45
Kenny stand mit verschränkten Armen im Halbdunkel des hintersten Zimmers und sah Jonathan an.
Jonathan sagte nichts. Seine Haare waren fettig, seine Kleider dreckig, und er stank nach Pisse und Scheiße. Kenny hatte den Geruch bisher nicht bewusst wahrgenommen.
Er war sehr müde. Die lange Nacht im Regen hatte ihn geschlaucht. Er fragte sich, wie er wohl aussah in den feuchten, dampfenden Kleidern, endgültig besiegt.
Er sagte: »Du hast es nicht getan.«
Jonathan sah ihn an, wachsam, aber ruhig. »Nein.«
»Warum hast du dann gesagt, dass du es warst?«
»Weil du mich sonst umgebracht hättest.«
Kenny konnte darauf nicht antworten. Er schwankte wie ein Baum, während er nachdachte. Dann fragte er: »Was ist passiert? Was ist wirklich passiert?«
Jonathan zeigte auf seine Kehle. Er sagte: »Mein Hals tut weh. Ich habe Durst.«
»Ich hol dir Wasser.«
»Nein. Sieh mich an. Sieh mich an.«
Aber Kenny hatte ihn schon angesehen. Er hatte ihn angesehen, als er zur Tür hereinkam. Er hatte die ausgemergelte Kreatur gesehen, die er geschaffen hatte.
Kenny ging zum Fenster und riss den dicken Vorhang herunter, den er dort festgesteckt hatte. Dünnes, gerstenfarbenes Sonnenlicht stach durch die vielen Ritzen im Holz. Er erinnerte sich daran, wie es gewesen war, auf Jonathans Dachboden gefangen zu sein – Callie Bartons Habseligkeiten durchzugehen, ihre privaten, aufgegebenen Dinge. Die Fußabdrücke in ihren Schuhen.
Er hatte in Kisten nach ihr gesucht und nichts gefunden. Er hatte ihr Gesicht im Internet gesehen. Er hatte gesehen, wie jemand in sie eindrang. Und trotzdem wusste er nichts über sie, gar nichts – außer, dass sie einmal, vor langer Zeit, ein kleines Mädchen gewesen war, das ihn freundlich behandelte.
Die Streifen des Sonnenlichts fielen auf Jonathan und ließen ihn aussehen wie eine verbrannte Strohpuppe mit seinen schwarzen, von Prellungen übersäten Gliedmaßen und dem verkrusteten Blut und den ausgetrockneten Lippen und den leuchtend weißen Augen. Und doch hatte er am Leben festgehalten. Er lebte immer noch.
Kenny sagte: »Es tut mir leid.«