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Paul Sugar saß zu Hause, stellte seinen Laptop unsanft auf den Couchtisch und beugte sich darüber, um sich die Websites von örtlichen Immobilienmaklern anzusehen und sich Notizen in einen Spiralblock zu machen.
£ 249.995
GREY COTTAGE, LANGPORT ROAD
4-Zimmer-Reihenmittel-Cottage, aus örtlichem Naturstein erbaut, Stadt fußläufig erreichbar, verfügt über großen Garten hinterm Haus.
£ 310.000
TAUNTON ROAD
Sehr bedeutendes historisches Grundstück (English Heritage Grade II), steht mit der Abbey of Glastonbury in Verbindung, stammt möglicherweise aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Er wusste, dass keins davon sein Cottage war, weil es nicht einmal zum Verkauf stand – aber die Listen durchzugehen war wie in Pornos hineinzuschauen, bevor man Sex haben würde.
Etwa um halb sechs klingelte es.
Paul schlurfte zur Tür und machte auf.
Draußen standen Ashley und Glen: Schuldeneintreiber für den Shylock Edward Burrell.
Paul war kräftig, aber ihr monolithischer Schatten fiel düster über ihn. Sie waren Rausschmeißer, Türsteher, deren Muskeln vom Powerlifting angeschwollen und mit Steroiden vollgepumpt waren.
Paul sagte: »Es ist erst Donnerstag.«
»Wir haben viel zu tun«, antwortete Ashley. Angeblich hatte er einen IQ von 150. Paul wartete noch auf Beweise dafür.
Glen machte die Tür zu und legte das Sicherheitsschloss vor. Die Kette sah in seinen Wurstfingern aus wie ein zartes Collier.
»Ich hab wirklich gute Neuigkeiten, was das Geld angeht«, sagte Paul, während er zurückwich.
Ashley packte Paul an den Hoden und drückte ein einziges Mal erbarmungslos zu. Paul brach zusammen und legte die Hände in den Schritt. Ashley trat ihm auf den Kopf.
Unter Ashleys Stiefelsohle stieß Paul einen Laut hervor, der nicht klang wie von einem Menschen. Paul klang wie ein Schwein beim Schlachter.
Dann zerrte Ashley ihn auf die Füße und schleuderte ihn gegen die Wand.
Die Regale brachen zusammen. Alles, was darin gestanden hatte, fiel Paul auf den Kopf: Bücher, Aschenbecher, leere Flaschen, ein gerahmtes Foto von der Hochzeit seiner Eltern.
Ashley zog seinen breiten Ledergürtel aus der Hose, wickelte ihn sich um die Faust und fing an, Paul mit der Schnalle zu prügeln.
Als er aufhörte, lag Paul zusammengerollt und schluchzend am Boden.
»Steh auf«, befahl Ashley.
Paul stand auf.
»Setz dich.«
Paul setzte sich.
»Also, was sind das für gute Neuigkeiten?«
»Ich bin an Geld gekommen.« Er konnte nicht richtig sprechen. Er hatte sich ein gutes Stück seiner Zunge abgebissen.
»Und wo ist es?«
»Komm schon. Jetzt hab ich die Prügel schon bekommen. Dafür hab ich mir noch eine Woche verdient.«
»Das waren keine Prügel. Das war nur die Begrüßung.«
»Okay. Hör zu, es ist kompliziert.«
»Dann erklär es langsam.«
»Ich bin an ein Haus gekommen.«
»Was für ein Haus?«
»Das ist es ja. Ich weiß eben nicht, was für ein Haus. Nicht genau.«
Ashleys Blick verfinsterte sich.
Paul fuhr fort: »Es ist kompliziert, aber es ist koscher. Bei meinem Leben. Beim Leben meiner Mutter. Ich kann alles zurückzahlen. Die ganze Summe.«
»Wann?«
»Bald. Sehr, sehr bald. Beim Leben meines Vaters. Beim Leben meines kleinen Sohnes.«
»Du hast einen kleinen Sohn?«
»Er wohnt bei seiner Mutter.«
»Natürlich tut er das. Wie heißt er?«
Paul wollte seinen Namen nicht nennen. Er sagte nur: »Bei seinem Leben. Ich verspreche es. Hoch und heilig.«
Ashley überlegte einen Moment, dann kam er herüber und setzte sich neben Paul. Das Sofa stöhnte auf. Zwei kräftige Männer, Seite an Seite wie alte Frauen an einer Bushaltestelle.
Ashley packte Paul am Ohr und zog daran.
Paul wehrte sich.
Glen legte die Zeitschrift weg, in der er las, und schlenderte herüber. Er packte Paul an den Fußknöcheln.
Bald lag Paul mit dem Gesicht nach oben auf Ashleys Schoß und zappelte wie ein Hai an der Angel.
Glen beugte sich über ihn und hieb mit der Handkante auf sein Zwerchfell. Paul versuchte Luft zu holen, aber es gelang ihm nicht. Er bekam keine Luft.
Ashley drückte Paul die Nasenlöcher zu und legte die andere Hand flach über seinen Mund.
Paul versuchte zu atmen, um Hilfe zu schreien, zu betteln. Er versuchte sich zu winden und sich freizukämpfen.
Aber nicht lange.
Als er wieder zu sich kam, war er im Bad. Er öffnete die Augen und setzte sich auf. Ashley und Glen hatten selbst hinausgefunden.
Bevor sie gegangen waren, hatten sie den kleinen Finger seiner linken Hand amputiert. Sie hatten den Stumpf angebrannt, um ihn zu kauterisieren.
Paul steckte die verstümmelte Hand unter die Achsel und heulte vor Schmerz und Scham.
In einer anderen Welt, in einer anderen Zeit hätte sein Schluchzen vielleicht einen seiner Nachbarn dazu bewegt, die Polizei zu rufen. Aber niemand rief die Polizei, und niemand kam ihm zu Hilfe.
Schließlich schleppte er sich in die Küche, um nach Whiskey zu suchen. Dann rief er seine Exfrau an und bat sie um Geld.
Er sagte: »Sie haben mir einen Finger abgeschnitten!«
»Du kannst mich mal, Paul. Kreuzweise«, antwortete sie und legte auf.
Paul trank den Liter Whiskey aus.
Am Morgen saß er zitternd auf der Toilette. Der Stumpf seines Fingers pochte heftig. Er konnte ihn hören, den Trommelrhythmus seiner Verstümmelung. Er fühlte sich elender, als er es je für möglich gehalten hätte.
Aus der untersten Küchenschublade, unter einem Stapel alter Steuererklärungen, holte er eine Packung Dexedrine-Tabletten hervor – bei seinem Job war es manchmal notwendig, über längere Zeit wach zu bleiben.
Er warf drei der kleinen Tabletten ein und trank eine Dose Red Bull, dann zog sich seine Kehle zusammen, und er hustete und würgte eine Zeit lang.
Er schlurfte ins Bad und stellte sich unter die kalte Dusche. Er schrie. Er konnte es nicht ertragen. Es tat weh. Dann tat es nicht mehr weh, und er war wach und klar im Kopf.
Er wusch sich mit einer Hand. Er wusch seine große, fassartige Brust und seinen überdimensionalen Bauch und seinen Doggenkopf. Dann trottete er haarig und tropfend in die Küche. Er schnitt den aufgequollenen, nassen Verband an seiner linken Hand auf. Der Stumpf sah aus wie ein Hotdog mit Mayonnaise und Ketchup.
Er tupfte den Stumpf mit Desinfektionsmittel ab – der Geruch einer Kindheit auf einem anderen Planeten –, dann wickelte er ein Pflaster um seinen Ringfinger und den Stumpf des kleinen Fingers. Es tat höllisch weh. Er fing an zu weinen. Dann schniefte er einmal laut und tapfer und hörte wieder auf.
Die Amphetamine begannen zu wirken. Paul schossen blitzartig mehrere Gedanken, Eindrücke und Einfälle gleichzeitig durch den Kopf.
Ihm kam eine Idee. Es war eine gute Idee. Je mehr er darüber nachdachte, umso besser wurde sie.
Er warf noch vier von den unscheinbaren kleinen Tabletten ein und fragte sich, warum er sie nicht öfter nahm – warum sollte man sie nicht nehmen, wenn einem davon so viele gute Ideen kamen?
Er putzte sich die Zähne und trank Kakao, um den Brechreiz zu vertreiben. Dann zog er sich an: marineblauer Anzug, schwarzes Polo-Shirt, Wildlederschuhe mit Gummisohlen. Seine Hand war ungeschickt, so als trüge er einen Boxhandschuh. Aber sie tat kaum noch weh. Sie tat nur weh, wenn er daran dachte.
Er holte seinen Autoschlüssel und seine abgegriffene Brieftasche und stapfte zur Tür hinaus.
Sein Kopf war ein großer Schiffsmotor: Schrauben und Kolben und Feuer. Und ausnahmsweise war die Sonne herausgekommen. Es war ein sonniger Tag, es war Freitag, und Paul Sugar brauchte ganz, ganz dringend Geld.