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Am nächsten Tag fuhr Pat nach Bristol und traf sich mit Paul Sugar in einem Café in einer Seitenstraße der Gloucester Road.
Sie kannte Paul schon, seit er das Hendon Police College absolviert hatte. Damals hatte er wie ein Vorzeige-Nazi ausgesehen: breite Schultern, blaue Augen, blonde Haare.
Als Polizist hatte er nie Nein sagen können – weder zu Schmiergeld noch zu Blowjobs. Er war fünf Jahre im Amt geblieben und konnte am Ende froh sein, dass er nicht im Gefängnis gelandet war.
Nun war er fünfundvierzig, ein Koloss von einem Mann. Dieselben strahlend blauen Augen verschwanden in seinem von einem wilden Bart überwucherten Gesicht, das wenige verbliebene blonde Haar war kurz geschoren und babyweich. Seine Schultern waren nicht nur breit, sondern massig. Er trug einen Dreiknopfanzug und ein Hemd mit offenem Kragen, das sich über seinen ausladenden Bauch spannte.
Während er mit wohlüberlegter Präzision Zuckerpäckchen aufriss, um sie in seinen Kaffee zu streuen, konnte Pat das leise Pfeifen seines Atems hören.
Paul war Privatdetektiv, bearbeitete hauptsächlich Firmen- und Eheangelegenheiten.
»Es dauert höchstens einen Tag«, sagte Pat.
Paul leckte sich Krümel von den Fingern. »Hast du den Namen, das Geburtsdatum, die letzte bekannte Adresse?«
Sie reichte ihm den Zettel.
Paul überflog ihn. »Für dich macht das siebenhundert.«
»Ich hab dich nicht um eine Probe von George Clooneys Sperma gebeten. Das hier ist Kinderkram.«
»Dann mach’s doch selber.«
»Ich bin zu müde. Mir tun die Knie weh. Ich muss mich um den Garten kümmern und Countdown schauen. Du sollst einfach nur diese Frau finden und mir sagen, wo sie wohnt und wen sie geheiratet hat. Lass es doch deinen Azubi machen.«
»Der Azubi hat aufgehört. Sagen wir fünfhundert in bar.«
»Zweihundert.«
»Zwei fünfzig.«
»Na gut. Zwei fünfzig.«
»Vorauskasse.«
»Träum weiter. Zweihundertfünfzig Mäuse bei Lieferung.«
Sie ließ Paul mit seinem Latte Macchiato allein und fuhr die Stapleton Road entlang. Sie parkte und ging dann zu Fuß zu Hartledge & Kassel.
Vor den Fenstern waren jetzt hässliche Metallgitter angebracht, und in der Auslage standen beigefarbene Dell-Computer und Inlineskates und Stereoanlagen und Armbanduhren. Aber es war dasselbe alte Pfandleihhaus, und das Glöckchen läutete wie früher, als Pat hineinging.
Sie kannte den jungen Mann mit dem schütteren Haar hinter der Glastheke nicht. »Hallo. Sind Sie ein Hartledge oder ein Kassel?«, fragte sie.
Er sah von seiner Zeitung auf und zwinkerte. »Ein Kassel, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Dave.«
Nachdem er entschieden hatte, dass Pat weder eine Verbrecherin noch eine Steuerbeamtin war, streckte Dave Kassel ihr die Hand entgegen. Pat schüttelte sie und sagte: »Ich kannte Ihren Dad. Harry.«
»Harry war mein Opa.«
»Tatsächlich?«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Dann begann sie, ihre Taschen abzutasten. »Ich war mal Polizistin. Bin immer hergekommen, als ich noch ein Grünschnabel in Uniform war. Ihr Dad – Ihr Opa – hatte immer eine Tasse Tee für mich. Netter Kerl.«
»Er hat ein bisschen mitgeholfen, stimmt’s? Bei Ihren Ermittlungen und so?«
»Er hat ab und zu ein bisschen Klatsch weitererzählt. Smalltalk bei einem Tässchen.«
Sie tauschten einen vielsagenden Blick.
»Das waren noch Zeiten«, seufzte Pat. »Die kommen nicht wieder.«
Sie holte einen dünnen Goldring aus ihrer Tasche. Sie war einundzwanzig gewesen, als ihre Tante Ettie ihn ihr vererbt hatte. Aber letztlich war es doch nur ein Gegenstand, und mal ehrlich, wer brauchte so was schon?
Sie hielt ihn hoch, sodass er im ciderfarbenen Sonnenlicht glänzte. »Was krieg ich dafür?«
Dave Kassel untersuchte ihn mit geschickten Fingern und Kennerblick.
Pat sagte: »Jetzt verarschen Sie mich bloß nicht. Ich brauch zweihundertfünfzig Mäuse. Der Ring stammt aus der Zeit von Königin Viktoria. Wenn er bei einer Auktion landet, was Gott verhüten möge, kriegen Sie das Doppelte dafür.«
Dave Kassel zögerte. Dann legte er die Lupe beiseite, die er zu Hilfe genommen hatte, ein bisschen Show gehörte dazu.
Er nickte Pat steif, fast priesterlich zu. »Zwei fünfzig also.« Er kramte nach dem Quittungsbuch.
»Obwohl«, sagte Pat, »machen Sie lieber zwei fünfundsiebzig draus.«
Sie könnte sich genauso gut auf dem Heimweg noch eine Tüte Fish’n’Chips gönnen, und vielleicht was Nettes zum Trinken.
Sie würde sich umgeben von ihren Katzen auf die Türschwelle setzen. Sie würde den Sonnenuntergang betrachten und ein Glas auf die längst verstorbene, schwer verliebte, unvergessene Tante Ettie erheben, wo immer sie jetzt auch war.