♦ SIEBEN
»Was für eine Art Flugzeug ist das?«, fragte Jasmine.
»Ein militärisches Frachtflugzeug«, erklärte Jack.
Jasmine war noch nie mit einem schönen Flugzeug geflogen. Die Maschine, mit der sie nach Rumänien gereist waren, hatte sich als Rostkübel erwiesen, und diese hier war nicht viel besser. Und sie war voller Verrückter.
Sie saß neben Jack auf einer Bank, die sich an der Rumpfseite entlangzog. Direkt gegenüber saß der Bourbon Kid. Er hatte die Beine ausgestreckt und trug die Kapuze nach wie vor über dem Kopf, was ärgerlich war, denn Jasmine hätte sein Gesicht gern besser gesehen. Sie konnte nur erkennen, dass er unrasiert war und vermutlich irgendwo in den Dreißigern steckte; also doch sicherlich viel zu alt, um als Kid bezeichnet zu werden?
Rodeo Rex saß Jack gegenüber. Er wirkte noch schräger als der Kid, denn er trug einen schwarzen Handschuh an der rechten Hand, nicht jedoch an der linken. Es juckte Jasmine, ihn nach dem Grund zu fragen. Hatte der Aufenthalt in Rumänien so lange gedauert, dass sie nicht mehr wusste, was in Mode war? Oder hatte Rex den anderen Handschuh verloren? Nach dem überdimensionierten Stetson und seiner welligen braunen Vokuhila-Frisur zu urteilen, lag er in modischen Dingen eher hinter der Zeit und konnte wohl kaum zur Avantgarde gezählt werden, entschied sie. Ungeachtet seiner zweifelhaften Bekleidung besaß Rex jedoch Sex-Appeal. Die ärmellose blaue Jeansjacke eröffnete den Blick auf Bizepse, die größer als alles waren, was Jasmine in dieser Hinsicht je erblickt hatte. Und sie hatte schon sehr dicke Muskeln gesehen. Seine Arme wiesen außerdem verrückte Tätowierungen auf, Darstellungen von Schädeln, Schlangen und Wörter wie TOD und AUSERWÄHLT.
Der andere Typ, Elvis, saß im Cockpit und flog die Maschine. Sein Modegespür war ebenfalls sonderbar, aber zugleich durchschaubarer. Jasmine hatte ihn schon einige Male gesehen, und jedes Mal war er wie Elvis Presley aufgemacht, bereit, die Bühne zu betreten und zu spielen. Auch trug er stets eine Sonnenbrille mit Goldrand, sogar nachts.
»Ist dein Freund ein guter Pilot?«, wandte sich Jasmine an Rex.
»Er ist der beste Pilot an Bord«, antwortete Rex ernst.
Das war nicht ganz die Antwort, die sie erhofft hatte. Die Aufregung wurde zu stark für sie, und sie griff in ihre Handtasche und holte eine Packung Zigaretten hervor. Sie hatte noch sechs Glimmstängel übrig, was bedeutete, dass sie sie einteilen musste, auch wenn ihr gerade danach zumute war, sie hintereinander weg zu rauchen.
Rex beugte sich vor. »Rauchen ist an Bord nicht erlaubt«, sagte er leise.
»Scheiß auf dich. Ich langweile mich.«
Sie holte eine Zigarette aus der Packung und steckte sie sich zwischen die Lippen. Dann holte sie das Feuerzeug hervor und klappte es auf. Sie wollte gerade die Zigarette anzünden, als ihr das Feuerzeug unerklärlicherweise aus der Hand flog, als hätte es jemand mit einer unsichtbaren Angel erhascht. Es zischte über den Zwischengang hinweg und landete in Rex’ Handschuh, um dann in seiner Faust zu verschwinden.
Jack sprach laut aus, was Jasmine dachte. »Was zum Teufel war das?«
Rex steckte sich das Feuerzeug in eine Tasche seiner Jeans. »Ich hab ihr gesagt, dass nicht geraucht wird. Das ist passiert.«
»Schön und gut, aber wie zum Geier konntest du das Feuerzeug in deine Hand fliegen lassen?«, hakte Jack nach.
»Ich habe die Macht benutzt.« Rex lehnte sich zurück und schien immens mit sich zufrieden.
Der Bourbon Kid meldete sich zu Wort. »Gib mir deine Zigaretten«, sagte er zu Jasmine.
Dieser Typ hatte etwas an sich. Wenn er redete, schwang ein rauer Unterton in seiner Stimme mit, und mit dem unter der Kapuze kaum erkennbaren Gesicht wirkte er ein wenig wie der Sensenmann. Und weil Jasmine Angst hatte vor dem Sensenmann, gehorchte sie und warf ihm die Schachtel Zigaretten zu. Werfen war allerdings nicht ihre stärkste Disziplin. Die Schachtel segelte an der Schulter des Kids vorbei, trotzdem gelang es ihm, sie mit der linken Hand aus der Luft zu pflücken. Dann führte er die Schachtel an den Mund und zog eine Zigarette mit den Zähnen heraus.
Rex packte den Kid am Arm. »Die solltest du lieber nicht anzünden.«
Der Kid saugte an der nicht angezündeten Zigarette. Zu Jasmines Überraschung glomm sie von allein auf, als er inhalierte. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, drehte sie zwischen den Fingern und hielt sie Jasmine hin. Zögernd streckte sie die Hand aus, obwohl Rex sie böse anblickte. Sie steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und nahm einen Zug. Es fühlte sich so gut an, sich die Lungen mit Rauch zu füllen! Sie atmete aus und lächelte den Kid an, aber er erwiderte es nicht. Er warf ihr nur die Zigarettenschachtel wieder zu.
»Danke«, sagte sie.
Rex schüttelte den Kopf und stieß den Kid mit dem Ellbogen an. »Warum bist du nur immer so ein Arschloch?«
Der Kid antwortete nicht. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück an die Wand.
Jasmine nahm einen weiteren Zug. Ihr war auf einmal viel wohler als noch vor dreißig Sekunden. Sie nahm vier oder fünf weitere Züge, ehe sie den Mut aufbrachte, dem Kid eine Frage zu stellen.
»Wie hast du das gemacht?«
Er öffnete die Augen nicht, antwortete aber. »Das ist ein Geheimnis. Ich zeige es nur meinen Freunden.«
»Toll! Können wir Freunde sein?«, fragte Jasmine begeistert.
Jack streckte die Hand aus und rieb ihr den Rücken. »Jaz, ich denke, er will damit ausdrücken, dass er es dir nicht zeigen möchte.«
»Ich möchte es aber wissen. Das ist so cool. Ich möchte das auch können!«
Rex stampfte mit dem Fuß auf und gewann damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. »Was zum Teufel ist nur los mit dir?«, fragte er und funkelte Jasmine an. »Ich habe gerade dein Feuerzeug quer durch die ganze Kiste in meine Hand fliegen lassen, und das Einzige, was dich interessiert, ist, wie er seine Scheißzigarette anzündet?«
»Fein«, sagte Jasmine. »Erzähl uns von deinem schrägen Trick.«
Der Bourbon Kid antwortete an Rex’ Stelle. »Er hat eine Magnethand«, sagte er.
Jasmine starrte schaudernd auf Rex’ behandschuhte Hand. »Uuh, das ist unheimlich!«
Jack beugte sich zu Rex hinüber. »Kann ich sie mal sehen?«, fragte er.
Rex lockerte den Handschuh nacheinander an jedem Finger und zog ihn dann ganz herunter. Zum Vorschein kam eine glänzende Faust aus Stahl. Er demonstrierte ein paarmal, wie er damit zugriff, damit alle sehen konnten, dass sie wie eine normale Hand funktionierte.
»Wie zum Henker bist du an eine Metallhand gekommen?«, fragte Jack.
»Ist das deine Wichshand?«, erkundigte sich Jasmine.
Rex ignorierte sie und entschied, lieber auf Jacks Frage zu antworten. »Die echte Hand musste amputiert werden, also hab ich mir eine neue bauen und sie erst kürzlich magnetisieren lassen.«
Jack runzelte die Stirn. »Führt der Magnet nicht zu Problemen? Du musst doch ständig an allen möglichen Sachen haften bleiben.«
Rex schüttelte den Kopf. »Der Magnet funktioniert wie der Rest der Hand, nämlich nur dann, wenn ich möchte, dass er es tut.«
»Wie das?«
»Wie bewegst du deine Finger?«, fragte Rex.
»Ich wackle einfach damit«, sagte Jack und wackelte mit den Fingern.
»Genau. Dein Geist steuert die Hand. Genauso ist es bei mir.«
Jasmine schnitt eine Grimasse. »Mann, das ist irre! Wischst du dir auch den Hintern mit dieser Hand ab?«
»Das ist nicht irre!«, brüllte Rex. Er lehnte sich an die Wand zurück und sah aus wie ein schmollendes Kind.
»Was ist aus deiner ursprünglichen Hand geworden?«, fragte Jack. »Warum musste sie amputiert werden?«
Rex zog sich den Handschuh wieder an. »Ich mag nicht mehr drüber reden«, knurrte er. »Sprechen wir doch über den Roten Irokesen. Ich möchte alles hören, was du über ihn weißt. Du kannst anfangen, indem du mir erzählst, warum du der Einzige warst, den der Staat geschickt hat, um ihn aufzuhalten.«
Eine Rauchwolke aus Jasmines Zigarette trieb durch den Zwischengang und an Rex’ Nase vorbei. Er wedelte sie mit der behandschuhten Hand weg und musterte sie böse.
»Wenn du schon rauchen musst, dann wirst du dich dazu ins Cockpit setzen!«, blaffte er. »Ich und Jack, wir müssen über Dinge reden.«
Jasmine rollte mit den Augen, und für einen Moment glaubte sie, den Bourbon Kid unter seiner Kapuze lächeln zu sehen. Sie küsste Jack auf die Wange. »Ich bin in einer Minute zurück, Schatz.«
Sie stand auf und ging zur Tür des Cockpits. Ein roter Umhang hing dort und sah aus, als passe er gut zu Elvis’ rotem Anzug. Umhänge sind echt cool, dachte sich Jasmine. Ich muss mir auch einen besorgen.
Sie drehte den Griff der Cockpittür und öffnete sie. Im Cockpit saß Elvis auf einem von zwei Sitzen und lenkte das Flugzeug mit einer Art Joystick. Er drehte sich zu Jasmine um und lächelte. »Hey, Süße«, sagte er, »was kann ich für dich tun?«
»Dein Freund hat gesagt, ich könnte hier drin rauchen.«
Elvis tätschelte den Copilotensitz neben ihm. »Dann komm mal rein.«
Jasmine schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den angebotenen Platz. Durchs Cockpitfenster sah sie den Nachthimmel und die vor ihnen liegenden Wolken. »Wow, das ist ja cool!«, fand sie.
»Mir gefällt es auch«, sagte Elvis. »Langweilen dich die Gespräche da hinten?«
»Sie wurden für meinen Geschmack ein bisschen zu machomäßig.«
»Oh ja. Das kommt vor.«
»Also gehört nur ihr drei zu den Dead Hunters?«, fragte sie.
»Den Dead Hunters?« Elvis schien verwirrt.
»Rex hat gesagt, man würde euch die Dead Hunters nennen. Ihr jagt Killer und macht sie tot. So hat er es ausgedrückt.«
Elvis lächelte. »Ha! Er hat schon immer versucht, sich einen Namen für uns auszudenken. Leider ist alles, was ihm einfällt, total daneben.«
»Ich finde, Dead Hunters ist ein echt cooler Name!«
Elvis zuckte die Achseln. »Dann behalten wir ihn vielleicht.«
»Also, was treibt ihr Typen denn so alles? Und was wollt ihr vom Roten Irokesen?«
»Darf ich auch mal an dieser Kippe ziehen?«
»Klar, Süßer.« Jasmine reichte ihm die Zigarette. Er nahm einen Zug und gab sie ihr zurück.
»Wir jagen alles und jeden, von dem wir denken, dass er in die Hölle gehört. Dann sorgen wir dafür, dass er auch dort landet.«
»Wow! Ihr denkt also, dass der Rote Irokese in die Hölle gehört?«
»Rex denkt es. Man erzählt, der Rote Irokese hätte ein Problem mit der katholischen Kirche und werde deshalb versuchen, den Papst zu ermorden.«
»Wer ist der Papst?«
»Er ist so eine Art Aushängeschild für die Kirche.«
»Das weiß ich«, sagte Jasmine. »Aber wie heißt er wirklich?«
»Ich hab keinen Schimmer«, antwortete Elvis. »Er ist wie Batman oder James Bond, sie tauschen alle paar Jahre den Darsteller aus. Fällt schwer, am Ball zu bleiben.«
»Möchte ihn der Rote Irokese vielleicht deshalb umbringen? Möchte er selbst Papst werden?«
Elvis lachte. »Das ist eine Möglichkeit.«
»Ich bin dem Roten Irokesen einmal begegnet«, erzählte Jasmine. »Er hat nicht versucht, mich umzubringen. Er hat die ganzen Männer umgebracht, die das Hurenhaus geleitet haben, wo ich angestellt war.«
»Du hast in einem Hurenhaus gearbeitet?«
»Ja.«
»Du siehst nicht wie eine Hure aus.«
»Ich bin auch keine mehr. Jack hat mir beigebracht, als Undercover-Agentin zu arbeiten.«
Elvis musterte sie über die Sonnenbrille hinweg, wobei sein Blick vor allem auf ihrem Ausschnitt ruhte. »Du bist Undercover-Agentin?«
»Sicher. Und ich bin richtig gut darin.«
Elvis schien nicht überzeugt. »Dann musst du ganz schön clever sein. Undercover zu arbeiten ist nämlich sehr gefährlich.«
»Ich bin viel cleverer, als die Leute denken«, sagte Jasmine stolz. »Jack hat mir erklärt, dass mich die Leute für einen Hohlkopf halten, wegen der Sachen, die ich trage, und der Art, wie ich rede. Deshalb merkt niemand, wie clever ich wirklich bin.«
Elvis lächelte. »Wie entlockst du den Leuten dann Informationen? Was ist dein Trick?«
»Ich kriege Informationen nur von Männern oder manchmal von Lesben. Die meisten Kerle erzählen mir alle ihre Geheimnisse, wenn sie denken, dass sie damit Eindruck schinden können. Ich meine, sieh nur dich an, du hast mir gerade alles darüber erzählt, was ihr Typen so macht.«
»Ich hab noch nicht mal an der Oberfläche dessen gekratzt, was wir machen, Süße.«
Jasmine nahm einen letzten Zug von der Zigarette. »Macht es dir was aus, wenn ich die hier aus dem Fenster werfe?«, fragte sie.
Elvis streckte die Hand zur Instrumententafel aus und zog einen Aschenbecher hervor. »Ist vermutlich sicherer, wenn du sie hier ausdrückst«, sagte er.
»Oh, okay.« Jasmine stopfte die Zigarette in den Aschenbecher. Dann sah sie sich zwischen all den Knöpfen und Hebeln im Cockpit um. »Also, wo bewahrt ihr den Autopiloten auf?«, fragte sie.
»Was?«
»Du weißt schon, den Typ zum Aufblasen, der das Flugzeug fliegt, wenn der Pilot eine Lebensmittelvergiftung kriegt.«
Elvis musterte sie erneut über die Sonnenbrille hinweg. »Tust du jetzt nur so, als ob du dumm wärst?«, fragte er.
Jasmine lächelte. »Manchmal weiß ich es selbst nicht.«