♦ ACHTUNDSECHZIG

Blake Jackson stellte angenehm überrascht fest, wie sehr er die Bühnenshow genoss. Baby sang so viel besser, als er erwartet hatte, besonders den Titel Hopelessly Devoted. Das war umso eindrucksvoller, als sie erst anlässlich der Generalprobe zur restlichen Besetzung gestoßen war. Die meisten Proben hatte sie notgedrungen allein in ihrer Gefängniszelle absolviert, was für die übrigen Insassen lästig gewesen sein musste.

Auch schien die gesamte Besetzung mit der Baby-Situation außergewöhnlich gut zurechtzukommen.

»Weißt du, das ist viel besser, als ich gedacht habe«, flüsterte Blake Alexis Calhoon ins Ohr.

Sie beide hatten einen eigenen Tisch ganz hinten im Saal. Calhoon trug ein elegantes schwarzes Abendkleid, das ihre Weiblichkeit betonte – Jackson hatte sie noch nie so gesehen. Er selbst steckte in einem traditionellen schwarzen Abendanzug. Ihre Ankunft auf dem roten Teppich hatte sich als unerwarteter Höhepunkt erwiesen und ihm einen Geschmack davon vermittelt, was es bedeuten musste, berühmt zu sein.

Bei seinem einzigen früheren Besuch des Theaters hatte er in einer der vielen Sitzreihen Platz nehmen müssen, wo er kaum Beinfreiheit genoss. Auf Calhoons Ersuchen hin hatte man für sie beide einen speziellen Tisch am Ende des Zwischengangs aufgestellt, der sich durch die Mitte des Theaters zog. Vor ihnen breiteten sich ungefähr fünfzig Sitzreihen aus, und jeder einzelne Platz war besetzt. Die Premiere der Show war eindeutig ein Erfolg.

»Babys Gesang ist tadellos«, bemerkte Calhoon. »Sie hätte wirklich als Sängerin Karriere machen können.«

»Stimmt schon. Doch ich halte das Mädchen, das Marty spielt, für besser. Sie hat unglaubliche Power.«

»Sie wird bei allen übrigen Aufführungen die Sandy übernehmen.«

»Dann sehe ich mir die Show vielleicht noch mal an«, sagte Jackson. »Sie ist toll.«

Ein Mann in schwarzem Lederanzug, der einen Platz direkt am Gang in der letzten Reihe hatte, drehte sich um und schaute, wer hier während der Vorstellung redete. Er trug eine Sonnenbrille, was in einem Innenraum irgendwie merkwürdig schien, und er sah ganz wie Elvis Presley aus. Er funkelte Jackson über die Sonnenbrille hinweg an.

»Würdest du bitte verdammt noch mal die Klappe halten?«, knurrte er. »Einige von uns versuchen, der Show zu folgen.«

Als sich der Mann wieder zur Bühne umdrehte, flüsterte Jackson Calhoon erneut ins Ohr: »Der ist aber empfindlich, was?«

Calhoon gebot ihm zu schweigen und deutete zur Bühne. »Sieh mal, was Baby jetzt mit der Zigarette anstellt. Das ist richtig cool.«

Die Show neigte sich dem Ende zu, und Baby trug eine schwarze Jacke zu einer engen schwarzen Hose, das passende Kostüm für den Song You’re The One That I Want. Sie hielt eine Zigarettenschachtel in der Hand, zog einen Glimmstängel mit den Zähnen heraus, und zum Erstaunen aller Zuschauer entzündete sich die Zigarette wie von selbst, als Baby daran zog.

»Wow!«, sagte Jackson und widerstand dem Impuls zu applaudieren, denn das hätte den Elvis-Doppelgänger vor ihm wieder stinkig machen können. »Das ist gut! Ich frage mich, wie sie das gemacht hat.«

Calhoon flüsterte ihm ins Ohr: »Einer meiner Leute hat es ihr gezeigt.«

»Einer deiner Leute? Welcher?«

»Still, sie singen gleich wieder. Ich liebe diesen Song!«

Die ganze Darstellertruppe legte mit dem Song You’re The One That I Want los. Das war sehr eindrucksvoll, mit toller stimmlicher Leistung von Baby und Danny Zuco, ergänzt um einige gut choreografierte Tanzsequenzen.

Auf halbem Weg durch das Lied forderte Danny das gesamte Publikum auf mitzusingen, und eine Menge Leute sprangen auf und tanzten los. Blake Jackson hatte so viel Spaß, dass er ganz vergessen hatte, warum er hier war. Und er hatte Joey Conrad und den Roten Irokesen vergessen.

Er war so abgelenkt, dass er nicht einmal bemerkte, wie Joey das Theater betrat, bis der direkt an ihm vorbeiging. Joey trug seine rote Lederjacke, und obwohl er nicht die gelbe Schädelmaske aufgesetzt hatte, wusste Jackson sofort, wer er war. Joey ignorierte Jackson und Calhoon und ging durch den Zwischengang zur Bühne.

»Heiliger Bimbam!«, sagte Jackson. »Ist das Joey Conrad?« Er stand auf, um jemanden zu suchen, der Joey festnahm.

»Setz dich, Blake«, sagte Calhoon.

»Wie bitte?«

Elvis drehte sich erneut um und beugte sich über die Stuhllehne. »Sie hat hinsetzen gesagt, du Depp.«

Jackson setzte sich widerwillig, um Zoff mit Elvis zu vermeiden, den es förmlich danach zu jucken schien, ihm eine zu pfeffern. Zu Jacksons Überraschung war Alexis Calhoon sitzengeblieben und schien vom Eintreffen Joey Conrads nicht im Mindesten erschüttert.

»Alexis, was geht hier vor?«, fragte er.

»Sieh dir einfach weiter die Show an«, sagte sie.

Joey Conrad folgte dem Zwischengang, bis er die Bühne erreichte. Er blieb wenige Meter davor stehen und blickte zu Baby hinauf. Niemand sonst im Publikum schien ihn zu bemerken, und wenn es jemand tat, schien es ihn nicht zu stören, denn die Darbietung von You’re The One That I Want hielt alle in ihrem Bann.

Baby entdeckte Joey nicht gleich. Erst nachdem sie einem komplizierten Tanzschritt folgend im Kreis gewirbelt war, sah sie ihn. Sie hörte inmitten eines Soloabschnitts auf zu singen. Ein strahlendes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus, und sie stürmte zum Rand der Bühne. Joey breitete die Arme aus und lud Baby so zum Sprung ein. Sie zögerte nicht und sprang von der Bühne, und er fing sie in seinen Armen auf. Sie schlang ihm die Beine um die Hüften, und die beiden küssten sich leidenschaftlich, sehr zur Verwirrung des halben Publikums, während die andere Hälfte klatschte und johlte und dabei von der Annahme ausging, es handele sich um eine neue Wendung im ursprünglichen Ende von Grease.

»Das ist einfach furchtbar«, fand Jackson. »Das ist eher Dirty Dancing als Grease. Was für eine Farce!«

»Du bist noch nicht schlau daraus geworden, wie?«, fragte Calhoon fröhlich.

Jackson war wütend, nicht nur, weil Joey Conrad aufgetaucht war und sich an den Sicherheitsvorkehrungen vorbeigeschlichen hatte. Die Show war ebenfalls ruiniert, dabei hatte Jackson sie genossen.

»Mal im Ernst, Alexis, was geht hier vor?«, zeterte er und stand erneut auf. »Wie konnte er sich an all deinen Leuten vorbeidrücken?«

Er wartete nicht auf ihre Antwort. Es wurde Zeit, zu gehen und einige der Undercover-Agenten zu finden, die sich im Theater verteilt hatten. Er lief Richtung Ausgang, nur um den Weg von einem großen, komplett in Jeans gekleideten Hells Angel versperrt zu finden, der einen Stetson trug. Rodeo Rex war Joey ins Theater gefolgt, und er sah ganz danach aus, als ob er es ernst meinte. Jacksons Instinkte verrieten ihm, dass er in Schwierigkeiten war. Er wandte sich in die Gegenrichtung, nur um zu bemerken, dass ihm der Bourbon Kid jede Möglichkeit verwehrte, durch den anderen Ausgang zu fliehen.

Überall breitete sich inzwischen Verwirrung aus. Die Besetzung von Grease bemühte sich verzweifelt darum, die Show zusammenzuhalten, auch wenn die weibliche Hauptrolle derzeit mit Joey im Gang rummachte. Das Publikum war zu Buhrufen übergegangen. Und um die Lage für Jackson zu verschlimmern, stand Elvis von seinem Stuhl auf. Er packte Jackson am Arm. Es war ein sehr fester Griff. Elvis hob seine Jacke an und zeigte so eine Schusswaffe, die er im Hosenbund stecken hatte.

»Komm schon, Kumpel, gehen wir mal eine Runde spazieren«, sagte Elvis.

Jackson schluckte schwer, blickte zu Calhoon hinüber und fragte erneut: »Was geht hier vor?«

»Ich weiß, dass du es warst, Blake«, antwortete Calhoon.

»Was?«

Calhoon stand auf und trat auf ihn zu. Sie tätschelte ihm die Schulter. »Du hast Dorothy vergessen«, sagte sie.

»Wen?«

»Mrs. Landingham, weißt du noch? Sie hatte sich in einem Panik-Raum eingeschlossen, als Frankenstein in ihrem Haus auftauchte. Ich habe sie neulich besucht, und sie erzählte mir, dass du den Champagner für den großen Tag besorgt hast.«

Jackson hatte auf einmal das Bedürfnis, sich zu übergeben. Sein Magen verkrampfte sich, und sein Mund wurde beunruhigend schnell trocken. Sein Herz jagte, der Verstand bewegte sich mit einer Million Meilen pro Stunde, um einen Ausweg aus der gefährlichen Zwangslage zu finden, in der er sich hier wiederfand.

Er versuchte, Elvis abzuschütteln. »Du kommst hier nicht lebend heraus«, drohte er. »Ich habe draußen überall meine Leute. Das Gebäude ist umstellt.«

»Nee, isses nicht«, entgegnete Elvis.

Calhoon schien sich in ihrem Triumph zu aalen. Sie tätschelte Jackson auf äußerst herablassende Art die Wange. »Ich hab alle deine Leute nach Hause geschickt«, sagte sie und lächelte dabei.

Wie Jackson wusste, bestand seine einzige Chance darin, Reißaus zu nehmen, aber er war nicht stark genug, um sich aus Elvis’ Griff zu befreien. Mit Hilferufen erreichte er auch nichts, denn die würden in den Buhrufen des Publikums untergehen, die mit jedem Augenblick lauter wurden, da die Leute bemerkten, dass die Show ruiniert war.

»Beruhige dich«, sagte Calhoon. »Diese Leute bringen dich nicht um.«

Jackson holte tief Luft. Obwohl er einsah, dass ihm ernste Unannehmlichkeiten bevorstanden, erleichterte es ihn ungeheuer, dass wenigstens sein Leben nicht in Gefahr war.

»Oh, Gott sei Dank!«, seufzte er erleichtert.

»Das war nur ein Scherz«, sagte Calhoon höhnisch. »Natürlich bringen sie dich um.«

Elvis, Rodeo Rex und der Bourbon Kid führten Jackson aus dem Theater. Calhoon war klar, dass sie keinem der Dead Hunters je wieder begegnen würde. Und falls sie Blake Jackson jemals wiedersah, dann auf seiner Beerdigung. Sie hatte keine Ahnung, was aus Baby und Joey Conrad wurde, aber sie hoffte, dass sie gemeinsam glücklich wurden, vielleicht in Neuseeland.

Drei Killer für ein Halleluja
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