D R I T T E R T E I L
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Wochen später, als Nyawĩra schon auf der Fahndungsliste der Polizei stand und im ganzen Land mit dem Befehl des Herrschers, sie tot oder lebendig zu fangen, gesucht wurde, waren besonders ihre Kenntnisse des Graslandes hilfreich für sie. Während sie allein im Dunkeln, nur mit den Kleidern, die sie in der Arbeit getragen hatte, und ihrer Handtasche die Prärie durchquerte, ging ihr Kamĩtĩs Mahnung durch den Kopf, nicht alle Brücken hinter sich abzubrechen.
Sie dachte daran, wie entschieden sie es abgelehnt hatte, in nächster Zeit in diese Gegend zurückzukehren, und war von Kamĩtĩs prophetischer Vorhersage beeindruckt. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit, war aber gleichzeitig dankbar für den Schutz, den sie vor Verfolgern bot. Die Sterne am Himmel leisteten ihr gute Gesellschaft, und jetzt erst lernte sie die Gespräche schätzen, die sie mit Kamĩtĩ über die Sonne, den Mond und die Sterne geführt hatte.
Sie ging zu der Höhle, in der sie sich zuletzt gesehen hatten und fand kein Zeichen für die Anwesenheit eines Menschen. Sie stand da und hatte Tränen in den Augen. Sie bereute nicht, was sie und die anderen Frauen getan hatten, obwohl sie sich widerstrebend eingestand, dass es nicht weniger provokativ gewesen war, als wenn sie eine Polizeiwache mit Steinen beworfen hätten.
Der Mond erschien am Horizont, und obwohl er nicht so leuchtete wie damals, als sie mit Kamĩtĩ hier gewesen war, ermöglichte ihr das Licht, ihre Umgebung zu erkennen. Sie wollte nicht in der Höhle bleiben, weil sie sich am Bergfuß befand. Deshalb entschied sie, ihr Glück tiefer im Wald zu versuchen und die Stellen abzugehen, an denen sie mit Kamĩtĩ gewesen war; vielleicht fand sie ihn dort.
Der Wald kam ihr verändert vor, obwohl seit ihrem letzten Aufenthalt erst wenige Wochen vergangen waren. Damals war der Wald in einen Zauber aus Liebe und wilder Schönheit gehüllt. Jetzt kam er ihr bedrohlich vor. Sie hatte Angst, einem Löwen zu begegnen, einem Leoparden oder einer anderen Großkatze, die zu sehen sie sich früher gewünscht hatte. Wie sollte sie ihnen entkommen? Sie bildete sich ein, irgendwo im Dunkeln lauerten Kobras, Puffottern und Pythons, und bei jedem Schritt malte sie sich aus, wie Schlangen oder ein dreihörniges Chamäleon über sie herfielen. Es entging ihr nicht die Ironie, früher selbst Plastikschlangen in ihrer Handtasche herumgetragen zu haben. Jetzt war sie im Urwald, wo richtige Schlangen hausten, und sie hatte Angst. Was, wenn ich den Fängen der menschlichen Häscher entkomme, nur um im Bauch einer Puffotter zu enden? Sie stellte sich vor, wie sich ihr Körper langsam im Bauch einer Viper auflöste, und erschauderte. Als sie sich jedoch ausmalte, stattdessen in die Foltermaschinerie des Herrschers zu geraten, fand sie dieses Schicksal doch weniger furchteinflößend.
Hinter ihr knackte ein trockener Zweig. Wie angewurzelt blieb sie stehen und überlegte, tiefer ins Unterholz zu fliehen, konnte sich aber nicht entscheiden. Sie warf einen schnellen Blick nach links, dann nach rechts und hielt nach einem Baum Ausschau, zu dem sie vielleicht flüchten und auf den sie klettern konnte.
Wieder hörte sie das Geräusch und ergriff sofort die Flucht. Dass sie dabei schrie, bemerkte sie nicht. Dann stolperte sie über etwas. Das musste eine Schlange sein. Sie versuchte, auf allen vieren davonzukriechen, wimmerte panisch und verlor das Bewusstsein.
Sie wusste nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Als sie jetzt in Kamĩtĩs Armen wieder zu sich kam, spürte sie nur, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Während ihr die Freudentränen über die Wangen liefen, ahnte Nyawĩra die Frage, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.
„Es ist alles wegen der Demonstration der Frauen gegen Marching to Heaven“, sagte sie und begann, hemmungslos zu weinen.