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Der Herrscher befahl, dass sich der Krüppel der Prüfung zu unterziehen habe oder so lange mit dem sjambok ausgepeitscht werde, bis er preisgebe, wohin seine Zauberbrüder und -schwestern verschwunden seien. Als man ihm sagte, der Hexenmeister sei eine Frau, meinte er, das spiele keine Rolle, wenn sie die Prüfung bestehe, würde ihr der sjambok erspart bleiben.
Die Hinkende Hexe, wie sie die verkrüppelte Hexe nun nannten, hatte ein abstoßendes Gesicht. Ein Auge triefte, und wenn sie nicht sprach, zuckten ihre Lippen; wenn sie mit ihr redeten, mussten sich die Leute von ihr abwenden. Gleichzeitig gab sie eine komische Figur ab. Sie hatte keinerlei Wahrsagerutensilien bei sich, nur einen Gehstock und trug einen plumpen Umhang. Ihr Haar war so verfilzt, dass es zu hitzigen Debatten unter ihren Häschern kam, die meinten, sie habe die Idee von den Dreadlocks zu wörtlich genommen.
Kamĩtĩ stand noch unter Schock, nachdem er dem Meisterchirurg so knapp entronnen war; er war jetzt eisern auf der Hut. Als nun die Hinkende Hexe hereingeschoben wurde, sprang Kamĩtĩ auf, zog sich tiefer in seine Ecke zurück und machte sich bereit, seinen tödlichen Speichel zu versprühen. Der werde ich nicht den Rücken zukehren, schwor er sich. Er betrachtete den Stock, den sie bei sich hatte, mit äußerstem Misstrauen. Die Hinkende Hexe und er sahen sich ein paar Sekunden lang herausfordernd an, als wollten sie sich messen, wer zuerst zwinkerte.
Trotz seiner Wachsamkeit ahnte Kamĩtĩ den nächsten Zug der Hexe nicht voraus, oder besser, er sah ihn nicht kommen. Plötzlich berührte ihr Stock seinen Adamsapfel. Kamĩtĩ machte den Versuch einiger „Wenns“, aber sie erstickten in seiner Angst. Jedes Mal, wenn er versuchte, den Hals wegzuziehen, drückte sie ein bisschen kräftiger auf seinen Adamsapfel, als wollte sie ihn warnen: Treib ja keine Spielchen mit mir, und schließlich gab er auf. Ich muss mir genau überlegen, was ich mache, dachte er, sonst bin ich ein toter Mann.
„Mein Gehstock lügt nie. Der Teufel versteckt sich dort, genau an der Stelle, die mein Stock berührt. Der Tor und der Weise – wer ist es, der nicht sehen kann? Die Sprache ist der Anfang des Wissens. Und wenn sie fehlt? Der Anfang von Torheit. Wie nur ist der Teufel hierhergekommen? Hier stinkt es nach Alkohol.“
Njoya und Kahiga warfen einander wirre Blicke zu.
„Sagt mir“, sprach sie laut, „wo habt ihr den denn aufgelesen?“ Sie schauten sich wieder an, unschlüssig, ob sie zugeben sollten, dass sie den Mann in einer Bar gefunden hatten. Sie waren nicht einmal sicher, ob sie die Fragen der Hexenmeisterin überhaupt beantworten durften, wenn diese über das Erforderliche hinausgingen. Sie berieten sich leise und entschieden, dass Njoya sich erkundigen sollte, wie sie sich bei Fragen zu verhalten hätten. Sobald Njoya hinausgegangen war, betrat – gemäß der Zwei-Mann-Regel – A.G. das Zimmer. Das stellte Njoya vor Probleme, denn bei seiner Rückkehr wurde ihm klar, dass eben diese Regel ihm untersagte einzutreten. Also nahm er einfach A.G.’s Platz vor der Tür ein.
„Was habe ich dich gefragt?“, fuhr die Hinkende Hexe Kahiga wütend an. Verzweifelt öffnete dieser die Tür, zog schnell Njoya hinein und nahm dessen Platz vor der Tür ein. Da er die Erlaubnis erhalten hatte, ihre Frage zu beantworten, gab Njoya zu, den Mann gemeinsam mit anderen in einer Bierhalle gefunden zu haben; er sei betrunken gewesen, habe aber seither keinen Tropfen Alkohol mehr zu sich genommen und auch keinen zu sehen bekommen. A.G., der den Raum eben erst betreten hatte, begriff nicht so recht, was vor sich ging. Es ärgerte ihn, dass Njoya anscheinend alle Lorbeeren für die Verhaftung des Mannes an sich reißen wollte. Er musste das richtigstellen. Und ohne sich mit seinem Partner abzusprechen, mischte A.G. sich in die Unterhaltung ein.
„Ehrlich! Haki ya Mungu! Ich bin derjenige, der ihn in der Bierhalle entdeckt hat. Wenn Sie Fragen über ihn und den Alkohol haben, fragen Sie mich, und wenn Sie sicher gehen wollen, dass ich die Wahrheit sage, ehrlich! Haki ya Mungu!, fragen Sie … ich meine … wenn der Herr der …“
Fast hätte er die Identität des Mannes preisgegeben, und als er seinen Fauxpas bemerkte, versuchte er, ihn hinter einem übertriebenen Hustenanfall zu verbergen, bis die Hexe zornig dazwischenfuhr.
„Hör auf damit, sonst holst du dir seine Krankheit. Ein Opfer des Bösen am Tag ist genug. Mein Gehstock hat die Ursache bereits festgestellt und wird mir alles …“
A.G., der nur zu gern gehorchte, hörte auf zu husten. Die Hinkende Hexe wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Patienten zu.
„Du da, hör mir mit beiden Ohren zu“, sprach sie und drückte mit ihrem Stock gegen die Kehle des Mannes. „Ich will mit dem Teufel reden, der sich in deinem Kehlkopf versteckt.“ Kamĩtĩ zwang sich, der Hexe fest in die Augen zu schauen und glaubte, sie zwinkern zu sehen. Oder bildete er sich das nur ein? Doch das triefende Auge und die zuckenden Lippen stießen ihn ab. Er horchte auf ihren Tonfall.
Der Körper ist der Tempel der Seele
Achte darauf, was du isst und trinkst
Gier macht den Tod gierig nach dem Leben
Zigaretten fesseln das Leben; Alkohol sperrt den Geist ein
Das Gute entsteht aus der Ausgewogenheit
Sie betete den gesamten Katechismus herunter, und er stand verwundert und ungläubig staunend vor ihr.
„Jetzt habe ich dem Teufel in dir befohlen, durch dich zu mir zu sprechen“, sagte die Hinkende Hexe. „Sprich, Teufel!“
„WENN!“, bellte Kamĩtĩ versuchsweise heraus, als wollte er sie herausfordern, seine Zweifel zu zerstreuen.
„Du …“, sagte die Hinkende Hexe, als nähme sie seine Herausforderung an.
„Und ich …“, fügte er hinzu und stoppte.
„Die waren …“, sprach die Hinkende Hexe.
„Im Grasland …“ ergänzte Kamĩtĩ.
„Tanzten …“, fuhr die Hexe fort.
„Nackt …“, sagte Kamĩtĩ, um sie zu schockieren.
„Im Mondschein, wie Hexen das tun …“, ergänzte sie, als wollte sie ihm verdeutlichen, dass es ihm nicht gelungen war, sie aus der Fassung zu bringen.
„Dann führ mich aus diesem Gefängnis des WENN … OH … WENN … WENN ICH …“, fuhr Kamĩtĩ fort, aus dem der Teufel flehte, dass sie ihn befreite, weil er den Verlockungen der Hinkenden Hexe erlegen war.
Sie richtete ihren Blick auf A.G. und Njoya, die von dem Wunder, das sie gerade erlebten, vollkommen gefesselt waren. Diese Hinkende Hexe hatte erreicht, was trotz aller Speere, Messer, Nadeln, Rasierklingen und Drohungen keinem der anderen Hexenmeister gelungen war: dem Patienten ein anderes Wort als „wenn“ zu entlocken. Sie hatte es geschafft, im Teufel, der in seinem Kehlkopf saß, die Furcht vor dem Herrn zu wecken. Nun warteten sie gespannt, was die Hinkende Hexe sagen würde. „Wenn ich noch mehr aus ihm herausholen soll, dann müsst ihr ihn in meinen Schrein bringen, von dem meine Medizin ihre Kraft bezieht. Tut das, wann immer es euch passt.“
Njoya und A.G. berieten sich in einer Ecke. Dann verließ A.G. das Zimmer. Kahiga trat ein. Als A.G. zurückkam, blieb auch er nicht draußen, sondern kam einfach herein.
„Man hat uns befohlen, sofort zu deinem Schrein zu gehen“, berichtete A.G. der Hinkenden Hexe. „Du musst ihn unverzüglich vollständig heilen. Dann werden wir ihn und dich wieder herbringen.“
Kamĩtĩ traute seinen Ohren nicht. All seine Zweifel über die Hexe waren verschwunden. Nyawĩra hat ein Wunder vollbracht, sagte er sich, und konnte nur mit Mühe Tränen der Freude, der Dankbarkeit und der Bewunderung zurückhalten.