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Kenny hatte sich so sehr an das endlose, panische Kreischen der Alarmanlage gewöhnt, dass es zu einem bloßen Hintergrundgeräusch geworden war, wie Verkehrslärm hinter den Fenstern einer Innenstadtwohnung. Deswegen hörte er die Tür zuschlagen wie in einem stillen Haus.

Nun wurde ihm der Alarm wieder bewusst, plötzlich konnte er nichts anderes mehr hören als das hemmungslose Schreien des verletzten Hauses.

Er huschte hinüber, um die Seilschlinge zu ergreifen, und zog die Dachbodentreppe kräftig nach oben, sodass die Luke gerade dann zuging, als der Alarm aufhörte.

Darauf folgte eine so tiefe Stille, dass Kenny sich nicht zu rühren wagte, um sie nicht zu zerbrechen.

Er legte ein Ohr an eine schmale Lücke im Rahmen der Luke. Von unten vernahm er Stimmen: zwei Männer.

Dann Schritte auf der Treppe.

Durch die Lücke im Rahmen sah Kenny kurz einen verschwommenen Fleck dunklen Haars. Der Mann beugte sich in sein Büro, wahrscheinlich um zu prüfen, ob der Computer noch da war.

Der zweite Mann kam nach oben, seine Schritte ließen darauf schließen, dass er größer und schwerer war als der erste. »Sie haben dein Fenster kaputt gemacht, Alter, das hintere zum Garten. So sind sie reingekommen.«

»Verdammte Scheiße«, fluchte Jonathan Reese.

»Bestimmt war das so ein gelangweilter Schnösel«, sagte der zweite Mann. »Die meisten Junkies hier sind reiche Schnösel. Der Penner, der bei mir eingebrochen hat, war kein Schnösel. Das war ein richtiger Proll. Er hat auf den Teppich geschissen, einen großen, fetten Kringel. Ich hab fast gekotzt. Ich kann bis heute keine Cumberland-Wurst mehr sehen.«

»Okay. Danke für die Info, Ollie.«

Jonathan schaltete das Licht im Badezimmer ein, und die Lüftung ging an. Kenny hörte ihn pinkeln, sein Revier markieren. Dann eine gezogene Spülung.

Kenny horchte angestrengt, als Jonathan Ollie wieder nach unten folgte und bei der Polizei anrief. Es dauerte eine Weile und Jonathan wurde wütend. Dann legte er auf und sagte: »Angeblich kommen sie heute Abend zwischen sechs und halb neun vorbei.«

»Dann stehst du wohl auf der Dringlichkeitsliste ganz oben.«

»Wie auch immer.«

»Scheiße.«

»Hör zu, ich bleibe hier. Du gehst zurück zur Baustelle. Wenn Dunwoody Ärger macht, erzählst du ihm, was los war.«

»Und was machst du?«

»Ich trink einen Tee. Schaue Judge Judy. Erledige Papierkram, Rechnungen, Steuern. Warte auf die Bullen. Rufe einen Glaser, damit er das Fenster repariert.«

»Ich kann bei dir bleiben.«

»Nee … zisch ab, Alter. Schau nach dem Teil vom Weg, dem Teil, der hinter dem Teich entlanggeht. Und frag bei Nicholson’s nach wegen dem Zaun.«

»Bist du sicher, dass du klarkommst?«

»Ja.«

»Ruf mich an, wenn was ist.«

»Mach ich. Und jetzt verpiss dich schleunigst. Zurück an die Arbeit.«

Man hörte das Geräusch herzlichen Lachens. Das der sich schließenden Haustür.

Dann die Geräusche eines Mannes, der glaubte, allein zu sein, und in seiner leeren Diele tief durchatmete.

Dann nach oben ging, in sein Büro.

Durch die Lücke im Rahmen sah Kenny den verschwommenen Fleck von Jonathans Kopf, als er unter ihm vorbeiging.

Aus dem Büro kam eine Folge von leisen, vertrauten Tönen: das Klappern einer Maus, die bewegt wird, um einen schlafenden Computer zu wecken, das Krachen, wenn ein Mann sich auf einen Bürostuhl niederlässt, das Pfeifen eines anspringenden Computerlüfters, das Hämmern auf eine Tastatur.

 

Kenny blickte zur Pyramide der Kartons hinüber, die Fleecepullover und Blusen ohne eine Spur menschlichen Geruchs enthielten, und Schuhe, in denen sich der dunkle Abdruck einer Frauenferse abgezeichnet hatte.

Dann lag er mit offenen Augen da und wartete. Er war ein Gespenst auf dem Dachboden, ein protokollierender Dämon, der Jonathans Leben tabellarisierte und ihn für unzureichend befand.