♦ FÜNF
Wenn man sich mit einem Schmugglerflugzeug illegal aus einem Land verdrückt, tut man das am besten nachts, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Jack musste Jasmine jedoch davon überzeugen, dass dies die gefährlichste Zeit für eine Abreise sei, denn Jasmine liebte die Gefahr. Einen Großteil ihrer gemeinsamen Zeit in Rumänien hatte Jack damit zugebracht, sie davon zu überzeugen, dass sie beide in ständiger Gefahr schwebten, selbst wenn das gar nicht zutraf. Gewöhnlich konnte er sie schon damit zufriedenstellen, dass er ihr von gefährlichen Situationen erzählte, die er bei seiner Arbeit für die Phantom Ops erlebt hatte.
Während der Taxifahrt zum Flughafen unterhielt er sie mit der Erzählung, wie er einmal in Bangkok einen Nachtflug bestiegen hatte und von einem einarmigen Mann angegriffen worden war. Jasmine fand die Geschichte toll. Im Grunde törnte es sie immer an, wenn etwas wie aus einem James-Bond-Film klang. Die Story vom Einarmigen stimmte sogar und hatte sich recht früh in Jacks Zeit bei der Dienststelle zugetragen. Wie er Jasmine davon erzählte, klang es aufregend und gefährlich, obwohl Jack in Wirklichkeit einen Einarmigen vermöbelt hatte, der alt genug gewesen war, um sein Großvater zu sein. Doch natürlich erwähnte er das Alter des Typen ihr gegenüber nicht.
Das Taxi erreichte den Privatflughafen in den Außenbezirken Bukarests nach Mitternacht. Der Fahrer kannte das Prozedere. Er setzte seine Fahrgäste vor einem mehr als sechs Meter hohen Zaun, gut hundert Meter vom Haupteingang entfernt, ab, wartete, bis sie ihr Gepäck aus dem Kofferraum geholt hatten, und brauste dann in die Nacht davon.
Jacks Gepäck bestand aus einem Rucksack mit der Summe seiner persönlichen Habseligkeiten. Jasmine hatte irgendwie genug Besitztümer ergattert, um einen großen Koffer zu füllen, obwohl sie mit nichts weiter als den Klamotten am Leib in Rumänien eingetroffen war.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Jasmine. Sie zitterte in der Kälte. Jack hatte vorgeschlagen, dass sie dunkle Sachen trug, um nachts nicht aufzufallen. Für Jasmine hieß das: ein schwarzes Top, fast klein genug, um als BH durchzugehen, kaum sichtbare Hotpants und ihr Markenzeichen, die kniehohen Stiefel. Dazu kam eine schwarze Handtasche, die sie am Riemen über der Schulter trug. Jack hatte sich hingegen in einen dicken braunen Pullover und eine dunkle Hose eingepackt.
»Jack Munson?«, fragte eine Männerstimme. Sie kam aus dem Wald auf der anderen Straßenseite.
Ein kräftiger Gentleman in grüner Militäruniform näherte sich ihnen. Er rauchte eine selbstgedrehte Zigarette.
»Das bin ich«, sagte Jack, stellte Jasmines Koffer ab und schüttelte dem Mann die Hand. »Und das ist Jasmine.«
Jasmine ging zu dem Mann, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Obwohl es dunkel war, sah Jack, wie überrascht der Mann war. Den angeworbenen Kriminellen zu küssen gehörte normalerweise nicht zum Deal. Dieser Typ war von Devon Pincent angeworben worden, um sie mit möglichst wenig Aufhebens in ihren illegalen Flieger zu bringen.
»Ich bin Andrei«, sagte der Mann. »Ich bringe Sie zu Ihrem Flugzeug.« Er deutete durch den Zaun auf ein uralt aussehendes Militärflugzeug, das in hundert Metern Entfernung auf einer Startbahn stand. »Das ist Ihre Maschine.«
»Das ist ein Flugzeug?«, fragte Jasmine. »Es sieht aus wie ein Schiff mit Tragflächen!«
»Das liegt daran, dass es alt ist«, erklärte Jack. »Es ist vermutlich eine Todesfalle. Deshalb kostet es auch nicht viel.«
»Perfekt!«
Andrei nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und warf sie zu Boden. Er trat sie mit einem seiner großen schwarzen Stiefel aus. »Folgen Sie mir«, sagte er.
Sie folgten Andrei etwa fünfzig Meter weit am Zaun entlang, bis er stehen blieb und einen Abschnitt aufriss, der aussah, als wäre er mutwillig beschädigt worden. Mit einem Wink gab er Jasmine und Jack zu verstehen, dass sie hindurchgehen sollten. Jasmine zog den Kopf ein und quetschte sich durch die Öffnung. Andrei nahm sich einen Augenblick Zeit, um ihren Arsch zu bewundern, ohne sich darum zu scheren, ob es Jack vielleicht störte. Sobald auch Andrei auf dem Stützpunktgelände war, arrangierte er den Zaun wieder so, dass er intakt wirkte.
Während sie sich der Maschine näherten, stellte Jack fest, dass zwei Männer dort die Startvorbereitungen trafen. Einer prüfte die Propeller, während der andere am Flugzeug lehnte und eine Zigarette rauchte.
»Kann ich an Bord rauchen?«, fragte Jasmine.
Andrei überholte sie forschen Schrittes. »Schnell, wir müssen uns beeilen!«, sagte er.
Der Typ, der am Flugzeug lehnte, warf die Zigarette weg und kam ihnen entgegen. Er trug einen langen dunklen Mantel und hatte sich eine Kapuze über den Kopf gezogen.
»Wird an Bord ein Büfett angeboten?«, fragte Jasmine weiter.
Jack mühte sich ab, mit ihnen Schritt zu halten, denn er musste Jasmines Koffer schleppen. »Süße, hör auf, dem Mann Fragen zu stellen«, flüsterte er.
Jasmine wandte sich zu ihm. »Ich bin nur freundlich«, sagte sie.
Jack packte sie am Arm und hielt sie fest. »Ich weiß, mein Engel. Doch es ist wichtig, dass wir unauffällig bleiben. Andrei möchte sich nicht an irgendetwas erinnern, was uns betrifft, denn ihm könnte später jemand Fragen nach diesem Flug stellen.«
Jasmine nickte, um ihm zu zeigen, dass sie kapiert hatte. »Streng geheim, richtig?«, fragte sie. »Teil unseres Undercover-Einsatzes?«
»Ganz genau.«
Andrei war ein Stück vorausgegangen. Er drehte sich nun um und rief ihnen zu: »Warten Sie dort kurz, ja?«
Während sich Andrei dem Mann im langen schwarzen Mantel näherte, möglicherweise, um den Zahlungsverkehr abzuwickeln, nutzte Jack die Gelegenheit und setzte Jasmines Koffer ab.
»Was geschieht jetzt?«, wollte sie wissen.
»Nur Formalitäten«, antwortete Jack. »Kein Grund zur Sorge.« Kaum hatte er das gesagt, da spürte er, dass es sehr wohl Grund zur Sorge gab. Der Mann, der die Propeller kontrolliert hatte, rannte auf einmal auf sie zu und versuchte seinen Kumpel in dem langen Kapuzenmantel einzuholen, der etwas mit Andrei besprach.
Jasmine flüsterte Jack zu: »Da stimmt etwas nicht. Das ist dieser Elvis-Typ, von dem ich dir erzählt habe.«
In einem Punkt hatte sie recht. Etwas stimmte eindeutig nicht.
»Bleib dicht bei mir«, flüsterte ihr Jack ins Ohr. Und unpassenderweise fiel ihm dabei wieder auf, wie toll ihre Haare rochen.
Das Nachsinnen darüber währte jedoch nicht lange. Denn Jasmine schrie auf und deutete voraus. Andrei war vor dem Typ im Kapuzenmantel auf die Knie gefallen. Jack hielt Ausschau nach irgendeiner Waffe in den Händen des Mannes. Da war nichts. Der Typ hatte jedoch eindeutig etwas mit Andrei gemacht, denn der rumänische Soldat kippte nach vorn und landete mit dem Gesicht auf dem Beton. Jack spürte einen Adrenalinstoß. Er hatte schon erlebt, wie Männer auf diese Art hinfielen.
Tote fallen auf diese Art.
Er packte Jasmine am Arm. »Verschwinden wir!«
»Was ist mit meinem Koffer?«
»Scheiß auf den Koffer!«
Er zerrte sie auf der Flucht vor den heranlaufenden Männern mit und schob sie auf die Lücke im Zaun zu, die sie durchquert hatten. Jetzt hatten sie jedoch ein größeres Problem.
Ein viel größeres Problem …
Aus dem Nichts heraus hatte sich ein Riese von einem Mann an sie herangeschlichen und versperrte ihnen den Fluchtweg. Der Mond am Himmel beleuchtete ihn gerade genug, dass Jasmine und Jack ihn gut erkennen konnten. Er trug von Kopf bis Fuß blaue Jeanssachen und hatte einen großen braunen Stetson auf dem Kopf.
»Sie müssen Jack Munson sein«, sagte er mit tiefer Stimme und einem Südstaatenakzent.
Jack stellte sich vor Jasmine. »Lassen Sie das Mädchen gehen«, sagte er.
Der Große lächelte. »Wir sind Ihre Flugbesatzung, Mr. Munson. Ich heiße Rex. Wir begleiten Sie zurück nach Amerika.«
In seinen ganzen Jahren illegaler Flüge hatte Jack noch nie eine solche Begegnung gehabt.
»Warum sollte ich Ihnen trauen?«, fragte er. »Ihr Kumpan hat gerade meinen Kontaktmann umgebracht.«
Rex blickte über Jacks Schulter hinweg und sah Andrei mit gespreizten Gliedmaßen am Boden liegen. Er machte ein langes Gesicht. »Scheiße noch mal«, grummelte er.
Der Kapuzenmann tauchte inzwischen neben Jack auf. Er roch nach Alkohol und Zigaretten.
Rex funkelte ihn an. »Hast du Andrei umgebracht?«
Der Mann antwortete in heiserem, rauem Ton: »Yeah.«
»Wieso?«
»Mir war danach.«
Der dritte Mann, der wie Elvis aussah, suchte gerade nach Lebenszeichen bei Andrei.
»Ist das Elvis?«, fragte Jasmine und deutete auf ihn.
Rex setzte den Stetson ab und verbeugte sich vor ihr, als entstamme sie einem Königshaus. »Ja, Ma’am«, sagte er. »Und mein anderer Freund hier ist der Bourbon Kid. Wir begleiten Sie nach Hause. Es besteht kein Grund zur Sorge.«
Elvis trabte herbei. Aus der Nähe wurde erkennbar, dass er einen dunkelroten Overall und eine Sonnenbrille mit Goldrand trug, obwohl es tief in der Nacht war.
»Dieser Typ ist tot«, sagte er.
»Dein Kumpel hat ihn umgebracht«, sagte Jasmine.
»Ungelogen«, sagte Elvis. Er musterte Jasmine von Kopf bis Fuß. »Weißt du, du bist unglaublich süß.«
Jack dachte sich, dass sie wohl nicht kurz davor standen, von diesen Kerlen umgebracht zu werden. Außerdem hatte er den Eindruck gewonnen, dass Rex der Einzige war, mit dem zu reden sich lohnte. »Was zum Teufel geht hier vor?«, wollte er wissen. »Wer seid ihr Typen?«
»Wir sind die Dead Hunters«, erklärte Rex.
»Dead Hunters? Was soll das denn heißen?«
»Wir jagen Leute. Dann machen wir sie tot.«
»Was hat das mit uns zu tun?«
»Wir jagen den Roten Irokesen. Und auf der Straße erzählt man sich, Sie hätten vergangenes Jahr in B Movie Hell nach ihm gesucht und, als dort alles zum Teufel ging, das Land verlassen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Keine Sorge«, sagte Rex. »Es wird Ihnen auf dem Flug nach Hause wieder einfallen.«