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Jonathan hatte den Heizkörper aus der Wand gerissen, er lag in der Mitte des leeren Zimmers wie eine Kunstinstallation. Auf dem Boden hatten sich dunkle Pfützen von stinkendem, abgestandenem Wasser gebildet, das aus den Kupferrohren geflossen war.

Kenny brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was passiert war. Dann, auf einen Schlag, begriff er, was die offene Besteckschublade bedeutete – die, an der er sich die Hüfte angeschlagen hatte.

Er stürmte zurück in die Küche, konnte aber nicht feststellen, was fehlte; in den Schubladen herrschte immer Chaos.

Jonathan hatte nicht wissen können, wo er war, aber er musste gewusst haben, dass vor der Haustür ein Auto geparkt hatte. Ihm musste klar gewesen sein, dass Kenny und der Fahrer des Wagens zurückkommen würden, obwohl er nicht wissen konnte, wann genau.

An Jonathans Stelle wäre Kenny vom Auto weggerannt. Das bedeutete an den Wellblechhäuschen vorbei und weiter.

Kenny sah auf die Uhr. Er hatte keine Ahnung, seit wann Jonathan weg war. Ein sportlicher Mann hätte bis jetzt wahrscheinlich die Stadt erreichen können, aber Jonathan war schwach und verletzt und barfuß.

Kenny schnappte sich das unter der Spüle liegende Brecheisen und schoss zur Hintertür hinaus, vorbei an den Wellblechhäuschen in den fleckigen Schatten der großen, alten Bäume. Überall auf dem ölgetränkten Boden lag Schrott verstreut: die Gerippe der Morris Minors, Teile von Stoßstangen, Motorblöcke, ölige Vergaser, zerrissene Sitze, Sprungfedern.

Kenny überwand diese Hindernisse mit Leichtigkeit und schlug sich durchs Gestrüpp am Ende seines Grundstücks. Er rannte am alten Schaukelseil mit dem brüchigen Reifen vorbei. Er kannte die Durchgänge, er wusste, wo man den Bach sicher überqueren konnte. Jonathan wusste nichts von alldem.

Kenny boxte sich mit den Ellbogen zwischen den Bäumen hindurch. Sie hinterließen Kratzer in seinem Gesicht.

Er fand die Trittsteine und rannte über den Bach, rutschte aus, wurde nass bis an die Schenkel, kletterte dann am anderen Ufer hinauf, indem er sich an freiliegenden Wurzeln, Grasbüscheln und Wiesenkerbel festklammerte. Die Erde war bröckelig und tintenschwarz, sie verschmierte seine Knie, verklebte ihm die Haare.

Er lief an der Hecke oben am Ufer entlang, bis er den Dachspfad fand, der unter ihr hindurch führte. Er kroch auf dem Bauch weiter wie eine Blindschleiche, schlängelte sich mit den Hüften zwischen Steinen und Erde durch, bis er die Hecke durchquert hatte. Dann stellte er sich mit dem Brecheisen in der Hand an den Rand eines sonnenbeschienenen Gerstenfeldes.

Da war Jonathan an der anderen Ecke des Feldes, er rannte an der Hecke entlang zur Hauptstraße.

Kenny sprintete hinter ihm her.

Jonathan drehte sich um und erblickte Kenny.

Als Kenny ihn einholte, sah er das Messer in Jonathans Hand, gestohlen aus seiner eigenen Besteckschublade.

Es gehörte zu einem Set, das er zur Hochzeit bekommen hatte. Jetzt funkelte es ihn mit abtrünniger Bosheit an.

»Hau einfach ab, Alter«, rief Jonathan.

Sie sahen sich tief in die Augen, und einen Moment lang herrschte eine eigenartige Verlegenheit zwischen ihnen – die Anziehungskraft der Normalität. Es schien so, als könnten sie plötzlich loslachen und auseinandergehen wie Männer, die sich in einem Pub an den Schultern angerempelt hatten. Dann war der Moment vorbei, und Jonathan ging schreiend auf Kenny los.

Er versuchte, Kenny in den Magen zu stechen, schlitzte ihm jedoch stattdessen die Haut unter den Rippen auf, ließ das Messer fallen und rannte.

Was Kenny spürte, war wie ein lautes Rauschen. Er stolperte und fiel hin. Er blieb im Gerstenfeld liegen und hielt sich die Seite. Er sah Blut zwischen seinen Fingern, kirschrot leuchtend im Sonnenlicht.

Mit der anderen Hand tastete er nach dem Brecheisen. Er hatte es im Feld verloren, dann war es wieder da, kalt und glatt in seiner Hand.

Er zog sein T-Shirt hoch und besah sich die Wunde. Da war etwas Gelbliches in ihrem grellroten Rachen: Fettgewebe. Aber sie würde ihn nicht umbringen. Er stand auf wackeligen Beinen auf und sah, wie Jonathan sich in die wilde Hecke stürzte, über sie kletterte.

Kenny folgte ihm humpelnd. Er schleppte sich zur Hecke, kämpfte sich über ihren breiten, stacheligen Kamm.

Auf der anderen Seite, zwischen den blassen, vereinzelten Bäumen, rutschten seine Füße auf dem überwucherten Boden aus, und er taumelte und ruderte mit den Armen. Er schlitterte das Bachufer hinunter und griff nach den Schlingen freiliegender Wurzeln, um seinen Sturz aufzuhalten.

Jonathan stand knietief im Bach und sah sich um. Er fand einen Ast – einen Meter lang, dick wie sein Handgelenk, mit Flechten bewachsen.

Kenny konnte erkennen, dass er windbrüchig war, schwach durch die Fäulnis.

Sie standen sich gegenüber: Jonathan im Wasser, Kenny am Ufer.

Dann machte Kenny einen Schritt nach vorne, holte mit dem Brecheisen in weitem Bogen aus, traf Jonathan am Schädel und schleuderte ihn hintenüber ins Wasser.

Kenny ließ das Brecheisen sinken und watete nach Luft schnappend in den kalten Bach. Er setzte sich rittlings auf Jonathan und drückte sein Gesicht ins Wasser.

Jonathan kämpfte, schlug und trat um sich. Aber er hatte keine Kraft. Blut floss aus seinem Ohr, bildete einen Strudel, wurde rosa im Wasser.

Als Kenny zum anderen Ufer schaute, bemerkte er einen Eisvogel. Er glaubte, seinen Blick aufzufangen, eine spöttische Neigung des Kopfes, bevor er mit kräftigem, schillerndem Schwung davonflog.

Kenny hob Jonathans Kopf an. »Steh auf.«

Beim dritten Versuch gelang es ihm. Gebeugt, durchnässt, triefend vor Bachschlamm. Kenny überlegte, wie einfach es wäre, ihn umzubringen – ihm mit dem Brecheisen den Schädel zu zertrümmern und ihn hier liegen zu lassen, damit die Vögel an ihm herumpickten, während Kenny nach Hause zum Cottage trottete.

Kenny wollte einfach nur schlafen.

Morgen könnte er ausgeruht hierher zurückkommen und Jonathan am Rand des Bachs vergraben. Die Leiche würde nicht gefunden werden, solange Kenny noch da war, und danach würde es keine Rolle mehr spielen.

Aber er trieb Jonathan mit dem Brecheisen voran. »Zurück ins Haus.«

Jonathan fing an zu kriechen wie ein arthritisches Wildtier.

Zurück auf dem Grundstück des Cottages befahl er Jonathan, an der Ecke eines der Wellblechhäuschen stehen zu bleiben, das am weitesten von der Straße entfernt war. Er wusste, dass der Kies, die Metallabfälle und Motorteile auf dem Boden Jonathans nackte Füße aufschlitzen würden, aber sie würden ihn auch davon abhalten, einen Fluchtversuch zu wagen.

Kenny steckte das Brecheisen durch seine Gürtelschlaufen und kramte in dem Schrott herum, der seit wenigstens zehn Jahren in dem Gartenhäuschen gelegen hatte: Schachteln, Nägel, Sperrholz, Vergaser und uraltes, verrostetes Werkzeug.

In den feuchten Ecken und um die Schachteln spannten sich dicke Spinnweben. Es war ein abgelegener, modriger Ort.

Nachdem er mehrere Minuten lang herumgestöbert hatte, fand Kenny eine Spule Bindedraht und hob sie mit einem triumphierenden Grinsen hoch. Tote Käfer und Schaben hingen davon herab.

Kenny verließ das Gartenhäuschen mit der Bindedrahtspule in einer Hand. Dann winkte er Jonathan heran. Er trippelte barfuß über den öligen Morast und das spärliche Gras wie jemand, der über heiße Kohlen geht. Jedes Mal, wenn er den linken Fuß aufsetzte, zuckte er zusammen und sog die Luft ein.

Während sie zum Haus liefen, gab es ein paar Momente, in denen sie theoretisch von der Straße aus hätten gesehen werden können – durch die Haselbäume hindurch in einer Folge von Standbildern, wie bei einer Wundertrommel. Aber Kenny musste das Risiko eingehen. Er war schwach und müde.

Wenn Jonathan sich entschlossen hätte wegzurennen, hätte Kenny nicht die Kraft gehabt, ihm noch einmal hinterherzujagen. Aber Jonathan rannte nicht weg. Sein Gang war schlurfend und gebrochen, er ließ den Kopf tief hängen.

Sie traten ins Haus, als hätte es sie angezogen, um die Dinge zu Ende zu führen.