52
Kenny weckte Jonathan um vier Uhr morgens.
Sie traten hinaus in die Geräusche der milden Nacht, die Kühle vor dem warmen Morgen.
Jonathan trug Kennys Baseballmütze. Er setzte sich auf den Beifahrersitz des Bullis.
Kenny fuhr.
Acht Kilometer vor Bath hielten sie am südöstlichen Rand eines Ackers namens Round Hill Tyning. Die Mitte des Feldes, die sich vor dem Sternenzelt dunkel abhob, stieg zu einer sanften Anhöhe an.
Kenny hatte die Arme auf dem Lenkrad verschränkt und betrachtete es.
»Ist es das hier?«, fragte Jonathan.
»Ja.«
Kenny und Jonathan stiegen aus dem Bulli und schlugen die Türen zu – zu laut in dem stillen Morgen. Die Männer kletterten über den niedrigen Zaun auf das taunasse Feld.
Sie gingen lange schweigend nebeneinander her und stiegen die Hügelausläufer hinauf, während die Sonne langsam aufging.
Auf der Spitze befand sich das Long Barrow, ein neolithisches Grab: dreißig Meter lang und drei Meter hoch, aus blauem Feuerstein und Granit aus der Umgebung erbaut. Der Eingang zur Unterwelt wurde von einem versteinerten Ammoniten markiert.
Sie sahen hinunter auf das knapp einen Kilometer entfernte Dorf. Sie atmeten heftig von der kurzen Anstrengung.
»Was wirst du machen?«, fragte Kenny.
Jonathan verkroch sich in die geborgten Kleider, die ihm zu klein waren, und antwortete: »Ich sage ihnen, dass ich mich nicht erinnern kann.«
»Sie werden dir nicht glauben.«
»Sie müssen.«
»Dein Geständnis. Auf dem Band …«
»Das hast du aus mir herausgeprügelt. Wer immer du auch warst.«
Kenny nickte. »Es wird nicht leicht sein. Eine so große Lüge aufrechtzuerhalten.«
Jonathan sagte nichts. Er drehte sich nur um und sah Kenny an.
Hier, auf dem Hügel, als sie auf das Dörfchen blickten, fühlte Kenny sich ihm nahe – als wären sie Brüder, die aus einem fernen Krieg heimgekehrt waren. Sie hatten beide dasselbe verloren.
»Was wirst du machen?«, fragte Jonathan zurück.
Kenny zuckte mit den Schultern.
Und das war alles – es gab nichts zu sagen. Jonathan begann die andere Seite des Kalkstein-Hügelgrabs in Richtung des Dorfs hinunterzutrotten. Er sah aus wie der Geist eines Kesselflickers.
Kenny sah ihm nach, bis er in der Mitte des Hügels war. Dann drehte Jonathan sich um und sah zu ihm hinauf. Er musste schreien, damit Kenny ihn hörte, selbst in der morgendlichen Stille. »Hattest du einen Spitznamen? Als Kind?«, rief er.
»Ja«, antwortete Kenny.
»Hieß er ›Happy‹?«
»Ja«, sagte Kenny. Die Kraft war aus seinen Beinen gewichen.
»Sie hat gesagt, du hast ihr geholfen«, rief Jonathan. »Sie hat gesagt, du warst sehr schmächtig. Du warst kleiner als sie, und du hast komisch gerochen. Sie hat gesagt, du warst ein kleiner Gentleman. Das waren ihre Worte.«
Kenny blinzelte.
»Danke«, rief er.
Die Sonne ging nun über dem Hügel auf, der eine uralte Grabkammer und auch eine Art Mutterleib war: ein Mutterleib für die Toten. Jonathan ging auf das Dörfchen zu, und Kenny wusste, er würde ihn nie wieder sehen.
Jonathan erreichte das Ende des nassen Feldes und kletterte über den Drahtzaun. Im tief hängenden Morgennebel folgte er hinkend einer Landstraße, die zum Dorf Wellow führte.
Er hatte die Kirche und das Kriegsdenkmal passiert, als er ein herankommendes Auto hörte. Bald darauf schoss eine gespenstische Gestalt auf ihn zu wie ein riesiger Fisch durch trübes Wasser.
Ein Grollen ertönte, als der unsichtbare Fahrer aufs Gaspedal trat. Ein silbergrauer Audi durchschnitt den Nebel.
Der Fahrer, ein junger Mann mit lockigem Haar in Anzug und Krawatte mit Windsorknoten, erblickte Jonathan – diesen zerlumpten Mann mit den wilden Augen, blau geschlagen, schlurfend.
Jonathan humpelte in die Mitte der Straße, winkte mit den Armen über dem Kopf und schrie.
Der Fahrer stieg auf die Bremse. Die Straße war nass. Er verlor die Kontrolle. Der Audi schlitterte seitwärts auf Jonathan zu, der aufhörte zu winken, als er merkte, was geschah.
Ein rutschendes Auto. Ein verrückter Mann mit erhobenen Armen, allein auf einer Landstraße. Hinter ihm der milchweiße Himmel und das braune Feld, ein paar Krähen, Sonnenaufgang.