beschädigungen aufwiesen. Das Holz war hier und da auch verblasst oder wies Flecken auf. Während Martin die Arbeit, die er mit diesen Möbeln haben würde, abschätzte, erzählte Zurbriggen etwas über das Hotel.
»Das Gebäude wurde 1897 erbaut und später erweitert. Wir haben sechsundvierzig Zimmer, ein hervorragendes Restaurant und einige kleine Geschäfte in dem später entstandenen Glasanbau. Aber unsere größte Attraktion ist und bleibt die einmalige Lage und der Ausblick.«
Als Martin fertig war, gingen sie hinüber zum Fahrstuhl. Zurbriggen drückte auf den Knopf rechts neben dem Aufzugschacht. Plötzlich setzte ein laut klopfendes Geräusch ein. Martin verzog das Gesicht. Bevor er fragen konnte, was das war, gab Zurbriggen ihm schon die Antwort.
»Seit gestern gibt der Aufzug dieses unerträgliche Geräusch von sich. Ein Metallteil hat sich verkanntet - soviel konnten wir sehen - und rattert jetzt über die Streben der im Schacht befestigten Rettungsleiter. Morgen kommen die Handwerker, die das reparieren sollen. Aber keine Angst, die Fahrtüchtigkeit ist nicht beeinträchtigt. Wir haben den Aufzug zwar gestern Abend gesperrt, aber nur wegen des Lärms. Schließlich sollen die Hotelgäste das Hotel in guter Erinnerung behalten und auch in ihrer letzten Nacht ruhig schlafen können.«
Dann war der Aufzug da und die beiden Schiebetüren glitten mit einem Bing zur Seite. Sie stiegen ein. Zurbriggen zog einen dicken Schlüsselbund aus seinem dunkelblauen Jackett und fingerte einen der Schlüssel davon ab. Er steckte den Schlüssel in ein Schloss unterhalb des Zahlenfeldes für die einzelnen Stockwerke und drehte ihn eine halbe Umdrehung nach rechts, zog ihn wieder heraus und gab ihn Martin.
»Hotelgäste können nur bis ins Erdgeschoss fahren. Unsere kleine Werkstatt befindet sich im Keller, also werden Sie den Schlüssel brauchen.«
Danach setzte sich die Kabine nach unten in Bewegung. Sie ruckelte für Martins Geschmack ein wenig zu stark. Das Klopfen hörte sich in der Kabine jetzt mehr wie ein dumpfes Pochen an und seltsamer Weise, war es hier leiser, als wenn man draußen vor dem Aufzugschacht wartete. Martin verdrängte den Gedanken, was wäre, wenn der Aufzug stehen bleiben würde, weil doch ein schwerwiegenderer Fehler das Pochen verursachte.
Mit einem leisen Quietschen wie bei einem Zug mit schlecht geölten Bremsen, der auf dem Bahngleis hält, kam der Aufzug im Kellergeschoss zum Stehen. Die sich automatisch öffnenden Türen zerstreuten Martins Gedanken.
Eine Notbeleuchtung an der Decke tauchte die kahlen Steinwände des vor ihnen liegenden Kellergewölbes in ein schummriges gelbes Licht. Ein paar Meter weiter rechts, auf der gegenüberliegenden Seite, befand sich eine Tür. Zurbriggen fand schnell den passenden Schlüssel an seinem Bund und schloss auf.
Der Raum war warm und etwa vierzig Quadratmeter groß. Martin fielen als Erstes die Skier auf, die an der linken Wand lehnten.
»Hauptsächlich werden hier unten die Skier unserer Gäste aufbewahrt und gewachst. Außerdem lagern hier unsere Leihskier«, sagte Zurbriggen und ging zu einem Tisch, auf den ein Paar Skier aufgespannt waren.
An der rechten Wand befand sich eine langgestreckte Werkbank mit einem Schraubstock und darüber zwei Regalreihen mit allerlei Werkzeug und Arbeitsmaterialien, wie Schleifpapier, Schrauben und Nägel. Neben der Werkbank sah Martin seine Tasche mit dem eigenen Spezialwerkzeug. Er vermutete der Hausmeister hatte sie dorthin gestellt.
Sie verließen den Raum. Zurbriggen sperrte ab und gab Martin auch diesen Schlüssel. Dann gingen sie zurück zum Fahrstuhl.
»Was ist noch hier unten?«, fragte Martin.
Zurbriggen schaute ihn kurz an. Dann machte er eine Kopfbewegung zur Seite.
»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Es waren unglaublich viele Räume in diesem verwinkelten Kellergewölbe. Manche Türen waren seit Jahren nicht mehr geöffnet worden, wie die Spinnweben über den Türblättern verrieten. Am Ende ihres Rundganges im Keller hatte Martin einen gut sortierten Weinkeller, eine seit Jahren außer Betrieb genommene Sauna, einen Archivraum mit historischem Material aus der Hotelgeschichte sowie einen Raum, in dem alte noch brauchbare Möbel aufbewahrt wurden und einen Vorratsraum des Restaurants gesehen. Es gab noch einige weitere Türen, für die Zurbriggen aber nicht die passenden Schlüssel parat hatte. Angeblich lagerten hier auch Kunstwerke, die man irgendwann Mitte der vierziger Jahre ausgelagert hatte, weil sie nicht mehr dem damaligen Zeitgeist entsprochen hatten. Martin glaubte, dass Zurbriggen teilweise selbst nicht genau wusste, was hier unten alles schlummerte.
Zurück ins Erdgeschoss gelangten sie über eine Treppe, die zu einem kleinen Zwischenraum vor der eigentlichen Küche endete. Die Tür zur Küche hatte eine runde Glasscheibe, so dass man in die Küche hineinschauen konnte. Die Tür war offen und Zurbriggen betrat den frisch geputzten Küchenboden.
Zu seiner Linken stand ein kleiner dünner Mann in weißer Arbeitskleidung mit einer hohen Kochmütze vor einem geöffneten, immens großen Kühlschrank. Von dem Knarren der aufgehenden Tür schreckte der Mann auf und drehte sich zu ihnen um.
»Das ist unser Chefkoch, Hans Meier. Er wird heute Abend, da keine Gäste mehr da sind, nur für die Belegschaft kochen, die sich erbarmt hat, ihren Urlaub aufzuschieben und die anstehenden Bauarbeiten zu überwachen. Darf ich vorstellen, Hans, unser Möbelrestaurator Martin Waller«, sagte Zurbriggen.
Der Koch kam auf Martin zu und gab ihm die Hand.
»In zwei Stunden gibt es Abendessen. Sie sind herzlich eingeladen.«
»Was gibt es denn?«, fragte Martin.
Meier ließ seine Augen kreisen und zog ein breites zahnloses Grinsen. Es sah lustig aus. Der Mann schien ein Spaßvogel zu sein. Zu diesem Eindruck trug sicherlich auch sein Gesicht bei. Schwarze, glatte zur Seite gescheitelte Haare und ein schwarzer Schnauzer. Die Kleinwüchsigkeit und der dicke Bauch rundeten den Gesamteindruck ab. Dieser Koch glich aufs Haar dem Hausverwalter Higgins aus der achtziger Fernsehserie Magnum.
»Das ist ein Geheimnis«, sagte Higgins.
»Schön«, sagte Martin. »Danke für die Einladung. Ich freue mich darauf.«
Durch eine Drehtür gelangten sie aus der Küche in den Servicebereich des Restaurants. Links von der Drehtür streckte sich eine beachtlich lange Holztheke. Es war eine Bar mit einem Zapfhahn, einer Kasse und Glasregalen mit Spirituosen und Gläsern an der Rückwand. Sie gingen daran vorbei in den Sitzbereich. Nur ein einziger großer Tisch in der Nähe der Tür zum Restaurant trug eine weiße Tischdecke und war mit Besteck, Tellern und verschiedenen Gläsern gedeckt. Auf den übrigen Tischen ruhten die zugehörigen Stühle mit den Sitzflächen auf den Tischplatten.
Auf dem weiteren Rundgang zeigte Zurbriggen Martin die beiden oberen Geschosse, wo die meiste Arbeit auf Martin wartete. Sie fingen im zweiten Geschoss an. Martin wunderte sich. Das Hotel hatte von außen betrachtet drei Etagen, aber der Aufzug hatte im zweiten Stock geendet.
Es gab, wie auch in der ersten Etage, einen kleinen Aufenthaltsraum mit einer antiken Sitzgruppe, die zum Lesen oder einfach nur zum Entspannen einlud. Besonders imposant war der Ausblick durch die große Fensterscheibe. Von hier aus sah man ungehindert auf das Matterhorn.
Die meisten der Zimmer waren modern eingerichtet. Hier gab es für Martin nichts zu tun. Er war schon erleichtert. Was er bisher gesehen hatte, hätte ihm gereicht. Dann zeigte der Direktor ihm aber noch weitere fünf Zimmer und die hatten es in sich, was die auf ihn zu kommende Arbeit betraf.
Diese Zimmer waren mit alten Stilmöbeln eingerichtet. Die Betten und Nachttische sowie drei der fünf antiken Schreibtische waren stark beschädigt. Am Ende war Martin klar, dass die gesamten Ausbesserungsarbeiten viel mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, als er veranschlagt hatte.
Vor Martins Zimmer im ersten Stock endete die Hotelführung. Zurbriggen verabschiedete sich von ihm bis zum Abendessen und ließ ihn dann allein.