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Es gab nicht einen einzigen Kranken, den er nicht heilen konnte. Einige schworen bei allem, was ihnen heilig war, das Schauspiel mit eigenen Augen gesehen zu haben, und behaupteten, der Herr der Krähen könne jedes Übel austreiben, egal wo es sich verstecke, wobei er spöttisch vor sich hin murmeln würde: „Du hast also tatsächlich geglaubt, schlauer als der Herr der Krähen zu sein!“ Worauf die Krankheit, wie man sich erzählte, die schmachvolle Niederlage ahnend, sich aus dem Körper des Opfers davonmachte. Er wusste so viel über die Heilkraft der Kräuter, weil er sich, behaupteten die Erzähler, in eine Pflanze verwandeln konnte und anschließend, mit den Geheimnissen des Pflanzenlebens ausgestattet, in seine menschliche Form zurückkehrte.
Vielleicht hatte Kamĩtĩ diese Gerüchte selbst ausgelöst, weil er seinen Klienten immer den Rat gab: Alles Leben ist eins und es strömt wie ein Fluss oder die Wasser des Meeres. Pflanzen, Menschen, Tiere bis hinab zu den kriechenden Wesen, sie alle beziehen ihren Anteil aus dem einen unteilbaren Fluss des Lebens, genauso wie sie alle aus der Luft ihren Atem schöpfen.
Angefangen hatten sie in Nyawĩras Haus, doch wegen des Zustroms so vieler neuer Klienten, bauten sie im Grasland außerhalb der Randgebiete von Santalucia einen größeren Schrein. „Schrein der Modernen Magie und Zauberkunde“ nannten sie ihn. Zentrum aller Aktivitäten im Schrein war die Weissagung. Die meisten Klienten glaubten, böser Zauber sei der Ursprung aller Krankheiten. Sie konnten sich deshalb eine ordentliche Diagnose oder Besserung ohne ein Weissagungsritual nicht vorstellen und erwarteten eine unverfälschte magische Darbietung. Kamĩtĩ und Nyawĩra richteten ihre Rolle als Herr der Krähen an den Notwendigkeiten des jeweiligen Anlasses aus. Sie verlangten von den Armen und Reichen die gleiche Bezahlung, die sich an dem orientierte, was sich ihrer Meinung nach ein Durchschnittsverdiener leisten konnte. Sie achteten jedoch darauf, niemals jemanden wegzuschicken, der kein Geld hatte. Diese Leute versprachen zu zahlen, sobald sie konnten, und hielten alle Wort. Nyawĩra konnte nie so recht sagen, ob sie es aus Ehrlichkeit taten, aus Dankbarkeit oder einfach nur, weil sie den Zauberer und seine Künste fürchteten.
Obwohl sie Weissagungsrituale praktizierten, gründeten Kamĩtĩ und Nyawĩra ihre Tätigkeit auf der Philosophie, dass alle Krankheiten der Seele, des Geistes und des Körpers durch das gesellschaftliche Leben verursacht wurden. Sie schrieben sogar sieben Regeln für ein gesundes Leben auf:
Pflege deinen Körper, denn er ist der Tempel der Seele
Achte immer darauf, was du isst und trinkst
Gier macht den Tod gierig nach dem Leben
Zigaretten fesseln das Leben; Alkohol sperrt den Geist ein
Das Leben ist ein einziger Fluss, aus dem Pflanze, Tier und Mensch trinken
Das Gute entsteht aus der Ausgewogenheit
Gib sie nicht für eine Fata Morgana preis
„Wir brauchen einen passenden Namen dafür“, meinte Kamĩtĩ aufgeregt, als Nyawĩra beim Abendessen im Chou Chinese Gourmet zum ersten Mal über diese Idee sprach.
„Wie sollen wir sie nennen?“, fragte Nyawĩra. „Die Sieben Gebote für ein Gesundes Leben?“
„Oder die Sieben Prinzipien der Tugend – Grace!“, schlug Kamĩtĩ vor. „Erinnerst du dich, du hast in der Brilliant Girls High School immer das Tischgebet gesprochen? Unsere sieben Gebote werden das Leben preisen. Wir geben ihnen deine Namen: Grace und Mũgwanja, weil du die Idee hattest.“
„Du weißt, dass ich den Namen Grace nicht mehr benutze.“
„Genau deshalb sollten wir ihn nehmen. Denn das heißt, dass nur du und ich seinen Ursprung kennen.“
„Gut, dann nennen wir sie die Sieben Kräuter der Tugend. Aber nur unter der Bedingung, dass auch wir nach diesen Geboten leben. Wir wollen nicht zu denen gehören, die immer predigen: Tu, was ich sage, nicht, was ich tue.“
„Einverstanden“, sagte Kamĩtĩ. „Ich schwöre, niemals gegen diese Regeln zu verstoßen.“
Ihren Patienten gaben sie die Sieben Kräuter der Tugend mit. Sie bestimmten sogar einen heiligen Tag, an dem sich die Menschen Körper und Geist als eine Einheit vorstellen sollten, als die Ganzheit, aus der ein Mensch bestand. Den Mittellosen gaben sie eine Schale Suppe, Bohnen und Reis oder ugali. Und allen, die am heiligen Tag kamen, erzählten sie von gesundem Leben durch die ausführliche Behandlung mit den Sieben Kräutern der Tugend. Deshalb nannten sie ihn Tag des Weges.
Dieser Ritus bestärkte die Leute nur in dem Glauben, es gebe keine Krankheit, die der Herr der Krähen nicht besiegen könnte, denn selbst wenn die Krankheit schnell voranschritt, würde er sie überholen, und egal wo sie sich niederließe, und sei es in der Seele, der Herr der Krähen würde sie dort mit seinem starken Trank erwarten.
Bedürftige wie Neugierige, sie alle wurden gleichermaßen vom Schrein angezogen.