FÜNFUNDZWANZIG

Jack Munson musste seine Pläne für ein ruhiges Leben und einen frühen Ruhestand in Jasmines Gesellschaft vorläufig auf die lange Bank schieben. Als es gerade danach aussah, dass seine Tage der Arbeit an ungewöhnlichen und lebensbedrohenden Fällen vorüber waren, klopfte jemand mitten in der Nacht an seine Tür. Er schlief gerade neben Jasmine im örtlichen Bates Motel, als Baby sie weckte. Sie war wegen irgendetwas sehr verstört, ja nahezu hysterisch, und es dauerte zehn Minuten, sie so weit zu beruhigen, dass sie ihnen erzählen konnte, was sie so fassungslos machte. Und natürlich hatte es mit einigen Leichen und der Rückkehr des Roten Irokesen zu tun. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass ihr Vater vermisst wurde.

Also erklärte sich Jack widerstrebend bereit zu helfen. Als Erstes fuhr er zu Devons Adresse, um zu prüfen, ob Babys Dad zu Hause war. Er klingelte ein paar Male, aber schnell wurde deutlich, dass niemand da war. Niemand schien an der Straße zu parken und das Haus im Auge zu behalten, aber trotzdem fühlte sich Jack nicht wohl bei dem Gedanken, länger zu bleiben. Also stieg er wieder in seinen Wagen und fuhr davon.

Als er zurück im Motel war, musste er auf dem Sofa schlafen, damit Baby das Bett mit Jasmine teilen konnte, die viel besser in der Lage war, das Mädchen zu beruhigen, als Jack.

Am Morgen nahm er Kurs auf das Olé au Lait, um sich mit Joey Conrad zu treffen, und stellte fest, dass viel mehr Verkehr herrschte, als ihm lieb war. Ohne Frühstück oder auch nur einen Kaffee war er ein bisschen stinkig. Als er das Etablissement erreichte, war es zehn nach zehn. Der Rücken tat ihm weh, und er hatte einen steifen Hals. Auf einem Sofa zu schlafen, egal wie bequem es sein mochte, war einfach kein Ersatz für ein gutes Bett.

Das Olé au Lait war ein Coffee-Shop, der auch als Café diente, in dem ein kräftiges Frühstück serviert wurde. Es gehörte zu einer Kette, die jüngst entstanden war und sich rapide über ganz Amerika ausbreitete. Als Jack durch die Tür ging, sah er sofort, dass Joey an einem Tisch in der Ecke saß. Joey passte hier eigentlich gut rein, wenn man in Rechnung stellte, dass er ein Psychopath war. Er trug eine Bluejeans und ein schwarzes ärmelloses Shirt. Die dunklen Haare waren zerzaust, das Gesicht unrasiert. Er wirkte insgesamt ungepflegt, aber auf den ersten Blick sprang einem auch nichts ins Gesicht, was lautstark »Serienmörder« schrie. Es sei denn, man bemerkte die rote Lederjacke über der Rückenlehne des Stuhls, in deren Tasche eine Irokesenmaske steckte.

Das Olé au Lait umfasste nur etwa fünfzehn Tische, und die Hälfte davon war unbesetzt. An den übrigen Tischen saßen meist ein oder zwei Leute, tippten auf Laptops rum und gaben sich als Schriftsteller aus, oder man tratschte über irgendeinen örtlichen Skandal. Niemand beachtete Jack, und es schien auch kein Mensch sein Augenmerk auf Joey in der Ecke gerichtet zu haben.

Jack bahnte sich den Weg zu Joeys Tisch und zog sich einen Stuhl ihm gegenüber heran.

»Du bist zehn Minuten zu spät«, sagte Joey.

Jack setzte sich. »Ich habe nicht wirklich toll geschlafen.«

»Ich dachte, du hättest vielleicht einen Stromausfall oder so was.«

So war Joey von jeher. Ein schwieriger Gesprächspartner, weil man nie wusste, wann er etwas ernst meinte, einen Scherz machte, etwas andeutete oder einfach nur schräg drauf war.

»Warum sollte ich einen Stromausfall haben?«, fragte Jack, auch wenn ihm bewusst war, dass die Antwort möglicherweise keinerlei Sinn ergeben würde.

»Ich dachte nur, dass du dich im Dunkeln angezogen hast, denn wie solltest du sonst zu diesem Hemd kommen?«

Das Hemd, auf das Joey so unhöflich anspielte, war ein dickes rosa Baumwollhemd mit kurzen Ärmeln, das Jasmine bei einer Einkaufsorgie am Vortag für Jack ausgesucht hatte. Jetzt, wo sie zurück in den USA waren, brauchten Jack und Jasmine neue Klamotten. Speziell Jasmine benötigte das eine oder andere »nicht-nuttige« Outfit, wenn sie sich bei gesellschaftlichen Anlässen zeigen wollte. Also hatte Jack sie ausgeführt und verwöhnt, indem er für sie mit seiner Kreditkarte neue Klamotten im Wert von etwa tausend Dollar erwarb. Im Gegenzug bestand sie darauf, auch ihm zu einem gänzlich neuen Image zu verhelfen und ihm einen Haufen neuer Outfits zu kaufen; ebenfalls auf seine Kreditkarte. Also trug Jack jetzt ein rosa Hemd und rissige Jeans. Ideal für einen Mann seines Alters mit einer Partnerin ihres Alters.

»Jasmine hat mir neue Sachen gekauft«, sagte Jack, dem nicht danach war, zu sehr ins Detail zu gehen.

»Du musst sie sehr mögen.«

»Sitzen wir hier, um über meine Klamotten zu reden, oder hast du etwas Wichtiges mit mir zu besprechen?«

Joey hatte eine Tasse mit dampfend heißem Kaffee vor sich stehen. Er hob sie an und nahm einen Schluck. »Hat Baby dir von letzter Nacht erzählt?«

»Hat sie. Als sie im Motel auftauchte, war sie ganz schön hysterisch.«

»Kann ich mir denken. Sie wird ziemlich leicht nervös, wie?«

»Nein, ich meinte nicht bloß nervös, sondern total durch den Wind.«

»Oh. Ist sie wieder okay?«

Eine Bedienung tauchte neben Jack auf. »Kann ich Ihnen etwas bringen, Sir?«, fragte sie und hielt Stift und Notizblock bereit.

»Kaffee schwarz, ohne Zucker, danke.«

»Noch etwas?«

»Nein.«

Jack wartete, bis sich die Kellnerin verzogen hatte, ehe er Joeys Frage nach Babys Wohlbefinden beantwortete.

»Es scheint ihr gutzugehen. Sie ist heute Morgen zu ihrer Grease-Probe gegangen, wie du es ihr geraten hast. Jasmine begleitet sie, um sicherzustellen, dass sie auch heil und gesund ankommt.«

Joey schien sich ein wenig zu entspannen, als er hörte, dass Baby okay war. »Hast du mit Devon gesprochen?«, fragte er. »Ich könnte mir vorstellen, dass er vielleicht weiß, wer diese Burschen sind, die mich angegriffen haben.«

Jack schüttelte den Kopf. »Ich finde ihn nicht. Ich bin auf dem Weg hierher bei ihm vorbeigefahren, und niemand ist zu Hause. Allmählich denke ich, dass ihm etwas passiert ist.«

»Was zum Beispiel?«

»Ich habe ihm Informationen gegeben, als ich aus Rumänien zurückkehrte. Er wollte sie an jemanden in seiner Dienststelle weitergeben. Da läuft was richtig Großes. Ich frage mich aber, ob nicht andere Leute schneller waren und ihn erwischt haben.«

»Was für Leute?«

»Solomon Bennett ist wieder in der Stadt.«

Joeys Miene veränderte sich in etwas, was Jack als den »Psycho-Modus« wiedererkannte. Was bedeutete, dass er wahrscheinlich etwas Irres im Schilde führte. Zum Glück verging der Augenblick, und er schien Fassung und Selbstbeherrschung sehr schnell zurückzugewinnen – ein Hinweis darauf, dass er seit den Tagen von Operation Blackwash ein bisschen reifer geworden war.

»Warum wusste ich nichts davon?«, fragte Joey.

Die Bedienung tauchte mit einer widerlich aussehenden weißen Kaffeetasse neben ihm auf. Die stellte sie auf den Tisch, schenkte Jack ein kurzes falsches Lächeln und verzog sich dann dankenswerterweise.

»Das hab ich mich selbst gefragt«, sagte Jack. Er nahm den Kaffee zur Hand und schnupperte daran, ehe er ihn wieder abstellte. »In Rumänien hatte man Bennett schon über eine längere Zeit immer wieder mal gesehen, weshalb mich Devon ja dorthin schickte, um herauszufinden, ob ich das bestätigen könnte. Das ist aber noch nicht mal die halbe Geschichte. Frank Grealish war auch dort und ebenso dieser verrückte Idiot, der sich Dr. Jekyll nennt.«

»Ich dachte, Frank Grealish wäre tot.«

»Das dachten wir alle.«

»Was ist mit ihm passiert? Hat er seinen Tod nur vorgetäuscht?«

Jack schüttelte den Kopf. »Das weiß ich wirklich nicht. Ich meine, ich habe ihn sterben sehen, aber er ist heute definitiv am Leben. An der Sache ist was Sonderbares, denn er hat immer noch diese Metallbolzen im Hals, die ihm eingepflanzt wurden, bevor man versuchte, ihn kugelsicher zu machen.«

»Kugelsicher.« Joey lachte schnaubend. »Wer hat ernsthaft geglaubt, man könnte ihn kugelsicher machen? Was für eine dumme Idee.«

»Die ist nicht auf meinem Mist gewachsen«, sagte Jack und holte sein Handy hervor. »Sieh mal, hier ist der Beweis.« Er zeigte Joey ein Foto von Frank Grealish. »Ich habe Devon Kopien dieser Fotos übergeben. Er wollte sie jemandem bei Phantom Ops zeigen, aber seit er diese Bilder von mir bekommen hat, ist er verstummt. Er reagiert weder auf meine Anrufe noch auf Textnachrichten, und zu Hause ist er auch nicht.«

»Er hat nicht mal versucht, Baby zu erreichen und zu fragen, wo sie die ganze Nacht gesteckt hat?«

»Nope.«

»Dann hat ihn sich eindeutig jemand geschnappt.«

Jack hob seinen Kaffee an und nahm einen Schluck. Er schmeckte ziemlich gut, obwohl er wahrscheinlich stark genug war, um Tote zu wecken. »Baby sagte, ein Typ in dunklem Mantel mit Kapuze wäre aufgetaucht und hätte jemanden umgebracht, der dich mit Giftpfeilen betäubt hatte. Stimmt das?«

»Oh Mann, das war bizarr. Ich weiß nicht, worum es zum Teufel dabei ging.«

»Ich denke, ich habe vielleicht eine Ahnung.«

»Na, dann klär mich bitte auf, denn ich habe keinen Scheißschimmer.«

»Ich denke, der Typ mit Kapuze ist der Bourbon Kid.«

»Wer zum Teufel ist der Bourbon Kid?«

»Ein Serienmörder. Ein rundum übler Kerl. Im Grunde jemand, den du wirklich nicht am Arsch kleben haben möchtest. Ich denke, dass man ihn angeworben hat, um dich zu töten, und ich weiß nicht recht, warum er das nicht tat. Dieser Teil ergibt keinen Sinn.«

»Nichts davon ergibt irgendeinen Scheißsinn, Jack.«

»Ich bin ihm und zwei weiteren Typen namens Elvis und Rex auf dem Rückflug von Rumänien begegnet. Man hatte ihnen erzählt, du wolltest den Papst ermorden. Sie wussten davon, ehe es auf den Titelseiten auftauchte.« Die Erwähnung des geplanten Attentats auf den Papst unterbrach Jacks Gedankengang für einen Moment. »Du hast doch nicht wirklich vor, den Papst umzubringen, oder?«

»Warum zum Teufel sollte ich das wollen?«

»Sprich leise!«

Jack kratzte sich am Kopf und sah sich um. Weder die übrigen Gäste noch die Bedienung schienen ihrem Gespräch zuzuhören.

»Es steht überall in den Zeitungen«, sagte Jack und flüsterte dabei fast nur noch. »Alle Welt scheint zu denken, du wolltest den Papst kaltmachen. Wie kommt das?«

»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich.«

Jack nahm einen weiteren Schluck Kaffee und dachte über die Situation mit dem Papst nach. Wie stets brachte das Koffein sein Gehirn auf Trab. Die Ideen flossen inzwischen wie Wein.

»Jemand muss versuchen, dir etwas anzuhängen. Ich wette, dass tatsächlich jemand den Papst zu ermorden plant, und wenn das geschieht, wird man es dir anhängen.«

»Wusste Devon nichts davon?«

Jack hob die Hände. »Ich weiß nicht. Er hat mir nichts erzählt. Ich vermute mal, er wollte mich da nicht mit hineinziehen. Du kennst Devon. Er hält sein Blatt gern verdeckt. Vergangenes Jahr hat er mir nicht mal verraten, dass er auch dich nach B Movie Hell geschickt hatte, um Baby zu retten. Ich musste das selbst austüfteln, während ich nach dir suchte.«

Joey trank einen Schluck von seinem Kaffee. Er legte eine roboterhaft leere Miene an den Tag; nahm die Kaffeetasse zur Hand und trank daraus, ohne sie anzusehen, fast als wüsste er nicht, dass er es tat.

»Devon hat auch mit mir seit über einer Woche keinen Kontakt aufgenommen«, sagte er und stellte die Tasse auf den Tisch zurück, nur um sie erneut anzuheben und gleich noch einen kräftigen Schluck zu nehmen. »Er hat mich in dieser schrägen nachgemachten Bat-Höhle unter Landingham Manor untergebracht und mir gesagt, ich solle dort warten, bis er sich meldet.«

»Du wohnst im Bunker unter Landingham Manor?«

»Ja. Hat Baby es dir nicht erzählt?«

»Nein, sie ähnelt ihrem Vater, verrät die wichtigen Dinge nicht. Sie hat nur erzählt, ihr hättet einen Ausflug gemacht.«

Joey griff sich mit beiden Händen in die Haare, wölbte den Rücken und streckte sich dabei. »Woher wussten diese Leute dann letzte Nacht, wo sie mich finden? Wer hat es ihnen verraten?«

»Devon sicher nicht. Egal unter welchen Umständen, er würde dich nie preisgeben.«

Joey hörte auf, sich zu strecken, und starrte auf seine fast leere Kaffeetasse hinab. »Er würde mich preisgeben, wenn jemand Baby in der Gewalt hätte und drohen würde, ihr etwas anzutun.«

Die Wirkung des Koffeins setzte richtig ein, und Ideen und Theorien jagten einander durch Jacks Kopf. »Dann solltest du gehen und Baby aus dieser Probe rausholen. Und wo wir schon davon sprechen: Hast du wirklich Danny Zuco über eine Klippe geschmissen?«

»Das ist eine ganz andere Geschichte, Jack.«

»Na gut. Aber sei von jetzt an lieber vorsichtig. Vielleicht folgt man dir.«

»Das Gleiche gilt für dich, Jack.« Joey stand auf und streifte sich die rote Lederjacke über. »Ich hole Baby von der Akademie ab, und vielleicht kommen wir später bei euch vorbei.«

»Okay. Ich besorge noch Essen zum Mitnehmen und fahre ins Motel zurück. Sei vorsichtig! Und falls du den Verdacht hegst, dass dich jemand beschattet, tauch nicht bei mir auf, ohne vorher anzurufen.«

Drei Killer für ein Halleluja
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