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Kenny hielt Jonathan auf. Er nahm ihn am Ellbogen und flüsterte: »Bleib hier.«

Er ließ Jonathan im hintersten Zimmer zurück und ging mit ungewohnt leichten Schritten zur Eingangstür.

Draußen stand ein sehr kräftiger Mann mit schütterem Haar, dessen linke Hand in einem schmutzigen Verband steckte und der feine Spritzer von etwas, das wie Blut aussah, auf der breiten Stirn hatte.

»Kenny Drummond?«

»Ja.«

»Darf ich reinkommen?«

Kenny sah zu ihm auf und fühlte sich sehr klein. »Tut mir leid, aber es passt gerade nicht sehr gut.«

»Mein Name ist Paul Sugar. Ich bin ein Freund von Pat Maxwell.«

»O, ach so. Sie sind der, der das Haus bekommt.«

»Genau. Also, kann ich reinkommen?«

»Ich möchte nicht unhöflich sein, aber: Nein.«

»Na ja, ich fürchte, ich muss aber. Unbedingt.«

Paul überragte ihn auf bedrohliche Weise. Er schien keinen Widerspruch zu dulden.

»Also gut«, sagte Kenny und machte einen Schritt zur Seite.

Paul betrat das Cottage, wobei er den Kopf einziehen musste. Er brachte etwas mit herein. Kenny wusste nicht, was es war.

Paul sah sich um. Es war das natürliche Verhalten eines gespannten neuen Besitzers, der ein Haus zum ersten Mal betritt – aber Kenny wusste, dass Paul sich nicht nur umsah: Er beurteilte, registrierte, prüfte Eingänge und Ausgänge.

Das Haus war still. Kenny konnte Jonathan spüren, leise wie eine Katze im hintersten Zimmer.

Also führte er Paul ins Atelier. Sie stellten sich unter das blütenstaubbedeckte Glasdach; es machte das Licht weicher und verlieh dem Raum einen nostalgischen Ton.

Paul sah sich anerkennend um. Kenny ließ die Hände in den Taschen, um sie ruhig zu halten. Er fragte: »Was hat Pat gesagt?«

»Weniger, als Sie vielleicht glauben. Sie ist Ihnen eine treue Freundin, die Gute. Sie hat ein gutes Herz.«

»Ich weiß.«

»Also, Kenny, die Sache ist die: Ich brauche Geld.«

»Wie bitte?«

»Ich brauche heute zweitausend Pfund. Fünf wären noch besser. Auf den Rest kann ich warten. Zumindest eine Weile.«

»Ich hab keine zweitausend Pfund. Ich hab gar kein Geld. Sehe ich etwa aus, als hätte ich Geld?«

»Verkaufen Sie ein Bild.«

»Ha!«

Kenny betrachtete die Bilder an den Wänden, auf den Staffeleien. Pauls Anwesenheit hatte sie beschädigt, wie Licht ein Negativ beschädigt.

Paul sagte: »Ich schäme mich. Ich wünschte, ich könnte sagen ›kein Problem‹ und nach Hause gehen. Aber sehen Sie das hier?« Er hob seine verletzte Hand. »Beim nächsten Mal tun sie mir was noch Schlimmeres an.«

»Wer?«

»Gewisse Leute. Es tut mir leid, aber deswegen gehe ich nirgendwohin, bis Sie mir nicht Geld gegeben haben.«

Kenny fuhr sich mit der Zunge über die Zähne.

Paul sprach weiter: »Sie und ich, wir wissen beide – wenn ein Mensch bis zum Hals drinsteckt, dann tut er Dinge, die er nicht für möglich gehalten hätte, dann erst merkt er, wozu er fähig ist. Und ich bin verzweifelt, Kenny. Ich stecke noch viel, viel tiefer drin als bis zum Hals.«

Kenny fühlte sich klein wie ein Kind und zerbrechlich in der Gegenwart dieses Mannes. »Ich hab das Geld nicht. Mein Konto ist überzogen. Ich hab noch den VW, den könnte ich verkaufen, wenn Sie wollen. Aber Sie müssten ihn gründlich sauber machen, und Sie würden nicht mehr als ein paar Hundert dafür bekommen. Er ist ein Klassiker, aber niemand kauft irgendwas zurzeit. Wir befinden uns in der Rezession.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Hat Pat Sie hergeschickt? Hat sie Ihnen gesagt, ich hätte Geld?«

»Nein. Ich hab Ihnen doch gesagt, sie ist Ihnen eine treue Freundin.«

Kenny betrachtete die Blutspritzer auf Pauls Stirn.

Paul sagte: »Gut, ich mache jetzt Folgendes. Ich rufe bei der Polizei an. Und ich sage, was Sie getan haben.«

»Ich habe gar nichts getan.«

Paul sah Kenny an und grinste. Dann griff er in seine Tasche und holte sein Handy heraus. Es sah lächerlich klein aus in seiner Hand.

Kenny dachte an Mary und Stever. Er beobachtete Paul Sugar, diesen Mann mit der blutbefleckten Stirn und den leuchtend blauen Augen.

Er sagte: »Machen Sie, was Sie wollen, rufen Sie bei der Polizei an. Dann bekommen Sie das Cottage eben nicht. Dieses Haus ist weit mehr wert als zweitausend Pfund.«

»Nicht, wenn ich heute keine zweitausend Pfund bekomme – dann nicht. Geld nützt einem nichts, solange man es nicht ausgeben kann.«

Kenny nahm die Hände aus den Taschen und zuckte mit den Schultern. »Wenn ich nicht kann, kann ich eben nicht.«

Paul verschränkte die massigen Arme und stellte sich breitbeinig hin. Er neigte den Kopf wie ein besorgter Arzt. »Wie lange haben Sie noch?«

»Ich weiß nicht. Eine oder zwei Wochen.«

Paul machte ein bedauerndes Gesicht. »Das ist viel zu lang für meine Zwecke.«

Er streckte die Finger seiner gesunden Hand. Dann machte er einen Schritt nach vorne, packte Kenny und nahm ihn in den Schwitzkasten.

Kenny trat um sich. Dinge fielen um: Staffeleien und Gläser und gestapelte Bilder. Kenny bohrte die Nägel in Pauls Haut, zerrte an seinen Kleidern.

Paul zog den Ellbogen fester an, und Kennys Blickfeld begann rot und an den Rändern schwarz zu werden. Er zerrte und kratzte an Pauls sommersprossigem Fleischerunterarm.

Er konnte spüren, wie seine Finger schwächer wurden und er die Kontrolle verlor. Seine Beine gaben unter ihm nach, knickten weg wie die eines Giraffenbabys.

Paul kniete unter Kennys Gewicht nieder, als er zusammenbrach, hielt ihn aber weiterhin und noch fester im Schwitzkasten.

Kenny konnte Pauls muffige Kleider riechen, den Eiter und das Desinfektionsmittel an seiner verbundenen Hand.

Paul stöhnte, während er noch fester zudrückte.

Kennys Blickfeld schrumpfte auf einen strahlenden Endpunkt zusammen.