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Als Cobb einen großen Bissen von seinem zweiten Taco mit Hühnerfleisch nahm, spritzten Guacamole und Tacosauce über die Bud-Light-Neonreklame im Fenster. Nachdem er den Taco mit dem vielleicht leckersten süßen Tee seines Lebens hinuntergespült hatte, wischte er mit dem Daumen die Saucenreste vom Reklameschild und spähte durch die Fensterscheibe.
Die Füße taten ihm weh. Er war in einem winzigen mexikanischen Imbiss namens El Rancho und versteckte sich hinter der Bud-Reklame.
Gamble telefonierte. Seit über zwanzig Minuten parkte sie nun schon vor der Rite-Aid-Drogerie und verbrauchte Benzin, ohne irgendwo hinzufahren. Cobb verfolgte sie, seit sie das Parker Center verlassen hatte. Obwohl er keine Ahnung hatte, was in Buddy Paladinos Kanzlei vorgefallen war, musste es etwas Schwerwiegendes gewesen sein; sonst hätte sich Gamble sicher nicht als Erstes eine Schachtel Zigaretten gekauft.
Cobb lauerte auf der anderen Straßenseite. Er war so nah, dass er ihre Wimpern hätte zählen können – oder ihr aus Teeblättern die Zukunft vorhersagen.
Jedenfalls zündete sie sich die Camel an, als ob sie sie bitter nötig hätte. Cobb deutete das als ein Zeichen, dass sie unter Stress stand. Die blöde Tussi hatte offenbar einen schlechten Tag und kam mit ihrem Problem nicht weiter. Anscheinend hatte er sie richtig eingeschätzt und auf den ersten Blick gewusst, wen er vor sich hatte.
Er aß den Taco auf und warf die Verpackung in den Müll. Als das Mädchen an der Kasse fragte, ob er noch einen wolle, warf er einen prüfenden Blick auf Gamble und bestellte zwei zum Mitnehmen. Dann kehrte er auf seinen Beobachtungsposten hinter der Bud-Light-Reklame zurück und spähte auf die Straße hinaus.
Nervensäge Nummer zwei saß in einem weißen Transporter etwa einen Häuserblock entfernt auf der anderen Straßenseite am Broadway. Auch er war Gamble seit dem Parker Center auf den Fersen, hatte Cobb jedoch nicht bemerkt und machte einen so zurückgebliebenen Eindruck, dass es ihm vermutlich auch niemals gelingen würde.
Allerdings hatte der Mann Cobbs Neugier geweckt. Er war ein hektischer kleiner Kerl, dessen Anzug völlig durchgeschwitzt war. Er beobachtete Gamble nämlich nicht nur, sondern nahm sie außerdem auf Video auf. Sie telefonierte noch immer und warf wieder einen Blick auf den Transporter. Hin und wieder erkannte er ein Aufblitzen im Heckfenster, wie wenn die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos das Objektiv treffen, das hinter einer getönten Scheibe verborgen ist.
Beim Einparken des Transporters vor Paladinos Kanzlei hatte Cobb kurz das Gesicht des kleinen Kerls gesehen. Er kam ihm bekannt vor, doch obwohl Cobb die Abschürfungen und Blutergüsse auf seiner linken Wange deutlich hatte sehen können, klingelte es bei ihm nicht. Wie dem auch sei, Nervensäge Nummer zwei war anscheinend dümmer, als die Polizei erlaubt.
Cobb hörte, wie das Mädchen an der Kasse ihm etwas zurief. Nachdem er zwei Dollar und Kleingeld auf die Theke geworfen hatte, griff er nach seiner Tüte und ging zur Tür. Als sein Blick wieder auf Gamble fiel, schaltete sie gerade die Scheinwerfer ein, um loszufahren.
Alles in Ordnung, sagte er sich. Solange seine Knie nicht wieder streikten, hatte er Zeit in rauen Mengen.
Er wartete ab, bis sie sich in den Verkehr eingefädelt hatte, und ging dann so schnell er konnte zu seinem zwei Parklücken entfernt abgestellten Lincoln. Bevor er hineinsprang, hielt er Ausschau nach ihrem Wagen und entdeckte ihn zwischen den anderen Autos. Die West Fifth war eine Einbahnstraße, die zum Freeway 110 führte. Sie wechselte die Spur und steuerte auf die Auffahrt zu, etwa vier Häuserblocks entfernt. Auch der weiße Transporter folgte ihr.
Cobb legte die Tüte mit den Tacos auf den Beifahrersitz, lenkte ruckartig auf die Straße und schaffte gerade noch die grüne Ampel am Broadway. Wenige Minuten später rollte er, drei Wagenlängen hinter dem weißen Transporter, den Freeway 110 in südlicher Richtung entlang. Wegen des zähflüssigen Verkehrs fuhr niemand schneller als fünfundsiebzig. Gamble hielt sich auf der rechten Spur und fuhr auf den Santa Monica Freeway, um in die Westside zurückzukehren. Cobb lehnte sich zurück. Er behielt die beiden Fahrzeuge im Auge und bemühte sich, nicht gedanklich abzuschweifen. Doch es gelang ihm nicht. Er bekam Buddy Paladino nicht aus dem Kopf. Gamble hatte fast zwei Stunden in seiner Kanzlei verbracht. Warum? Was hatten die beiden so lange miteinander zu besprechen gehabt?
Er ging sämtliche Möglichkeiten durch. Und keine trug dazu bei, seine Stimmung zu heben. Während er die Tacos hinunterschlang, betrachtete er die Angelegenheit aus den verschiedensten Blickwinkeln, bis ihm der Schweiß ausbrach. Bilder seines eigenen Untergangs – einige davon blutig und gewaltsam – standen ihm vor Augen. Kurz dachte er daran, dass er vielleicht sogar gefoltert werden und grausige Schmerzen würde erdulden müssen. Als er wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte, verließen Gamble und Nervensäge Nummer zwei gerade den Freeway und nahmen den Pacific Coast Highway nach Norden. Er ging vom Gas und gab ihnen ein wenig Vorsprung, als sie einige Ampeln passierten. Doch auf einmal war die Straße frei, und Gamble wurde schneller. Es war ein so plötzliches Manöver wie bei einem Flugzeug, das am Ende der Startbahn beschleunigt, um abzuheben.
Der weiße Transporter fiel zurück, fuhr schließlich rechts ran und gab die Verfolgung auf. Cobb versuchte zwar, ihre Heckscheinwerfer nicht aus den Augen zu verlieren, aber sie trieb das Auto zur Höchstgeschwindigkeit an – ein V6-Motor mit 280 PS und 245 Umdrehungen, das hatte er recherchiert.
Offenbar hatte sie bemerkt, dass sie nicht allein war. Sie hatte die Eskorte gesehen und anscheinend beschlossen, der Sache ein Ende zu bereiten, sobald der Verkehr es zuließ.
Cobb kontrollierte den Tacho. Er hatte bereits fast hundertfünfzig Sachen drauf und nicht die geringste Chance gegen sie. Am liebsten hätte er auf etwas eingeschlagen. Etwas kaputtgemacht. Als er wieder auf die Straße schaute, waren ihre Heckscheinwerfer in der Nacht verschwunden. Sie war fort.