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Njoya und Kahiga waren Sikiokuus treueste Leutnants in den Kämpfen um die Macht, und ihre Uneinigkeit in dieser Angelegenheit traf ihn wie der Schmerz eines wichtigen Organs. Er dachte an den Spiegel, den er zertrümmert hatte. Die beiden Männer waren nicht im Zimmer gewesen, als er den Spiegel zerstampft hatte. Wie also kam es, dass sie ausgerechnet dieses Bild verwendeten? Hatte ihnen der Zauberer mit seiner Hexerei diese Worte in den Mund gelegt? War das der Anfang des Zusammenbruchs seiner gesellschaftlichen und physischen Existenz? Angst packte ihn.
In der Nacht wälzte er sich hin und her; plötzlich hörte er eine fast höhnische Stimme sagen: „Der Herr der Krähen wird dich in Stücke brechen.“ Am ganzen Körper zitternd setzte er sich ruckartig auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So konnte er nicht weitermachen. Er musste sich zusammenreißen. Dann fasste er einen Entschluss. Das Leben des Hexenmeisters lag in seiner Hand. Und es gab keine Möglichkeit, dass sich der Hexenmeister noch rächen konnte, wenn er erst einmal in der Hölle war. So weit war es also gekommen: Entweder der Zauberer oder er! Er musste sich von diesem Hexer befreien. Vorher aber musste er ihn zwingen, ihm zu helfen, seine Beute zu ergreifen: Nyawĩra. Diese Ironie belebte seine boshafte Seite: Indem er Nyawĩras Verhaftung ermöglichte, würde der Herr der Krähen seine Fahrkarte in die Hölle lösen. Sikiokuu empfand eine Art inneren Frieden, als er sich seine Zukunft ohne die Bedrohung durch den Herrn der Krähen ausmalte.
Mit diesem Entschluss hatte er wieder Klarheit in seinem Kopf erlangt, dachte er und ging am nächsten Morgen früh ins Büro, da er wichtige Neuigkeiten über den Ankunftstermin des Herrschers erwartete. Eine Zeit lang hatte er nicht besonders erfreut auf die Heimkehr der Delegation geblickt, weil sich für ihn damit Machokalis Triumph verband. Aber jetzt, da er Tajirikas Geständnis in der Tasche hatte und der Zauberer unweigerlich zur Hölle fahren würde, war er ganz ruhig. Er freute sich sogar darauf. Es war kein Fax eingegangen, deshalb schaltete er den Computer ein. Bevor er seine E-Mails ansehen konnte, klingelte das Telefon.
Es war Tajirika. Warum rief er so zeitig an? War das ein gutes Zeichen? Während sie sich begrüßten und über den Grund des frühen Anrufs sprachen, öffnete Sikiokuu eine E-Mail und begann still zu lesen. „Was? Was soll das heißen?“, fragte er laut und legte auf. Es war ihm völlig entfallen, dass Tajirika am anderen Ende sprach. Die Nachricht war erschreckend deutlich. Alle Vorbereitungen zum Empfang des Herrschers seien unverzüglich einzustellen. Dem Herrscher gehe es nicht gut.
Der Absender war Machokali. Sikiokuu wurde schlecht. Lag der Herrscher im Sterben? Was, wenn der Herrscher Machokali bereits zu seinem rechtmäßigen Nachfolger bestimmt hatte? Dieser Gedanke war zu schrecklich, und Sikiokuu begann zu planen, wie er selbst die Macht übernehmen könnte.
Vielleicht aber sollte er zunächst einmal die vollständige Nachricht lesen, um herauszufinden, was eventuell zwischen den Zeilen stand. Er war sprachlos. Denn im Mittelteil der E-Mail entdeckte er den Namen „Herr der Krähen“. Er konnte nicht glauben, was seine Augen da lasen.
Sikiokuu sollte nach dem Herrn der Krähen schicken, ihm einen Diplomatenpass ausstellen, bei der Beschaffung eines Visums helfen und ihn in das nächste Flugzeug nach New York setzen.
Er fühlte sich wie gelähmt. Seine Leutnants Kahiga und Njoya hatten ihn vorgewarnt: Unvorstellbare Schwierigkeiten. Er dachte an seinen Entschluss, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, starrte an die Decke und zupfte nachdenklich an seinen Ohrläppchen.