3
Mary saß auf dem Gras im Brandon Hill Park. Ganz Bristol breitete sich unter ihr aus. Sie las ein Buch, während sie auf ihn wartete.
Als Kenny sich näherte, mit einem Rucksack über der Schulter und einer Einkaufstüte in der Hand, lächelte sie breit, ihr Kenny-Lächeln.
Kenny setzte sich ins Gras. »Du siehst toll aus«, sagte er.
Sie fächelte sich mit einer Hand Luft zu, als würde sie erröten.
Er griff in die Tüte und reichte ihr eine kleine Flasche frisch gepressten Orangensaft und einen Obstsalat in einem Plastikbecher. Sie reichte ihm ein Sandwich mit Speck, Salat und Tomaten. Eine Weile saßen sie nur da, aßen und warfen den gierigen Eichhörnchen die Krusten ihrer Sandwiches zu. Dann fragte Kenny: »Und, wie läuft’s so?«
»Ausgezeichnet. Und bei dir?«
»Nicht schlecht. Aber ich habe nachgedacht.«
»Worüber?«
»Nichts Besonderes. Nur so dies und das.«
»Was denn?«
»Zum Beispiel, bist du glücklich?«
»Ach, so was.« Sie runzelte die Stirn – die Frage war an sie gerichtet. »Ja, ich bin glücklich. Die Kinder machen mich glücklich. Stever ist ein Arschloch.«
Stever war ein gutmütiger Kerl, und Mary liebte ihn. Sie waren seit fünf Jahren verheiratet.
Kenny war Taufpate ihrer Kinder. Er mochte die Kinder sehr – er tobte gern mit ihnen herum, schrie und rollte sich mit ihnen über den Boden. Er las ihnen gern Gutenachtgeschichten vor und imitierte dabei die verschiedenen Stimmen. Er malte ihnen auch gern Bilder: Transformers und Ballerinas, Katzen und Hunde und Jedi-Ritter und triefende Schleimmonster.
Während er nun daran dachte, nickte er und öffnete seinen Rucksack. Er holte ein dickes Bündel Skizzen heraus, die mit Paketschnur zusammengeknotet waren.
»Was ist das?«, fragte Mary.
Kenny gab ihr das Bündel. Es enthielt zahlreiche Kohle-, Bleistift- und Aquarellskizzen auf Papierfetzen und Briefumschlägen und ein paar hastig gemalte Ölbilder auf ausgefransten Leinwandstücken.
Die Skizzen zeigten Mary lachend beim Frühstück – der Sally-Bowles-Haarschnitt, den sie damals getragen hatte, ganz zerzaust und der Kajal unter ihren Augen verschmiert; Mary, den Pony im Gesicht, während sie stirnrunzelnd eine Felix-der-Kater-Uhr aufzieht; Mary barfuß im Baumwollpyjama, wie sie an einer dampfenden Tasse nippt.
Sie war ein gutes Modell gewesen – nachsichtig, geduldig, unterhaltsam, unempfindlich gegen Kälte und Krämpfe.
Leise lachend blätterte sie die Skizzen durch. Sie hatte Tränen des Glücks, der Wehmut in den Augen. »Schau dir meine Haare an!«
»Ich mochte deine Haare. Du hattest schöne Haare.«
Sie legte die Skizzen übereinander wie Spielkarten. »Und was soll das Ganze jetzt?«
»Nichts. Ich dachte nur … bei mir verstauben sie in einer Kommode. Also gebe ich sie lieber dir.«
Sie spielte mit der Schnur, die die Skizzen zusammengehalten hatte. »Das wäre nun der richtige Zeitpunkt, mir zu sagen, was eigentlich mit dir los ist.«
Er schenkte ihr ein breites Lächeln. »Nichts! Ich mache nur Ordnung. Ich dachte, wozu soll ich sie behalten? Ich dachte, sie gefallen dir vielleicht.«
»Sie gefallen mir sehr.«
»Schön.«
»Du solltest berühmt werden. Du bist wirklich gut.«
Er lächelte, weil das lieb von ihr war. Und er spürte, er konnte Mary heute nicht von der Liste streichen, weil er nicht wusste, wie er wiedergutmachen sollte, was vor langer Zeit zwischen ihnen schiefgelaufen war.
Sie beendeten ihr Mittagspicknick und standen auf, um zu gehen, weil Mary zurück zur Arbeit musste. Sie gab Kenny einen Kuss auf die Wange, drückte seinen Arm und sagte »hab dich lieb«, während sie ihm durch den zotteligen weißen Haarschopf wuschelte.
»Ich hab dich auch lieb«, antwortete er.
Und nachdem er so schon beim ersten Versuch, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, gescheitert war, ging Kenny los, um den Bus nach Hause zu nehmen.