18

Während des Gottesdienstes fiel Vinjinia plötzlich ein, wer die Taube war, und sie begann so heftig zu zittern, dass sie Bischof Kanogori am Altar kaum noch folgen konnte. Danke, Herr, danke, Jesus, hörte sie sich in stillem Gebet sagen. Nyawĩra lebte! Ihr Schuldgefühl ließ nach und sie realisierte, sich selbst etwas vorgemacht zu haben, als sie glaubte, alle Gedanken an Nyawĩra erfolgreich unterdrücken zu können. Aber wo war sie? Und wie kam es, dass Maritha, Mariko und Nyawĩra sich so gut kannten, dass sie ihnen eine Botschaft für Vinjinia anvertraute?

Sie dachte an die vielen Gerüchte, die durch den erklärten Sieg des Paares über Satan hervorgerufen wurden. Einige Lästerer hatten behauptet, Maritha und Mariko hätten den Schrein des Herrn der Krähen aufgesucht und dort einen magischen Trank erhalten, der ihre Liebe in einem Maße neu entfachte, das dem ihrer Jugend gleichkam. Vinjinias Erleichterung und Neugier wichen schnell der Angst. Wie lautete die Botschaft der Taube? Was wollte Nyawĩra von ihr?

Wollte sie sich stellen? Die kürzlich ernannte Nationalhostess – wie hieß sie gleich? Yunique Immaculate McKenzie – hatte sie früher nicht auch zu den Verfechtern einer falschen Politik gehört? Nachdem sie sich gestellt hatte, war ihr vom Herrscher verziehen und sogar Arbeit gegeben worden. Vielleicht hatte Nyawĩra von der Ernennung McKenzies gelesen und war geläutert und bereit, sich dem Herrscher zu Füßen zu werfen? Vielleicht wünscht sie, dass ich sie zu ihm bringe?

Doch was wären die Folgen, wenn man sie mit Nyawĩra in Verbindung brachte? Durfte sie, die Frau des Gouverneurs der Central Bank, Kontakt zu einer Staatsfeindin haben? Sie könnte nach dem Gottesdienst einfach die übliche Ansammlung von falschen Freunden und Hilfesuchenden meiden, direkt zu ihrem Auto gehen und wegfahren. Das wäre die deutliche Botschaft an Nyawĩra, ihre Beziehung nicht erneuern zu wollen. Trotzdem sollte sie sich die Nachricht erst einmal anhören, bevor sie sich für eine Reaktion entschied. Schließlich konnte sie sich hinsichtlich der Identität und der Absicht der Taube auch irren.

Sobald die Messe vorbei war, ging Vinjinia hinaus und eilte zu ihrem Wagen. Maritha und Mariko warteten bereits auf sie. Sie bat sie einzusteigen, fuhr eine kurze Strecke und hielt an. Vorsicht war von größter Wichtigkeit. Maritha kam sofort zur Sache. Sie sei geschickt worden, um Vinjinia folgende Geschichte zu erzählen.

Es habe einmal jemanden gegeben, der Taube ein Nest baute und Rizinussamen zu essen gab. Taube habe nun gehört, dass dieser Jemand sich an einem Ort befinde, an dem ihn die Blicke eines gewöhnlichen Bürgers nicht mehr erreichen könnten. Taube sei hungrig und bitte Vinjinia, alles, was sie könne, über diesen Jemand herauszufinden, wo er sich aufhalte, wie es ihm gehe, derlei Dinge. Vinjinia solle versuchen, diesem Jemand zu sagen, dass Taubes Nest zwar abgebrannt, Taube aber wohlauf sei und dieselbe Luft atme wie alle anderen Vögel des Landes. Maritha schloss ihre Geschichte, indem sie Vinjinia sagte, dass sie, wenn sie Taube Rizinussamen überbringen wolle, die Samen an jedem Sonntag in die All Saints Cathedral liefern solle, und Maritha würde dafür sorgen, dass Taube sie bekomme.

Nachdem sie die Geschichte beendet hatte, zupfte Maritha an Marikos Ärmel und sie stiegen aus, ohne eine Antwort abzuwarten. Im Tanzschritt zogen sie davon und sangen laut:

Taube gab mir einen Auftrag, mmhh

Braucht nen größeren Schnabel, mmhh …

Während sie davonfuhr, dachte Vinjinia über Taubes Nachricht nach. Nyawĩra wollte etwas über den Herrn der Krähen erfahren.

Über eine Woche lang dachte Vinjinia an nichts anderes als an Nyawĩra und ihre Nachricht. Was für ein unpassender Zeitpunkt, an dem Nyawĩra jetzt störte! Gerade, als ihr Leben mit Tajirika langsam besser wurde! Nyawĩra erwartete, dass sie ihren Mann aushorchte, aber wie sollte sie das anstellen? Tajirika war zu einem geachteten Akteur in der Regierung aufgestiegen. Nyawĩra hingegen war eine verhasste Staatsfeindin. Wie konnte sie mit einer Feindin ihres Mannes gemeinsame Sache machen?

Sie war innerlich zerrissen. Sie dachte an ihre letzte Begegnung mit Nyawĩra und wie ihr das Herz vor Dankbarkeit übergeflossen war und sie Nyawĩra versprochen hatte, sich auf sie verlassen zu können, wann immer sie in Not sei. Ein Versprechen war eine Art Vertrag, und sie konnte es nicht brechen. Dennoch, sagte sie zu sich, war niemand dazu verpflichtet, ein Versprechen zu halten, das ihn selbst und die ihm Nahestehenden vernichtete.

Sie ging so weit, in Betracht zu ziehen, Nyawĩras Aufenthalt herauszufinden und sie zum Vorteil ihres Mannes auszuliefern. Andererseits gab es eine weitere Möglichkeit. Ihr Mann hatte sie gebeten, einen Hexenmeister zu suchen, der den Herrn der Krähen heilte. Und wer könnte das besser als der zweite Herr der Krähen? Damit würde sie Nyawĩra helfen, und Nyawĩra wäre für sie nützlich. Dann könnte sie sie verraten oder es vielmehr Tajirika tun lassen, und auf diese Weise würde Tajirika in der Regierung aufsteigen und vielleicht sogar der Nachfolger des Herrschers werden. Ihr Mann wäre in ewiger Dankbarkeit an sie gebunden.

Am nächsten Morgen eilte Tajirika zum State House, um sich mit dem Herrscher zu beraten. Und Vinjinia eilte am folgenden Sonntag zur All Saints Cathedral, um sich mit Maritha und Mariko zu treffen.

Herr der Krähen
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