17

Die Nachricht, dass der Herr der Krähen durch einen Spiegel weissagen würde, erreichte auch Sikiokuu in seinem Hausarrest; er bat dringend um eine Audienz und wurde nachts beim Herrscher vorgelassen.

In seiner Zeit als Minister war Sikiokuu immer vor dem Herrscher niedergekniet, aber das war eher eine kriecherische Geste als eine von Herzen kommende Handlung gewesen. Aber jetzt, da er sich einer Szenerie gegenübersah, die er sich nicht hätte träumen lassen, einem von Sonnenstrahlen und Mondschein beleuchteten Himmel im Zimmer, sank er auf die Knie und Tränen für all seine Sünden rannen ihm über das Gesicht. Der Herrscher sprach sanft zu ihm: „Sikiokuu, erhebe dich und schütte mir dein Herz aus.“

Doch er blieb auf den Knien und erinnerte Seine Heiligkeit an die Spiegel, die er, Sikiokuu, einst im Ausland bestellt habe. Diese seien noch nicht von einem Einheimischen kontaminiert worden, sie seien rein. Der Herrscher solle den Zauberer diese Spiegel benutzen lassen, um die besten Ergebnisse zu bekommen, auf jeden Fall aber den Aufenthaltsort von Nyawĩra. Der Herrscher sah ein wenig verblüfft drein, war jedoch von Sikiokuus Wissen über die Herkunft der importierten Spiegel beeindruckt, denn Namen wie Asakusa in Japan und Venini in Italien klangen richtig nach Ausland und stärkten damit die Glaubwürdigkeit des knienden Bittstellers.

„Danke, Sikiokuu, du zeigst mir, dass du sogar unter Hausarrest an deine Pflichten gegenüber deinem Herrn denkst. Ich werde deine Ergebenheit nicht vergessen. Möchtest du mir sonst noch etwas sagen?“

„Nicht viel. Sie haben mir bereits gewährt, was ich mir am meisten wünschte, eine Audienz. Wenn ich heute sterben müsste, würde ich mich in Frieden ins Grab legen, weil ich wüsste, dass ich treu die notwendigen Schritte eingeleitet habe, Nyawĩra in Handschellen zu legen, wie Sie es mir befohlen haben. Eure Heilige Vortrefflichkeit, ich bin ein Sünder …“

„Ich weiß“, antwortete der Herrscher, als versuchte er ihn zum Schweigen zu bringen.

Aber das wollte er in Wahrheit nicht. Der Herrscher war wie alle anderen Gegenspieler des Herrn der Krähen immer darauf aus gewesen, alles Wissen und die gesamte Macht des Hexenmeisters für sich allein zu besitzen, ohne die ärgerliche, lästige und sogar bedrohliche Gegenwart des Zauberers. Jetzt war ihm die Idee gekommen, wie er das bewerkstelligen konnte. Er würde den Herrn der Krähen sofort nach dessen Beichte gefangen nehmen und heimlich ins State House bringen lassen. Und nur er, der Herrscher, würde wissen, ob er ihn nun verschwinden ließ, nachdem er geheilt und im Besitz des Geheimnisses war, wie man Dollars anbaute, oder ob er ihn im State House hinter Schloss und Riegel hielt und ihn benutzte, wenn es nötig wurde. Er hätte den dienstbaren Geist beständig als persönlichen Ratgeber im Haus. Und wer war besser dazu geeignet, die Mission der Gefangennahme durchzuführen, als ein Sünder, der flehentlich Vergebung erhoffte? Jemand wie … wie … Sikiokuu? Warum eigentlich nicht?

„Wir sind alle Sünder“, sprach der Herrscher nun zu seinem Ex-Minister. „Doch muss der Sünder durch seine Taten beweisen, dass er Erlösung verdient. Sikiokuu, möchtest du erlöst werden?“

Sikiokuu konnte nichts sagen, weil er so überwältigt war. Er nickte nur und zupfte sich an den Ohrläppchen.

„Ich habe nichts gehört“, sprach der Herrscher.

„Ja, mein Herr und Meister. Benutzen Sie meine Spiegel nur, Sie haben einen Sklaven, der Ihnen lebenslang zu Diensten sein wird.“

Der Herrscher beruhigte ihn, was die Spiegel anging, doch müsse er, Sikiokuu, sich noch beweisen, indem er einen Auftrag ausführe. Die Aufgabe sei einfach; die Prüfung bestehe darin, wie gut er den Auftrag ausführe.

„Hast du schon einmal jemanden entführt?“, fragte der Herrscher.

„Nicht persönlich, aber meine Männer …“

„Ich sage nicht, dass du deine Lakaien einsetzen sollst. Deinen Verstand. Einen überragenden Geist!“

Ein Hubschrauber, der Burĩ-Scheine über der Menge ausspuckte, sollte das Signal sein. Der richtige Zeitpunkt war entscheidend. Sikiokuus Mannschaft sollte sich in dem Augenblick über den Zauberer hermachen, in dem die Menge anfing, sich um die herabregnenden Geldscheine zu raufen. Doch sollte ihm Sikiokuu die Beute nachts alleine überbringen.

Indem er an seiner neuen Politik festhielt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, würde der Herrscher das ganze Schauspiel der Geburtstagsfeierlichkeiten von seinem sicheren Hafen im State House dirigieren. Nur er allein kannte das vollständige Drehbuch, die einzelnen Beteiligten hingegen lediglich die Rolle, die er ihnen zugewiesen hatte. Deshalb sagte er Sikiokuu nicht, dass das Geld nur für den Zweck, die Menge zu verwirren, frisch gedruckt worden war oder dass er Kaniũrũ befohlen hatte, dem Zauberer eine verdeckte Eskorte zu stellen. Tajirika dagegen wusste über die Banknoten Bescheid – sie waren Teil seines Finanzplanes –, aber nicht über die Einzelheiten der anderen Pläne. Und er würde Kaniũrũ bestimmt nicht von den Entführungsplänen oder den Hubschraubern erzählen, die Geld vom Himmel regnen ließen.

Sikiokuu kehrte in sein Leben unter Hausarrest zurück, war aber in Hochstimmung, weil er mit dem Geheimauftrag betraut worden war. Er würde bald wieder in der Gunst des Herrschers stehen. Doch irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sich der Herrscher Ideen angeeignet hatte, die ursprünglich von ihm stammten.

Herr der Krähen
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