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„Sie warten auf dich“, sagte Vinjinia, und ihr sachlicher Ton überraschte Tajirika noch mehr.
„Auf mich? Warum? Irgendein Protest, eine Demonstration?“
„Sie suchen Arbeit“, erklärte Vinjinia und gab Nyawĩra ein Zeichen, dass sie ihre Unterstützung brauchte.
„Es ist wegen des Aushangs, den ich vor dem Büro anbringen sollte“, erklärte Nyawĩra. „Erinnern Sie sich nicht? Aushilfsjobs?“
„Aushilfsjobs? All diese Leute?“
„Warteschlangendämonen“, sagte Nyawĩra lakonisch.
Sie dachte an die Manie, die vor dem Aushang begonnen und sich über das ganze Land ausgebreitet hatte.
„Das hält ja keiner aus! Und was unternimmt die Regierung dagegen?“, fragte er aufgebracht und fluchte, so lange nicht da gewesen zu sein. „Man sollte die Armee einsetzen und diesem Mob eine Lektion erteilen. Hört mal zu, ihr beiden. Frühstück fällt für mich aus. Ihr geht bitte was essen und kommt danach ins Büro. Das ist mit Sicherheit das Werk der Feinde, die mich mit den Geldsäcken betören wollten. Aber jetzt werde ich ihnen zeigen, dass ich immer noch Macht und Einfluss habe. Ich werde meinen guten Freund Machokali, den Außenminister, über diesen aufrührerischen Mob informieren. Ihr werdet sehen, es wird nur ein paar Minuten dauern, bis die Polizei und die Armee den Platz umstellt haben und der Mob in alle Richtungen um sein elendes Leben laufen wird.“
Mit diesen Worten parkte er den Mercedes ordentlich ein und eilte zu seinem Büro, wobei er allerdings so umsichtig war, den Hintereingang zu nehmen.
Vinjinia und Nyawĩra gingen zum Mars Café. Als sie eintraten, ließ Nyawĩra prüfend den Blick durch den Raum schweifen. Sie hatte allen Grund dazu. In einer Ecke saß Kaniũrũ, das Gesicht hinter einer Zeitung verborgen. Er tat so, als hätte er sie nicht gesehen, und Nyawĩra beschloss, das Gleiche zu tun. Verbringt dieser Mann alle Tage und Nächte in diesem Café? Was hat er so früh hier verloren?
Als sie bestellten, setzte sich Tajirika zu ihnen. Er machte einen zufriedenen Eindruck.
Er war sich ihrer Neugier darüber bewusst, warum er so schnell zurück war, obwohl er das Frühstück abgelehnt hatte. Doch er hatte es nicht eilig, sie aufzuklären. Er genoss ihre gespannte Erwartung auf seine Offenbarung und bestellte sechs Eier, drei Würstchen und einen Berg gebratenen Speck.
„Die Leute müssen ja denken, du bekommst bei mir nichts zu essen“, scherzte Vinjinia.
„Ich möchte, dass ihr euch beide so richtig satt esst. Ich zahle“, sagte er und machte eine kurze wirkungsvolle Pause, bevor er hinzufügte: „Und dass ihr euch freut.“
„Warum sollten wir?“, fragten die Frauen. Hatte man ihm versichert, Armee und Polizei seien bereits unterwegs?
„Wir feiern die Warteschlangendämonen“, erklärte er, als ihre Bestellung serviert wurde.
Nyawĩra und Vinjinia legten ihre Gabeln hin und schauten ihn verdutzt an.
„Was habt ihr mir über die Warteschlangen erzählt?“, fragte er, nachdem er ein paar Bissen in sich hineingestopft hatte. „Dass sie genau vor unserem Büro angefangen und sich jetzt über ganz Eldares ausgebreitet haben, sogar bis in die Nachbarstädte hinein. Ich habe gerade mit Machokali gesprochen, und er hat mir das alles in anderem Licht dargestellt. Eigentlich ist es ganz simpel. Die Tatsache, dass diese Leute zum Büro des Vorsitzenden von Marching to Heaven kommen, um nach Arbeit zu fragen, beweist, dass alle Menschen in Eldares das Projekt unterstützen, und ihr wisst, wenn Eldares ruft, steht früher oder später das ganze Land dahinter. Man könnte sagen, dass, wenn man die Schlangen der Arbeitssuchenden und der Vertragsjäger zusammennimmt, es in ganz Aburĩria keinen einzigen Menschen gibt, der nicht an diesem Projekt beteiligt sein möchte. Der Herrscher und sein geliebter Minister Machokali, der auch mein Freund ist, sind über diese Entwicklung sehr erfreut und haben sogar fünf Motorradfahrer in alle Winkel des Landes entsandt, um das Evangelium des Schlangestehens zu verbreiten und weitere Unterstützung von der Basis zu organisieren. Und wir waren die Ersten. Nyawĩra, du und ich, wir waren die Ersten. Nächste Woche wird die Delegation der Global Bank Eldares und die umliegenden Städte bereisen, wo immer es Warteschlangen gibt, und mit eigenen Augen sehen, wie glücklich die Leute mit der Aussicht auf Marching to Heaven sind.
Das Ganze wird mit einer Großkundgebung im Ruler’s Park seinen krönenden Abschluss finden, bei der der Herrscher das Areal formell weihen wird. Früher hat man gesagt, alle Wege führen nach Rom, aber an diesem Tag werden alle Schlangen zum Park führen. Stellt euch mal die Kameras vor, die das Schauspiel unzähliger Menschenreihen filmen, die alle nach einem neuen Mekka pilgern! Versteht ihr? Begreift ihr die Symbolik? Und jetzt kommt das Beste.
Minister Machokali ist sehr erfreut über meine Krankheit. Er wollte nicht einmal wissen, was ich hatte. Er war einfach nur glücklich darüber, dass ich krank war und deshalb nicht ins Büro konnte. Er klang sehr beunruhigt, als ich ihm sagte, es gehe mir wieder besser und ich wolle die Arbeit wieder aufnehmen. Er freute sich natürlich, dass die Krankheit nicht tödlich war – er ist schließlich ein sehr guter Freund, wie ihr wisst –, aber er will trotzdem nicht, dass ich schnell wieder gesund werde, zumindest nicht so gesund, um wieder ins Büro gehen zu können. Die Menge da draußen wird warten, bis ich zurückkehre. Deshalb soll ich mich erst wieder gesund melden, wenn die Vertreter der Global Bank alle Warteschlangen besichtigt und die massenhafte Unterstützung erlebt haben. Erst am Tag der Einweihung soll ich wieder in der Öffentlichkeit erscheinen. Dadurch ist die Regierung in der Lage, die Warteschlangen effektiv für ihre Bitte um Gelder von der Bank zu nutzen.“
Er machte eine Pause, um sich über die Wirkung seiner Worte auf ihren Gesichtern zu freuen. Tajirika redete, als wären die Warteschlangen seine Idee gewesen. Mit stolzem Blick wandte er sich an Nyawĩra.
„Der Aushang, den Sie angebracht haben, Nyawĩra, trägt jetzt also Früchte, die sogar der Herrscher freudig erntet. Kurz gesagt, ein einfacher Aushang wird die Geschichte Aburĩrias, ja Afrikas und der ganzen Welt, verändern. Und jeder wird ein klein wenig von dieser Manie profitieren, auch ihr beiden.“
Nyawĩra und Vinjinia schauten sich skeptisch an und fragten sich, wie sie von einem Aushang profitieren sollten, der lediglich verkündete, dass die Firma Zeitarbeiter einstellte.
Tajirika fühlte sich blendend. „Glückwunsch also“, sagte er lachend, wobei sich sein schlecht rasiertes Kinn rhythmisch auf und ab bewegte.
„Glückwunsch? Wozu?“, fragte Vinjinia.
„Wer, glaubt ihr, wird diese Firma während meiner beabsichtigten patriotischen Abwesenheit wohl leiten? Ihr, mein pflichtgetreues Tandem. Du, Vinjinia, bist ab sofort amtierende Geschäftsführerin von Eldares Modern Construction and Real Estate, und Sie, Nyawĩra, sind die stellvertretende Geschäftsführerin.“
Er hoffte, in ihren Augen Dankbarkeit für die Beförderungen zu lesen, die er gerade vorgenommen hatte.
„Und keinen Putsch gegen den abwesenden Chef!“, scherzte er. „Den Anschlag dürft ihr nicht entfernen. Für die Öffentlichkeit bin ich immer noch bettlägerig und kann deshalb nicht ins Büro kommen. Wenn ihr Anrufe entgegennehmt oder mit Besuchern sprecht, denkt immer daran, dass ich noch krank bin. Wenn diese Leute wegen irgendeines Geschäfts vorsprechen, sollen sie sich an die amtierende Geschäftsführerin Mrs. Vinjinia Tajirika wenden und bei ihr die Briefumschläge abgeben. Sollte jedoch jemand auftauchen, der mich unbedingt persönlich sprechen will, dann ruf mich zu Hause an, Vinjinia, und verbinde mich mit ihm. Aber erst, wenn er eine ordentliche Summe zusätzlich in den Umschlag gesteckt hat, als besonderen Ansporn für den Kranken, sein Lager zu verlassen und den Hörer abzunehmen. Mit den Beförderungen will ich mich bei euch beiden bedanken, dass ihr euch zusammengetan und mich zum Herrn der Krähen gebracht habt. Seine Macht hat mein Leben bereits verändert.“
Nyawĩra warf einen kurzen Blick in die Ecke, in der Kaniũrũ saß, und stellte fest, dass er immer noch da war, vertieft in seine Zeitung. Der tut nur so, als ob er liest, sagte sich Nyawĩra, denn sie war felsenfest davon überzeugt, dass seine Augen, Ohren und Nase alles genau aufnahmen. Trotzdem wollte sie Tajirika weitere Informationen über die bevorstehende Einweihung des Bauplatzes für Marching to Heaven entlocken.
„Wann wird der Herrscher den Bauplatz weihen?“, fragte sie, als wollte sie lediglich etwas sagen, ohne sich tatsächlich für das Datum zu interessieren.
„Ich kenne nicht alle Einzelheiten“, antwortete Tajirika. „Aber machen Sie sich keine Gedanken. Sobald ich sie weiß, sage ich Ihnen Bescheid. Ich möchte nämlich, dass ihr beide mit dabei seid. Was habe ich Ihnen versprochen, Nyawĩra? Sie nie zu vergessen! Seit Sie in meinem Büro angefangen haben, laufen meine Angelegenheiten bestens, und ich möchte Ihnen meine Dankbarkeit und Anerkennung aussprechen. An dem gesegneten Tag werde ich meinen Freund Minister Machokali bitten, Sie mit auf die Bühne des Herrschers zu setzen, damit er und die ganze Welt erfahren, dass ich es gemeinsam mit Ihnen war, der die Menschenschlangen zustande brachte. Der Herrscher schüttelt Ihnen vielleicht sogar die Hand, wie er damals die meine schüttelte …“
Er betrachtete seine rechte Hand, und für einen kurzen Augenblick waren Staunen und Entsetzen auf seinem Gesicht.
„Was hast du mit meinem Handschuh gemacht?“, fragte er und sah Vinjinia scharf an.
Vinjinia spürte, dass er kurz davor war zu explodieren, und beeilte sich, ihn zu beruhigen: Sie erklärte, den Handschuh ausgezogen zu haben, weil sie glaubte, er sei von seinen Feinden aus Neid auf seine mit dem Geruch des Herrschers behaftete Hand präpariert worden. Zu ihrer großen Erleichterung war er daraufhin nicht mehr verärgert.
„Dann werden meine Feinde vor Neid sterben, denn am Tag der Einweihung des Areals wird genau diese Hand die Hand des Herrschers erneut schütteln, und diesmal werde ich ihre Pläne durchkreuzen, indem ich keinen Handschuh trage, der die durch seine Berührung gesegnete Stelle kennzeichnet. Nyawĩra, merken Sie sich das. Nachdem der Herrscher Ihre Hand berührt hat – keinen Handschuh!“
Er unterbrach sich und wurde nun fast hysterisch.
„Ja, Sie und ich, wir haben diese Geister, die Marching to Heaven unterstützen, losgelassen. Wir haben den Aushang KEINE FREIEN STELLEN. KOMMEN SIE MORGEN WIEDER! genau zum richtigen Zeitpunkt entfernt. Und sehen Sie das Ergebnis! Diese Jungs von der Uni, die behaupten, sie seien die Bewegung für die Stimme des Volkes, und sich gegen Marching to Heaven stellen, stecken jetzt in einem dunklen Loch, vollkommen isoliert! Ihre ganze Propaganda gegen das Projekt hat nichts gebracht. Nahezu überall stimmen die Leute jetzt mit ihren Füßen ab, dank uns. Es lebe die Anschlagtafel! Diese Jungs werden vor Neid erblassen, wenn sie sehen, wie jemand wie Sie, Nyawĩra, jemand in Ihrem Alter, die Hand des Herrschers schüttelt. Aber nicht vergessen … keinen Handschuh … Überlassen Sie das mir.“ Er versuchte es mit einem selbstironischen Scherz und lachte darüber.
Kaniũrũ konnte sich nicht mehr zurückhalten; er hob seinen Kopf von der Zeitung und schaute sich nach der Quelle dieser Ausgelassenheit um.