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Am Morgen hielt Kenny Jonathan eine Flasche Wasser an die Lippen und ließ ihn trinken, warnte ihn aber davor, zu große Schlucke zu nehmen – sonst bekomme er Magenkrämpfe und müsse sich übergeben. Aber Jonathan hörte nicht auf ihn, und Kenny musste ihm die Flasche wegnehmen wie einem Kleinkind.
Wasser lief an Jonathans Kiefer hinunter und auf seine Brust. Er saß da und schnappte nach Luft.
So ließ Kenny ihn zurück, damit er noch hungriger wurde.
Es war, als ob man Gäste da hatte. Der Alltagstrott war unterbrochen und die Atmosphäre war anders, aber man musste weitermachen und Dinge erledigen. Also erledigte Kenny die Hausarbeit – er kümmerte sich um den Matsch und die blutigen Fußspuren und den ganzen Rest. Er putzte und werkelte vor sich hin.
Dann ging er zurück ins Atelier, um seinem letzten Porträt den vollendenden Schliff zu geben. Ihr Name war Michelle. Sie war zweiundzwanzig und sehr hübsch – persönliche Assistentin in einer Firma, die Bio-Bier und Cider braute.
Ihr verheirateter Liebhaber war der Vorsitzende des Unternehmens. Er hatte Kenny damit beauftragt, Michelle wie Die nackte Maja von Goya zu malen.
Kenny hatte das Bild so behandelt, dass es alt aussah – nicht so perfekt, dass er damit das Auge eines Experten getäuscht hätte, denn das wäre vorsätzlicher Betrug gewesen, aber gerade so gut, dass der Kunde es sich zu Hause ins Arbeitszimmer hängen konnte, ohne bei seiner Frau Verdacht zu erregen.
Nachdem das Bild fertig war, baute er eine Kiefernholzkiste, in der er es verschicken konnte. Das war für ihn der schönste Teil seiner Arbeit: Wenn er das Gemälde in Zeitungspapier und Pappe und Luftpolsterfolie wickelte, es in die flache Holzkiste klemmte und diese anschließend mit einem kleinen Black-&-Decker-Schrauber zuschraubte.
Dann lehnte er die von Hand adressierte Kiste an die Wand, um sie von einem Kurierdienst abholen zu lassen, wenn alles vorbei wäre.
Danach bereitete er ein paar neue Leinwände vor. Er wusste nicht, wofür – sie würden leer bleiben. Aber er mochte das Präparieren der Leinwände fast ebenso sehr wie den Versand. Es verlangte die fachmännische Anwendung sorgfältig erlernter Techniken. Es machte ihm den Kopf frei.
Am Abend stattete Kenny Jonathan einen Besuch ab. Er nahm den blauen Eimer und das Brecheisen mit.
Er ließ Jonathan mit der Kehle an den Heizkörper gebunden, schnitt aber das Klebeband an seinen Händen auf. Dann drehte er sich mit dem Brecheisen in der Hand weg, als Jonathan sich hinhockte, um zu pinkeln und seinen Darm zu entleeren.
Die Luft im Zimmer stank widerlich und intim. Kenny erinnerte sich an ein Schimpansengehege, das er damals Mitte der 1990er mit seinem Vater in Devon besucht hatte. In den Betonhäusern der Schimpansen hatte es so ähnlich gerochen. Die Trostlosigkeit jenes Ortes, die Affen, die sich mit traurigen Augen gegenseitig lausten, hatten bei Aled eine mondlose Depression ausgelöst, aus der er viele Wochen lang nicht mehr herausgekommen war.
Als Jonathan fertig war, blieb er weiterhin hocken.
»Papier?«
Kenny warf ihm eine Rolle Klopapier zu, die sich im Flug hübsch abwickelte wie eine Party-Luftschlange.
Jonathan putzte sich ab und zog sich die gestreifte Schlafanzughose hoch, die Kenny ihm gegeben hatte. Dann wartete er darauf, wieder mit dem Klebeband gefesselt zu werden.
Nachdem er ihm die Hände zusammengebunden hatte, stellte Kenny den Eimer vor die Tür und kehrte dann zu Jonathan zurück. Er kniete sich vor ihn hin und wiederholte, psalmodierte dieselben Worte, die zu einer sanften Liturgie geworden waren.
»Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sag mir einfach, was du getan hast. Hilf mir. Und dann geh nach Hause. Zurück in die Welt.«
»Mein Gott, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist.«
»Nur diese eine Frage. Dann bist du frei.«
»Ich weiß die Antwort nicht!«
»Doch!«, schrie Kenny. »Doch, das tust du!«
Es folgte ein Augenblick erstarrter und reuevoller Stille, dann ließ Kenny Jonathan eine weitere Nacht lang mit seinem Hunger und Durst allein.
Er trug den Eimer ins Bad, leerte ihn ins Klo, zog die Spülung, wusch ihn mit heißem Wasser aus und leerte ihn noch einmal ins Klo.
Dann wusch er sich die Hände und ließ den Eimer bis zum nächsten Tag im Bad stehen.
Das Telefon klingelte. Kenny blieb stehen und hörte zu. Es war Mary.
»Du bist nicht vorbeigekommen. Du hast nicht angerufen. Wir machen uns Sorgen um dich. Bitte ruf zurück. Nimm einfach den Hörer ab und ruf zurück.«
Aber das tat er nicht. Er konnte es nicht – nicht, bis das hier vorbei war.
Er war sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde – er hatte Jonathan schon von Hunger und Angst gequält vor sich hin murmeln und weinen gehört.
Er würde es nicht mehr lange aushalten können.
Niemand könnte das.