27

 

Söder öffnete vorsichtig die Tür zur Linken. Es war ein weiterer Weinkeller. Der kleine Raum war schnell zu überblicken. Die Regale mit den teuren Flaschen stapelten sich rechts und links bis zu der niedrigen Decke. Die meisten Flaschen waren verstaubt.

»Wo wurden die Großeltern Zurbriggens ermordet?«, fragte Selma, die sich dicht hinter Söders Rücken hielt.

»Ich weiß es nicht. Ich bin kein Historiker. Die Geschichte hat mir Zurbriggen selbst erzählt, nach dem ich ihn vor zwei Jahren, gleich, nachdem Marianne das Hotel gekauft hatte, auf das Kreuz angesprochen hatte. Mein Interesse ging nicht so weit, dass ich jede Einzelheit erfahren wollte.« Söder klang genervt.

Bumann wartete vor dem Weinkeller. Als Söder und Selma wieder herauskamen, wandten sie sich gemeinsam der letzten Tür zu, doch Söder machte keine Anstalten, sie zu öffnen.

»Was ist denn los?«, fragte Bumann.

»Der letzte Raum. Eddie könnte hier drin sein«, sagte Söder. Dann drückte er die Klinke nach unten und stieß die Tür auf. Das Türblatt quietschte, als es aufschwang und den Blick auf den schmalen Raum freigab. Links und rechts standen Regale, die mit den unterschiedlichsten Utensilien vollgestopft waren. Koffer, Taschen, Bilder und Ordner. Auf allem lag eine dicke Staubschicht und an der Decke hingen unzählige Spinnweben. An der gegenüberliegenden Wand lagerten die größeren Gegenstände. Zwei alte Sonnenschirme und daneben einige alte Plastikstühle. Schon auf den ersten Blick war klar, dass sich auch in diesem Raum niemand versteckt hielt. Ihre Aufmerksamkeit zog aber ein Regal in der hinteren rechten Ecke auf sich oder vielmehr, was vor dem Regal auf dem Boden lag. Zuerst wollten sie es nicht wahrhaben, Söder ging gar nicht erst näher heran. Er wusste bereits, was es war. Im näher kommen, sahen Selma und Bumann, dass es ein elektronischer Kasten war, auf dem jemand herumgetrampelt sein musste. Schaltplatinen, Drähte und Kabel waren ineinander verwoben und zusammengepresst wie ein verschrottetes Auto, darunter lugte ein gewelltes Kabel hervor, an dessen Ende sich das Handmikrofon befand. Bumann ging in die Hocke.

»Das CB-Funkgerät!«, flüsterte er.

Söder blieb stumm und starrte auf die zerbrochenen Teile, die einmal das Funkgerät dargestellt hatten.

Selma blickte Söder mit unverhohlenem Zorn in die Augen.

»Du hast es bereits gewusst, als du die Kühltasche gesehen hast«, sagte Selma.

Bumann blickte sie von unten herauf an und zog die Stirn fragend in Falten.

»Du wusstest, dass Kaltenbach das CB gefunden hat.«

Söder hielt Selmas Blick stand, sagte aber zunächst kein Wort. Dann nickte er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Verbitterung spielte um seine Mundwinkel. Selma fuhr fort:

»Du wusstest, dass die Kühltasche, in der wir Zurbriggens Kopf gefunden haben, im gleichen Regal gestanden hatte, wie das CB-Funkgerät. Deshalb hast du eben gestockt, weil dir das wieder eingefallen ist.«

Söder nickte.

»Jetzt bleibt uns nur noch, zu warten, bis die erste Bahn kommt«, sagte Söder. Er wirkte zum ersten Mal fahrig.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Dann, als Bumann aufstand und sich umdrehte, entdeckte er das Regal. Der rechte Teil stand schräg von der Wand ab. Söder verfolgte Bumanns Blick.

»Wir sollten wieder nach oben gehen«, sagte Söder.

»Moment noch«, sagte Bumann und ging auf das Regal zu. Als er davor stand, sah er zu Boden und entdeckte Schleifspuren. Er griff mit einer Hand hinter das Regal und zog es weiter nach vorne. Plötzlich spürte er eine harte Umklammerung an seinem Arm. Söder.

»Was soll das?«, sagte Bumann und versuchte sich loszureißen. Doch Söder hielt ihn weiter fest umklammert.

Unterdessen ging Selma zu der Stelle und sah hinter das Regal.

»Komm da weg!«, schrie Söder.

»Da ist eine Tür«, sagte Selma.

Söders Griff um Bumanns Arm lockerte sich. Der riss sich reflexartig los und schaute nun ebenfalls hinter das Regal.

»Wo führt die hin?«

Söder blieb stumm. Bumann wartete nicht auf eine Antwort auf seine Frage. Er zog das Regal noch weiter nach vorne.

»Dahinter ist nichts«, sagte Söder mit kalter Stimme.

»Dann können wir sie auch öffnen«, sagte Bumann.

»Hast du für die Tür auch einen Schlüssel an deinem Bund?«, fragte Selma.

»Den brauchen wir nicht. Sie ist nicht verschlossen«, sagte Bumann. Er hatte die Tür, aus der ein heller Lichtschein in den Abstellraum fiel, bereits einen Spalt weit geöffnet und hielt die Klinke noch in der Hand. Söder blickte nun ebenfalls hinter das Regal. Sein Gesicht war leichenblass.

»Sie wollten doch alles absuchen«, sagte Bumann schnippisch. »Geben Sie mir die Pistole, dann gehe ich rein.«

Söder zögerte einen Moment. Dann drängte er sich an Selma vorbei vor die Tür.

»Nein, ich gehe.« Er stieß die Tür auf und trat geblendet aus dem schummrigen Licht der Abstellkammer in das gleißend helle Licht des verborgenen Raumes. Bumann folgte ihm, während Selma noch kurz zögernd vor der Tür stehen blieb.

Auch wenn sie sich noch so sehr angestrengt hätten, niemals hätten sie sich ausmalen können, was sie in diesem Raum erwartete und hätten sie es gewusst, sie wären mit Gewissheit nicht freiwillig hineingegangen. Das Grauen hatte eine neue Stufe erreicht.

»Bleib draußen, Selma!«, schrie Eugen Bumann noch mit röchelnder Stimme. Doch es war schon zu spät. Selma stand bereits neben ihm und ihre Augen waren vor Schreck ebenso weit aufgerissen, wie die der anderen.