♦ SIEBENUNDFÜNFZIG
Jasmine
Jasmine fand die Tonkabine ganz schnell. Leider gab es nur einen Weg hinein, und der führte durch eine Tür an der Rückwand. Diese Tür war abgeschlossen, besaß jedoch ein kleines quadratisches Fenster auf Kopfhöhe, durch das Jasmine hineinblicken konnte. Ein DJ saß in der Kabine an einem Mischpult mit einem Computermonitor darauf. Hinter dem Tisch bot ein großes Glasfenster Ausblick in den Speisesaal und auf die Bühne, wo sie eben erst ihre Britney-Spears-Songs vorgetragen hatte.
Jasmine klopfte mit den Fingerknöcheln laut an die Tür, um den DJ auf sich aufmerksam zu machen. Er drehte sich zur Quelle des Geräuschs um. Sobald Jasmine sein Gesicht erblickte, wusste sie, dass sie ihn dazu bewegen konnte, jeden Song zu spielen, den sie nur wollte, in jedem Zimmer des Hauses. Er hatte rosige Backen und zerzauste Haare, die aussahen, als würde er sie selbst schneiden. Und seine Nase war riesig. Scheißriesig! Oder wie es Jasmine vielleicht ausgesprochen hätte: »Gewaaaltig!« Nicht nur, dass diese Nase wie ein Entenschnabel aus seinem Gesicht ragte, sie war auch noch breit. Die Nasenlöcher nahmen in der Breite mehr Platz in seinem Gesicht ein als die Augen. Dieser Typ war eine Laune der Natur. Nicht, dass Jasmine ein Urteil darüber hätte fällen wollen. Zufällig gefielen ihr schräge Typen. Je hässlicher und absonderlicher sie waren, desto besser. Sonderlinge wussten, wie sie sich gegenüber einer Frau zu betragen hatten. Na ja, im Grunde hatten sie keinen Schimmer, wie sie sich gegenüber einer Frau zu betragen hatten, aber sie gaben sich immer so große Mühe. Jeder schräge Typ, dem Jasmine je begegnet war, hätte im Austausch für mehr als eine Minute Flirten bereitwillig sein Leben für sie gegeben. Die Erfahrung lehrte, dass sie beispielsweise für die Mühe, einfach nur mit der Hand über die Genitalien eines Sonderlings zu streichen, vermutlich seine kostbare Ausgabe von Spiderman, Band 129, geschenkt erhalten würde.
Also ja, Jasmine konnte Sonderlinge gut leiden. Freaks, hässliche Typen und harmlose Spinner, sie waren in jeder Hinsicht so gut wie Alphamänner im Stil Jack Munsons. Sie schenkte dem DJ also ein strahlendes Flirtlächeln. Er brauchte weniger als zwei Sekunden, um aufzuspringen, die Tür aufzuschließen und Jasmine Zutritt zu seiner Tonkabine zu gewähren.
»Wow!«, sagte sie und blickte sich in der sehr unordentlichen und übel riechenden Kabine um. »Bist du für all das hier zuständig?«
Er nickte wie ein aufgeregter Hund. »Ja, genau!«
»Wie heißt du?«
»Roland Chang.«
»Roland? Cool, das ist mein Lieblingsname!« Sie strich einige Chips von Rolands dunkelblauem Pullover. »Legst du einen Song für mich auf?«
»Du bist eben als Britney Spears aufgetreten, nicht wahr?«, murmelte er. Seine Wangen brannten rot, als hätte er noch nie im Leben mit einer Frau geredet. »Du warst erstaunlich!«
»Cool, danke! Also spielst du einen Song für mich?«
Roland sah sich nervös um. »Ähm, derzeit geht es nicht, aber später ganz bestimmt. Welchen Song möchtest du?«
»Etwas von, äh …« Einen Moment lang herrschte Leere in ihrem Kopf, als sie sich zu erinnern versuchte, welche Musik Joey hören wollte. »Carpenter? Weißt du, wen ich meine? Scheint Gruselmusik zu sein.«
»Ich denke, schon«, sagte Roland. »Aber im Moment geht es nicht. Im Speisesaal passiert irgendwas. Eine Menge Leute werden gerade ohnmächtig. Wenn ich jetzt Musik auflege, werde ich gefeuert.«
»Aber du musst den Song einfach jetzt gleich auflegen«, sagte Jasmine, schnippte weitere Chipreste von seiner Trainingshose und strich dabei wie versehentlich, aber natürlich mit voller Absicht über seinen Schwanz.
Roland wurde sichtlich steif (in den Schultern). Er schluckte schwer. »Ich darf das wirklich nicht«, sagte er. »Kann ich nicht irgendwas anderes für dich tun?«
Jasmine warf einen forschenden Blick auf sein Mischpult. Man fand darauf eine ganze Menge Schalter, und das alles schien mit dem Computermonitor in Verbindung zu stehen. Das war nicht mit dem CD-Spieler zu vergleichen, den sie in B Movie Hell gehabt hatte, oder dem Kassettenrekorder in Rumänien. Sie hatte keine Ahnung, wie man dieses Ding bediente. Sie musste Roland dazu bewegen, es für sie zu tun. Jetzt gleich!
Schwierige Zeiten verlangten drastisches Handeln, also ging Jasmine in die Knie und kroch unter das Mischpult. Sie drehte sich um und blickte zu Roland auf, dessen Gesicht von einer verwirrten Miene und Schokoladenstücken geprägt war.
»Was machst du da?«, fragte er. »Du darfst nicht dort hocken.«
»Wenn du diese Carpentermusik jetzt in jedem Zimmer im Haus spielst, lutsche ich dir für die ganze Dauer des Stücks den Schwanz.«
Roland klappte der Mund auf. Er brachte kein Wort hervor. Obwohl keine weitere Ermunterung nötig schien, ging es Jasmine darum, Zeit für den Roten Irokesen rauszuschlagen, also unterbreitete sie ihm ein abschließendes Angebot.
»Wenn du möchtest, kannst du das ganze Album spielen«, sagte sie.
Roland kam wieder zu Sinnen. Er lief zum Mischpult und begann damit, Schalter umzulegen und Sachen in die Tastatur zu tippen. Jasmine zog ihm die Trainingshose herunter, bis sie ihm um die Knöchel schlackerte, und riss ihm die bunte Captain-Caveman-Unterhose über die Knie.
Sein Schwanz stand schon aufrecht, und mit ihrer umfänglichen Erfahrung erkannte Jasmine sofort: Es bestand nicht die geringste Chance, dass er einen ganzen Song durchhielt. Positiv schlug dabei zu Buche, dass aber eine recht gute Chance bestand, ihn zum Abschuss zu bringen ohne seinen Schwanz überhaupt anzufassen. Kurze fünf Sekunden Sackkitzeln reichten vermutlich.
Während Jasmine viele »Ohs« und »Ahs« von sich gab und dabei überlegte, welche Technik sie einsetzen sollte, hörte sie ein sachtes Klirren über sich. Und als sie gerade die Hand ausstreckte, um Rolands Eier zu umfassen, kippte er rückwärts. Er landete flach auf dem Rücken und wies mit dem Schwanz nach oben. Jasmine überlegte, ob er vielleicht ohnmächtig geworden war, überwältigt von der Aufregung der anstehenden Erfahrung. Dann sah sie jedoch Blut aus seinem Kopf sickern.
Sie kroch unter dem Mischpult hervor und schaute genauer hin. Ein Loch klaffte in Rolands Stirn, und eine Pfütze Blut bildete sich unter seinem Hinterkopf. Sein Mund stand offen, aber das war schon seit einer ganzen Weile so, in dieser Hinsicht hatte sich also keine Veränderung eingestellt. Jasmine versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust.
»Roland«, flüsterte sie. »Bist du okay?«
Er reagierte nicht.
Sie stupste ihn erneut an und kitzelte ihn sogar an den Eiern, aber er rührte sich nicht. Sie überlegte, ihm vielleicht zwei Finger in den Hintern zu stecken, als sie erneut ein Klirren hörte. Das Glasfenster der Kabine splitterte.
Jasmine lauschte aufmerksam und hörte auf einmal den Feuerstoß einer Waffe aus dem Speisesaal unterhalb der Kabine. Wer immer Roland in den Kopf geschossen hatte, feuerte jetzt auf einen Haufen schreiender Menschen im Saal.
Sie zog Rolands Unter- und Trainingshose wieder hoch, um ihm die Peinlichkeit zu ersparen, dass man ihn mit einem entblößten Steifen vorfand. Dann rappelte sie sich auf und spähte über das Mischpult, um zu sehen, was unten passierte. Die Geräusche drangen durch ein Loch im Schallschutzfenster herein. Als keine Schüsse mehr ertönten, hörte sie einige Leute unten reden. Die meisten Worte fielen auf der Bühne. Dann hörte sie jedoch Baby unvermittelt direkt unter ihr schreien: »Daddy, mach das nicht!«
Jasmine beugte sich etwas weiter übers Mischpult und sah, dass Frankenstein Baby fest im Griff hielt und ihr eine Waffe an den Kopf drückte.
Schlimmer noch war das, was sich auf der Bühne zutrug. Alexis Calhoon kniete am Boden, und Devon ragte vor ihr auf und zielte mit einer Pistole auf ihr Gesicht. Ein Heini mit einer Augenklappe über dem rechten Auge filmte die Szene mit seinem Handy.
Es wurde Zeit für Jasmine, Aktivität zu entfalten. Sie musste für Ablenkung sorgen. Dazu bot sich ihr nur das Mischpult als Hilfsmittel. Das Ding war ja ohnehin der Grund, warum sie die Tonkabine betreten hatte, und jetzt war eindeutig der richtige Zeitpunkt gekommen, die Musik aufzulegen, um die Joey gebeten hatte.
Sie duckte sich außer Sicht und starrte auf den Computermonitor vor ihr. Roland hatte zuvor schon begonnen, die Gruselmusik für sie zu arrangieren. Sie entdeckte auf dem Bildschirm eine grüne Schaltfläche mit dem Wort PLAY darauf. Sie drückte ENTER auf der Tastatur darunter und hoffte auf das Beste.
Zu ihrer Erleichterung startete unverzüglich ein Song. Roland war ihrem Wunsch nachgekommen und hatte ihn auf alle Lautsprecher in allen Zimmer gelegt. Und Junge, war das laut!
Joey hatte angsteinflößende John-Carpenter-Musik verlangt. Seine Anweisungen waren auf dem Weg von Jasmine zu Roland und von Roland zum Computer aber ein wenig durcheinandergeraten.
»We’ve only just begun …«
Jasmine war keine Expertin, was John Carpenter anging, aber sie erkannte Musik von Karen Carpenter, wenn sie sie hörte. Okay, vielleicht war das hier keine Halloween-Musik, aber trotzdem erbrachte sie die gewünschte Wirkung. Der Song lenkte alle im Speisesaal ab und verschaffte Devon etwas Zeit.
Frankenstein blickte auf und sah Jasmine, kurz bevor sie sich wegduckte. Er nahm die Uzi von Babys Kopf, zielte damit auf die Tonkabine und ballerte los.
Jasmine kroch zurück unters Mischpult und hielt sich die Ohren zu, um die Schüsse und The Carpenters auszublenden. Glassplitter regneten rings um sie herab, während der Kugelhagel die Tonkabine verwüstete. Jasmine hatte ihren Beitrag geleistet. Sie hatte etwas Zeit erkauft. Jetzt lag es an den Kerlen, sich blicken zu lassen und ihr Ding durchzuziehen.
Aber wo zum Teufel blieben die?