VIERZEHN

Devon Pincent war schon seit Jahren nicht mehr mit der U-Bahn gefahren. Er hatte es nicht nötig. Und er tat es auch nicht gern. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren für andere Menschen da. Leider folgte ihm heutzutage auf Schritt und Tritt ein Spion der eigenen Dienststelle, und die U-Bahn bot die einfachste Möglichkeit, in der Menge unterzutauchen und ihn abzuschütteln.

Er lungerte unweit eines nach Norden führenden Gleises herum und versteckte sich in einer großen Menschenmenge, wobei er einen Agenten im Auge behielt, der ihn zu Fuß verfolgte, seit er von zu Hause aufgebrochen war. Als die U-Bahn eintraf, sprang Devon an Bord und setzte sich neben eine Frau mit zwei lauten Kindern. Aus dem Augenwinkel sah er den Spion zwei Waggons weiter hinten einsteigen. Also sprang Devon in allerletzter Sekunde auf und quetschte sich durch die Türen, kurz bevor sie ganz geschlossen wurden. So verlockend es gewesen wäre, dem Spion zuzuwinken, während der Zug anfuhr, wahrte Devon den dürftigen Anschein, dass er nichts von einem Beschatter wusste. Eine Minute später stand er auf dem Bahnsteig für die Züge Richtung Süden und stieg dort in die Bahn, die ihn zu seinem Treffen mit Blake Jackson bringen würde.

Der Spaziergang von der U-Bahn-Haltestelle zur Kapelle des Heiligen Johannes des Evangelisten dauerte keine zwei Minuten, wofür Devon dankbar war, denn ein paar Regentropfen fielen vom Nachthimmel. Er wickelte sich fest in einen langen braunen Mantel, der sich zudem perfekt dazu eignete, eine Mappe voller sensibler Informationen zu verstecken.

Als er die Kapelle erreichte, war Blake Jackson schon da und saß in der hintersten Bankreihe mit Blick auf eine Statue der Jungfrau Maria am anderen Ende des Raumes. Devon erkannte Jackson an seinen eng am Kopf liegenden schwarzen Locken, die unter einem braunen Tweed-Hut hervorlugten. Er hatte sich ebenfalls in einen langen braunen Mantel gemummelt, wie ihn Devon trug, und den Kragen hochgeklappt. Zum Glück sah es danach aus, dass sich niemand sonst in der Kapelle aufhielt.

Devon setzte sich auf die Kirchenbank und rutschte seitlich weiter, bis er neben Jackson saß. »Guter Treffpunkt«, fand er.

Jackson nickte. »Stimmt. Hier drin ist es immer still.« Er holte ein Handy aus der Tasche und hielt es so, dass Devon das Display einsehen konnte. Darauf stand die Textnachricht eines gewissen Rupert. Sie lautete:

Ich habe Pincent verloren. Ich denke, er wusste, dass ich ihn beschatte.

»Es war nicht gerade schwer, den Typen zu entdecken«, sagte Devon.

»Gut. Kommen wir lieber gleich zur Sache, ehe er dein Handy aufspürt und sich ausrechnet, wo du steckst.«

Devon griff unter seine Jacke und holte die Mappe hervor, die er mitführte. Er reichte sie Jackson.

»Du musst den Inhalt Alexis zeigen«, sagte er.

Jackson öffnete die Mappe. Sie war voller Fotos, die Devon von Jack Munsons Telefon überspielt und ausgedruckt hatte. »Okay, dann erklär mir das mal«, sagte er und holte das erste Foto heraus.

»Diese Fotos wurden vergangene Woche in einem geheimen Militärbunker in Rumänien aufgenommen. Was du dir gerade ansiehst, das sind drei Männer, die planen, Calhoons große Veranstaltung am Samstag für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen.«

Jackson musterte ihn argwöhnisch. »Die Weihnachtswunder-Veranstaltung?«

»Eben die. Der Typ auf dem Foto mit der Augenklappe, das ist Solomon Bennett.«

»Der Solomon Bennett?«

»Ja.«

»Ich dachte, der wäre tot.«

»Nun, das ist er nicht, und ebenso wenig ist es Frank Grealish.«

»Wer zum Teufel ist Frank Grealish?«

Devon deutete auf einen Mann im Hintergrund der Aufnahme. »Der große Kerl mit den Bolzen im Hals, der wie Frankenstein aussieht. Das ist Frank Grealish.«

»Frank Grealish?«

»Er war früher Agent von Blackwash.«

»Ich weiß, wer er ist. Calhoon hat mir neulich alles von ihm erzählt. Sie hat aber gesagt, er wäre umgekommen.«

»Das dachten wir alle. Er ist jedoch gerade in Gesellschaft Solomon Bennetts in den USA gelandet. Ich denke, sie wollen Calhoons ›Weihnachtswunder‹ überfallen, um das verbliebene Mistralyt zu stehlen.«

Jackson sah verwirrt aus. »Was ist Mistralyt?«

»Weißt du von dem Zeug, das Calhoon als Heilmittel für Hautkrebs einsetzt? Früher nannte man es Mistralyt. Solomon Bennett und sein Komplize Henry Jekyll haben versucht, mit Hilfe dieser Substanz menschliche Haut kugelsicher zu machen. Es gibt auf der ganzen Welt nicht mehr viel davon, und das ist komplett in Calhoons Besitz. Jeder einzelne Tropfen wird auf der Veranstaltung am Samstag präsent sein. Jetzt ist Bennett zurück, und ich denke, dass er das Zeug für sich möchte. Ich würde außerdem wetten, dass in Wirklichkeit er es ist, der plant, den Papst zu ermorden.«

Jackson rieb sich das Kinn und starrte auf das Foto. »Bist du dir hundertprozentig sicher?«

»Absolut.«

»Und wie kann ich mir sicher sein, dass du dir das nicht ausgedacht hast, um Calhoon deine Entlassung heimzuzahlen?«

»Ich wurde nur suspendiert.«

»Im Grunde ja, aber sie möchte dich loswerden. Es ist nicht mehr viel nötig, dass sie sich deinen Tod wünscht. Sie lauert nur darauf, dass du dir einen Fehltritt leistest und Kontakt zum Roten Irokesen aufnimmst. Das wäre es dann, du wärst Geschichte.«

»Nun, darauf kann sie lange warten. Du kannst mich noch zehn Jahre lang von deinen Spionen beschatten lassen und wirst mich nicht dabei ertappen, wie ich mit Joey Conrad rede. Ich weiß gar nicht, wo er ist, und um ehrlich zu sein, möchte ich es auch gar nicht wissen.« Devon meinte das keineswegs ehrlich und vermutete, dass Jackson das auch wusste, aber Geheimnisse waren nun mal Geheimnisse und mussten es bleiben. Außerdem war Joey Conrad ein anderes Thema.

»Okay«, sagte Jackson. »Ich zeige ihr das Material morgen. Sie wird allerdings stinkig darauf reagieren, dass ich überhaupt in ein Treffen mit dir eingewilligt habe. Das weißt du doch, oder? Ich sitze zusammen mit dir in der Scheiße.«

»Da ist noch etwas.«

»Bei dir doch immer.«

»Kennst du diesen Mozart, den Mann mit den vielen Gesichtern?«

»Was ist mit ihm?«

»Es wurde nicht öffentlich gemacht, aber er ist aus dem Knast geflohen. Bennett hat ihn herausgeholt. Wahrscheinlich hat Frankenstein dabei die Schwerarbeit geleistet. Mozart ist ein Meister in der Planung großer Raubzüge, was nur meine Theorie bestätigt, dass sie Calhoons Veranstaltung überfallen werden.«

Jackson zog die Brauen hoch. »Woher kriegst du alle diese Informationen?«

»Ich verfüge über zuverlässige Informanten.«

»Hast du Fotos von Mozart?«

»Leider nicht, aber ich weiß aus glaubwürdiger Quelle, dass er bei Bennett und den anderen in Rumänien war.«

Die Eingangstür der Kapelle knarrte, und beide Männer drehten sich um. Ein alter Mann mit Spazierstock schlurfte herein. Sie warteten, bis er an ihnen vorbeigeschlurft war, ehe sie ihr Gespräch fortsetzten.

Devon flüsterte Jackson ins Ohr: »Überrede Calhoon einfach, die Veranstaltung abzusagen. Ich gebe einen Dreck auf das Mistralyt, aber falls der Papst ermordet wird, könnte das einen Scheißreligionskrieg auslösen. Und Gott weiß, dass wir das nicht gebrauchen können.«

Jackson schien ihm beizupflichten. »Okay, okay«, sagte er. »Ich rede ihr gut zu, die Veranstaltung abzusagen. Sie wird allerdings stinksauer sein, also gib mir etwas an die Hand. Verrate mir wenigstens, wie du an diese ganzen Informationen gekommen bist. Hast du etwa einen Maulwurf in Bennetts Organisation geschleust? Denn wenn es Joey Conrad gewesen sein sollte, der dir das alles erzählt hat, dann bin ich mir nicht sicher, inwieweit ich in die Sache verwickelt werden möchte.«

»Ich habe es dir schon erklärt: Ich hatte keinerlei Kontakt zu ihm. Außerdem hat er, wie du sehr gut weißt, neulich diese Kannibalen-Familie an der Tankstelle niedergemetzelt. Er kann nicht an zwei Stellen gleichzeitig sein.«

»Wer war es dann? Wer hat diese Fotos gemacht? Und wer hat Mozart gesehen?«

Devon holte tief Luft. »Okay, du musst das aber für dich behalten.«

»Pfadfinderehrenwort«, sagte Jackson, hob den Blick zum Himmel und bekreuzigte sich.

»Es war Jack Munson. Er hat ihr Versteck infiltriert. Er ist immer noch so ziemlich der beste Geheimagent, den wir haben, weißt du?«

»Ich weiß. Calhoon hasst ihn jedoch fast so sehr wie dich.«

Devon schnaubte vor Lachen. »Ich gehe jetzt lieber, ehe dein Schnüffler noch rausfindet, wo ich bin!«

Jackson packte ihn am Ärmel des Mantels, um ihn aufzuhalten. »Devon, du solltest uns Joey Conrad wirklich ausliefern. Wenn du das noch zusätzlich zu allem machst, was du mir hier gegeben hast, würde dir Calhoon sicher verzeihen und dich wieder in den Schoß der Familie aufnehmen.«

»Das kann ich nicht tun«, sagte Devon. »Wie ich schon sagte, ich weiß gar nicht, wo er steckt.«

»Okay. Aber denk darüber nach. Ich rufe dich an, sobald ich mit Calhoon geredet habe.«

»Danke, Blake, ich weiß das wirklich zu schätzen.«

Devon stand auf, ging aus der Kapelle und ließ Jackson zurück, damit der über den Inhalt der Mappe grübeln konnte.

Sobald Devon gegangen war, zückte Blake Jackson sein Handy und machte einen Anruf. Nach zwei Klingeltönen meldete sich Solomon Bennett.

»Hey, was ist los?«, erkundigte er sich.

»Hier ist Blake. Ich bin gerade Pincent begegnet. Er weiß alles! Er hat sogar Fotos von euch aus Rumänien.«

»Wie das?«

»Jack Munson.«

»Jack der Säufer? Bist du sicher?«

»Eindeutig. Pincent sagte, Munson hätte euer Versteck infiltriert und die Fotos gemacht. Ich habe sie alle hier.«

Bennett klang mächtig angefressen. »Verdammte Scheiße!«, blaffte er. »Dieser beschissene Devon Pincent und seine noch beschisseneren Undercover-Leute! Du hättest früher davon Wind bekommen müssen. Verdammt, du solltest ihn doch im Auge behalten.«

Jackson passte Bennetts Einstellung gar nicht. »Schieb bloß nicht mir die Schuld in die Schuhe! Du bist der Idiot, der superschlau sein wollte und die falsche Todesdrohung des Roten Irokesen verbreitet hat.«

Am anderen Ende der Leitung trat eine Pause ein, während Bennett verdaute, was Jackson gerade gesagt hatte. »Wovon redest du da?«, knurrte er.

»Diese Nachricht, die du Calhoon geschickt hast. Die besagte, der Rote Irokese wolle den Papst umbringen.«

»Ich habe nichts dergleichen getan.«

Jackson war verblüfft. »Wenn du es nicht warst, wer war es dann?«

Drei Killer für ein Halleluja
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