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Kenny verließ den Campingplatz nach dem Tee wieder, als es dort gerade am entspanntesten und geselligsten zuging.

Er fuhr mit dem Bulli in die Vorstadt und hielt unterwegs ein-, zweimal an, um auf Google Maps nachzusehen. Er fuhr so lange herum, bis er glaubte, die für sein Vorhaben günstigste der zur Auswahl stehenden Straßen gefunden zu haben.

Nachdem er geparkt hatte, blieb ihm noch jede Menge Zeit, also ging er auf Entdeckungstour und kam dabei an einem gelben Container vorbei. Darin lag in einem großen Haufen Bauschutt ein halber Ziegelstein. Er hob ihn hoch, betrachtete ihn, ging weiter und hielt den Ziegelstein dabei locker in der Hand.

Er ging immer weiter. Wenn er irgendwo herumlungerte, könnte das Aufmerksamkeit auf ihn ziehen – auf diesen jung gebliebenen Mann mit so weißem Haar, dass es in der Dämmerung zu leuchten schien.

Kenny ging eine große Runde, vorbei an den Pommesbuden und den Curry-Restaurants und den Gemischtwarenläden und den ehemaligen Kiosks. Seine Sehkraft war ungetrübt und scharf, die Dunkelheit war keine wirkliche Dunkelheit, nur ein tiefes Sommerpurpur.

Nach Mitternacht ging er zur Coney Lane 25.

Er blieb auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen, sah zum Haus und spielte dabei mit dem halben Ziegelstein wie mit einem Kricketball. Dann schleuderte er ihn durch Jonathan Reeses Wohnzimmerfenster.

Der Krach war hell und eindringlich, zersplittertes Glas stürzte kaskadenartig herab wie ein Wasserfall. Kenny stellte sich vor, wie er in der ganzen Stadt widerhallte und alle in ihren sicheren Betten aufweckte.

Er wollte etwas rufen, eine Beleidigung schreien. Aber die Worte blieben ihm im Hals stecken, als Jonathan den Vorhang zurückzog und sich ans Wohnzimmerfenster stellte.

Er sah Kenny.

Da war der Schock, als er die Verbindung herstellte.

Dann setzte sich Jonathan in Bewegung. Kenny betrachtete die bizarren, zackigen Schatten, die er warf, während er sich eilig die Schuhe anzog.

Er hörte Jonathan durch die Diele poltern, an der Sicherheitskette herumfummeln, die Haustür öffnen.

Er wartete, bis Jonathan herauskam und »He!« rief.

Dann rannte Kenny – zunächst nicht zu schnell. Nicht, bis er sicher war, dass Jonathan ihm folgte.

Jonathans Schritte hallten vom Asphalt und den niedrigen Gartenmauern wider, als er Kenny ans dunkle Ende der Straße nachjagte.

Kenny bog um die Ecke und blieb stehen.

Diese Straße war lang und gerade, auf beiden Seiten standen dicht an dicht geparkte Autos. Am hinteren Ende kreuzte sie eine hell erleuchtete Hauptstraße, auf der immer noch ziemlich viel Verkehr herrschte.

Es gab Vorgärten, in denen man sich verstecken konnte, Durchgänge zwischen den Häusern, schattige Gärten dahinter. Links hinter Kenny lag der Bahnhof – er war geschlossen; zugekettet und verriegelt für die Nacht. Es gab viele Verstecke.

Aber Kenny versteckte sich nicht. Er schleppte sich weiter und hielt sich dabei die Seite, bis er den Bulli erreichte.

Er trat zwischen den Kühlergrill des Busses und den Kofferraum des Vauxhall Astra, der vor ihm parkte. Hektisch tastete er den Boden ab, bis er das Brecheisen hinter dem Vorderrad fand, wo er es abgelegt hatte.

Dann lehnte er sich mit dem Rücken dicht an das kalte Metall und wartete. Sein Atem war zu laut, er klang heiser und schmerzte.

Er gab sich selbst ein Versprechen: Wenn Jonathan aufgegeben hatte und nach Hause gegangen war, dann würde auch er aufgeben.

Aber dann lief Jonathan an ihm vorbei, der seinen Sprint zu einem schwerfälligen Joggen verlangsamt hatte.

Kenny trat aus seinem Versteck hervor, hob das Brecheisen und ließ es auf ihn niedergehen.

Jonathan fiel zu Boden wie eine geschlachtete Kuh.

Der Aufprall des Eisens erschütterte Kennys Handgelenk. Von seiner eigenen Wucht mitgerissen, stolperte er über Jonathan und fiel hin.

Als Jonathan versuchte, sich auf die Knie aufzurichten, tastete Kenny nach dem Brecheisen, fand es, nahm es in beide Hände, stand auf und versetzte Jonathan einen weiteren Schlag.

Jonathan fiel wieder hin, versuchte sich aufzurichten, wegzukriechen.

Kenny trampelte auf seine Nieren, trat ihn in den Bauch, in die Rippen. Er trampelte und trat, bis Jonathan aufhörte, sich zu bewegen. Dann, nach Luft schnappend, befahl er: »Steig in den Bus.«

»Was hast du vor?«

Kenny hob das Brecheisen, atmete durch die Zähne.

»Bitte«, sagte Jonathan.

Kenny trat ihn gegen den Kopf.

Jonathan hob die Hand und fügte sich, er schleppte sich unter weiteren genuschelten Bitten zum Bulli, wobei Kenny ihn mit dem Brecheisen antrieb und vorwärts stieß.

Als Jonathan den Bulli erreicht hatte, drückte Kenny ihn in den Fußraum des Beifahrersitzes. »Roll dich zusammen und sei still.«

Er legte sich dort hin, wo Kenny befahl. Kenny musste den Beifahrersitz bis zum Anschlag zurückschieben. Dann setzte er sich ans Steuer, warf eine Decke über Jonathan und fuhr los, das Brecheisen neben sich auf dem Sitz.

Er fuhr langsamer als erlaubt, bis er die Dunkelheit des Stadtrands erreichte, und hielt dort auf einem Kiesparkplatz neben einer Kuhweide. Der Bulli wurde von einer riesigen Eiche und ihren herunterhängenden Ästen verdeckt.

Kenny lief um das Auto herum zum Beifahrersitz, zerrte Jonathan an den Haaren heraus und ließ ihn mit ulkig gebeugten Knien laufen wie einen abgerichteten Schimpansen. Er öffnete die seitliche Schiebetür des Bullis und stieß Jonathan hinein.

Er wickelte Klebeband um Jonathans Knöchel, dann seine Handgelenke und seinen Mund.

All dies geschah in nächtlicher Stille, begleitet von heftigen, schweren Atemzügen. Das Abrollen des Klebebands war laut wie im Kino.

Dann legte Kenny Jonathan eilig auf die Ladefläche und warf wieder die Decke über ihn.

Er fuhr mit Jonathan zum Cottage.