SECHSUNDSECHZIG

Die Nacht war hereingebrochen, aber der Garten vor Landingham Manor wurde von den blinkenden blauen und roten Lichtern der zahlreichen Ambulanzen, Polizeiautos und Feuerwehrwagen erhellt, die zum Schauplatz herangerast waren. Dazu kamen hunderte blitzender Kameras und Videoscheinwerfer der vielen Presse- und Medienvertreter, die sich versammelt hatten, um über die möglicherweise größte Story des Jahres zu berichten.

Innerhalb von zwei Stunden hatte die Feuerwehr den Brand so weit unter Kontrolle gebracht, dass er sich nicht weiter ausbreitete. Eine große Menge der Innenausstattung von Landingham Manor war da jedoch schon unwiederbringlich verloren.

Als einzige Überlebende waren Alexis Calhoon und Marianne »Baby« Pincent aus dem Haus getreten. Sie saßen nun gemeinsam an der Tür einer Ambulanz, trugen warme Decken über den Schultern und ließen die Beine baumeln, während sie das Durcheinander vor Ort betrachteten. Calhoon trank Kaffee, wobei sie versuchte, mit allem klarzukommen, was sie erlebt hatte, und zugleich darüber nachdachte, welche Erklärung sie dazu abgeben würde.

Eine lange Abfolge frittierter Leichen war auf Bahren herausgebracht worden, aber bislang sah keine davon auch nur entfernt einem Zombie ähnlich. Nur wenige wiesen noch Hautreste auf, sodass es eine gigantische Aufgabe sein würde, sie zu identifizieren, geschweige denn herauszufinden, ob etwas anderes als Feuer sie umgebracht hatte. Und so wurden sie eine nach der anderen für den Abtransport in die Gerichtsmedizin eingetütet.

Calhoon fand, dass sie noch Glück gehabt hatte, verglichen mit Baby, denn obwohl sie gesehen hatte, wie viele Bekannte und Kollegen ermordet worden waren, konnte sie noch immer zu ihrem Ehemann nach Hause zurückkehren. Baby hatte jedoch niemanden mehr. Ihre Mutter und ihre Schwester waren schon vor vielen Jahren bei einem Hausbrand ums Leben gekommen, und jetzt hatte sie auch den Vater verloren. Was Baby durch den Kopf ging, während Landingham Manor im Hintergrund vor sich hin kokelte, wusste Gott allein.

Calhoon versprach ihr immer wieder, dass alles okay sei und sie bei ihr wohnen konnte, solange sie wollte. Sie hatte Baby auch eingetrichtert, wie wichtig es war, bei derselben Story zu bleiben, wenn Cops oder FBI-Agenten sie befragten. Es handelte sich um eine einfache Erzählung, die im Wesentlichen aus der Wahrheit bestand, drei Dinge ausgenommen: Frankenstein, Dr. Jekyll und die Zombies. Sämtliche Morde sollten den Dead Hunters zur Last gelegt werden.

Es war eine Erleichterung, als das vertraute und freundliche Gesicht Blake Jacksons auftauchte. Er trug einen schweren blauen Mantel, der ihm bis zu den Knien reichte, und einen Filzhut. Es war ein professioneller Trick, wenn man auf einem chaotischen Verbrechensschauplatz einen Hut trug. Das deutete Autorität an und bedeutete im Allgemeinen, dass man Befehle brüllen konnte und die Leute sie befolgten, selbst wenn man nicht wichtig war. Die Menschen respektieren Kopfbedeckungen an Tatorten (auch wenn niemand eine Ahnung hat, weshalb eigentlich). Jedenfalls war Blake Jackson zufällig eine wirklich ranghohe Person vor Ort, und der Hut erleichterte seine Arbeit noch. Er übernahm rasch die Leitung auf dem Schauplatz des Verbrechens und kommandierte die Leute herum. Als er Calhoon und Baby an der Tür der Ambulanz sitzen sah, eilte er zu ihnen herüber. Er brachte es fertig, zugleich besorgt und erleichtert auszusehen.

»Alexis, Gott sei Dank lebst du noch!«, sagte er. »Wie geht es dir?«

»Es ging mir schon besser.«

»Natürlich. Das war eine blöde Frage«, entschuldigte er sich. »Kann ich dir etwas besorgen?«

»Ist schon okay. Wir fahren gleich.«

Jackson verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dass Baby noch nicht gehen kann. Ich muss ihr ein paar Fragen stellen.«

»Welche zum Beispiel?«

»Zum Beispiel, weshalb sie heute in Landingham Manor war, obwohl sie nicht auf der Gästeliste stand.«

Baby blickte zu ihm auf und wischte sich eine Träne von der Wange. »Mein Vater und ich sind entführt und als Geiseln hergebracht worden.«

Jackson schien überrascht. »Entführt?«, fragte er. »Von wem?«

Calhoon antwortete an Babys Stelle. »Von Solomon Bennett!« Sie stand auf und flüsterte ihm ins Ohr. »Blake, warum gönnst du deiner Karriere nicht eine Minute lang eine Pause? Baby hat heute schon genug durchgemacht.«

»Das ist mir klar«, sagte Jackson, »und ich möchte auch nicht als Arschloch auftreten, aber ich halte mich an die Vorschriften, damit es nicht zu weiterem Pfusch kommt.«

Calhoon seufzte. »In Phantom Ops handeln wir nicht nach Vorschrift. Nicht mehr.«

»So einfach ist das nicht«, wandte Jackson ein. »Leider liegt dieser Fall nicht mehr in unserer Hand. Zwei Augenzeugen haben sich gemeldet; sie haben gesehen, wie der Rote Irokese einen Jungen namens Jason Moxy über die Totmannsklippe geworfen hat. Und beide sagen, Baby wäre bei ihm gewesen.«

»Wann soll denn das passiert sein?«

»Vor zwei Nächten. Die Cops haben heute Morgen die Leiche gefunden.«

»Scheiße.«

»Ich weiß«, sagte Jackson mitfühlend. »Überlass die Sache ruhig mir. Es wäre ja alles nicht so wild, aber ich habe gehört, dass du den Feds gesagt hast, der Rote Irokese sei heute hier gewesen und hätte den Papst umgebracht. Da sich Baby nun ebenfalls hier aufhält, bleibt mir nichts anderes übrig, als sie in Gewahrsam zu nehmen.«

Diese neue Information überraschte Calhoon. »Ach, komm schon, Blake, du machst wohl Scherze!«, sagte sie, an sein Mitgefühl appellierend.

Doch Jackson zeigte sich unbeeindruckt. »Ich verspreche dir, dafür zu sorgen, dass man sich um sie kümmert. Das ist wahrscheinlich nur reine Routine. Ich besorge ihr einen Anwalt und achte darauf, dass sie sich nicht selbst belastet, aber vorläufig müssen wir sie in Gewahrsam nehmen.«

Hinter Jackson liefen eine Menge Cops und FBI-Agenten herum. Wenn Jackson Baby nicht mitnahm, bestand die Chance, dass einer von denen letztlich herbeispazierte und mit einem Haftbefehl wedelte.

Alexis versuchte es mit einer letzten Bitte. »Lass sie wenigstens für diese Nacht mit zu mir kommen. Wir gehen sofort.«

Jackson schlug mehr von einem Befehlston an. »Alexis, du musst mir den Weg freigeben. Ich sorge dafür, dass Baby gut behandelt wird und jeden Rechtsbeistand erhält, den sie braucht. Aber ich kann nicht zulassen, dass sie diesen Tatort verlässt ohne Handschellen zu tragen.«

»Okay, gib mir nur eine Minute Zeit mit ihr.«

»Du hast eine Minute, aber dann kehre ich mit zwei Officers zurück.«

Jackson entfernte sich und machte sich daran, einigen Polizisten in der Nähe Befehle zuzubellen. Calhoon setzte sich wieder zu Baby an der Tür der Ambulanz. Sie strich ihr einige verirrte Haare aus dem Gesicht.

»Ich verspreche dir, das in Ordnung zu bringen«, sagte sie beruhigend. »Beantworte keine Frage, bis ich dir meinen Anwalt geschickt habe. Er heißt Bob Sugar. Sag den Cops und den Feds, dass du mit niemandem redest, bis Bob Sugar auftaucht. Er weiß genau, was zu tun ist. Er ist ein echtes Wiesel.«

Baby wirkte entmutigt. Das Letzte, was sie brauchte, war ein Verhör durch Jackson oder die Feds. »Okay«, hauchte sie und senkte wie eine zerbrochene Puppe den Kopf.

»Dein Vater war ein guter Mann, Baby, und ich schulde ihm ein paar Gefallen. Solange ich atme, landest du nicht im Gefängnis, dafür sorge ich.«

Eine Minute später kehrte Blake Jackson mit zwei Militärpolizisten zurück. Einer von ihnen legte Baby vor dem Körper Handschellen an, während der andere ihr die Rechte vorlas. Sie gingen so freundlich an die Sache heran, wie das überhaupt möglich war, aber Alexis Calhoon wurde trotzdem das Herz schwer, als sie zusah, wie Baby zu einem der umstehenden Polizeiautos geführt wurde.

Blake Jackson setzte sich neben Calhoon. »Das tut mir wirklich leid«, sagte er. »Falls irgendeine andere Möglichkeit bestünde … Du weißt schon.«

»Ich weiß.«

Jackson blickte zu den Resten des Hauptgebäudes hinauf. »Also, was genau ist hier eigentlich passiert?«

»Der Rote Irokese und ein paar andere irre Arschlöcher, die sich die Dead Hunters nennen, haben jeden erschossen, einschließlich des Papstes. Dann haben sie das Haus niedergebrannt. Zumindest denke ich, dass es so gelaufen ist. Das meiste habe ich versäumt, weil ich Baby herausgeschmuggelt habe.«

»Was ist aus dem Mistralyt geworden?«

»Sie haben es geklaut, vermute ich mal. Oder vielleicht ist es auch verbrannt. Um ehrlich zu sein, Blake, bin ich dafür im Moment zu müde.«

Jackson tätschelte ihr die Schulter. »Natürlich, tut mir leid, ich wollte dir nicht zusetzen. Soll ich jemanden besorgen, der dich nach Hause fährt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ist okay. Mein Mann ist gleich hier. Er fährt mich nach Hause.«

»Ich wette, du freust dich, ihn nach all dem zu sehen.«

»Oh ja. Es war ein langer Tag.«

Jackson schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Nimm dir eine Zeit lang frei«, sagte er. »Ich kümmere mich für einige Tage um alles. Versuch dich mal richtig auszuschlafen.«

»Danke, Blake.«

Drei Killer für ein Halleluja
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