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Tajirikas war nicht sonderlich erpicht darauf, das Erlebnis mit den weiblichen Dämonen an die große Glocke zu hängen. Er konnte sich die schmutzigen, abfälligen Bemerkungen der Leute gut vorstellen: Da kommt der Mann, der von Frauen verprügelt worden ist. Deshalb schloss er sich zu Hause ein und leitete sein Unternehmen per Telefon.

Auch Vinjinia war darauf bedacht, allen Fragen wegen ihres zerschrammten Gesichts aus dem Weg zu gehen, und blieb deshalb wie er zu Hause.

Also verbrachten sie die Tage und Nächte im Haus und gingen einander aus dem Weg. Sie bemühten sich sogar, ihre grünblauen Gesichter voreinander zu verstecken. Tajirika, indem er sich einen breitkrempigen Hut aufsetzte, und Vinjinia mit einem Tuch über dem Kopf.

Vinjinia war so fest davon überzeugt gewesen, er würde Vergeltung üben, dass es sie ernstlich beunruhigte, als es nach einigen Tagen immer noch nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen war. Ob er unter dem Deckmantel des Schweigens und kalkulierter Gleichgültigkeit Schlimmeres plante? Nach ein paar Tagen begann sich Vinjinia wirklich zu fragen: Was haben ihm diese Frauen angetan? Hatten sie ihm sein bestes Stück abgeschnitten?

Sie begann, ihm nachzuforschen, warf verstohlene Blicke in seine Richtung, hoffte, ihn nackt zu erwischen, wenn er aus dem Bad kam. Ein paar Mal machte sie auch die Tür zu seinem Schlafzimmer auf, wenn sie glaubte, er könnte sich gerade den Schlafanzug anziehen, doch wenn sie ihn dann vollständig angezogen sah, machte sie die Tür schnell wieder zu, als hätte sie aus reiner Gewohnheit einen Fehler gemacht.

Auch Tajirika fand keine Ruhe mehr. Mehrere Fragen, auf die er keine befriedigende Antwort fand, machten ihm zu schaffen.

Einige wurden durch sein Ego angetrieben: Dass Frauen ihn entführt, auf ihm gesessen, ihn vor Gericht gestellt und geschlagen hatten, widersprach allem, was er über die Welt wusste. In solchen Augenblicken wünschte er sich, die Macht zu haben, sie auszulöschen. Aber waren sie nicht Wesen aus der anderen Welt? Wie dem auch war: Wer hatte ihnen von ihm und Vinjinia erzählt? Eine Frau zu verprügeln, war in Aburĩria so alltäglich, dass es kaum wahrgenommen wurde. Nicht das Fehlen solcher Schläge machte ein friedliches Heim aus, sondern vielmehr die Fähigkeit des Paares, das Wissen über diese Gewalttätigkeiten in den eigenen vier Wände zu halten.

Das Wissen, dass die Anschuldigungen der Frauen in allen Punkten der Wahrheit entsprachen, faszinierte und verwirrte ihn zugleich und brachte ihn dazu, über sein Verhalten in der Sache zu grübeln. Warum hatte er Sikiokuus Geschichte nicht mit Vinjinia besprochen?

Auch Vinjinias Klage, er hätte nicht viel unternommen, als man sie verhaftete, konnte er nicht widerlegen und schämte sich, nicht Manns genug gewesen zu sein, seiner Frau zur Seite zu stehen.

Und was sollte er von ihrer Behauptung halten, sie hätte bei ihrer Suche nach ihm jeden Stein umgedreht? Stimmte das? Er wollte mehr erfahren, doch wie sollte er das Schweigen brechen, ohne sich zu erniedrigen? Auch er begann, ihr nachzuspionieren, und musterte sie verstohlen, um herauszufinden, ob sich an ihr Anzeichen von Versöhnungsbereitschaft entdecken ließen.

Die beiden umschlichen einander, begegneten sich oft im selben Teil des Hauses und suchten nach einem Weg, die wechselseitige Neugier zu befriedigen. Eines Nachmittags liefen sie sich auf der Veranda über den Weg und waren überrascht. Direkt vor der Veranda hatten sich zwei Gräben aufgetan. Welcher Regen hatte das verursacht?, fragten sie laut. Sie konnten sich nicht erinnern, dass es geregnet hatte. Beide gingen sie an jeweils einem Graben entlang durch die Maisfelder bis hinunter ins Tal. Und dann? Die nächste Überraschung: Im sumpfigen, morastigen Talboden hatte sich ein Teich gebildet.

Sie starrten sich an. Beide tauchten einen Finger in den Teich und probierten die Flüssigkeit. Sie war salzig wie Tränen. Keiner von beiden mochte glauben, was ihre Zungen schmeckten. Und weil sie eine Bestätigung brauchten, tauchten sie die Finger ein weiteres Mal in den Teich. Diesmal steckten sie dem anderen den Finger in den Mund. Das Wasser schmeckte immer noch salzig. Sie kicherten leise, gleichzeitig. Dann hielten sie die Finger schnell wieder in den Teich, wobei jeder hoffte, der Erste zu sein, der dem anderen das salzige Wasser gab. Es war, als hätte der eine die Absichten des anderen durchschaut, denn nun rannte Vinjinia in das Maisfeld und Tajirika folgte ihr in einer spielerischen Jagd.

Sie ergaben sich der Erschöpfung dieses Treibens und spürten auf einmal wieder die Wärme ihrer Jugendtage. Für einen Moment standen sie still und schauten sich an, gebannt von dem, was ihnen da gerade widerfuhr. Sie wussten es eher, als dass sie darüber sprachen. Aber hier auf freiem Feld, im Schatten der Maisblätter, fühlte es sich gut an, sehr gut, und einige Minuten lang schienen die schmerzenden Wunden auf ihren Gesichtern und in ihren Herzen von dieser verzückten Stimmung geheilt, die Melodien summte und in einem stürmischen Crescendo endete.

Herr der Krähen
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