NEUNZEHN

Alexis Calhoon hatte viel nachgedacht. Hatte vielen Gedanken darüber nachgehangen, was in jüngster Zeit alles innerhalb der Phantom Ops geschehen war. Ihre größte Sorge galt der Frage, welchen der Männer unter ihrem Kommando sie über den Weg trauen konnte. Hundertprozentig trauen …

Das größte Problem bestand noch immer in Devon Pincent. Er verfolgte stets gute Absichten und glaubte an den Schutz der Schwachen. Seine Methoden waren jedoch vollkommen unmoralisch. Calhoon wusste einfach nicht, auf welche Weise er an der Morddrohung gegen den Papst beteiligt war. Wenn er überhaupt etwas damit zu tun hatte. Das war das Problem mit Devon – er war anderen Mitspielern immer einen Schritt voraus. Sobald die Leute schnallten, was er im Schilde führte, hatte er fast immer schon seine Spuren verwischt und ein Ablenkungsmanöver gestartet. Das gab ihm dann die Gelegenheit, seine Beteiligung an dem zu vertuschen, was auch immer er ausgeheckt hatte.

Als Calhoon vor der Penthouse-Suite im Hotel Ritz eintraf, war sie kein bisschen schlauer hinsichtlich Devons Rolle geworden, und sie war es inzwischen leid, darüber zu grübeln. Zu viele Dinge gingen ihr durch den Kopf, nicht zuletzt ihre bevorstehende Begegnung mit dem Papst. Sie hatte sich für das Treffen eine weiße Galauniform angezogen, auch wenn sie zuvor erst einmal eine Stunde lang über alle möglichen zwanglosen Bekleidungsalternativen nachgesonnen hatte. Aber hier ging es um Geschäftliches. Sie brachte auch einen Blumenstrauß in allen Farben mit, womit sie dem Umstand Rechnung trug, dass sich der Papst gerade einer schweren lebensrettenden Operation unterzogen hatte.

Die Tür wurde ihr von Rufus geöffnet, dem persönlichen Sekretär des Papstes und Vorstand seines Haushaltes. Er führte sie in die Privaträume des Pontifex. Rufus war ein Mann durchschnittlicher Größe mit noch anständig vielen grauen Haaren und einem Gesicht, das eher zu einem Mann in den Vierzigern gepasst hätte als zu einem Achtundfünfzigjährigen. Er trug einen langen schwarzen Talar mit rotem Futter an Ärmeln und Kragen. Calhoon kannte ihn aus dem Fernsehen und hatte bei ihrer bislang einzigen persönlichen Begegnung zuvor schon erfreut festgestellt, dass er in Persona ebenso leutselig war wie auf dem Fernsehschirm.

»Setzen Sie sich bitte«, sagte Rufus.

»Diese hier sind für Seine Heiligkeit«, erwiderte Calhoon und reichte ihm den Strauß Blumen.

»Danke«, sagte Rufus. Er nahm die Blumen entgegen und stellte sie auf einen richtig alten Flügel in einer Ecke des Raums.

Der Papst und sein Gefolge wussten, wie man ein gutes Hotel fand. Diese Penthouse-Suite war vornehmer als jegliches Etablissement, in dem Calhoon jemals abgestiegen war. Sie setzte sich auf ein goldfarbenes Dreiersofa, blickte sich um, bewunderte die hohe Decke und die schiere Wertigkeit von allem im Raum: von dem Flügel, der in besagter Ecke auf einem Podium stand, bis zu dem riesigen, direkt in die Wand eingebauten Fernsehbildschirm. Sie hätte gern mehr Zeit gehabt, um sich hier umzusehen, aber in Anbetracht der unchristlichen Uhrzeit war sie sich der Notwendigkeit bewusst, sich kurz zu fassen.

»Zwei Gründe führen mich zu solch später Stunde hierher«, sagte sie. »Zunächst und vor allem möchte ich erfahren, wie sich der Papst von der Operation erholt?«

Rufus setzte sich in einen großen cremefarbenen Sessel. »Gute Nachrichten«, sagte er mit einem großmütigen Lächeln, das einen Kontrast zu den müden Augen bildete. »Die Operation war ein voller Erfolg. Das Mistralyt hat genau so funktioniert, wie Sie versprochen hatten. Die Chirurgen haben bestätigt, dass sämtliche Krebszellen zerstört wurden.«

»Oh, das ist wunderbar!« Calhoon seufzte innerlich vor Erleichterung, obwohl sie nach allen Tests, die man in ihrer Dienststelle zuvor durchgeführt hatte, vom Erfolg der Operation überzeugt gewesen war. »Ist er wach? Ich würde ihn gern sehen.«

»Er schläft vermutlich, aber kommen Sie doch bitte und überzeugen Sie sich selbst davon, wie gebrechlich er ist.«

Rufus stand auf und gab ihr mit einem Wink zu verstehen, ihm zu der Schlafzimmertür neben dem Flügel zu folgen. Er klopfte leise an und öffnete. Er trat ein, und Calhoon folgte ihm, sorgsam bedacht, bloß keinen Lärm zu machen. Der Anblick, der sich im Zimmer bot, ging ihr ziemlich an die Nieren. Der Papst lag in einem Einzelbett und war über mehrere Schläuche in seinen Armen mit Maschinen verbunden. Er sah bleich aus, zeigte aber einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Rings um das Bett brannten Kerzen und verbreiteten ein mattes gespenstisches Licht, das in einer Leichenhalle nicht deplatziert gewirkt hätte.

»Ach du meine Güte!«, sagte Calhoon. »Was fließt durch die ganzen Schläuche, an denen er da hängt?«

Der Papst rührte sich und öffnete die Augen. Er blickte zu ihnen herüber und lächelte.

»Ist sie gekommen, um mich zu waschen?«, fragte er.

»Nein, Eure Heiligkeit, das ist General Calhoon«, antwortete Rufus. »Sie ist die Dame, die uns das Heilmittel für Euren Hautkrebs besorgt hat.«

»Gut für sie«, sagte der Papst. »Hat sie Kuchen mitgebracht? Ich bin scheißversessen auf Kuchen.«

Er schloss die Augen und schlief anscheinend wieder ein, ein noch breiteres zufriedenes Lächeln im Gesicht. Ein paarmal murmelte er noch das Wort »Kuchen« vor sich hin.

Rufus führte Calhoon wieder aus dem Zimmer in den Hauptsalon. »Ich entschuldige mich ausdrücklich«, sagte er. »Es liegt an den Medikamenten. Ich habe ihn noch nie fluchen gehört. Seine Heiligkeit steht unter dem Einfluss einer hohen Dosis Morphium.«

»Ist schon in Ordnung«, sagte Calhoon. »Wie ich verstanden habe, kann die vom Hauttransplantat ausgehende Reizung ganz schön brennen. Aber das legt sich innerhalb eines Tages.«

»Keine Sorge«, sagte Rufus und schenkte sich ein Glas Scotch aus einer Glaskaraffe ein, die auf der Minibar stand. »Wir nehmen trotzdem an Ihrer Veranstaltung am Samstag teil. Sie haben dem Papst das Leben gerettet, und ich versichere Ihnen, dass er dort erscheinen und diesem wunderbaren Heilmittel, das Sie entwickelt haben, seinen Segen erteilen wird. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Möchten Sie etwas trinken?«

»Nein, nicht nötig, danke.«

»Setzen wir uns doch wieder.«

Calhoon reichte ihm einen A4-Umschlag, den sie mitgebracht und seit ihrer Ankunft unterm Arm getragen hatte. Rufus nahm ihn an und setzte sich wieder in seinen Sessel. Calhoon kehrte ebenfalls zu ihrem Platz auf dem Sofa zurück und verfolgte, wie Rufus den Umschlag öffnete. Er holte den Inhalt hervor, und das Erste, was er sah, war das Bild des Papstes mit der darauf geschriebenen Drohung. Es entlockte ihm nicht die kleinste Reaktion. Er blätterte rasch zu der Spielkarte mit dem Bild des Roten Irokesen darauf weiter. Wiederum verriet er keinerlei Emotionen.

»Wie sehr müssen wir darüber besorgt sein?«, fragte er und blickte zu Calhoon auf.

»Ich bin mir nahezu sicher, dass es sich um einen Schwindel handelt«, sagte Calhoon. »Ich kann es jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Ich habe es aus Höflichkeit für richtig gehalten, Sie und Seine Heiligkeit darüber zu informieren.«

Rufus verdaute ihre Worte und betrachtete die Spielkarte eine Zeit lang, wobei sein Gesicht nach wie vor keine Regung zeigte. Endlich steckte er die Karte und das Foto vom Papst in den Umschlag zurück und schob ihn über den Couchtisch zu Calhoon hinüber.

»Ich habe dieses Kartenspiel als Kind sehr gern gespielt«, sagte er lächelnd. »Wir erhalten ständig Morddrohungen. Diese hier bereitet mir im Vergleich zu manch anderen, die ich gesehen habe, nur wenig Kopfzerbrechen. Haben Sie die Sicherheit der Veranstaltung als Reaktion darauf verstärkt?«

Calhoon zappelte auf dem Sofa herum. So teuer es auch gewesen sein musste, das verflixte Ding bot nicht viel Komfort.

»Die Sicherheit wurde bis zum Anschlag hochgefahren. Sie erhalten mehr bewaffnete Wachleute als der Präsident. Nur äußerst angesehene Personen wurden eingeladen, und jeder, der das Gelände betritt, wird gründlich nach Waffen durchsucht. Außerdem haben wir die Eingänge mit Metalldetektoren ausgestattet.«

»Ist das für eine Veranstaltung dieser Art üblich?«

»Es ist für jede Veranstaltung dieser Art völlig übertrieben. Als zusätzliche Maßnahme verlege ich das Ganze zu unserem Ausweichgelände. Es ist ebenso sicher, bietet aber den zusätzlichen Vorteil, dass niemand über den Ortswechsel informiert wird. Alle Gäste, Caterer und das Unterhaltungspersonal werden am Vormittag des Veranstaltungstages einfach dorthin umgeleitet. Sogar mein Sicherheitsteam erfährt erst in der Nacht vor dem Termin vom Ortswechsel.«

Rufus trank einen Schluck Scotch, schwenkte dann das Glas in der Hand, starrte den Inhalt an und dachte über seine Optionen nach. Vielleicht tat er auch nur so.

»Ich bin beeindruckt«, erklärte er schließlich. »Ich setze höchstes Vertrauen in Sie, General. Und ich habe das Gefühl, dass Sie eines nicht allzu fernen Tages für all Ihre Arbeit die geziemende Anerkennung finden werden – nicht nur, weil Sie mit Ihrem Krebsheilmittel dem Papst das Leben gerettet haben, sondern auch, weil Sie es an die Pharmaunternehmen weitergeben, damit diese es der Welt zur Verfügung stellen können. Sie werden in die Geschichte eingehen, Ma’am.«

»Danke, Sie sind sehr freundlich.«

»Können Sie mir den neuen Veranstaltungsort mitteilen?«

»Natürlich. Es steht zwar ohnehin eine Militäreskorte bereit, um Sie an dem Tag hinzubringen, aber falls Sie vorher Recherchen anstellen und mehr darüber herausfinden möchten: Es handelt sich um Landingham Manor. Das Anwesen liegt in den östlichen Außenbezirken der Stadt.«

»Landingham Manor«, sagte Rufus und schnupperte an seinem Drink. »Das klingt nach einem wunderschönen Ort. Ich sehe ihn mir aber trotzdem mal an.«

»Fantastisch«, fand Calhoon und stand auf. »Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Falls Sie irgendwelche Fragen zu Landingham Manor haben, rufen Sie getrost mein Büro an. Sollte ich nicht greifbar sein, fragen Sie nach Blake Jackson. Er ist die einzige Person außer mir, die über den Standortwechsel Bescheid weiß.«

Drei Killer für ein Halleluja
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