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Sie schlenderten durch den Park neben der City Hall, bis sie eine Bank im Schatten der Bäume fanden. Auf der anderen Straßenseite wurde gerade die Sicherheitsabsperrung zwischen Gehweg und der Baustelle des neuen Gebäudes entfernt, das bald das Polizeipräsidium von Los Angeles beherbergte. Entlang des Randsteins pflanzten einige Gärtner Palmen, während eine Mannschaft von Bauhelfern die Stufen mit dem Hochdruckreiniger bearbeitete.

Auf dem Weg hierher hatte Lena Vaughan alles geschildert, was sie in Hights Haus in Erfahrung gebracht hatte, und ihm ihre Schlussfolgerungen erläutert. Sie hatte ihm sämtliche Einzelheiten berichtet und auch Cobbs nächtlichen Besuch nicht ausgespart. Vaughan gefiel das zwar nicht, doch er stimmte schließlich zu, dass es nicht in ihrem Interesse war, Cobb weiter zu provozieren – zumindest vorerst.

»Seine Beweisführung gegen Jacob Gant stützt sich auf eine Lüge«, sagte Lena. »Gant hat Lily Hight nicht belästigt. Also hat Cobb von Anfang an in die falsche Richtung ermittelt.«

»Ich befasse mich gerade mit der Gerichtsverhandlung, Lena. Den Mitschriften und dem Video. Aber warum war Gant wütend? Und was ist mit den Nachrichten, die Cobb vom Telefonanbieter des Mädchens erhalten hat? Bennett und Watson haben sie vor Gericht verlesen.«

»Gant sagte, sie hätten sich gestritten. Zwei Wochen seien sie getrennt gewesen und hätten sich dann wieder versöhnt. Was, wenn die Erklärung wirklich so einfach ist? Außerdem wurde Hight nie nach einem Alibi gefragt, Greg. Er zählte nie zu den Verdächtigen, und kein Mensch hat seine Version der Dinge je in Frage gestellt oder Beweise verlangt.«

»Glauben Sie, dass Cobb sich so verhält, weil er weiß, dass er Mist gebaut hat?«

Lena drehte sich zu Vaughan um.

»Und glauben Sie, Bennett denkt, er hätte den Prozess vermasselt?«

»Schon kapiert«, erwiderte er. »Das ist wie bei dem Fall in Long Island, von dem wir gestern Abend geredet haben. Die Beteiligten machen keine Fehler. Nur immer die anderen.«

»Sie sagten, die beiden kennen sich von früher.«

Vaughan zog das Sakko aus und lockerte wegen der Hitze seine Krawatte.

»Als Bennett bei der Staatsanwaltschaft anfing, brauchte er Hilfe. Einen Detective mit Erfahrung. Cobb hat ihm den Gefallen getan. Die beiden haben gern zusammengearbeitet und wurden Freunde. Ich habe den Eindruck, dass Cobb zunächst so etwas wie sein Mentor war.«

»Barrera hat mir erzählt, dass Cobb früher bei der Mordkommission war. Dann sei etwas vorgefallen, aber er wollte nicht darüber reden.«

»Ich habe die Zusammenhänge erst gestern Abend verstanden. Und als ich heute Morgen ins Büro kam, bin ich ins Internet gegangen und habe mich plötzlich an einiges erinnert. Und dann habe ich ein paar Leute angerufen.«

»An was erinnert?«, hakte sie nach.

»Sie haben in einigen Fällen gemeinsam ermittelt. Und sie waren sehr erfolgreich.«

»Gut, und was ist schiefgelaufen?«

»Sie waren ein Team und dann plötzlich keins mehr. Das geschah vor sieben oder acht Jahren – etwa um die Zeit, als Higgins in die Politik eingestiegen ist.«

Lena versuchte, ihm zu folgen, und zermarterte sich das Hirn, welcher Mordfall damals Aufsehen erregt hatte. Doch ihr fiel keiner ein. Vaughan musterte sie.

»Aus einem fahrenden Auto wurden Schüsse abgegeben«, sagte er. »Eine Frau schob gerade ihren Enkel im Kinderwagen an einer Brachfläche in der Western Avenue vorbei. Ich glaube, es war gegenüber von der Bibliothek in der 39. Straße. Beide waren noch vor Eintreffen der Polizei tot.«

Lena überlegte. Vor acht Jahren waren Schüsse aus fahrenden Autos in L. A. an der Tagesordnung gewesen. Allerdings war das vermutlich nicht der Grund für ihre Gedächtnislücke. Ihr Bruder war vor acht Jahren ermordet worden. Sie hatte sich damals eine Auszeit genommen.

Vaughan beugte sich vor. Sein Tonfall wurde sanfter. »Elvira Wheaten. Der Name des Kindes war Shawn. Die beiden sind nicht zufällig in eine Schießerei zwischen zwei Banden geraten, Lena, sondern wurden absichtlich niedergemäht. Wheaten hat sich gegen die Kriminalität im Viertel engagiert und wurde deshalb zur Zielscheibe. Higgins kandidierte gerade für das Amt des Staatsanwalts und brauchte Schlagzeilen. Und Bennett war damals sein Lieblingskind. Mich wundert es, dass Sie sich nicht erinnern.«

»Mich auch«, antwortete sie.

»Es gab einen Augenzeugen. Einen Jugendlichen namens Wes Brown. Er hat Cobb und Bennett geholfen, die Schützen im Auto zu identifizieren, weigerte sich aber, vor Gericht auszusagen.«

Der Name Wes Brown kam Lena bekannt vor. Und im nächsten Moment fiel ihr ein, dass der Junge es kurz darauf selbst in die Schlagzeilen geschafft hatte.

»Wes Brown wurde ermordet«, merkte sie an.

Vaughan nickte.

»Drei Monate nachdem der Prozess vorbei und Higgins in Amt und Würden war. Brown ist nicht vor Gericht aufgetreten. Sein Name wurde geheim gehalten. Obwohl die Täter nie erfuhren, wer sie enttarnt hat, haben sie ihn trotzdem erwischt. Ein Vierteljahr später war Brown tot.«

»Aber Higgins hat den Prozess gewonnen.«

»Mit Browns Aussage wäre es eine todsichere Sache gewesen, doch so mussten er und Bennett sich stärker ins Zeug legen. Ich war damals schon hier tätig und weiß noch, wie sie sich abgemüht haben – vor Gericht und im Wahlkampf. Und so hat Higgins schließlich seinen Schuldspruch gekriegt, das in den Medien ordentlich ausgeschlachtet und zu guter Letzt auch den Wahlsieg in der Tasche gehabt.«

»Und Bennett und Cobb sind aneinandergeraten, weil Cobb Brown nicht dazu bringen konnte auszusagen.«

Wieder nickte Vaughan.

»Klingt logisch, wenn man es sich genauer überlegt. Bennett ist nicht der Typ, der sich für Browns Ängste interessiert hätte. Wahrscheinlich hat er Cobb vorgeworfen, er gefährde den Prozessausgang und damit Higgins’ Wahl. Wenn viel auf dem Spiel steht, geschehen die merkwürdigsten Dinge. Als Brown ebenfalls ermordet wurde, musste sich Higgins einiges anhören. Das hat sicherlich auch nicht zur Versöhnung beigetragen.«

»Und so hat Cobb seinen Freund verloren«, stellte Lena fest. »Seinen besten Kontaktmann in der Staatsanwaltschaft.«

»Ich glaube, danach hat es auch noch eine Scheidung gegeben. Geldprobleme. Alles wirkte aussichtslos.«

»Bennett hat ihn nicht mehr gebraucht.«

»Bis Lily Hight umgebracht wurde und Cobb den Fall bekam. Dann ging die Sache nämlich wieder von vorne los.«

»Higgins wollte eine dritte Amtszeit und wusste, dass dazu Schlagzeilen und ein neuer Sensationsprozess nötig sind, den er gewinnen könnte. Und Bennett wollte natürlich den Helden spielen, um selbst in vier Jahren zu kandidieren. Und so kam plötzlich wieder Cobb ins Spiel.«

Vaughan lächelte Lena an.

»Und wen hat Cobb da wohl angerufen, nachdem Sie ihn gestern um die Fallakte gebeten hatten?«

»Steven Bennett«, erwiderte sie. »Seinen nun wieder besten Freund. Den Mann, der ihm zurück an die Spitze verhelfen kann.«

»Also fast genauso wie früher, nur dass es diesmal nicht geklappt hat. Der Prozess hat alles zum Einsturz gebracht.«

»Der Prozess und die Zeitung von heute«, antwortete sie. »Wo steht Ihr Auto?«

»Im Parkhaus. Wieso?«

»Möchten Sie mit mir eine Spazierfahrt zum kriminaltechnischen Labor unternehmen?«

»Warum?«, fragte er. »Was wird hier gespielt?«

»Ich möchte Orth Lilys restliche Kleidung bringen.«

Vaughan sah sie an und nickte.

»Dann also los.«

»Dann treffen wir uns in einer Viertelstunde am Parker Center«, entgegnete Lena. »Warten Sie auf dem Chefparkplatz bei Ihrem Auto.«

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