♦ EINUNDFÜNFZIG

Zu Solomon Bennetts Sache überzulaufen, hatte Private Downey schlaflose Nächte bereitet. Er betrachtete sich von jeher als Patriot, und Bennett hatte ihn überzeugt, dass es eine patriotische Tat war, das Mistralyt zu stehlen und es für das edle Anliegen der Landesverteidigung einzusetzen. Es jedoch an einen Haufen Millionäre und Geschäftsleute zu verkaufen, die davon profitierten oder sich damit vor Hautkrebs schützten, lag demgegenüber einfach nicht im Interesse der breiten Masse. Heute, da es so weit war und Downey seinen Beitrag geleistet hatte, Bennett und seine Leute auf das Gelände von Landingham Manor zu lotsen, hegte der Private auf einmal ernste Zweifel. Nun war es jedoch zu spät, sich aus dieser Sache zurückzuziehen, und Bennett zahlte ihm auch einfach zu viel Geld, um es liegen zu lassen. Allerdings würden Menschen sterben. Langfristig mochte sich durchaus herausstellen, dass Bennetts Plan tausende Menschenleben rettete, vielleicht Millionen, aber kurzfristig starben unschuldige Menschen. Heute.

Unruhe stellte für Tim Downey schon so lange ein Problem dar, wie er zurückdenken konnte. Und schlecht zu schlafen war nur eines der Symptome. Chronische Magenschmerzen waren der Punkt, wo ihm die Unruhe richtig zu schaffen machte.

Um 11 Uhr 30 vormittags war sein Magen durch und durch verspannt, fest umklammert von der Faust der Sorge. Und das lag in dem Wissen begründet, dass Downey, sobald Frankenstein auftauchte, etwas tun musste, wovor ihm mehr graute als vor allem anderen. Er musste seinen Freund Private Dane O’Kane erschießen. Downey und Kane waren die beiden Marines mit dem Auftrag, das Zufahrtstor weiterhin zu bewachen, nachdem es sämtliche Gäste passiert hatten. Downeys Befehl lautete, beim Eintreffen Frankensteins O’Kane die Waffe an den Kopf zu halten und ihm das Gehirn rauszupusten. Jedes Mal, wenn er daran dachte, reagierte sein Magen heftiger. Als dann das unerfreuliche Ereignis in weniger als dreißig Minuten bevorstand, entschied Downey, seine letzte Chance zu nutzen und einen abseilen zu gehen. Er erinnerte sich an die weisen Worte seines sterbenden Vaters: Deinen besten Kumpel killst du lieber erst, nachdem du dich gründlich ausgeschissen hast. Okay, das waren vielleicht nicht exakt die letzten Worte seines Vaters gewesen, aber sie hatten sich in diese Richtung bewegt.

Er ließ O’Kane allein am Tor stehen und lief aufs Hauptgebäude zu. Selbst der Trab die Auffahrt entlang war ungemütlich. Sobald er den Metalldetektor an der Front des Hauses passierte, löste seine Pistole den Alarm aus.

Ein Sicherheitsmann, ein junger Bursche namens Liam, nahm ihm die Waffe ab und befahl ihm zur Vorsicht, noch einmal den Metalldetektor zu durchqueren. Sobald Downey das erfolgreich getan hatte, gab ihm Liam die Pistole zurück.

»Wo finde ich das nächste Scheißhaus?«, fragte Downey und gab sich größte Mühe, keinen »Kackatanz« aufzuführen wie ein Kind, wenn es dringend muss.

Liam deutete auf die Treppe in der Mitte der Eingangshalle. »Dort hinauf«, sagte er. »Leute, die Schusswaffen mitführen, dürfen nicht dieselben Toiletten wie die Gäste benutzen. Du musst die Treppe hinauf und dich dort rechts halten.«

»Danke.«

Als Downey zur Treppe sprintete, rief ihm Liam nach:

»Sei vorsichtig! Sie hatten da oben einen Zwischenfall. Jemand hat ins Urinal gekotzt. Es ist dicht und fließt über. Da schwappt überall die Pisse!«

Downey scherte sich nicht darum, wie viel Pisse oder Kotze auf dem Boden herumlag. Soweit es ihn anging, würde er in einer netten sauberen Kabine mit wattiertem Klopapier sitzen. Das war sein Traum.

Er eilte einen Flur im Obergeschoss entlang, bis er die Herrentoilette fand, die Liam gemeint hatte. Er stürmte durch die Tür und fing dabei schon an, den Gürtel zu öffnen. Der Gestank von Pisse und Kotze hing hier stärker in der Luft, als er erwartet hatte. Bahnhofstoiletten rochen besser als diese Bude hier. Hintergrundmusik dudelte aus Wandlautsprechern, vielleicht extra zu dem Zweck eingespielt, Geräusche zu übertönen, wie Downey sie von sich zu geben im Begriff stand. Er kannte den Song, der aktuell lief. Es war Little Drummer Boy von David Bowie und Bing Crosby. Wieder so ein Weihnachtslied. Als hätte Downey im zurückliegenden Monat davon nicht schon genug gehört.

Zu seiner Linken entdeckte er das lange altmodische Pissbecken, vor dessen Verstopfung ihn Liam gewarnt hatte. Das gehörte zu den Problemen von Landingham Manor. Manches an Einrichtung war so altmodisch! Das Pissbecken erinnerte an einen Schweinetrog, breit genug für sechs Männer Seite an Seite, die hineinstrullten, während sie über Football redeten und dabei die ganze Zeit starr nach vorn blickten. Es war aus Metall gefertigt, und der auf Kniehöhe liegende Trog, der zweifelsohne schon für viele peinliche Spritzzwischenfälle gesorgt hatte, war sechs Zoll tief. Er war bis zum Rand voll mit dunkelgelbem Urin, in dem Brocken von Kotze schwammen. Ein Teil war übergelaufen und sickerte gemächlich auf drei Kabinen an der Wand gegenüber zu.

Und diese Bude haben sie als piekfein ausgegeben!

Downey schlich auf Zehenspitzen durch die Schweinerei auf dem Fußboden und erreichte die erste Toilettenkabine. Mit Tesafilm war ein Zettel an die Tür geklebt, auf dem zwei Worte in schwarzen Lettern standen:

AUSSER BETRIEB

Verdammter Mist!

Die imaginäre Stoppuhr in Downeys Eingeweiden hatte inzwischen den Countdown zur Entladung gestartet, und er wusste, dass sein Arsch bei Null in großem Maßstab das Curry vom vergangenen Abend freigeben würde – egal ob er nun auf einer Toilette saß oder nicht.

Fünf.

Vier.

Dankenswerterweise zierte kein Außer-Betrieb-Zettel die Tür der zweiten Kabine. Er stürmte hinein und wollte gerade die Hose herunterlassen, als er sah, dass diese Toilette keine Klobrille aufwies. Und rings ums Becken war Pisse verspritzt. Auf keinen Fall würde er dort sitzen oder auch nur darüber hocken.

Drei.

Zwei.

Ihm blieb nichts weiter übrig. Es galt entweder: Kabine drei oder auf den Fußboden scheißen!

Er wich aus Kabine zwei zurück und stürmte in die dritte und letzte Kabine. Hier erhielt er keine Aussicht auf den Zustand des eigentlichen Toilettensitzes, denn ihm versperrte ein großer Kerl in roter Jacke mit gelber Schädelmaske und einem roten Haarkamm den Blick.

Der Rote Irokese!

Eins.

Der Rote Irokese streckte die Hand aus, packte Downey am Unterkiefer und stemmte ihn in die Luft. Downey kniff die Arschbacken noch fester zusammen. Er blickte durch die Gucklöcher der Maske in die Augen, die seinen Blick erwiderten. Es waren tote Augen, bar jeden Ausdrucks.

Unvermittelt wurde Downey rückwärts auf das grauenhafte, stinkende, überfließende Urinal geschleudert. Er konnte die Arschbacken nicht länger zusammenkneifen. Er landete in exakt dem Augenblick auf dem Fußboden, als sein After nachgab und sich seine Unterhose mit einem Berg aus Kot füllte, was nur wenig dazu beitrug, den Aufprall zu mildern.

Der Rote Irokese kam aus der Klokabine zum Vorschein. Er beugte sich vor und packte eine Hand voll von Downeys blondem Haar. Er zerrte ihn hoch und hämmerte ihm den Kopf an das metallene Pissbecken. Der Aufprall erzeugte ein Scheppern und ein Beben, dem eine Flutwelle aus Pisse und Kotze folgte; sie schwappte aus dem Trog und lief über Downeys Hinterkopf, seinen Hals hinab bis ins Hemd.

Downey versuchte sich aufzurappeln, damit er sich wehren konnte, aber er rutschte immer wieder auf dem Boden aus. Er tastete hinter sich, hoffte vergeblich, irgendwo Halt zu finden. Er bekam das Urinal zu fassen, und seine Finger versanken tief in dem Teich aus Pisse und Erbrochenem. Der Rote Irokese zerrte ihn erneut an den Haaren hoch, drehte ihm den Kopf herum und stieß ihn dieses Mal mit dem Gesicht ins Becken.

Die unappetitliche Masse strömte Downey in Mund und Nase. Er zappelte herum, bekam keine Luft und versuchte den Kopf wieder aus dem Urinal zu heben, aber der Irokese hielt ihn zu fest gepackt.

Downey ruderte mit Händen und Füßen, versuchte die Kante des Urinals zu fassen und irgendwie Hebelkraft zu entfalten, um sich zu befreien. Der Kampf dauerte weniger als eine Minute, ehe Downey schließlich unterlag und in dem unsäglich widerlichen Trog ertrank.

Der Rote Irokese schleifte seine Leiche vom Urinal über den Fußboden bis zu der Kabine mit der Aufschrift AUSSER BETRIEB. Er öffnete sie mit einem Fußtritt und zerrte sein Opfer hinein. Er setzte die Leiche auf den Toilettenstuhl und nahm sich einen Augenblick Zeit, um in das glotzende Gesicht zu blicken. Der erste Mord des Tages war erledigt. Es fühlte sich gut an, wieder die Maske zu tragen. Und es fühlte sich noch besser an, Leute umzubringen.

Er nahm Downey die Schusswaffe ab und reinigte sie in einem nahen Waschbecken, wobei er sich mit der kostenlosen Seife auch gleich die Hände wusch. Ein Blick in den Spiegel erinnerte ihn daran, wie gut er doch in der Maske aussah. Er fühlte sich aufs Neue unbesiegbar. Eine Stimme in seinem Kopf meldete sich zu Wort.

Finde Baby und Devon. Bring alle anderen um.

Drei Killer für ein Halleluja
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