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Als Mary nach Hause kam, fand sie Stever mit Otis und Daisy im Wohnzimmer, wo sie Omelettes aßen und das Ende von Hi-5 sahen. Stever sprang auf, gab ihr einen Kuss auf die Wange, eilte in die Küche.

Mary begrüßte die beiden Kinder und setzte Daisy auf ihren Schoß.

Otis begann, den Tanz zu »Inside My Heart« vorzuführen, aber es gelang ihm nicht, die Hände über dem Herzen zu falten und mit den Hüften zu wackeln, ohne dabei umzufallen. Er landete flach auf dem Po, der gut gepolstert war mit Buzz-Lightyear-Windeln und einer Hose aus Breitrippcord. Aber er versuchte es immer wieder, und Mary und Daisy klatschten mit. Als das Lied zu Ende war, rief Otis triumphierend: »Einszweidreivier – highfive!«

Mary hielt eine Hand hoch und Otis schlug ein. Dicke kleine Handfläche, dicke kleine Finger, verschmiert mit Ketchup und winzigen Stückchen Brokkoli.

»Können wir jetzt Hannah Montana schauen?«, fragte Daisy.

»Wirklich, Schatz? Ich fürchte, dafür bist du noch zu klein.«

»Nein, bin ich nicht! Es geht um zwei Mädchen – sie sind eigentlich ein Mädchen! Eins hat blonde Haare, die Haare von dem anderen Mädchen sind schwarz – aber es ist dasselbe Mädchen! Und ihr Dad trägt als Verkleidung einen dicken Schnurrbart und redet komisch. Billyray!«

»Montana Montana!«, echote Otis.

Mary klopfte Daisy auf den Po, ein Zeichen, dass sie gleich aufstehen und aus dem Zimmer gehen würde.

In der Tür sagte Mary: »Fünf Minuten Montana Montana. Dann Zähneputzen, Bad, Buch und Bett. Otis, was liest du gerade?«

»Bärenjagd! Wischel wischel wischel!«

»Daisy, auf welcher Seite sind wir?«

»An der Stelle mit der Hexe. Ich glaube, das ist, hm, Seite fünfhundert oder so. Oder zweihundert oder so.«

»Klaro. Ihr habt fünf Minuten.«

Stever war in der Küche, er trug ein T-Shirt mit SpongeBob Schwammkopf darauf, eine abgeschnittene Levi’s und Flipflops. Er machte Steverburger für sich und Mary, formte gerade das Hackfleisch. Ohne aufzuschauen fragte er: »Na, wie war’s?«

Mary wollte sich setzen, aber in der engen Küche gab es keine Sitzgelegenheit. »Ach, nicht so gut.«

»Ist alles in Ordnung mit ihm?«

Sie versuchte, Nein zu sagen, konnte aber nicht sprechen. Sie fing an zu weinen.

Stever verspürte einen Augenblick lang Panik, während er sich in der chaotischen Küche nach einem Platz umsah, wo er das rohe, soeben geformte Hackfleisch ablegen konnte. Dann drehte er mit den Ellbogen den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände, trocknete sie an seiner abgeschnittenen Jeans und eilte zu Mary, um sie in die Arme zu nehmen. »Was ist los?«

Sie machte sein T-Shirt an der Schulter ganz voll mit Rotz. Sie wischte daran herum, verschmierte alles aber nur. »Es ist nicht gut. Ihm geht’s nicht gut.«

»Ich hab’s schon oft gesagt – da draußen zu wohnen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ganz allein. Da muss man doch verrückt werden. Warum sucht er sich nicht eine Wohnung in der Stadt? Okay, das Angebot ist nicht überwältigend, aber …«

»Er stirbt.«

»Er was?«

Sie deutete auf ihr Schläfenbein. Stever stand da, das SpongeBob-T-Shirt wölbte sich über seinem Bauch, seine behaarten Knie schauten unter der abgeschnittenen Levi’s hervor und seine Füße sahen in den Flipflops hilflos aus.

»Heiliger Strohsack. Wie lange?«, fragte er.

»Nicht sehr lange.«

»Hat er jemanden, der sich um ihn kümmert?«

»Nein.«

»Keine Pflegerinnen oder irgendwen?«

»Er will niemanden.«

»Meine Güte.«

Stever betrachtete das Fleisch, das auf dem Hackbrett bereitlag. Das Pflanzenöl brutzelte noch in der Pfanne. Er sagte: »Er könnte hier einziehen. Wir könnten die Kinder zusammen in ein Zimmer stecken. Oder Otis zu uns. Wenn wir unser Bett an die Wand schieben, könnte es klappen. Otis würde das nichts ausmachen. Und Kenny könnte Otis’ Zimmer haben. Ich meine, es ist nicht viel …«

Mary umarmte ihn fest. »Ich liebe dich.«

»Sei nicht albern. Sei nicht albern. Ist schon gut.«

Nachdem sie ihn losgelassen hatte, wandte Stever sich wieder dem Burgerfleisch zu. Er legte zwei Hacksteaks in die glühend heiße Pfanne. »Hast du mit ihm geschlafen?«

»Wie bitte?«

»Hast du mit ihm geschlafen?«

Mary hatte das Gefühl, als führe sie mit einem Aufzug zu schnell nach oben. »Wie kommst du denn darauf?«

»Er ist allein, er ist krank. Er tut dir leid. Du willst ihn trösten. Es wäre verständlich. Es ist in Ordnung. Ich muss nur wissen, ob du es gemacht hast.«

»O Mann, Stever«, sagte sie und stampfte die Treppe hinauf.

Später fand sie ihn, als er Daisy umarmte, genau so wie immer, wenn er gestresst oder verärgert war – als wäre sie eine Batterie, die nie ausgeht.

Als er sie losließ, sah Mary, wie er sich mit dem Finger eine Träne überbordender Liebe wegwischte. Dieser bärige Mann mit dem langen Haar und dem wuchernden Bart, den abgeschnittenen Jeans, dem Cartoon-T-Shirt, den Flipflops.

Sie fühlte sich hilflos und traurig. Sie wünschte sich, wie schon viele tausend Male zuvor, dass sie wie Samantha in Verliebt in eine Hexe die Nase kräuseln und alles besser machen könnte.

Aber das konnte sie nicht. Also setzte sie Wasser auf und machte Stever einen Tee, einen richtigen Tee in einer richtigen Teekanne. Und als er aufgebrüht war, schenkte sie ihm eine Tasse ein und brachte sie ihm auf einem Tablett zusammen mit drei Jaffa Cakes. Das war der Code für »Tut mir leid«.

Er nahm sie mit verhaltenem, verlegenem Dank an. Er trank einen Schluck Tee und sagte: »Mmm, lecker«, was der Code für »mir auch« war.

Mary sagte: »Ich hab versprochen, ihm dabei zu helfen, einen Ort zu finden. Du weißt schon, so einen Ort, wo man hingeht.«

»Das können wir machen«, antwortete Stever. »Das können wir wirklich machen.«