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Früh am Morgen beförderte die Polizei Tajirika von seinem Anwesen in Golden Heights ins State House und schob ihn in einen Raum mit weißen, zugezogenen Vorhängen. Sie sagten ihm nicht, weshalb er einbestellt worden war, und obwohl er in seinem Kopf alle möglichen Phantasien entwickelte, war das Letzte, was er erwartete, nur wenige Minuten nach seiner Ankunft Machokali und Sikiokuu zu treffen. Er wusste nicht, wie er sich verhalten und wen er zuerst begrüßen sollte, und so sagte er einfach nur Guten Morgen, ohne einen von beiden direkt anzusprechen.
Keiner antwortete, beide vermieden den Blickkontakt. Er begriff schnell, dass es um sein Geständnis ging. Er überlegte, was er sagen würde, wenn man ihn danach fragte, landete mit seinen Gedanken aber in einer Sackgasse, weil er, abgesehen davon, dass er sich nicht mehr an jedes einzelne Wort erinnern konnte, keine Ahnung hatte, welcher der zwei Minister momentan beim Herrscher in der Gunst stand. Um das herauszufinden, beschloss er, bei den ersten Fragen so vage wie möglich zu bleiben.
Die Vorhänge wurden zur Seite gezogen, und Tajirika sah ein menschliches Ungeheuer vor seinen Augen erscheinen. Tajirika war kurz davor aufzuspringen, doch als er sah, wie gelassen Machokali und Sikiokuu die Erscheinung nahmen, fasste er Mut und blieb sitzen. Der Herrscher muss in Amerika Unmengen Steaks gegessen haben, dachte Tajirika, als er in der Gestalt, die nun über ihn zu Gericht saß, Ähnlichkeiten mit dem Allmächtigen Herrscher entdeckte.
Auf der Anklagebank waren Sikiokuu und Machokali, die einander direkt gegenübersaßen; kein Beobachter hätte den Unterschied zwischen Ankläger und Angeklagtem ausmachen können, weil ihre Gesichter gleichermaßen ernst waren. Tajirika saß in der Mitte, direkt vor dem Richter. Jeder der drei wartete insgeheim auf Tajirikas Aussage, als wäre er ein Orakel.
Machokali war sich ziemlich sicher, dass ihn diese Aussage von allen falschen Anschuldigungen befreien würde. Sikiokuu dagegen war ebenso überzeugt, durch Tajirikas Worte die Beschuldigungen untermauern zu können.
Nur der Herrscher machte sich als Einziger keine Gedanken darüber, ob die Aussage die Anklage stützte oder nicht, denn er hatte anderes und Dringenderes im Sinn.
Er hatte die beiden Berichte Sikiokuus gelesen. Was dabei seine Aufmerksamkeit bis zu einem an Besessenheit grenzenden Maß erregt hatte, war die Tatsache, dass Tajirika aus dem Plan für Marching to Heaven bereits Geld gescheffelt hatte. Die Entdeckung, dass einige Leute bereits an dem Projekt verdienten, hatte ihn schwer getroffen. Die Leute machten also schon Geld mit Marching to Heaven, und keiner hatte ein Wort darüber verloren? Da stehe ich und reise durch die Welt, den Hut in der Hand, nehme gar Beleidigungen von der Global Bank auf mich, und diese Leute häufen hinter meinem Rücken ein Vermögen an? Wie viel hatten sie einkassiert? Wer war noch darin verwickelt? Das waren die Fragen, auf die er nun Antworten hören wollte. Doch musste er vorsichtig sein, um Tajirika nicht zu erschrecken, der sich nicht in sein Schneckenhaus zurückziehen durfte, ohne zuvor die Namen seiner Komplizen zu nennen.
Tajirika befand sich also nicht nur mittendrin, zwischen Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen von Sikiokuu und Machokali, sondern er war auch der Ursprung von Misstrauen und Groll im Gemüt des Herrschers. Er spürte die Spannungen, nahm aber an, sie hätten mit seinem Geständnis zu tun, und wie Sikiokuu und Machokali ging er davon aus, befragt zu werden. Die erste Frage des Richters jedoch überraschte sogar die beiden Minister, obwohl sie die launischen Einfälle des Herrschers kannten.
„Was hast du uns mitgebracht?“, fragte der Herrscher Tajirika beinahe sanft.
„Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, man hat mich frühmorgens abgeholt und ich hatte keine Zeit …“, stammelte Tajirika und brach dann ab.
Der Herrscher bemerkte Tajirikas Unsicherheit und beeilte sich, ihn zu beruhigen.
„Mach dir keine Sorgen, mit leeren Händen gekommen zu sein. Du kannst deine Geschenke später überbringen. Was ich dich jetzt fragen will, ist Folgendes: Was möchtest du mir in Gegenwart dieser zwei Ratgeber erzählen?“
„Worüber?“, fragte Tajirika verwirrt, weil er behandelt wurde, als hätte er selbst um diese Audienz gebeten.
„Was immer dein Gewissen belastet. Alles, was dir Sorgen bereitet“, sagte der Herrscher und versuchte, es Tajirika zu erleichtern, die Sache mit dem Geld zu beichten. „Bedrückt etwas dein Herz, das du vor mir ausbreiten möchtest?“
Diese Frage brachte Tajirika vollends durcheinander. Er hatte immer von der Gelegenheit einer solchen Audienz beim Herrscher geträumt und jetzt fehlten ihm die Worte. Vielleicht lag es am fürsorglichen Ton des Herrschers, der ihn an eine Verkündigung erinnerte, die er vor langer Zeit gehört hatte: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Oder war es eine Falle? Bringe ich mich in noch größere Schwierigkeiten, wenn ich meine innersten Gedanken preisgebe? Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Wie verlockend diese Worte waren! Ihm wurde angeboten, sich zu entlasten! Wo sollte er anfangen? Er ließ die jüngsten Ereignisse Revue passieren – von der Demütigung, dass seine Position als Vorsitzender von Marching to Heaven geschwächt worden war, bis zu den Prügeln durch die Frauen – und überlegte, welche Last er dem Herrn zuerst zu Füßen legen würde. Er rief sich ins Gedächtnis, wie er unter dem Gewicht dreier großer, kräftiger Frauen auf einem kalten Zementfußboden lag, und die Schmerzen der Schläge kehrten mit neuer Wucht zurück. Er dachte daran, wie Vinjinia, seine eigene Frau, in einen dunklen Wald verschleppt worden war, von keinem anderen als Kaniũrũ, dem Thronräuber, der ihn hatte verhaften lassen, nur weil er sich weigerte, eine Vorladung zu befolgen. Wie konnte dieser Kaniũrũ es wagen, mit seinen schmutzigen Händen seine Frau anzufassen? Das war ein gravierenderer Anschlag auf seine Männlichkeit als alles andere. Hatte Kaniũrũ nicht auf Sikiokuus Anweisung gehandelt? Die Verbitterung über die Demütigungen durch diesen Mann, der jetzt vor ihm saß, erstickte ihn beinahe. Nun öffnete er unbewusst den Mund, um sich alles von der Seele zu reden.
„Was ich immer noch nicht verstehe“, sagte Tajirika, als setzte er einen Monolog fort, den er schon länger führte, „ist die Verbindung zwischen Sikiokuu und den Frauen vom Volksgericht.“
„Welches Volksgericht?“, fragte Seine Allmächtige Vortrefflichkeit und blickte hinüber zu Sikiokuu.
„Eure Allmächtige Vortrefflichkeit“, sagte Sikiokuu beschwichtigend, „ich hatte noch keine Gelegenheit, Sie umfassend zu informieren. Ich glaube, Tajirika meint die Frauen, die angeblich Männer verprügeln.“
„Und mit mir haben sie angefangen“, fügte Tajirika voller Selbstmitleid hinzu. „Ich frage mich: Warum ausgerechnet mit mir?“
Während Sikiokuu vom Verlauf der Befragung verwirrt und besorgt zugleich war, fühlte sich Machokali etwas erleichtert, weil sich das Gespräch von der Anklage des Hochverrats entfernte. Bei dem Gedanken, dass sein Freund von Frauen verprügelt worden war, war ihm sogar nach Lachen zumute, aber er beherrschte sich.
„Das ist nicht zum Lachen“, sprach der Herrscher, als hätte er Machokalis Gedanken erraten. „Das ist sehr ernst“, fügte er mit Nachdruck hinzu, weil ihm das schmachvolle Ereignis von Eldares einfiel, allem voran die Forderung der Frauen, Rachael freizulassen. Irgendwie, ausgelöst durch diese Erinnerungen, fühlte sich der Herrscher Tajirika verbunden, als eine Art Leidensgenosse, der ebenfalls von Frauen bloßgestellt worden war. „Sprich weiter, Titus“, sagte er.
Tajirika spürte das Mitleid in der Stimme des Herrschers, was ihm die nötige Kraft und den Mut gab, die Geschichte seiner Unglücksfälle zu erzählen. Er berichtete, wie die Frauen ihn entführt und ihn später der häuslichen Gewalt angeklagt hatten, bevor sie ihn zu etlichen Stockhieben verurteilten, und als er jetzt zum Ende seiner Leidensgeschichte kam, fühlte sich Tajirika von Dankbarkeit und Freude überwältigt, weil er sein Leid mit einem mitfühlenden Zuhörer teilen konnte. Möge seine Heilige Vortrefflichkeit für immer und ewig leben, sang er im Stillen.
„Und was hat Sikiokuu damit zu tun?“, fragte der Herrscher.
„Nichts. Absolut nichts!“, antwortete Sikiokuu und schlenkerte mit den Ohren.
„Du bist nicht gefragt“, wies der Herrscher ihn zurecht.
„Eines verstehe nicht: Warum hat mir Sikiokuu verboten, meine Frau zu verprügeln? Oder lassen Sie es mich so sagen: Sikiokuu befiehlt mir, meine Frau nicht zu schlagen. Ich aber mache mich über sie her, weil ich mein männliches Vorrecht ausüben will. Kaum eine Woche vergeht, und diese Frauen entführen mich. Nachdem sie mich bestraft haben, warnen sie mich, meine Frau zu schlagen, und genau das hatte ich zuerst von Sikiokuu gehört. What a coincidence!“
„Das sind keine echten Frauen“, rief Sikiokuu verzweifelt. „Das waren Schatten, die der Herr der Krähen erzeugt hat.“
Tajirika sah zur Tür, als hätte er Angst, der Zauberer könnte dort auftauchen. Machokali und der Herrscher taten dasselbe, aber Letzterer gab vor, nicht richtig gehört zu haben, und heftete den Blick jetzt auf Sikiokuu. Ein paar Sekunden herrschte absolute Stille.
„Bei mir waren es echte Frauen“, brach Tajirika das Schweigen.
„Wann haben diese Frauen dich verprügelt?“, fragte Machokali mitleidig.
„Während der Herrscher in Amerika war“, antwortete Tajirika und nannte den genauen Tag.
„Aber zu der Zeit war der Herr der Krähen ebenfalls in Amerika“, sagte Machokali und vergaß, dass Tajirika nichts davon wusste.
Der Herrscher, Sikiokuu und Tajirika blickten zu Machokali, jedoch aus unterschiedlichen Gründen: der Herrscher, weil durch Machokalis Erwähnung des Herrn der Krähen in ihm der Schmerz wieder lebendig wurde, den der Brief des Zauberers ausgelöst hatte; Sikiokuu, weil er genau wusste, dass Machokali bemüht war, eine Geschichte am Leben zu erhalten, die seinen Interessen zuwiderlief; und Tajirika, weil er zum ersten Mal hörte, dass der Herr der Krähen in Amerika gewesen war. Was für Spielchen versuchten die beiden Minister zu treiben, wenn Sikiokuu behauptete, die Frauen, die ihn verprügelt hatten, seien bloße Schatten gewesen, und Machokali sagte, der Herr der Krähen sei irgendwie aus dem Gefängnis entkommen und nach Amerika gereist? Tajirika überlegte.
„Ich weiß nicht, ob der Herr der Krähen in Amerika war oder nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn im Gefängnis zurückgelassen habe“, sagte Tajirika.
„Du warst im Gefängnis?“, fragte der Herrscher. In den Berichten, die er am Abend zuvor gelesen hatte, war das nicht erwähnt worden. „Warum warst du im Gefängnis?“
„Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, ich hatte vor, Sie darüber und über andere Dinge zu informieren“, mischte sich Sikiokuu ein. „Tajirika war nicht richtig eingesperrt – es war eher eine Art Schutzhaft. Oder, Titus?“, fragte Sikiokuu und hoffte, Tajirika würde das bestätigen.
„Nein, nein“, protestierte Tajirika. „Ich war richtig inhaftiert. Ich war in einer richtigen Gefängniszelle eingesperrt. Aber Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, in einer Zelle eingesperrt zu sein, war nicht das Schlimmste …“ Tajirika unterbrach sich, als überwältigte ihn die Erinnerung an vergangenes Unrecht.
„Erzähl weiter, Titus“, ermutigte ihn der Herrscher. „Ich bin ganz Ohr. Was war schlimmer als das Gefängnis? Ein schlechtes Gewissen, einige Fehltritte nicht gebeichtet zu haben?“, fügte er hinzu, um Tajirikas Enthüllungen auf die Frage des Geldes zu lenken.
„Nein, nicht einmal das.“
„Was könnte schlimmer sein, als entscheidende Informationen oder Missetaten für sich zu behalten?“
„Wenn man zum Beispiel mit diesem Hexenmeister in eine Zelle gesteckt wird, mit dem Herrn der Krähen.“
„Worum geht es hier eigentlich?“, fragte der Herrscher Sikiokuu.
„Ich werde alles erklären, wenn ich über Nyawĩra berichte“, antwortete Sikiokuu und sah den Herrscher mit Augen an, die verzweifelt um Gnade und Verständnis flehten.
„Sag mir eines, Sikiokuu, als du den Herrn der Krähen ins Gefängnis gesteckt hast, war das, bevor oder nachdem er in Amerika war?“, fragte Machokali harmlos, aber bemüht, den Streit weiter anzuheizen. „Der Herr der Krähen kann nicht an zwei Orten zugleich gewesen sein. Wenn er in Amerika war, als Tajirika verprügelt wurde, wie konnte er dann die Schatten erzeugen und auf ihn loslassen?“
„Das solltest du am besten wissen“, schrie Sikiokuu Machokali an. „Tu nicht so scheinheilig. Du bist doch derjenige gewesen, der verlangt hat, den Herrn der Krähen nach Amerika zu schicken. Ich habe deine Faxe und E-Mails dazu alle aufgehoben. Der Herrscher ist krank, hast du in einer behauptet.“
„Ich habe euch nicht zusammengerufen, um euch vom Zauberer krähen zu hören“, sprach der Herrscher und drohte Machokali und Sikiokuu mit dem Finger. „Warum könnt ihr beiden euch nicht so verständlich ausdrücken wie mein Vorsitzender von Marching to Heaven?“, fügte er hinzu und nickte Tajirika huldvoll zu.
Tajirika war außer sich vor Freude. Wenn alles so weiterlief, dann war er nach dieser Feuerprobe vielleicht die beiden Minister los.
„Danke“, sagte er zum Herrscher.
„Titus“, sprach der Herrscher, der immer noch versuchte, ihm etwas über das Geld zu entlocken, „siehst du jetzt, was ich für Minister habe?“
„Nun, Sie werden mit ihnen machen, was Sie für richtig halten. Was in der Wildnis geboren wird, ernährt sich auch von der Wildnis“, sagte Tajirika.
„Was hast du gesagt?“, brüllte der Herrscher Tajirika an. „Was hast du über das Gebären gesagt?“
Nur Machokali wusste, warum der Herrscher so gereizt reagierte. Er ließ es sich aber weder durch Gesten noch durch seine Mimik anmerken. Sikiokuu und er drehten sich zu Tajirika, als wollten sie mit einem unausgesprochenen ‚Mensch, warum hast du das gesagt‘ noch Öl ins Feuer gießen.
„Das ist nur ein Sprichwort“, sagte Tajirika schnell und wunderte sich, warum sich der Herrscher auf einmal gegen ihn stellte. „Es tut mir leid.“
„Es tut dir leid?“
„Vergeben Sie mir.“
„Für was soll ich dir vergeben? Beantworte einfach meine Fragen. Rätsel und Sprichwörter sind für die Abendunterhaltung zu Hause.“
„Ja, Eure Heiligkeit.“
„Hör zu. Ich habe glaubwürdige Zeugen, dass die Warteschlangen vor deinem Büro angefangen haben“, sprach der Herrscher, um das Thema von Schwangerschaft und Zauberei auf Warteschlangen und Geldangelegenheiten zu lenken.
Tajirika begriff nicht, warum der Herrscher darauf beharrte, und in seiner Beflissenheit, den Fehltritt wieder auszugleichen, den er mit seinem Sprichwort begangen hatte, beeilte er sich, seine Theorie darzulegen, dass es der Herr der Krähen gewesen war, der den Schlangenwahn ausgelöst hatte. Sofort bedachte Sikiokuu ihn mit einem bösen Blick, weil er Tajirika ausdrücklich gesagt hatte, den Herrn der Krähen nicht zum Auslöser des Schlangenwahns zu machen, da diese Erklärung Machokali entlasten würde. Machokali seinerseits warf ihm einen dankbaren Blick zu. Tajirika bemerkte Sikiokuus bösen Blick, wusste aber, dass die Augen eines Frosches in einem Bach keine Kuh abhalten, Wasser zu trinken. Statt seine Geschichte zu unterbrechen, richtete er sich auf und erzählte, wie der Herr der Krähen als Arbeitssuchender verkleidet in sein Büro gekommen war …
„Warum bist du so besessen von diesem Zauberer?“, unterbrach ihn der Herrscher. „Lass die Frage, wer mit den Warteschlangen angefangen hat, und komm zu der Angelegenheit mit den Antrittsumschlägen.“
Schlagartig wurde Tajirika bewusst, worauf der Herrscher die ganze Zeit hinauswollte. Hatte man ihn wirklich deshalb ins State House bestellt? Um Fragen über Geld zu beantworten, das er weder ausgegeben noch zur Bank gebracht hatte? Das Geld war verflucht, und jetzt verfolgte es ihn bis ins State House.
„Die Umschläge? Darauf wollte ich gerade kommen. Wissen Sie, es gibt eine Verbindung zwischen den Warteschlangen und diesen Umschlägen“, sagte er, ohne zu zögern.
Er berichtete nun, wie er von seiner Ernennung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven erfahren hatte und wie sich bald darauf vor seinem Büro eine Schlange aus potentiellen zukünftigen Vertragspartnern gebildet hatte, wie sie ihm Umschläge überreicht hatten, um sich persönlich zu empfehlen, und wie er am Ende des Tages drei Säcke mit Geld gefüllt hatte, von denen jeder mindestens fünf mal zwei Fuß groß war.
„Drei Säcke voller Geld? Und jeder größer als fünf mal zwei? An einem einzigen Tag?“, fragte der Herrscher.
Er konnte nicht erklären, woher oder wie es kam – vielleicht lag es an der Wissbegierde, die er in den Augen des Herrschers bemerkt hatte –, aber plötzlich kam ihm der Gedanke, sich an Kaniũrũ zu rächen, und Tajirika ertappte sich dabei, wie er die Geschichte übertrieb und sich daran erfreute.
„Es dauerte nicht einmal einen ganzen Tag“, sagte er jetzt. „Es war eine Sache von ein paar Stunden am Nachmittag.“
„Ein Nachmittag? Ein paar Stunden?“, drängte der Herrscher.
„Ja, nur ein paar Stunden.“
„Drei pralle Säcke, jeder größer als fünf mal zwei, voll mit Geld?“
„Nicht einfach nur voll. Ich musste das Geld mit Händen und Füßen hineinstopfen, bis jeder Sack prall und schwer wie ein Sack Korn war. Aber, ach, als ich glaubte, ich hätte das Tal der Armut endlich hinter und permanenten Wohlstand vor mir, wurde ich krank.“
Der Rachegedanke, der ursprünglich nur vage vorhanden gewesen war, wuchs und formte sich zu einem festen Plan. Bislang hatte er nur von Geld im Allgemeinen gesprochen, und seine Zuhörer verstanden das so, als spräche er über Burĩ. Aber in seinem Plan wurden die Burĩ zu Dollars. Er musste nur noch einen Weg finden, den Namen der Währung fallen zu lassen, um sich bei seinen Zuhörern den größtmöglichen Eindruck zu sichern. Tajirika machte eine Pause und senkte entmutigt den Kopf, und diese Niedergeschlagenheit war auch in seiner Stimme zu hören, als er jetzt sagte:
„Aber nachdem ich wieder gesund war, erhielt ich nie wieder einen dieser Umschläge, vollgestopft mit Hundert-Dollar-Scheinen.“
„Dollars? Sie haben dich mit amerikanischen Dollars bestochen?“, fragte der Herrscher.
„Na ja, sie wollten bei mir Eindruck schinden. Einige sagten offen, sie wüssten, dass der aburĩrische Burĩ nichts wert sei und jeden zweiten Tag seinen Wert ändere wie das Chamäleon die Farbe. Burĩ ni bure, sagten einige in Kiswahili, und weil sie sich eine dauerhafte Freundschaft wünschten, glaubten sie, dies nur mit Geld bewerkstelligen zu können, das globalen, festen und beständigen Wert besitzt, und das trifft auf den amerikanischen Dollar zu.“
„Sie haben gesagt, der Burĩ sei nichts wert?“, wiederholte der Herrscher. Er war kurz davor zu explodieren, fasste sich aber. „Und warum nachher keine Dollars mehr?“, fragte er.
„Eure Allmächtige Vortrefflichkeit, als ich von meiner Krankheit genesen war, fand ich heraus, dass mein Stellvertreter John Kaniũrũ alle Befugnisse meines Amtes übernommen hatte.“
„Und hat dein Stellvertreter auch solche Antrittsumschläge bekommen?“, fragte er.
„Das weiß ich nicht genau. Ich glaube, diese Frage kann wohl Minister Silver Sikiokuu am besten beantworten. Kaniũrũ arbeitet für ihn. Sie sind eng befreundet.“
„Ich schwöre, dass ich nichts darüber weiß“, fuhr Sikiokuu erschrocken und von dieser Schlussfolgerung erschüttert auf.
„Sprich ruhig weiter, Tajirika“, setzte sich der Herrscher über Sikiokuus Einwurf hinweg. „Bitte fahr fort.“
„Auch wenn ich nicht viel darüber weiß“, sagte Tajirika, „habe ich doch gehört, dass die Warteschlangen zu seinem Büro umgezogen sind und Kaniũrũ bis auf den heutigen Tag einen endlosen Strom von Bittstellern empfängt. Ich habe gehört, einige hätten ihn sogar zwei- oder dreimal besucht, mit neuen und dickeren Umschlägen und weiteren Dollars, um ihre Hoffnung am Leben zu erhalten“, fügte Tajirika hinzu.
„Drei große Säcke Dollars am Tag“, wiederholte der Herrscher.
„Mindestens zwei- oder dreimal täglich“, sagte Tajirika.
„Das sind mindestens sechs bis neun Säcke mit Dollars am Tag. Sikiokuu, wie viele Monate ist es her, seit dein Kaniũrũ den Stellvertretenden Vorsitz von Marching to Heaven übernommen hat?“
Statt zu antworten, stand Sikiokuu auf, um ein weiteres Mal zu leugnen, dass er mit diesen Umschlägen zu tun hatte. Wieder und wieder schwor er, zum ersten Mal von diesen Vorgängen zu hören, und fasste sich zur Betonung an die Ohrläppchen.
„Aber ich werde eine Untersuchung einleiten. Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Morgen setze ich eine Ermittlungseinheit darauf an“, sagte Sikiokuu, dem die Adern am Hals pochten.
„Nein, nicht erst morgen“, sprach der Herrscher. „Ich brauche jemanden, den ich zur Verantwortung ziehen kann. Ich werde sofort nach diesem Kaniũrũ schicken.“
„Ja, ja“, sagte Sikiokuu begeistert. „Lassen Sie ihn kommen, damit er die dreisten Lügen einiger Leute und ihrer gerissenen Freunde aufdeckt“, fügte er hinzu und bezog sich offensichtlich auf Tajirika und Machokali.
Der Herrscher gab telefonisch die Anweisung, dass Kaniũrũ unverzüglich ausfindig zu machen sei, wo immer er sich auch aufhalte, selbst wenn das bedeute, einen Hubschrauber zu schicken, um ihn ins State House zu bringen.
Sikiokuu war glücklich über diese Wendung. Wenn es jemanden gab, dessen Loyalität sich Sikiokuu sicher war, dann war es John Kaniũrũ. Er hatte dem Jugendbrigadisten viele Gefallen getan, ihn vom einfachen Lehrer im Polytechnikum zu einer einflussreichen Persönlichkeit im Land gemacht. Es war unmöglich, dass Kaniũrũ so viel Geld gemacht hatte, ohne es ihm zu sagen und mit ihm zu teilen. Tajirikas Lügen werden ans Licht kommen, sinnierte er, und an wen wird sich dieser Verräter dann wenden? Und gerade als er innerlich triumphierend lachte und sich vorstellte, wie Tajirika mit eingezogenem Schwanz den Rückzug antrat, hörte Sikiokuu Tajirika sagen:
„Das ist derselbe Kaniũrũ, der eine Bande von Kriminellen anführt, die meine Frau entführt und geschlagen haben.“
„Wieso? Haben die etwas miteinander?“, fragte der Herrscher.
„Nein! Nein!“, protestierte Tajirika und begann, seine Geschichte zu erzählen.
Als er berichtete, wie Vinjinia gedemütigt worden war, brach in Erinnerung an diese Schande seine Stimme, und nachdem er geendet hatte, herrschte einige Sekunden lang beklemmende Stille im Raum. Keiner konnte sich der Aufrichtigkeit in seiner Stimme entziehen. Der Herrscher durchbrach die Beklemmung durch einen misstrauischen Blick auf Sikiokuu.
„Ich habe Kaniũrũ gebeten, nach diesen Frauen vom Volksgericht zu suchen“, sagte Sikiokuu. „Aber Kaniũrũ ist zu weit gegangen. Ich wollte Tajirika lediglich helfen. Wir hatten uns unterhalten, und er hatte der Untersuchung zugestimmt. Es war Tajirika, der mich dazu gedrängt hat, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen, um die Frauen, die ihn geschlagen hatten, zu enttarnen.“
„Stimmt das, Tajirika?“, fragte der Herrscher.
„Ja, der Teil, der sich auf meine Zustimmung zur Untersuchung bezieht, ist korrekt.“
„Thank you, Titus“, sagte Sikiokuu. „You are a good man surrounded by false friends.“
„Schluss damit, Sikiokuu“, fauchte der Herrscher. „Ich habe dich nicht um eine Beurteilung seines Charakters gebeten.“
Machokali gefiel nicht, dass Kaniũrũ einen Bericht über die Untersuchungen zum Schlangenwahn geben sollte. Er war überglücklich zu sehen, wie dessen Glaubwürdigkeit untergraben wurde, und wollte selbst noch etwas dazu beisteuern.
„Und ist dieser John Kaniũrũ, dieser Freund von Sikiokuu, nicht auch derjenige, der schon früher falsche Behauptungen über Vinjinia aufgestellt hat, die zu ihrer Festnahme und illegalen Haft führten?“, fragte Machokali gespielt unschuldig.
Sikiokuu konnte sich angesichts der Schauspielerei seines Rivalen nicht mehr beherrschen.
„Kaniũrũ ist mein Freund“, erregte sich Sikiokuu. „Aber du, Machokali, hast auch eine Menge seltsamer Freunde in Santamaria. Wenn dem nicht so ist, von wem hast du dich dann in Santamaria verabschiedet, unmittelbar bevor du nach Amerika abgereist bist? Oder willst du etwa leugnen, dass du heimlich einen Ausflug nach Santamaria gemacht hast?“
Völlig überrumpelt und unsicher darüber, wie viel sein Erzfeind über diesen Besuch wusste, beschloss Machokali, bei der Wahrheit zu bleiben, sie hier und da aber ein wenig zurechtzubiegen.
„Ja, ich war in Santamaria, wie auch in vielen anderen Stadtteilen von Eldares. Mir war nicht bewusst, dass es verboten ist, sich in bestimmten Stadtteilen aufzuhalten.“
„Ja, aber warum warst du dann inkognito dort?“
„Pass auf. Ich war dort, um mich mit meinem Freund Tajirika zu treffen. Wir waren im Mars Café. Das nennst du inkognito?“
„Warum hast du ein Taxi genommen und nicht deinen Mercedes mit Fahrer?“, ging Sikiokuu ihn an.
„Jeder weiß, wie schwierig es ist, in der Stoßzeit durch Eldares zu fahren. Manchmal wäre sogar ein mkokoteni-Karren schneller.“
„Ist das Taxi eine andere Strecke gefahren?“
„Die Taxifahrer kennen sich mit den Nebenstraßen besser aus als sonst jemand.“
„Und hast du beim Treffen im Mars Café Tajirika gebeten, in deiner Abwesenheit für dich Augen und Ohren in Aburĩria zu sein?“
„Dreh mir nicht das Wort im Mund um“, sagte Machokali aufgebracht. „Ich habe Tajirika gesagt, dass er während meiner Abwesenheit Augen und Ohren offen halten soll bei allem, was Marching to Heaven betrifft. Mit anderen Worten, ich war nicht nur als Freund bei ihm, sondern traf mich mit ihm in seiner Eigenschaft als vom Herrscher berufener Vorsitzender von Marching to Heaven. Eigentlich hätte er als Vorsitzender zur offiziellen Delegation für die USA gehören sollen, und ich war bei ihm, um zu erklären, warum sein Name nicht auf der Liste stand. Damals wusste ich allerdings nicht, dass einige hinter meinem Rücken intrigieren, um zu verhindern, dass er seine Pflichten effektiv erfüllt. Ich wusste nicht, dass sein designierter Stellvertreter, dein Freund Kaniũrũ, Tajirika alles wegnehmen würde, womit der Herrscher ihn ausgestattet hatte“, schloss er und drohte Sikiokuu mit dem Finger, bevor er sich zu Tajirika umdrehte. „Ist es nicht so, Titus?“, fragte er mit besorgter Stimme.
„Da hast du einiges Wahres gesagt“, antwortete Tajirika ohne sonderlichen Enthusiasmus, weil er immer noch verärgert war, nicht zur Delegation gehört zu haben.
Der Herrscher war immer dann am glücklichsten, wenn sich seine Minister, vor allem diese beiden, gegenseitig an die Gurgel gingen, weil er in diesen hitzigen Wortgefechten stets das eine oder andere erfuhr, das sie vor ihm verbargen. Im Augenblick aber wollte er nicht, dass die Säcke mit dem Geld in Vergessenheit gerieten. Immerhin standen Dollars, nicht Burĩ, auf dem Spiel. Drei, sechs, neun Säcke voller Dollars am Tag? Vielleicht sogar mehr?
„Sikiokuu, ich hatte dich gefragt, wie viele Monate vergangen sind, seit Kaniũrũ den Posten als Stellvertretender Vorsitzender von Marching to Heaven übernahm. Du bist mir die Antwort noch schuldig“, sagte der Herrscher zu Sikiokuu.
Bevor Sikiokuu antworten konnte, kam die Nachricht, dass Kaniũrũ eingetroffen sei und vor der Tür warte.
„Dann wollen wir dem Gaul mal ins Maul schauen“, sprach der Herrscher.