1986
Dicht lag der Nebel, in dessen Schutz die schattenhafte Gestalt nun durch das Gelände huschte. Wissend, im Geräteschuppen alles Notwendige zu finden, da sie es zuvor dort deponiert hatte, machte sie sich so leise wie irgend möglich an der alten Holztür zu schaffen. Sie gab anfangs keinen Millimeter nach, dann plötzlich fiel sie knarrend auf. Einen kurzen Moment innehaltend sah sich der Mörder um und lauschte in die Nacht hinein. Niemand schien etwas gehört zu haben, denn es regte sich nichts. Kein Wunder, dachte er boshaft, die einzigen die etwas hätten hören können, lagen in ihrem eigenen Blut im Salon des stolzen Chalets. Etwas unbeholfen schlüpfte er in den Schuppen und kam kurz darauf wieder heraus. Das lange Seil aufgewickelt in der Hand, Feuerholz unter dem Arm und eine schwere Abdeckplane über der Schulter, kehrte der Mörder zurück zum Haupthaus.
Ohne auch nur ein Anzeichen von Reue oder Mitleid sah er auf die beiden Leichen herab, die aus starren leeren Augen zurückglotzten. Ohne die Lieder niederzudrücken machte er sich an die Arbeit. Er zog die beiden nebeneinander, drapierte das Feuerholz darüber, wickelte alles mit einiger Mühe in den Plastik, band das Seil um beide Körper und schnürte die Enden so fest, dass genügend übrig blieb, um sich das Seil über die Schulter zu legen. Dann begann er zu ziehen. Es dauerte eine Weile, bis die schlaffen Körper nachgaben und sich aus dem Haus in die eisige Nacht mitschleifen liessen. Zurück blieb nur eine blutrote Spur im Schnee.
Draussen hievte der Mörder seine Opfer schliesslich auf einen grossen, mit Kuhleder überzogenen Holzschlitten, den er hinter dem Schuppen deponiert hatte, und zurrte sie mit der überschüssigen Schnur fest. Begegnete ihm wider Erwarten jemand, so würde derjenige seine Ladung für einfaches Brennholz handeln.
Sich seine Erfahrung als Bergsteiger zunutze machend schleppte der Mörder sich und seine Last Schritt für Schritt aus dem Dorf hinaus und in die Richtung, in der nur das einsame Eis des Gletschers wartete.
Die Sterne hinter den dichten grauen Wolken begannen bereits zu verblassen, als die Kraft langsam nachzugeben drohte und die Kälte unter dem dünnen Schweissfilm an den Knochen zu nagen begann. Die verbissene Entschlossenheit, den Plan bis zum Ende durchzuziehen, schien aber eine Quelle des Antriebs zu sein, die den Mörder und seine beiden Opfer noch einen weiteren Kilometer über das friedvolle Weiss des Gletschers trieb, bis eine dunkle Vertiefung gefunden war, die als Grab geeignet schien. An die nach sich gezogenen Spuren brauchte man keinen Gedanken zu verschwenden, denn während des Aufstiegs hatten tausende emsige Schneeflocken lautlos begonnen, alle Beweise unter sich zu begraben. Nach erneutem erheblichem Kraftaufwand glitten die leblosen Körper über die Kante. Den Halt des sicheren Bodens verloren, stürzten die seelenlosen Hüllen in die unbekannten Tiefen, um schliesslich im Schlund des Gletschers zu verschwinden und die letzte Ruhe zu finden. Dann richtete sich der Mörder auf, entledigte sich seines blutigen Umhangs und machte sich an den Abstieg.
Der neue Morgen dämmerte, als einige Wanderer den Weg eines fröhlich pfeifenden Bergsteigers kreuzten, der die Hand beschwingt zum Gruss erhob. Freundlich grüsste die Gruppe einstimmig zurück, schlängelte sich nichtsahnend an dem Bergsteiger vorbei, ohne zu bemerken, dass an den Spitzen der am Rucksack befestigten Steigeisen frisch getrocknetes Blut klebte.