15

Der Herr der Krähen nahm die Herausforderung nicht sofort an. Er wollte sich ein wenig Ruhe gönnen und dem Herrscher Zeit geben, sich mit seinen Ministern zu beraten, bevor er sich an die vor ihm liegende Aufgabe machte, die, das wusste er, schwierig werden würde. Er musste wirklich schlafen. Es war ein Schock gewesen, von der Isolation einer Gefängniszelle in Eldares in eine Audienz beim Herrscher in einem New Yorker Hotel zu geraten, und Körper und Geist mussten sich erst darauf einstellen. Etwas Schlaf würde ihm die innere Anspannung nehmen und ihm ermöglichen, den zusätzlichen Druck zu bewältigen.

Er lag auf dem Rücken und fühlte sich schwerelos, während er vor dem Einschlafen an die Decke starrte. Aber die Fragen ließen nicht locker. Die Beschwerden, die den Körper des Herrschers heimsuchten, hatten seinen magischen Fähigkeiten widerstanden. Doch wie sollte er heilen, wenn er nicht die Ursache der Krankheit herausfand? Er hatte das Gefühl, als würde ihn die Krankheit verhöhnen, und das erinnerte ihn an Furyks Kampfansage. Was für eine Anmaßung dieses Furyk zu glauben, er wüsste alles über einen Afrikaner, nachdem er nur kurz mit ihm in Kontakt gewesen war! Ich werde die Herausforderung annehmen, hörte er sich sagen, und meinte damit sowohl die Krankheit als auch Din Furyk. Wo fange ich an?

Und dann hörte er zu seiner Überraschung eine Stimme. Nyawĩra? Die Stimme wurde deutlicher: Such in der Vergangenheit. Steh auf und geh zu allen Kreuzungen, Marktplätzen und Tempeln, allen Wohnstätten schwarzer Menschen auf der ganzen Welt und suche nach dem Ursprung ihrer Kraft. Dort wirst du das Heilmittel für die SIE finden.

Er wollte der Stimme gehorchen, konnte aber kaum die Beine noch irgendeinen anderen Körperteil bewegen. In Ordnung, der Geist ist bereit, seufzte er resigniert, aber der Körper ist im Weg. Doch die Stimme ließ ihm keine Ruhe und sang:

Wach auf, Bruder Geist

Wach auf, Schwester Seele

Erlaubst du dem Schlaf Gewalt über dich

Geht der Segen an dir vorbei

Das Lied hörte sich eher an wie ein Schlaflied denn wie ein Weckruf, und er wäre tatsächlich eingeschlafen, wenn die Stimme sich diesmal nicht tatsächlich wie Nyawĩras angehört hätte, die von oben ihre Hände nach ihm ausstreckte. Er fühlte, wie sein Ich leichter wurde und er sah sich steigen, aufsteigen und schweben, außerhalb der Reichweite von Nyawĩra. Er hatte seinen Körper verlassen, war wieder ein Vogel und flog frei durch den weiten Himmel …

Er erwachte im Flug, lachte, dachte an seine Reisen von den ägyptischen Pyramiden über die Ebenen der Serengeti bis nach Groß-Simbabwe; von Benin nach Bahia und weiter durch die Karibik bis zu den Wolkenkratzern von New York, und überall landete er, um Wissen zusammenzutragen. Der Körper, in dem er reiste, erschien ihm so wirklich, dass er unwillkürlich seinen Mund berührte. Zu seiner Erleichterung waren seine Lippen kein Schnabel und seine Arme keine gefiederten Flügel, und die Kleider, die er trug, waren dieselben, die er angehabt hatte, als er sich zum Ausruhen aufs Bett legte.

Wie lange habe ich geschlafen?, fragte er sich. In diesem Moment stieg ihm ein vertrauter Geruch in die Nase: der Gestank, der aus dem Krankenzimmer wehte und ihn zwang, zur Aufgabe zurückzukehren, die ihn nach Amerika geführt hatte. Er würde ins Krankenzimmer gehen und herausfinden, ob sich der Herrscher aller Worte in seinem Innern entledigt hatte. Er würde unter vier Augen mit ihm sprechen und Fragen stellen. Er fühlte sich erholt; je eher er ein Heilmittel oder einen sicheren Weg fand, dieser Klemme zu entkommen, desto eher konnte er nach Aburĩria und zu Nyawĩra zurück.

Er begegnete drei Männern mit identischen Aktentaschen, die aus dem Krankenzimmer kamen. Der eine war weiß, der zweite braun, der dritte schwarz. Der Weiße fluchte: „Oh, verdammt, wir sind spät dran!“ Spät?, fragte sich der Herr der Krähen. War der Herrscher von Aburĩria gestorben?

Herr der Krähen
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