♦ SECHSUNDFÜNZIG
Devon & Baby
Devon betrachtete das Massaker im Speisesaal. Überall sah er umgestürzte Tische und Stühle. Vergiftete Gäste lagen übereinander oder unter den Tischen. Und dann waren da noch die Erschossenen. Frankenstein hatte jeden einzelnen der Menschen umgebracht, die sich zuvor glücklich geschätzt hatten, nicht von dem vergifteten Champagner getrunken zu haben. Der absolut einzige Überlebende auf dem Parkett des Saals war der Papst, der bewusstlos hinter einem umgestürzten Tisch und somit außerhalb von Frankensteins Blickfeld lag, die Soutane über dem Kopf.
Oben auf der Bühne fürchteten Devon und Baby um ihr Leben, ebenso Alexis Calhoon. Der Mann, der über ihr Schicksal entscheiden würde, war Solomon Bennett. Er blickte auf das von ihm organisierte Gemetzel hinab und bewunderte Frankensteins Beitrag zu dem perfekt ausgeführten Plan.
Dr. Jekyll andererseits interessierte sich nur für den Handwagen voller Mistralyt. Zwei der als Kellner verkleideten Schergen halfen ihm, dieses Gefährt von der Bühne und hinaus auf den Parkplatz zu schaffen. Viele weitere kehrten derweil in den Speisesaal zurück, ausgerüstet mit den Waffen der toten Sicherheitsleute, die überall auf dem Landingham-Anwesen herumlagen.
Solomon Bennett trat hinter Devon und befreite ihn mit Hilfe eines kleinen Silberschlüssels von den Handschellen. Es fühlte sich gut an, diese Dinger los zu sein und die Arme wieder bewegen zu können. Es war extrem ungemütlich gewesen, sie so lange auf dem Rücken halten zu müssen. Devon rieb sich die Handgelenke, um die Durchblutung wieder in Gang zu bringen.
»Geht’s besser?«, fragte Bennett.
»Wie zum Teufel glaubst du nur, mit dieser Sache durchzukommen?«, fragte ihn Devon.
»Mühelos«, antwortete Bennett selbstgefällig, »denn ich bin erstaunlich.«
»Du hast hier hunderte unschuldiger Menschen umgebracht!«
»Nein, habe ich nicht. Die Leute, die vom Champagner getrunken haben, sind nur bewusstlos und in ungefähr zehn Minuten wieder auf den Beinen.«
»Was ist mit den Leuten, die keinen Champagner getrunken haben? Die hast du wirklich umgebracht. Welchen Sinn hatte das?«
Bennett lächelte. »Ich freue mich, dass du fragst. Ich fürchte, wir mussten sie töten, damit sie nicht Zeugen dessen werden, was als Nächstes geschieht.«
Devon stellte die Frage, obwohl er ahnte, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. »Und was geschieht als Nächstes?«
Bennett legte ihm einen Arm um die Schultern und deutete auf Alexis Calhoon. Sie stand neben ihnen, in Schach gehalten von einem Schergen, der ihr eine Pistole in den Rücken drückte.
»Devon, es wird Zeit, dass du Alexis ins Gesicht schießt.«
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Aber du hast das Mistralyt! Deshalb bist du doch hier. Du hast gewonnen; du brauchst das nicht zu tun.«
»Das ist richtig«, pflichtete ihm Bennett bei. »Das brauche ich nicht. Aber du sehr wohl.« Er hielt Devon ein Handy vor die Nase und wedelte damit herum. »Sieh mal, ich werde filmen, wie du Calhoon umbringst. Und ehe du ihr ins Gesicht schießt, wirst du der Welt erklären, dass du für sämtliche Morde dieses Tages verantwortlich bist, denn du warst sauer auf Calhoon, weil sie dich suspendiert hat.«
»Ich werde nichts dergleichen tun.«
Bennett seufzte. »Das hatten wir doch schon, Devon.« Er nahm die Hand von Devons Schulter und ergriff Babys Arm. Er riss sie von Devons Seite und stieß sie von der Bühne. Sie landete neben einem Haufen bewusstloser Essensgäste und schrie vor Schmerzen auf, da sie mit den auf den Rücken gefesselten Händen den Sturz nicht hatte abfedern können.
»Du Arschloch!«, knurrte Devon.
»Du hast mich dazu gezwungen«, erwiderte Bennett und rief durch den Saal: »Frankenstein, zeig Devons Tochter, was für eine tolle Verabredung zum Abendessen du bist!«
Frankenstein marschierte auf sie zu und benutzte dabei die Leichen und die bewusstlosen Gäste als Trittsteine. Er packte Baby und zerrte sie vom Boden hoch, dann drehte er sie um, sodass sie mit dem Gesicht zur Bühne stand, und hielt ihr die Uzi seitlich an den Kopf.
Devon funkelte Bennett an. »Du hast mir versprochen, dass Baby nicht verletzt wird!«
»Und ich stehe zu meinem Wort«, sagte Bennett. »Wenn du dich aber nicht aufraffst und General Calhoon tötest, wird Frankenstein das Gehirn deines kleinen Mädchens auf dem Fußboden verspritzen müssen.«
»Das ist krank!«
Bennett tippte auf seinem Handy rum und machte es aufnahmebereit. »Wenn die anderen Gäste wieder zu sich kommen, werden sie sich nicht daran erinnern, mich oder irgendeinen meiner Leute gesehen zu haben. Die einzigen Hinweise auf das, was heute hier geschehen ist, werden in diesem Telefon gespeichert sein.«
»Das meinst du doch nicht ernst?«
»Oh, ich meine das sehr ernst. Die Polizei wird dieses Handy finden und erkennen, dass du für all das verantwortlich bist.«
»Sie werden es niemals glauben.«
»Nun, du wirst nicht mehr am Leben sein, um deine Version der Geschichte zu erzählen. Wer weiß, ob sie es dann nicht doch glauben.«
Bennett zog eine Pistole, die er hinten im Hosenbund stecken hatte, und reichte sie Devon. »Darin steckt eine einzige Kugel«, erklärte er. »Richte die Waffe auf Alexis, halte eine kleine Ansprache, dass du das tust, um ihr eine Lektion zu erteilen. Weil sie dich gefeuert hat. Dann schießt du ihr ins Gesicht. Es ist ein einfacher Plan. Wenn du in irgendeiner Form davon abweichst, wenn du irgendwas verpfuschst, wird Frankenstein deine Tochter umbringen. Mach alles so, wie ich es gerade erklärt habe, und wir lassen Baby laufen, bevor wir dich umbringen.«
»NEIN!«, kreischte Baby.
Tief im Herzen hatte Devon schon die ganze Zeit gewusst, dass es auf so etwas hinauslaufen würde. Den größten Teil der zurückliegenden Stunden hatte er über die Möglichkeiten nachgedacht, die ihm blieben, und war dabei nur auf eine Lösung gekommen: Tun, was Bennett sagt. Nur auf diese Weise erhielt Baby eine Überlebenschance.
»Ich muss das tun, Liebes«, sagte er zu ihr. »Ich habe keine andere Wahl.«
Baby schluchzte und blickte hilflos zu ihm hinauf. Sie hoffte noch immer, dass er eine andere Möglichkeit fand, sie beide zu retten. Betete darum, dass er insgeheim einen Plan hatte, um alles in Ordnung zu bringen. Das war jedoch nicht der Fall.
»Daddy, mach das nicht!«, schrie sie.
Devon starrte auf die Pistole in seiner Hand. Er hatte gerade mal eine Kugel zur Verfügung. Eine Kugel! Was konnte er damit erreichen? Viele Möglichkeiten blieben nicht. Wenn er diesen Schuss auf jemand anderen abfeuerte als Alexis Calhoon, würde Frankenstein Baby umbringen. Er blickte Bennett in die Augen. »Versprichst du, dass du sie laufen lässt?«
»Ich verspreche es. Solltest du aber irgendwas Dummes anstellen, wirst du sie sterben sehen. Und wirst wissen, dass es deine Schuld war.«
Devon blickte Baby ein letztes Mal an und versuchte, sie mit einem warmherzigen Lächeln zu trösten. »Du hast mich stolz gemacht. Ich liebe dich«, sagte er.
Baby schluchzte. »Bitte, tu das nicht!«
Devon holte tief Luft. Er zitterte am ganzen Körper, als ihm auf einmal in vollem Umfang bewusst wurde, was er gleich tun würde. Zum ersten Mal, seit ihm die Pistole ausgehändigt worden war, stellte er Blickkontakt zu Alexis Calhoon her. Sie war von einem der Helfer auf die Knie gedrückt worden, der jetzt ein Stück weit zurückwich, um aus dem Aufnahmebereich von Bennetts Handy zu verschwinden. Man musste ihr zugute halten, dass sie keine einzige Träne vergossen hatte. Die Frau war aus hartem Holz geschnitzt, aber man konnte sehen, dass sie verängstigt war. Sie zitterte. Doch dann blickte sie Devon in die Augen.
»Tu, was du tun musst, Devon«, sagte sie mit bebender Stimme.
Solomon Bennett tat einen Schritt nach hinten und hob das Handy. »Devon, geh dichter an sie heran.«
Devon ging zögernd auf Calhoon zu. Er ragte über ihr auf und richtete die Pistole auf ihren Kopf.
»Das ist perfekt!«, rief Bennett freudig. »Okay, der Mord an Alexis Calhoon. Aufnahme eins. Action!«