D R I T T E R T E I L
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Wieder zu Hause, benahm sich Tajirika wie jemand, der von einer Krankheit geheilt ist, nur um Opfer einer anderen, noch schlimmeren zu werden. Er spürte das unwiderstehliche Verlangen, seine Frau zu verprügeln. Jede Nacht träumte er davon, wachte am Morgen mit dem Gedanken daran auf und brachte den ganzen Tag damit zu, jede Kleinigkeit zu einem Streit aufzubauschen, der Schläge provozieren würde. Aber nichts in Vinjinias Worten und Handlungen rechtfertigte eine Tracht Prügel.
Tajirika stellte überrascht fest, dass Vinjinia die Geschäfte während seiner Abwesenheit effizient geführt hatte. Sie hatte gute Ergebnisse erzielt. Eigentlich war das Unternehmen unter ihrer Verantwortung sogar gewachsen und neue Kunden und Aufträge waren hinzugekommen. Insgesamt hatte sie gearbeitet, als wäre sie schon ihr ganzes Leben lang Geschäftsfrau gewesen. Doch statt Tajirika glücklich zu machen, verstärkte ihr fehlerfreies Verhalten nur den Verdacht, den er ihr gegenüber hegte. Wo war diese neue Vinjinia vorher gewesen? Um sie bei einer Lüge zu ertappen, versuchte er es mit Fangfragen, aber sie beantwortete sie alle klar und einfach.
„Okay, du kannst jetzt wieder deinen Platz in der Küche einnehmen“, sagte er ohne ein Wort des Dankes.
Sie hatte auch das Haus gut in Ordnung gehalten. Und in ihren Berichten über ihre sozialen Beziehungen sah er keinerlei Ungereimtheiten. Mit seinem verbleibenden Misstrauen kam Tajirika zu der Überzeugung, dass alles gespielt war; Vinjinias vermeintliche Kompetenz und ihre eheliche Rechtschaffenheit waren nichts als Heuchelei. War das nicht genau das Bild, das sie ihm schon vor seiner Entführung immer geboten hatte? Das Gesicht eines Menschen, der nicht zu viele Fragen stellt? Der Anschein loyalen Schweigens? Aber eine Frau, die, während sie ihm das eheliche Idealbild präsentierte, gleichzeitig Zeit und Energie fand, sich mit schamlosen Tänzerinnen einzulassen? Und in all den Jahren des ehelichen Glücks und der Fortpflanzung hatte sie diese nicht ein einziges Mal erwähnt. Wenn überhaupt, dann hatte sie nur ihre Verachtung gegenüber Traditionen und rituellen Aufführungen zum Ausdruck gebracht. Wie hatte sie diese Frauen überhaupt so gut kennengelernt, um sich mit ihnen in aller Öffentlichkeit fotografieren zu lassen? Wann hatte sie sich ihnen angeschlossen? Wo und wann hatte sie die Zeit gefunden, sich mit ihnen zu treffen? Wann am Tag, wann in der Nacht?
Tajirikas Fragen und Zweifel steigerten sein unzähmbares Verlangen, einen Prügelhagel auf Vinjinias Rücken herunterregnen zu lassen, und lediglich Sikiokuus einstweiliger Bann hielt ihn davon ab. Durch die fehlende Möglichkeit, seinen Blutdurst zu stillen, wurde Tajirika immer gereizter und brütete mürrisch und schweigend vor sich hin. Er wollte nicht über seine Erlebnisse im Gefängnis sprechen, weil er fürchtete, dadurch den Zorn auf seine Frau weiter anzufachen, was zu unerlaubten Folgen führen konnte. Er suchte Zuflucht im Stummsein.
Sein brutales, unnachgiebiges Schweigen verletzte Vinjinia, weil es ihr die Möglichkeit raubte, mit ihm ihre Probleme und Sorgen sowie ihren Teilerfolg über das Zwillingsübel Kaniũrũ und Sikiokuu zu teilen. Sie hatte das Bedürfnis, ihm zu erzählen, wie sie überall nach ihm gesucht hatte – auf Polizeiwachen, in Krankenhäusern und Leichenhallen –, und wie ihr schließlich der Herr der Krähen und einige geheimnisvolle Tänzerinnen geholfen hatten, denen sie weder vorher noch später je wieder begegnet war. Der vollkommene Zusammenbruch jeglicher Kommunikation beschäftigte sie weit mehr als die Wut, die sie verspürte, seit sie seine Bereitschaft entdeckt hatte, sich von ihr loszusagen, als sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis auf seine halb fertige Pressemitteilung gestoßen war.
Als Vinjinia einen Anruf von der Polizei erhielt, dass Tajirika entlassen worden sei, freute sie sich. Nicht, weil ihr Zorn verflogen war, sondern weil sie in seine Heimkehr die Hoffnung setzte, ihrer beider Leben wieder in Ordnung zu bringen. Sie hatte erwartet, er würde mit ihrem Erfolg im Unternehmen zufrieden sein, eben weil sie keinerlei Erfahrung damit hatte, und geglaubt, zumindest das Geld würde für sich sprechen. Doch nicht einmal ein beträchtliches Bankguthaben schaffte es, das Herz dieses Mannes zu erweichen. Sie tat alles, um ihn zufriedenzustellen, doch gelang es ihr nicht, seine Seele zu entlasten. Warum? Warum dieses Schweigen?
Eines Morgens bereitete sie ihm ein besonderes Frühstück aus Pfannkuchen, Eiern und Würstchen. Ohne sie anzusehen, streckte Tajirika die Hände nach dem Tablett aus, griff aber daneben und das Tablett fiel auf den Boden. Das Frühstück war jetzt ein unansehnlicher Brei und Vinjinia konnte sich nicht länger zurückhalten.
„Was habe ich dir getan, Titus? Was habe ich dir getan, dass du vor Wut fast platzt? Und wenn du den Mund mal aufmachst, dann fragst du ohne Sinn und Verstand. Was haben sie dir im Gefängnis angetan? Wie haben sie es geschafft, eine so dumpfe Kreatur aus dir zu machen?“
Wenn Tajirika jetzt auch nur ein einziges Wort herausgebracht hätte, er wäre gnadenlos über Vinjinia hergefallen. Aber er dachte an sein Abkommen mit Sikiokuu und bot alle Willenskraft auf, sie nicht zu schlagen. Er lief in die Garage, stieg ins Auto und fuhr ins Büro. Er kochte vor Wut. So unverschämt hatte Vinjinia noch nie mit ihm geredet. In ihrem Zornesausbruch zeigte sich nun zu guter Letzt doch ihr wahres Ich. Das war die Vinjinia, die sich heimlich mit den Tänzerinnen getroffen hat. Oh ja, endlich! Er hatte das Gefühl, dass er in Stücke zerspringen würde, wenn er sie nicht heute noch verprügelte. Er musste unbedingt mit Sikiokuu reden. Er griff zum Telefon.
„Warum rufen Sie mich denn so früh an, Titus?“, fragte Sikiokuu jovial.
„Ich will die Erlaubnis. Sofort.“
„Erlaubnis? Wofür?“
„Ich bin nicht in der Stimmung für Spielchen!“
„Wovon reden Sie?“
„Ich muss meine Frau verprügeln, sonst ersticke ich an meiner Wut.“
„Wieso? Haben Sie herausbekommen, dass ein anderer Mann sie bestiegen hat?“
„Nein. Darum geht es nicht. Bitte erlauben Sie es.“
„Titus! Wovon reden Sie?“
„Sie haben gesagt, ich dürfe meine Frau nicht verprügeln, ohne mich vorher mit Ihnen abgesprochen zu haben.“
„O, ja, natürlich“, meinte Sikiokuu unbestimmt. Dann fielen ihm die berüchtigten Fotos und ihre Bedeutung für das Geständnis ein. „Haben Sie sich wegen der Fotos mit ihr gezankt?“, fragte Sikiokuu jetzt aufgeschreckt.
„Nein, aber …“
„Dann vergessen Sie es, Titus. Lassen Sie sie in Ruhe. Oder besser: Vögeln Sie sie durch, anstatt Angelegenheiten der Staatssicherheit durcheinanderzubringen. Sie sollen ihre Verbindung zu den Staatsfeinden aufdecken; also Geduld, mein Bruder. Stürzen Sie sich nicht in Dinge, die Sie später bereuen werden. Warten wir lieber auf die Rückkehr des Herrschers und auf diesen arroganten Staatsfeind Machokali. Zum Glück müssen wir nicht mehr lange warten …“
„Wann kommen sie zurück?“
„Demnächst. Ich warte auf Nachricht aus Amerika. Darum bin ich schon so früh im Büro. Ich habe gerade meinen Computer eingeschaltet, als Sie anriefen. Oh, ja, da ist etwas … warten Sie einen Moment … Was? Was soll das heißen?“
Das waren die letzten Worte, die Tajirika hörte. Er hielt weiter den Hörer ans Ohr und rief mehrmals „Hallo? Hallo?“ und fragte sich, wer die Verbindung unterbrochen hatte. Oder hatte der Minister beschlossen, ihre Unterredung so plötzlich zu beenden? Er hängte auf und wählte neu, wieder und wieder, aber es war besetzt. Tajirika wusste nicht, was tun.
Er beschloss, auf einen Kaffee ins Mars Café zu gehen, um sich zu beruhigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Vor dem Eingang kaufte er sich die Eldares Times, setzte sich in einen Winkel, bestellte Kaffee, Eier mit Speck und warf einen Blick in die Zeitung. Verbitterung ließ die Titelseite vor seinen Augen verschwimmen. Wie konnte Sikiokuu es wagen, unsere Unterhaltung zu beenden, bevor ich ihm alles gesagt hatte? Wie konnte er es wagen, mich so grob abzuhängen, ohne sich meine Qualen anzuhören? Die Demütigung war so überwältigend, dass ihm schwindlig wurde und ihm Tränen in die Augen schossen.
Bin ich so tief gesunken? Wie konnte es so weit kommen, dass mir ein anderer Mann vorschreibt, was ich in meinen vier Wänden tun darf und was nicht? Dass ich einen anderen Mann anflehe, mir zu erlauben, meine Frau zu disziplinieren? Er musste es ja nicht mit ihrer Verbindung zu diesen Tänzerinnen begründen, wenn dadurch tatsächlich Ermittlungen zur Sicherheit des Staates beeinträchtigt würden, aber sie zu verprügeln, das war sein Vorrecht als Ehemann, und er war nicht bereit, dieses Recht einem anderen Bullen im Kral zu überlassen. Warum hatte er nicht vorher so argumentiert?
Er wartete nicht länger auf sein Frühstück. Wie ein Wahnsinniger raste er nach Hause zurück. Als er das Haus betrat, hatte er bereits die Fäuste geballt.
Man erzählt sich, dass alle Frauen in ganz Aburĩria, Nyawĩra eingeschlossen, Vinjinias Schreie hören konnten.