♦ FÜNFZIG

Jasmine war seit zehn Minuten in der Garderobe allein, als sie allmählich unruhig wurde. Sie war zum ersten Mal seit Jacks Ermordung ohne Begleitung, und es gefiel ihr gar nicht. Bilder der Qualen, die ihm widerfahren waren, blitzten immer wieder vor ihrem geistigen Auge auf. Sie musste sich irgendwie ablenken. Es gab jedoch nicht mal einen Fernseher in der Garderobe. Sie wünschte sich, sie hätte das Handy dabei und könnte jemanden anrufen. Aber Handys waren auf dem Anwesen nicht erlaubt.

Dann überlegte sie, wen sie überhaupt angerufen hätte. In einem Augenblick der Einsamkeit ist es schön, jemanden zu haben, mit dem man telefonieren kann, doch Jasmine fiel jetzt auf, dass sie niemanden mehr hatte. Jack anzurufen und ihn zu fragen, was er gerade machte, war immer ein bevorzugter Zeitvertreib für sie gewesen. Jetzt hätte sie jedoch niemanden anrufen können, selbst wenn ein Handy griffbereit gewesen wäre. Zu ihrer Zeit im Beaver Palace hatte keines der Mädchen ein Telefon besitzen dürfen, und später hatte Jasmine jeden Kontakt zu den übrigen Mädchen verloren, mal abgesehen von Baby.

Sie versprach sich, in Zeiten der Einsamkeit weiterhin Jack anzurufen und ihm Nachrichten auf die Mailbox zu sprechen. Vielleicht hörte er sie in irgendeinem verrückten Nachleben und sendete ihr eine unsichtbare Umarmung. Hätte er noch gelebt, dann hätte er ihr als ihr Liebhaber jetzt versichert, dass alles gut werden würde, und als Spion hätte er ihr gesagt, sie solle sich nicht länger über den Tod eines Kollegen grämen. Konzentrier dich auf den Einsatz, oder du bringst dich um Kopf und Kragen. Das hatte er ihr oft erklärt.

Ihr derzeitiger Einsatz drehte sich darum, ins Team von Rodeo Rex aufgenommen zu werden. Wenn sie ein Dead Hunter wurde, garantierte ihr das einige neue Freunde fürs Leben. Und deren Lebensstil erschien ihr aufregend und gefährlich. Außerdem konnte sie dann wieder jemanden anrufen, wenn sie sich einsam fühlte. Sie hatte so ein Gefühl, dass es ihr gelingen würde, Elvis’ Nummer zu kriegen. Er schien der richtige Typ, den man in einer Krise um sich haben wollte, und wie Jack schien er Jasmine besser zu verstehen, als dies den meisten Leuten gelang. Außerdem war er jemand, der sie auch mal nett zum Essen ausführen würde, zu KFC oder vielleicht Burger King.

Jemand klopfte an und unterbrach Jasmines Tagträume. Sie wirbelte auf dem Stuhl herum. Die Tür ging auf, und Lucy, die Organisatorin des Unterhaltungsprogramms, steckte den Kopf herein.

»Hi«, sagte Lucy und sah sich in der Garderobe um. »Wo sind die anderen?«

»Ah, sie sind Sachen aus dem Tourbus holen gegangen.«

»Was für Sachen?«

»Andere Outfits, weißt du? Um das Kostüm zu wechseln und so.«

»Wird das lange dauern?«

»Könnte sein.«

Lucy wirkte beunruhigt. »Okay, dann wirst du reichen müssen. Du bist Britney Spears, richtig?«

»Nein«, antwortete Jasmine und schüttelte den Kopf. »Ich bin Jasmine. Britney Spears ist vermutlich auf der anderen Seite der Welt.«

»Das hab ich nicht gemeint.«

»Verwechselst du sie vielleicht mit Christina Aguilera? Mir passiert das manchmal.«

Lucy wirkte verdutzt, als würde sie nicht schlau daraus, ob Jasmine es ernst meinte oder nicht. »Nein«, entgegnete sie. »Was ich sagen wollte: Du spielst in eurer Double-Fantasy-Gruppe Britney Spears, richtig?«

»Oh. Yeah. Yeah, ich bin eine Britney-Spears-Darstellerin. Das ist richtig.«

»Ja, das dachte ich mir. Der rote Catsuit und so«, sagte Lucy. »Davon abgesehen siehst du allerdings nicht besonders nach Britney aus. Hast du schon mal überlegt, lieber Janet Jackson zu geben? Der siehst du viel ähnlicher.«

Das Janet-Jackson-Kompliment war recht schmeichelhaft, und kurz stellte sich Jasmine vor, wie sie sich den Lebensunterhalt verdiente, indem sie What Have You Done for Me Lately? sang. Sie schüttelte das jedoch schnell wieder ab und ermahnte sich, auf den Einsatz konzentriert zu bleiben.

»Ich habe die Rolle nicht wegen meines Aussehens bekommen«, sagte sie. »Ich klinge aber genau wie Britney Spears, wenn ich singe. Wenn du die Augen schließt und nur zuhörst, wirst du denken, dass ich sie bin.«

»Gut, denn wir brauchen dich jetzt sofort auf der Bühne.«

»Verzeihung?«

»Wir haben ein Problem. Das Catering-Personal ist fast eine Stunde zu spät erschienen. Die Gäste werden unruhig, also brauchen wir dich sofort auf der Bühne, um ein paar Songs vorzutragen. Das beruhigt die Gäste etwas.«

»Äh?«

»Komm schon, beeil dich. Du musst jetzt gleich auftreten.«

Jasmine war nicht scharf darauf, die beruhigende Umgebung der Garderobe aufzugeben. »Ich sollte lieber warten, bis die Jungs zurück sind«, sagte sie.

»Wir haben keine Zeit. Der Boss möchte deinen Auftritt sofort. Wir zahlen euch Typen eine Menge Geld. Entweder schaffst du deinen Arsch jetzt auf die Bühne, oder du verschwindest vom Anwesen!«

Lucys Tonfall machte deutlich, dass ihr nicht nach Späßen zumute war. Und ihre finstere Miene deutete an, dass man sich auch lieber nicht mit ihr anlegte. Jasmine zerbrach sich den Kopf nach einer cleveren Ausrede.

»Ich denke, die Instrumente liegen noch im Bus«, sagte sie, zufrieden mit sich, weil ihr etwas eingefallen war, das glaubhaft klang.

»Was für Instrumente?«, fragte Lucy, und Argwohn machte sich in ihrem Ton breit.

»Gitarren, Trommeln, Saxophon, weißt du? Ich spiele Triangel.«

»Aber euer Manager hat uns eine CD mit der ganzen Begleitmusik geschickt. Ihr braucht keine Instrumente! Du musst einfach zur Begleitmusik singen.«

»Oh«, sagte Jasmine. »Es ist einer dieser Auftritte, was? Alles klaaar!«

»Gut. Ich arrangiere nur die Liste neu und ziehe zwei deiner Songs vor. Du kannst Oops I Did It Again und Toxic singen. Ist das okay für dich?«

Die Situation schien keinen Ausweg zu bieten. Jasmine musste wohl mitspielen, bis ihr etwas einfiel, um sich herauszureden. Obwohl … je mehr sie darüber nachdachte, desto attraktiver schien ihr der Gedanke. Das konnte unter Umständen doch richtig Spaß machen. Sie hatte sich schon immer eine Chance gewünscht, zum Popstar zu werden, und hier bot sich ihr die vielleicht beste Gelegenheit überhaupt, ihren Traum zu verwirklichen.

»Oops I Did It Again und Toxic«, sagte sie und wiederholte damit, was Lucy gesagt hatte. »Ja, das ist okay. Habt ihr einen dieser Monitore mit dem Text darauf, falls mir was nicht einfällt?«

Lucy legte den Kopf schief und lächelte sarkastisch. »Sehr witzig«, fand sie. »Komm schon, los jetzt. Du musst in fünf Minuten auf der Bühne stehen und singen.«

Drei Killer für ein Halleluja
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