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Drei Tage später trafen sich Pat und Paul Sugar noch einmal in demselben Café. Er gab ihr die Informationen. Als Gegenleistung steckte sie ihm einen Umschlag mit zweihundertfünfzig Pfund in bar zu.

Der riesenhafte Paul war zerknirscht, er hatte Mitgefühl. »Was soll ich sagen? Es tut mir leid. Das ist eben der Lauf der Dinge.«

Nachdem er gegangen war, stopfte Pat die Informationen, auf einem DIN-A4-Blatt zusammengefasst und ausgedruckt, in ihre Handtasche.

Sie schaute kurz im King’s Head vorbei, wie in alten Zeiten, und trank schnell einen Jameson-Whiskey.

Niemand erkannte sie.

Mit den zweihundertfünfzig Pfund in der Tasche parkte Paul Sugar hinter seiner Detektei P. Sugar Private Investigations Ltd., die gegenwärtig drei Räume über einer chemischen Reinigung in der Fishpond Road belegte.

Bevor er hineinging, nahm er einen Zwanziger aus dem Umschlag und machte einen Abstecher in die Apotheke. Er kaufte eine Packung Imodium, eine Flasche Pepto Bismol und eine Tube einprozentige Hydrocortisonsalbe.

Zwei Imodium-Tabletten warf er gleich auf der Straße ein und schluckte sie mit finsterem Blick schnell hinunter, damit sie sich nicht auf seiner Zunge auflösen konnten, sodass er sie noch bis Weihnachten schmeckte. Dann schleppte er sich hinauf ins Büro.

Er hatte Steph, seine persönliche Assistentin und einzige verbleibende Mitarbeiterin, damit beauftragt, die Telefone zu überwachen, obwohl er keine Anrufe erwartete. Die Woche war ruhig gewesen. Der Monat war ruhig gewesen. Das Jahr war ruhig gewesen.

Ein stummer Blick von Steph, die an ihrem Schreibtisch in der Heat las, bestätigte, dass während seiner kurzen Abwesenheit keine Wunder geschehen waren.

Paul wusste nicht, was der Grund für diese Totenstille war. Aber was immer es war, es machte ihn fertig.

Um nicht pleitezugehen, hatte er vorigen Herbst all seine bösen Vorahnungen beiseitegeschoben und den absoluten Notfallplan in die Tat umgesetzt: Er hatte eine ehemalige Klientin erpresst, die reichste, die je seine Dienste in Anspruch genommen hatte. Er bot ihr an, die Fotos von ihrer Tochter in den nächsten paar Jahren nicht ins Internet zu stellen.

Die Klientin hatte geweint. Paul saß da, schämte sich und wollte ihre Hand nehmen oder sonst irgendetwas tun. Schließlich fasste sie sich und spuckte ihm ins Gesicht. Danach gab sie ihm so viel Geld, dass er ein halbes Jahr lang seine Miete und weitere Kosten begleichen konnte, wenn er sparsam lebte.

Und er bezahlte mit seiner Gesundheit: Paul bekam Migräne, und der Ausschlag aus seiner Kindheit kehrte zurück. Er äußerte sich in rauen, zinnoberroten Stellen an den Innenseiten seiner Handgelenke, Ellbogen und Knöchel, nässenden Flecken auf der Brust, einem schuppigen, feuchten Bereich in der Schamhaargegend.

Die letzten drei Male, als Paul mit einer Frau ins Bett ging, musste er seinen Schwanz durch den Schlitz seiner Unterhose stecken. Ihm war bewusst, dass es auf der Welt nicht viel gab, was weniger sexy aussah als eine glänzend rosafarbene Erektion, die aus dem Eingriff in der Unterhose eines fetten Mannes hervorschaute. Aber was sollte er machen?

Die Erpressung hatte P. Sugar Private Investigations Ltd. zeitweilig über Wasser gehalten, aber Paul fuhr immer noch im Leerlauf. Woche um Woche sah er die Summe schmutzigen Geldes stetig schwinden, und er fühlte sich stetig schlechter.

Dann stotterte und starb der Motor seines Unternehmens ganz und Paul trieb hilflos umher, weil er nicht wusste, was er sonst machen konnte.

Er fürchtete sich davor, den absoluten Notfallplan noch einmal auszuführen; er glaubte, der Selbsthass könnte ihn umbringen. Also stattete er dem Kredithai Edward Burrell einen Besuch ab.

 

Zum Zeitvertreib schnitt Edward Burrell immer noch Haare – zum halben Preis für Senioren, montags bis donnerstags, zum halben Preis für unter Zehnjährige, die fürs Stillsitzen einen Lolli bekamen. Waschen, Schneiden und Föhnen ab 7,50 Pfund. Lesben ließen sich dort Bürstenschnitte verpassen.

Aber er war schon vor der Watergate-Affäre ein Shylock gewesen. Paul kannte ihn seit Jahren und hatte sogar schon für ihn gearbeitet. Deshalb erklärte Burrell sich bereit, ihm zwanzigtausend Pfund zu leihen, von denen jeder Penny sich verflüchtigte wie das Verlangen nach einem Orgasmus.

Paul steckte bis zum Hals in den übelsten Schulden. Er überlegte, sich irgendwohin abzusetzen. Aber er tat es nicht, weil er es sich nicht leisten konnte.

Also fuhr er zu Edward Burrell nach Hause und entschuldigte sich – das Geld war knapp, die Zeiten hart. Er berief sich auf ihre langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft.

Zwei von Burrells Söhnen warfen Paul in den Laderaum eines Commer-Vans und fuhren ihn an ein stilles Plätzchen, wo sie ihn ungestört und in aller Ruhe zusammenschlugen.

 

Paul verkaufte sein Auto, um die nächste Rate zahlen zu können, und ersetzte es durch einen siebzehn Jahre alten Honda Accord, der ihn fünfundsiebzig Pfund kostete. Paul war fünf Nummern zu groß dafür. Er quetschte sich hinters Steuer wie ein Elefant in einem Zeichentrickfilm.

Er lag nachts wach und kratzte sich, während seine Schulden bei Edward Burrell sich still vermehrten und sich ausbreiteten wie Frost auf einer Fensterscheibe.

Während er sich Hydrocortison auf die nässende Haut zwischen den Brustwarzen schmierte, grübelte er darüber nach, was er tun musste, um sich von diesen Qualen zu befreien.

Er fragte sich, wie lange man sich für eine Tat schämen konnte, die man begangen hatte, weil es keinen anderen Ausweg gab. Es musste doch irgendwann aufhören, oder?

Er zählte die schlimmsten Dinge auf, die er je getan hatte, und versuchte sich daran zu erinnern, wie lange er sich wegen der allerschlimmsten davon wirklich schlecht gefühlt hatte. Nach sorgfältigem Überlegen landete er bei einem Maximum von fünf Jahren.

Das schien plausibel. Es bedeutete eine Menge Imodium Plus und eine Menge Hydrocortisonsalbe und eine Menge Selbstverachtung, wenn man in den Spiegel sah. Aber es war weit besser als die Alternative.

Paul wusste, dass er es schaffen würde – koste es, was es wolle.

Während er sich die Brust kratzte, konnte er sich ins Gesicht sehen und eine eigenartige Würde spüren – er wusste, dass seine Zeit kommen würde, dass sie auf ihn zuraste wie eine Lokomotive durch einen langen Tunnel. Er musste sie nur erreichen, aufspringen und sich nicht auf die Schienen schleudern lassen, wenn sie vorbeifuhr.