♦ VIERUNDFÜNFZIG
»Rex! Was zum Geier treibst du da unten?«
Elvis wartete schon eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass Rex wieder in der Fahrstuhlkabine am Fuß des Schachts auftauchte. Als das endlich geschah, hatte sein Kumpel die Sporttasche und ein Seil dabei. Er schob die Tasche durch die Luke im Fahrstuhldach und kletterte hinterher, das Seil um die Schultern gewickelt.
Rex schrie hinauf: »Wir müssen uns beeilen! Jasmine hat gerade aufgehört zu singen.«
»Singen? Was redest du da?«
»Ich erklär’s dir gleich. Fang das Seil auf!«
Rex schleuderte das Seil den Schacht hinauf. Elvis fing es und duckte sich ins Lesezimmer zurück. Er band ein Ende des Seils um ein Tischbein und zerrte ein paarmal daran, um sicherzugehen, dass es auch hielt; dann warf er das andere Ende wieder Rex zu.
Der Plan war, dass Rex die Sporttasche voller Knarren und Munition ans Seil band, damit Elvis sie heraufziehen konnte. Danach wollte Rex das Seil hinaufklettern und sich ihm wieder im Lesezimmer anschließen. Aber wie üblich musste ja etwas schiefgehen.
Ein Geschosshagel ertönte plötzlich irgendwo außerhalb des Hauptgebäudes. Elvis hörte es von seiner Position aus laut und deutlich. Rex musste auch etwas mitbekommen haben, denn er rief zu ihm hinauf: »Was zum Teufel war das?«
»Wir sind vielleicht zu spät!«, rief Elvis zurück. »Ich denke, der Scheiß hat gerade angefangen!«
Rex schrie eine Antwort, aber seine Worte gingen im Krachen der lauter werdenden Schüsse unter. Was anfänglich nach einem einzelnen Schützen geklungen hatte, hörte sich jetzt eher nach fünf oder sechs an. Ein Feuergefecht lief irgendwo da draußen ab.
Elvis rannte zu der Tür in der Zimmerecke. Er drehte den Griff und öffnete sie ein paar Zoll weit, damit er hinaus auf den Flur blicken konnte. Dort war kein Mensch zu sehen, aber aus Richtung der Schüsse schrien zahlreiche Männerstimmen irgendein unverständliches Zeug.
Elvis trat zögernd auf den Flur hinaus und schlich in Richtung der Schießerei. An der nächsten Ecke bemerkte er zwei lebensgroße Wachsstatuen der Charaktere von Keanu Reeves und Alex Winter aus den Bill-and-Ted-Filmen. Normalerweise hätte sich Elvis gefragt, wieso in aller Welt jemand ein solches Paar von Wachsstatuen aufgestellt hatte. Aber schließlich gehörte dieses Haus jemandem, der im Keller die Bathöhle nachgebaut hatte, sodass zwei merkwürdige Filmstatuen im großen Zusammenhang der Dinge nichts Besonderes darstellten. Und außerdem gingen Elvis wichtigere Fragen durch den Kopf wie: Wer zum Teufel ballert hier herum?
Als er die Ecke erreichte, stoppte der Schusswechsel. Elvis drückte sich mit dem Rücken an die Wand und steckte den Kopf um die Ecke, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das Team aus Sicherheitsleuten, die am Vordereingang jeden kontrolliert hatten, war niedergemetzelt worden. Die Eingangshalle war übersät mit ihren Leichen.
Elvis schlich auf Zehenspitzen um die Ecke, um zu schauen, ob er vielleicht einen Blick auf den Schützen erhielt. An der Position der Leichen war erkennbar, dass der Killer sie von außen erschossen hatte. Elvis blieb mucksmäuschenstill stehen, als er in der Eingangshalle einen langen Schatten entdeckte, der auf die Körper der erschossenen Sicherheitsleute fiel. Es war der Schatten eines Mannes, der die Einfahrt Richtung Vordereingang heraufkam. Gerade als es schien, dass dieser Schatten gar nicht noch größer werden konnte, durchquerte der Killer die Eingangstür.
Frankenstein!
Elvis hatte ihn noch nie gesehen, aber es war verdammt offenkundig, um wen es sich hier handelte: ein Meter neunzig groß, ein muskelbepackter Fleischklops im hautengen schwarzen T-Shirt und einer lose sitzenden Cargohose, der so etwas wie eine Taucherbrille auf der Nase trug. Sowohl Hemd als auch Hose waren mit Einschusslöchern übersät, aber nicht ein einziger Tropfen Blut war an ihm auszumachen. Er führte eine hässliche Uzi-Maschinenpistole am Schulterriemen mit und hatte sich die Taschen mit Ladestreifen vollgestopft. Als er durch den Metalldetektor ging, piepte der wie verrückt los.
Elvis zog sich zurück und duckte sich hinter die Ecke, um aus sicherer Distanz weiterspähen zu können.
Frankenstein ging zwischen den Leichen der Männer hindurch, die er gerade umgebracht hatte, zückte dabei einen neuen Ladestreifen und lud nach. Als die Waffe erneut befüllt war, wandte er sich von Elvis ab und dem Korridor zu, der zum Speisesaal führte.
»AUSGEZEICHNET!«
Elvis hatte keinen Schimmer, wieso jemand sich Wachsfiguren von Bill und Ted ins Haus stellte, aber dass sie auch noch Dialoge brüllten, war mehr als bekloppt. Der Pisskopp, der sie aufgestellt hatte, hatte sie mit Rekorder und Lautsprecher ausgestattet, die so eingestellt waren, dass einmal pro Stunde irgendeine Zeile aus dem Film rezitiert wurde.
Frankenstein warf sich herum, entlud seine Uzi auf Bill und Ted und semmelte die Statuen mit Kugeln voll. Innerhalb von Sekunden sahen sie heiliger als der Papst aus. Jetzt entdeckte Frankenstein auch Elvis und zielte auf ihn.
Elvis duckte sich gerade noch rechtzeitig. Eine Salve Kugeln flog an seiner Nase vorbei und krachte in die Wand hinter ihm. Er drehte sich um und rannte zurück zum Lesezimmer. Frankenstein vergaß für eine Minute alles, was mit dem Speisesaal zu tun hatte, und folgte Elvis.
Der stürmte ins Lesezimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Er lief durch das Zimmer zum offenen Fahrstuhlschacht. Rex krabbelte gerade daraus hervor, fest an das Seil geklammert, das Elvis an dem massiven Tisch befestigt hatte. Die Sporttasche mit den Knarren trug er am Schulterriemen.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt?«, brummte Rex. »Diese Tasche wiegt eine Scheißtonne!«
Ein Kugelhagel prasselte auf die Tür hinter Elvis ein. Frankenstein rückte ihnen auf die Pelle und gab seine Anwesenheit mit einem Bleihagel kund.
»Was zum Teufel ist hier los?«, fragte Rex.
Elvis rammte Rex die Ferse ins Gesicht. Der konnte sich nicht länger am Seil festhalten und verschwand wieder den Fahrstuhlschacht hinab, den er gerade erst heraufgestiegen war.
Elvis sprang mit den Füßen voran hinterher und griff nach dem Seil. Er machte sich gerade an den Abstieg, als Frankenstein die Tür zum Lesezimmer aus den Angeln trat.
Scheiße!
Dieser Typ hatte es so eilig, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, wie ein normaler Mensch eine Tür zu öffnen. Was für ein Mistkerl!
Frankenstein ballerte sofort wieder los. Elvis spürte, wie ein Sprühregen aus Kugeln über ihm von der Wand abprallte. Ausweichmanöver waren angesagt. Er ließ das Seil los und fiel zur Fahrstuhlkabine hinunter. Zu seinem Glück lag Rex rücklings auf dem Dach und fragte sich gerade, warum ihm jemand ins Gesicht getreten hatte. Elvis landete auf ihm und schob dann rasch die Beine durch die offene Luke. Er sprang auf den Boden der Kabine und rollte sich aus dem Weg erneut einschlagender Schüsse.
Eine weitere Salve aus Frankensteins Waffe prasselte in den Fahrstuhlschacht. Dann wurde alles still. Elvis hörte, wie Frankenstein die Bücherwand wieder vor die Schachtöffnung zog. Von Rex hörte er jedoch nichts. Nicht den kleinsten Mucks.
Er stand auf. »Rex? Bist du noch da oben?«, fragte er, starrte zur Luke hinauf und hoffte zu sehen, wie Rex den Kopf hindurchsteckte.
Rex antwortete nicht, aber ein Schwarm Kugeln fiel klappernd durch die Luke und landete zu Elvis’ Füßen auf dem Boden.
Rex steckte den Kopf durch die Luke und musterte Elvis finster. »Du Mistkerl!«
»Ich hab dir gerade den Arsch gerettet, indem ich dich mit einem Tritt wieder nach unten befördert habe!«, protestierte Elvis.
Rex stieg durch die Luke und landete in der Kabine. Er hob die Metallhand. Der Handschuh war zerfetzt.
»Das muss ein neuer Rekord sein«, sagte er. »Schätze, dass ich um die zwanzig dieser Scheißdinger eingefangen habe.«
Obwohl sie gruselig war und auf das andere Geschlecht abschreckend wirkte, hatte so eine magnetische Hand in der Branche, in der Rex arbeitete, wirklich ihre Vorzüge.
»Jedenfalls«, sagte Elvis, »wollte ich dir berichten, dass Frankenstein gerade aufgetaucht ist.«
»Ungelogen!« Rex zog den Handschuh aus und pfefferte ihn zu Boden. »Warum hat er dich verfolgt?«
Elvis strich Schmutz von seinen Schultern, während er antwortete. »Er hat die Wachleute am Eingang umgebracht und ist dann hinter mir her, als wäre er echt scharf auf mich.«
»Na ja, das ist vermutlich eine gute Sache«, fand Rex. »Es gibt Jasmine möglicherweise Zeit, wie der Teufel aus dem Speisesaal zu verschwinden, bevor er dort auftaucht.«
Elvis blickte über die Sonnenbrille hinweg. »Was macht sie denn im Speisesaal?«
»Sieh dir das mal an.« Rex marschierte zu den Bildschirmen hinüber, die Live-Bilder von überall auf dem Anwesen zeigten. Er deutete auf den Bildschirm, auf dem er zuvor Jasmine gesehen hatte. »Sieh dir das an«, sagte er. »Sie war gerade eben auf der Bühne und hat gesungen.«
Elvis starrte auf den Schirm. Wie es aussah, hatten die Dinnergäste die diversen Kugelhagel gar nicht gehört. Alle blickten glücklich jemanden an, der auf der Bühne eine Rede hielt. Als die Kamera zur Bühne wechselte, war es eine Erleichterung zu sehen, dass sich Jasmine dort nicht mehr aufhielt. Leider stand der Papst nun dort und hielt vor dem aufmerksamen Publikum eine Rede.
Ein anderer Monitor zeigte Frankenstein, wie er schnurstracks Richtung Speisesaal ging und unterwegs seine Uzi nachlud. Rex blickte auf die Stoppuhr.
»Scheiße, wir haben nur noch zwölf Minuten!«
Elvis schüttelte den Kopf. »Zwölf Minuten?«, fragte er ungläubig. »Ich würde eher sagen, zwölf Sekunden!«