♦ ZWEI
Rumänien war eines der wenigen Länder in Europa, die zu besuchen Mozart nie geplant hatte. Umstände verändern sich jedoch, und Mozarts Umstände hatten sich in den zurückliegenden zweiundsiebzig Stunden beträchtlich geändert. In den vergangenen vier Monaten hatte er ohne Hoffnung auf Bewährung in einem türkischen Gefängnis gesessen. Dann jedoch befreite ihn aus heiterem Himmel und ohne jede Erklärung ein Mann, dem er nie zuvor begegnet war. Ein Mann, der kaum ein Wort sprach und ganz wie Frankensteins Monster zwei Metallbolzen im Hals trug, einen auf jeder Seite. Und so fand sich Mozart jetzt in Rumänien und in Gesellschaft zweier Männer wieder, die er nicht kannte – der Kerl, der ihn aus dem Knast geholt hatte, und dazu ein gewisser Solomon Bennett.
Solomon Bennett war klein und drahtig, hatte einen Bürstenschnitt graumelierter Haare und Falten im Gesicht, die tiefe Geheimnisse bargen. Ohne die Klappe über dem rechten Auge wäre er nicht besonders auffällig gewesen, was Bennett, wie Mozart vermutete, sicher bevorzugt hätte. Doch die Augenklappe war nun mal vorhanden; und Bennett schien gern zu erzählen, wie er sein Auge vor vielen Jahren im Dienst für sein Land verloren hatte. Mozart sah keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Na ja, jedenfalls nicht stärker, als er an jedem anderen zweifelte.
Auf der Fahrt nach Rumänien hatte Bennett ihm erklärt, warum man ihn aus dem Knast befreit hatte. Und Mozart gefiel, was er da hörte. Bennett hatte eine kleine Armee aus gehirngewaschenen Anhängern um sich versammelt, die ihm in die USA folgen und ihm dort bei einem wagemutigen Einsatz zur Seite stehen würden, bei dem es um jede Menge Mord und Totschlag ging. Für die Muckis sorgte sein riesiger Handlanger Frankenstein. Und dazu kam ein Chemiewaffenexperte, den er Mozart jetzt vorzustellen gedachte. Was er jedoch noch nicht hatte, das war ein Psychopath – jemanden wie Mozart, der unkonventionelle Ideen hatte. Jemanden mit dem richtigen Flair, das bei allen seinen Opfern eine dauerhafte seelische oder körperliche Narbe hinterließ. Und Mozart hatte schon eine Menge solcher Opfer gehabt.
Solomon Bennett beeindruckte Mozart von Anfang an. Er war für einen Mann seines Alters brutal aufrichtig und in perfekter Kondition. Und die Augenklappe verlieh ihm dieses klassische Aussehen eines Comic-Schurken, was Mozart besonders anziehend fand.
Kurz vor Mitternacht trafen sie an einem Lagerhaus in Rumänien ein. Dort war eine Party von kräftigen Männern und spärlich bekleideten Frauen in vollem Gang. Die Menge trank und tanzte zu lauter rumänischer Popmusik.
»Sind das deine Leute?«, schrie Mozart, während Bennett ihn quer durch den Raum zu einer Tür an der Wand gegenüber führte.
»Ja, sie waren früher alle beim Militär«, sagte Bennett. »Keiner von denen bringt jedoch viel Initiative auf. Sie folgen ihren Befehlen, ohne Fragen zu stellen. Das ist auch gut so, aber ich brauche dich, um diese ganzen Muskeln mit einer Spur Gehirnschmalz anzureichern.«
»Der Typ, der mich aus dem Knast befreit hat und wie Frankenstein aussieht, welche Story steckt hinter dem?«
»Eine lange«, antwortete Bennett. »Ein Experiment ist vor einigen Jahren schiefgegangen. Es hat ihm etwas verpasst, was man ein dickes Fell nennen könnte. Er hat jede Menge Muskeln, aber kein Hirn. Ihr beide werdet zusammenarbeiten, sobald wir in Amerika sind. Ich selbst muss im Hintergrund bleiben.«
»Ich vermute mal, dass du mich dafür bezahlst?«
Bennett blieb stehen und musterte Mozart mit dem intakten Auge. »Betrachte es als Anzahlung, dass wir dich aus dem Knast geholt haben. Der Rest wartet auf dich, sobald du mein neues Anwesen in den Staaten erworben hast.«
»Klingt cool«, sagte Mozart und sah sich um. »Aber wenn es dir nichts ausmacht: Ich würde mich wirklich gern flachlegen lassen. Hab eine ganze Weile lang keine Frau mehr gesehen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Das habe ich schon arrangiert. Folge mir.«
Mozart stellte Blickkontakt zu einer dunkelhäutigen Frau her, die kaum mehr als Unterwäsche trug. Sie tanzte wenige Schritte von ihm entfernt ganz für sich. Sie lächelte ihn an und blinzelte ihm zu.
»Ich nehme die da«, sagte Mozart, stupste Bennett an und deutete auf die Frau.
»Das ist Jasmine«, sagte Bennett. »Sie hat schon jedem Kerl hier drin den Arsch geleckt.«
»Sie ist trotzdem süß.«
»Hab Geduld«, riet ihm Bennett. »Ich denke, was ich für dich organisiert habe, dürfte besser zu deinen soziopathischen Neigungen passen.«
Sie erreichten die Tür auf der anderen Seite des Raums. Vor dieser Tür hielt eine muskulöse Frau in den mittleren Zwanzigern Wache, die in militärische Einsatzklamotten gekleidet war. Der ebenso militärische Bürstenhaarschnitt passte zu dem Bennetts, und sie hielt ein Tablett mit einer Flasche Champagner und zwei Kelchgläsern darauf. Bennett nahm ihr das Tablett ab.
»Mozart, das ist Denise«, sagte er. »Du wirst in den nächsten Wochen viel mit ihr zusammenarbeiten. Sie ist unser weiblicher Gorilla und hasst andere Frauen, was nützlich ist, wenn man mal Frauen öffentlich verprügeln muss. Sie kann das machen, ohne dass sich jemand einmischt.«
Denise streckte die Hand aus. »Schön, dich kennenzulernen, Mozart«, sagte sie mit rauchiger Stimme. »Ich bin ein großer Fan deiner Arbeit.«
Mozart schüttelte ihr die Hand. Sie hielt die ganze Zeit den Blickkontakt mit ihm aufrecht. Er hatte so ein Gefühl, dass sie beide noch vögeln würden, ehe die Nacht vorüber war, es sei denn, er konnte vorher etwas mit Jasmine anfangen.
Denise öffnete die Tür, und Bennett führte Mozart in sein Privatzimmer. Es war durchaus keine schicke Bude, wies aber zwei Sofas und einen Fernseher auf. In der Mitte lag ein weißer Läufer in Form eines Eisbären auf dem Fußboden ausgebreitet. Über beide Sofas war je eine Nutte drapiert. Die eine war eine schlanke Blonde im hellroten Kleid; für Mozarts Empfinden ein schlauer Trick, um von dem Umstand abzulenken, dass sie schielte. Die andere war wie ein Wrestler gebaut, und als sie lächelte, wurde deutlich, dass sie vermutlich auch Wrestlerin war, denn ihr fehlten etliche Zähne. Sie hatte kurze braune Haare und Lippenstift im Gesicht verschmiert, was in einem Zirkus nicht deplatziert gewirkt hätte. Und sie trug nichts weiter am Körper als einen schwarzen BH und Slip sowie Strümpfe und Strapse.
Bennett beförderte die Tür mit einem Fußtritt ins Schloss und stellte das Tablett mit dem Champagner auf einen Couchtisch neben der Tür. »Das sind Dorina und Nicoleta«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die beiden Nutten.
Beide Frauen lächelten und winkten Mozart zu. Die Schielende hätte genauso gut jemand anderem zuwinken können, aber Mozart hatte so eine Ahnung, dass sie ihn meinte, also erwiderte er die Gesten beider höflich.
»Ehe wir anfangen, sollten wir Champagner trinken«, regte Bennett an. Er öffnete die Flasche, die Denise ihm gegeben hatte, und schenkte die beiden Kelchgläser voll. Dorina und Nicoleta sprangen auf und hüpften zu ihm herüber. Er reichte jeder von ihnen ein Glas Champagner. »Ladies«, sagte er lächelnd. »Das ist der beste Champagner, den man heutzutage auf der Welt findet. Trinkt aus, dann bringen wir diese Party auf Trab.«
Dorina und Nicoleta nahmen die Drinks dankbar an. Dorina, die dürre Blondine, leerte ihr Glas in einem Zug. Es war schwer zu sagen, ob das irgendeine Wirkung auf sie hatte, denn sie schielte weiterhin. Nicoleta nahm ein paar Schlucke und gab einige wohlwollende Laute von sich, als wäre sie eine Art Feinschmeckerin in Champagnerfragen.
»Uuh, das schmeckt toll!«, fand Dorina, ehe sie lautstark rülpste.
»Absolut«, sagte Bennett. »Warum zieht ihr beide euch jetzt nicht ganz aus? Wir leisten euch gleich auf den Sofas Gesellschaft.«
Mozart war von Bennetts Geschmack in Sachen Frauen nicht sonderlich begeistert. Er wollte schon etwas dazu sagen, als Bennett ihm einen Klaps auf die Schulter gab.
»Also, welche möchtest du?«, fragte er. »Dorina oder Nicoleta?«
Die beiden räkelten sich inzwischen wieder auf den Sofas und lächelten Mozart entzückt an, anscheinend beide von der Hoffnung bewegt, dass er sich für sie entschied. Die Auswahl fiel schwer: dürr und schielend, oder kurvenreich und zahnlos?
Ehe Mozart jedoch seine Wahl treffen konnte, rutschte Dorina zu seiner Überraschung vom Sofa und plumpste auf den Boden. Bewusstlos. Kein Zittern, kein Stöhnen, nur ein lautes dumpfes Klatschen, und sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Eisbärenläufer.
Nicoleta starrte ihre gestürzte Freundin mit offenem Mund an. »Bist du wieder in der Hüfte eingeknickt?«, fragte sie ihre bewusstlose Kollegin. »Na ja, sieht so aus, als hätte ich dann die beiden Typen für mich.«
Sie stand auf und strippte los. Sie war gerade noch dabei, ihren BH zu öffnen, als sie plötzlich und ohne Vorwarnung ebenfalls zusammenbrach. Mit einem dumpfen Schlag landete sie auf Dorina, rollte von ihr herab auf den Rücken und starrte an die Decke.
Mozart war noch nie so erleichtert darüber gewesen, dass zwei Frauen ohnmächtig wurden, hatte aber einen Verdacht, was dazu geführt haben mochte. »Hast du ihnen Drogen gegeben?«, fragte er Bennett.
»Hat perfekt funktioniert, was?«, erwiderte Bennett triumphierend.
»Aber das sind doch Nutten, oder? Man braucht Nutten keine Drogen zu geben, glaub mir.«
»Ich weiß«, sagte Bennett, »aber dieser Champagner ist der Schlüssel zu meinem Plan.«
»Welchem Plan?«
»Das erkläre ich dir später. Ich wollte dir nur zeigen, wie es funktioniert.«
Die Tür zum Privatzimmer ging auf, und Denise trat ein, begleitet von einem Mann in einem langen weißen Kittel. Er war drahtig gebaut und hatte eine irre rote Dauerwelle, was ihn aussehen ließ, als litte er unter den permanenten Nachwirkungen eines Stromschlags.
»Es hat also geklappt«, stellte er grinsend fest.
»In weniger als dreißig Sekunden«, sagte Bennett.
»Wer zum Teufel ist dieses Arschloch?«, fragte Mozart, der keine Freude an dem Gedanken hatte, dass hier ein Streich gespielt wurde, in den er nicht eingeweiht war.
»Das ist Dr. Henry Jekyll«, sagte Bennett. »Oder, wie ich ihn gern nenne, der Irre Doktor.«
»Hast du Dr. Jekyll gesagt?«
Denise nahm Mozarts Hinterbacken fest in den Griff und flüsterte ihm ins Ohr: »Komm mit mir, Soldat. Ich erkläre dir alles.« Dann nahm sie seine Hand und führte ihn hinaus in die Partyzone.
»Was ist hier los?«, fragte Mozart. »Erst befreit mich Frankenstein aus dem Knast, und jetzt betäubt Dr. Jekyll Nutten für mich!«
Denise reichte ihm eine Flasche Bier. »Trink das. Sehen wir zu, dass wir uns besaufen, und dann verpasse ich dir den Monsterfick deines Lebens. Danach erzähle ich dir alles über Frankenstein und Dr. Jekyll.«
Mozart gefiel die Idee, Denise zu vögeln, viel besser als die, es mit einer der beiden Nutten zu treiben. Doch immerhin war er seit längerer Zeit mit keiner Frau mehr zusammen gewesen, und so sah er sich im Raum um, bis er erneut das dunkelhäutige Mädchen Jasmine erblickte. Sie war nach wie vor solo.
»Warum machen wir daraus keinen flotten Dreier?«, schlug er Denise vor.
»Mit wem?«
»Dem indisch aussehenden Mädchen da drüben.«
Denise wusste sofort, von wem er sprach. »Du meinst Jasmine? Sie ist im Grunde Amerikanerin.«
»Amerikanerin? Weshalb zum Teufel arbeitet sie dann als Nutte in Rumänien?«
»Willst du sie nun oder nicht?«
Mozart nahm einen Schluck Bier. Es schmeckte gut. Er umfasste Denises Hinterkopf und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Holen wir sie uns«, sagte er.
Im Hinterzimmer war Dr. Jekyll indessen begeistert davon, wie gut seine Champagnerdroge funktioniert hatte. Solomon Bennett zeigte sich nicht ganz so erfreut.
»Für mich ist es wichtig, dass es mindestens eine Minute dauert, ehe sie wegtreten«, sagte er, packte Dr. Jekyll am Hals und drückte fest zu. »Mindestens eine Minute, doch nicht mehr als zwei. Kapiert?«
»Ja, Boss, natürlich.«
»Gut, denn diese beiden Schnallen waren innerhalb von dreißig Sekunden ohnmächtig. Das muss länger dauern.« Bennett löste den Griff um Jekylls Hals und tätschelte ihm die Wange. »Zurück an die Arbeit, Doktor. Ich schließe mich derweil der Party an.«
Kaum hatte Bennett den Raum verlassen, da lief Jekyll zu den beiden bewusstlosen Frauen hinüber. Die dünnere der beiden rührte sich inzwischen. Er stellte eine Veränderung in ihrem Gesicht fest. Etwas geschah mit ihr, wovon er Bennett nichts erzählt hatte. Es hatte eine Überraschung werden sollen, aber in Anbetracht der Tatsache, wie Bennett ihn gewürgt hatte, entschied Jekyll, dass die Zeit für diese Überraschung noch nicht gekommen war. Er holte ein Messer aus seiner Tasche und schnitt den beiden Nutten die Hälse durch, ehe sie wieder zu sich kamen.