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Kaniũrũ konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte nicht gewusst, wo und wie er die Suche beginnen sollte, und jetzt das? Er hasste Studenten aus tiefem Herzen, weil ihre Radikalität ihn einer guten Frau beraubt hatte. Wenn sich Nyawĩra nicht in die studentische Politik eingemischt hätte, würde sie wahrscheinlich immer noch unter seiner schützenden Hand leben. Er brütete über den Nachrichten, die der verrückte Motorradfahrer gebracht hatte. Die Studenten hatten hinter dem Zwischenfall mit den Schlangen bei der fehlgeschlagenen Geburtstagsfeier gesteckt. Sie steckten mit Sicherheit auch hinter den Warteschlangen. Sogar der Herrscher hatte gesagt, dass Studenten und Jugendliche den Zusammenbruch schon so mancher Regierung herbeigeführt hatten. Und auf einmal sah er die Lösung, ebenso einfach wie wirkungsvoll. Man musste die Studenten unter Druck setzen, und alle Formen des Schlangestehens wären erledigt. Nur wie sollte er das bewerkstelligen? Die Studenten waren indoktriniert. Man musste allen Unsinn aus ihren Köpfen tilgen und sie stattdessen mit vorbildlichen und richtigen Ideen füttern, die den Staat stützten. Wie sollte die Regierung das anstellen?
Kaniũrũ dachte daran, dass die Studenten, den jüngsten Berichten zufolge, forderten, als Erstes über ihr Heimatland unterrichtet zu werden. War nicht der Herrscher das Land? Kaniũrũ griff unverzüglich zu Stift und Papier und begann ein Memorandum für ein neues nationales Bildungsprogramm zu entwerfen. Jeder in Aburĩria wisse, dass der Herrscher der oberste Lehrer und Erzieher sei. Der Lehrer Nummer Eins. Also würden alle Bildungseinrichtungen, von der Grundschule bis zur Universität, verpflichtet sein, nur Ideen zu lehren, die vom obersten Lehrer und Erzieher stammten. Sie würden angehalten, die Mathematik des Herrschers anzubieten, die Naturwissenschaften des Herrschers (Biologie, Physik, Chemie), die Philosophie des Herrschers und die Geschichte des Herrschers; und damit würde in jedem Fall ihrer Forderung Rechnung getragen, als Erstes ihre Heimat kennenzulernen. Allerdings wollten die Studenten auch unterrichtet werden, in welcher Beziehung ihre Heimat zu anderen Regionen der Welt stand. Auch das war einfach! Man würde sie die Geographie und Demographie aller Länder lehren, die der Herrscher besucht hatte oder zu besuchen beabsichtigte. Und was Bücher betraf, so war auch das machbar. In Anerkennung der Tatsache, dass der Herrscher der Schriftsteller Nummer Eins war, würden alle Bücher im Land unter dem Namen des Herrschers veröffentlicht werden. Wer vorhatte, zu schreiben und zu veröffentlichen, sollte dies ausschließlich unter dem Namen des Herrschers tun können, der seinen Namen nur den Büchern schenken würde, die von der Unterabteilung für die Konformität der Jugend einer sorgfältigen Prüfung unterzogen und genehmigt worden waren. Alle Neuausgaben von Bibel, Koran, Tora und von Buddhas Buch des Lichts würden ein Vorwort und eine Einleitung des Herrschers erhalten. Ein solches Bildungssystem brächte Studenten hervor, deren einheitliches Wissen von einer einzigen Quelle kam: vom Herrscher oder von denjenigen, die mit seinem Denken vertraut waren.
Kaniũrũ berief ein Beratungsgremium, bestehend aus Universitätsprofessoren der Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Philosophie und der Naturwissenschaften. Sie gehörten sämtlich „Seiner Allmächtigen Jugend“ an und unterstanden seinem Befehl. Er gab ihnen das Memorandum und bat sie, es sich kritisch anzusehen und Anmerkungen und nötige Korrekturen zu machen. Aber sie waren alle nur voll des Lobes. Der Entwurf sei sehr gut geschrieben und enthalte das beste Bildungsprogramm, das sie je gesehen hätten. Sie machten sich daran, die effektive Umsetzung dieser Bildungsinitiative auszuarbeiten, und vertraten die Ansicht, dass es am besten sei, wenn man diese Idee zuerst den Studenten und Schülern an den Universitäten und höheren Schulen verkaufte. Hätten die Studenten es erst einmal angenommen – und der Beratungsausschuss sah darin kein Problem, weil das Memorandum alle Forderungen der Studenten und Schüler befriedigte –, sollte Kaniũrũ das Dokument dem Herrscher vorlegen, damit es offiziell zur Bildungspolitik der Regierung erklärt würde. Sie gaben dem Memorandum einen gewichtigen und einprägsamen Titel: „Das Kaniũrũ-Memorandum zu Neuen Bildungsinitiativen für Jugendliche und Frauen zum Zwecke ihrer Ausrichtung auf Nationale Ideale und die Philosophie des Herrschers.“
Einer der Professoren, ein Spezialist in allen Spielarten der Papageiologie, machte den Vorschlag zu Regionalseminaren, damit Studenten und Öffentlichkeit vom neuen Bildungsprogramm in Kenntnis gesetzt wurden. Das erste Seminar sollte in Eldares stattfinden, und Kaniũrũ erhielt auf seinen eigenen Vorschlag hin den Auftrag herauszufinden, ob nicht der Herrscher die Veranstaltung eröffnen könnte.
Kaniũrũ war außer sich vor Freude. Er wusste, dass der Herrscher nicht zu diesem Seminar kommen konnte. Aber wenn sein Name in einem Atemzug mit dem des Herrschers genannt wurde …? Eine Botschaft, ein oder zwei Grußworte des Herrschers, würden völlig ausreichen.