17

Kenny hörte zu, während Jonathan Reese Dienstgespräche führte: mit Lieferanten, mit Ollie, mit mehreren Glasern, mit ein paar Kunden.

Um vier Uhr, als er die Telefonate erledigt und einen 24-Stunden-Glaser gefunden hatte, der bereit war, nach dem Tee vorbeizukommen, wusste er offenbar nichts mehr mit sich anzufangen.

Er lief eine Weile durchs Haus. Kenny hörte ihn die Fenster überprüfen und leise ein Lied singen: »Celebration« von Kool & The Gang. Es war vorher im Radio gelaufen und musste ihm im Ohr geblieben sein, wie das bei Liedern manchmal so ist.

Er stellte sich in die Diele und wählte eine Nummer, dann schnalzte er missbilligend mit der Zunge. Er zögerte und sagte dann: »Süße, ich bin’s. Es ist fast halb fünf. Pass auf, ich weiß nicht, ob ich’s heute Abend zu dir schaffe. Ich hatte ’nen ziemlich krassen Tag, um ehrlich zu sein. Wie auch immer, tut mir leid. Ich hoffe, es ist alles okay. Ruf an, wenn du kannst. Ich liebe dich. Tschüs.«

Danach ging er zurück ins Büro.

Kenny hörte Handfeuerwaffen, die Schreie von Sterbenden, donnernde Panzer, als Jonathan irgendein Kriegsspiel spielte.

Irgendwann nach 17.15 Uhr hörte Jonathan auf zu spielen und verließ das Büro.

Mitten auf der Treppe klingelte sein Handy. »Süße! Wie geht’s dir?«, fragte er und setzte sich auf die Treppe.

Indem er den Kopf drehte und durch den Spalt im Rahmen spähte, konnte Kenny gerade noch Jonathans Hand erkennen, die an den Fasern des Seegrasteppichs zupfte und zwirbelte. »Nein, nichts wirklich Schlimmes. Nicht so was. Bei mir wurde eingebrochen«, hörte er Jonathan sagen.

Jonathan redete zehn Minuten lang – Nein, sie haben nichts mitgenommen. Ja, ich konnte’s auch erst glauben, als ich’s gesehen habe –, bevor er auflegte.

Er blieb lange auf der Treppe sitzen, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Er saß noch immer dort, als die Polizei eintraf.

Während die beiden Polizisten, ein Mann und eine Frau, das Haus pro forma durchsuchten, lag Kenny reglos da wie ein Toter.

Jonathan lief hinter den Beamten her. »Also, der Alarm geht los …«

»Wird er nicht überwacht?«

»Früher schon. Aber fünfundvierzig Pfund im Monat? Egal. Meine Nachbarn rufen mich an und ich komme, so schnell ich kann. Aber als ich da bin, ist er schon weg. Wie stehen die Chancen, dass er gefasst wird?«

Die Polizistin antwortete: »Leider nicht gut.«

Kenny wusste, dass gewisse Polizisten ein herablassendes Auftreten an den Tag legten, wenn sie Verbrechen untersuchten, die sie als lästige Bagatellen betrachteten. Aber da war noch etwas anderes in der Stimme dieser Polizistin: eine frostige Unverblümtheit, sodass Kenny sich fragte, ob sie und Jonathan vielleicht schon einmal unter anderen Umständen aufeinander getroffen waren. Vielleicht war sie vor ein paar Jahren schon einmal zu dieser Adresse gekommen. Vielleicht hatte sie in der Küche gestanden, während die Beamten von der Spurensicherung in weißen Papier-Schutzanzügen und Latexhandschuhen nach Blutspritzern und anderen Anzeichen einer gewalttätigen Meinungsverschiedenheit suchten.

Oder vielleicht hatte sie vor einer Absperrungslinie Wache gehalten, während hinten die Spurensicherung mit Fingerspitzen den langen Garten durchkämmte.

Am Ende gab Jonathan seine Versuche auf, sich einzuschmeicheln. Er seufzte und fragte: »Und was soll ich jetzt machen?«

»Denken Sie darüber nach, stabilere Schlösser an den Fenstern und Lichtschranken anzubringen.«

»Es ist um neun Uhr morgens passiert.«

»Oder kaufen Sie sich einen Hund.«

»Soll das etwa ein offizieller Rat von der Polizei sein? Einen Hund zu kaufen?«

»Einbrecher mögen keine Hunde. Was soll ich sagen?«

»Na ja, danke für den Tipp.«

»Kein Problem. Guten Abend.«

»Ja, ja. Tschüs.«

Jonathan schloss die Tür.

Kurz vor acht kam der Glaser. Er war eine Dreiviertelstunde lang da, machte sauber und nahm Maß.

Jonathan und er unterhielten sich währenddessen über die Anzahl der Einbrüche in der Gegend. Sie sprachen über lächerlich milde Haftstrafen für Wiederholungstäter und übertriebene Political Correctness. Sie einigten sich darauf, das Strafsystem der Thatcher-Regierung, die Wehrpflicht und möglicherweise auch den Galgen wieder einzuführen. Dann machte der Glaser Jonathan einen Kostenvoranschlag für seine Arbeit inklusive der Herstellungskosten eines neuen Eichenrahmens für das Schiebefenster.

Der Glaser nagelte etwas fest. Vermutlich brachte er ein Stück Sperrholz am kaputten Fensterrahmen an. Dann ging auch er und das Haus war still.

Jonathan zog die Vorhänge zu und schloss alle Türen zweimal ab. Dann stapfte er nach oben ins Büro.

Kenny hörte, wie er dasaß und mit der Maus arbeitete. Um neun herum klingelte Jonathans Handy. Er ignorierte es.

Die Lichtstrahlen, die den Dachboden durchschnitten, hatten die Farbe von Gerste. Draußen begann die Mittsommersonne unterzugehen.

Jonathans Handy klingelte noch einmal um halb zehn. Er ignorierte es wieder.

Inzwischen waren andere Geräusche zu hören.

Sie kamen aus den Computerlautsprechern: das laute Rauschen eines Camcorders, durch das Kenny eine Frauenstimme hören konnte – leises Seufzen und schnelles Atmen. Ein gemurmeltes Wort. Ein Aufstöhnen.

»Komm schon«, sagte Jonathan, aber nicht der echte Jonathan, es war der Jonathan auf dem Bildschirm, im Computer.

Auf sein Antreiben hin wurden die Schreie der Frau häufiger und schriller.

»Komm schon«, murmelte Jonathan durch die Zähne, dahinter das Rauschen des Camcorders.

Der Bürostuhl knarrte, als der echte Jonathan sich zurücklehnte.

»Da hast du’s«, sagte der Jonathan auf dem Bildschirm. »Da hast du’s. Da hast du’s.«

Kenny hörte das Knarren, als Jonathan masturbierte. Es ertönte im Takt mit den leisen Ausrufen der zum Orgasmus kommenden Frau.

Jonathan stieß den Namen Gottes zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Es folgte ein Moment fast vollkommener Stille.

Dann stand Jonathan murmelnd vom Stuhl auf.

Er hielt seine aufgeknöpfte Jeans mit einer Hand fest und schlurfte aus dem Büro ins Bad.

Der Wasserhahn lief, verstummte dann.

Kenny drehte sich auf den Rücken. Er betrachtete die Lichtstreifen, die nun hellrosa waren und viel schräger von draußen hineinfielen. Es wurde Nacht, und er war hier auf dem Dachboden gefangen, während sich Jonathan wenige Meter von ihm entfernt das Sperma von Schenkeln und Bauch wusch.

Kenny roch brennende Reifen in der Ferne. Es war ein seltsam sommerlicher Geruch.

Aber da waren keine brennenden Reifen.

Kennys linke Gesichtshälfte wurde kalt. Seine Ferse trat einmal, zweimal, dreimal gegen den Boden der Dachkammer, wie ein Schlagzeuger, der ein Lied anzählt. Dann bekam Kenny einen Anfall.

Seine Zähne knirschten. Sein Mund schäumte. Sein Körper trommelte auf den Boden der Dachkammer, einen Meter über Jonathans Kopf.

Der Anfall hörte auf. Unter Kenny herrschte Stille.

Von irgendwoher rief Jonathan: »Hallo?«