♦ VIERZIG
Im Clubhaus der Hells Angels verbrachten Joey und Rex den Abend damit, die Schweinerei wegzuwischen, die Mozarts über die Wand verspritzter Kopf angerichtet hatte. Elvis hing mit Jasmine ab und unterstützte sie nach besten Kräften darin, nach ihren Erlebnissen dieses grauenhaften Tages die Ruhe zu bewahren. Sie blieb auch recht gelassen und behielt ihre Gedanken für sich. Wollte womöglich ihr Herz nicht vor einem Haufen Typen ausschütten, die sie kaum kannte. Der Bourbon Kid zog auf eigene Faust los; er behauptete, er wüsste mit seiner Zeit Besseres anzustellen.
Nach dem Saubermachen wechselte Elvis in einen hellblauen Anzug mit goldenen Manschettenknöpfen, zum Teil, weil er seit gestern den Anzug nicht mehr gewechselt hatte, und zum Teil, weil nun Jasmine die Jacke trug, die zu seiner schwarzen Lederhose gehörte.
Um Mitternacht herum brachen sie Richtung Landingham Manor auf. Sie planten, auf diese Weise zu einem Zeitpunkt einzutreffen, an dem die wenigsten Sicherheitsleute nach ihnen Ausschau halten würden. Elvis chauffierte alle vier in seinem rosa Cadillac. Das Auto war sein Stolz und seine ganze Freude, und er fuhr, als ginge es an einem Sonntagmorgen zu einem Ausflug aufs Land. Joey saß neben Jasmine auf der Rückbank, und diese schien Spaß an der CD mit den Bugs-Bunny-Weihnachtshits zu haben, die im Wagen lief. Sie wand sich hin und her und sang jeden Song mit, obwohl nicht zu überhören war, dass sie von den Texten keinerlei Ahnung hatte. Zu ihrer Verteidigung muss jedoch angeführt werden, dass sie den Chorrefrain jeweils draufhatte, wenn er zum dritten Mal in einem Song auftauchte. Wenn man an ihre traumatischen Erlebnisse vom Vortag dachte, gab sie sich erstaunlich unbeeinflusst von allem. Nur wenige Stunden zuvor war sie nicht mehr als ein bibberndes Etwas gewesen, aber nach einer halben Stunde mit Bugs Bunny und der Looney-Tunes-Gang war sie eine neue Frau. Joey dachte, dass Jasmine unter der Maske, die ihre obere Gesichtshälfte verbarg, wahrscheinlich tiefe Sorgenfalten hatte. Aber so war das nun mal mit Leuten in Masken; man kann einfach nicht erkennen, was zum Geier sie denken.
Rex saß vorn neben Elvis. Die Bugs-Bunny-Musik war im Grunde nicht sein Ding, aber jedes Mal, wenn er die Hand ausstreckte, um die CD auszuwerfen oder aufs Radio umzuschalten, schlug Elvis sie weg.
Als sie sich dem Waldstück näherten, von wo aus der unterirdische Tunnel bis nach Landingham Manor führte, beugte sich Joey vor, tippte Elvis auf die Schulter und schrie durch die Musik: »Bieg da vorn von der Straße ab, zwischen den beiden Bäumen mit den überhängenden Ästen.«
Elvis ging vom Gas und lenkte das Auto von der Straße auf den unebenen Waldboden. Joey gab ihm weitere Anweisungen, bis sie ein Stück voraus das verlassene Generatorenhäuschen sahen. Elvis hielt vor dem großen Garagentor aus Metall, das dazu gedacht war, Eindringlinge abzuwehren.
»Was jetzt?«, fragte er.
Joey drückte einen Anhänger an dem Schlüsselbund in seiner Tasche. Damit aktivierte er das Garagentor, das nach oben ins Dach rollte.
»Fahr jetzt rein«, sagte er.
»Die Bude sieht ziemlich bekackt aus«, fand Rex und blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe, um einen besseren Eindruck vom Innenraum zu erhalten.
Es war zappenduster innerhalb des Nebengebäudes, sodass Elvis langsam fuhr, da er für seinen geliebten Cadillac sonst das Schlimmste befürchtete. Sobald sie drin waren, schloss sich das Metalltor hinter ihnen wieder. Für das ungeschulte Auge schien es, als parkten sie in einer alten Scheune, aber sobald das Garagentor geschlossen war, setzte sich der Boden unter dem Auto in Bewegung. Jasmine hörte für einen Moment auf, zu den Looney Tunes zu singen.
»Das ist schräg«, fand sie, »es geht abwärts.«
»Keine Panik«, sagte Joey, »das ist völlig normal.«
Rex war anderer Meinung. »Scheiße, ist es nicht!«
Das Auto sank in eine pechschwarze Tiefe hinab, bis es schließlich wieder zum Stehen kam. Ehe jemand Gelegenheit fand, »Was zum Geier geht hier vor?« zu sagen, sprangen ein Haufen Straßenlampen vor ihnen an. Sie befanden sich in einem Tunnel, knapp zwanzig Meter unter der Erde und breit genug für zwei Autos.
»Fahr einfach etwa hundert Meter weiter«, sagte Joey.
»Wow!«, sagte Jasmine und klatschte in die Hände. »Das ist so cool! Eine unterirdische Straße!«
»Das nennt man einen Tunnel, Süße«, erklärte Rex.
Elvis lenkte den Cadillac durch den Tunnel, bis sie an dessen Ende ein weiteres stählernes Garagentor erreichten. Er drehte die Lautstärke der Stereoanlage herunter, während gerade Bugs Bunny (und Jasmine) »Schmückt den Saal mit Stechpalmzweigen« sangen. Als wollte sie die geminderte Lautstärke der Stereoanlage kompensieren, sang Jasmine ihr »Fa la la fa la la la la la« ein bisschen lauter.
Elvis blickte Joey im Rückspiegel an. »Was jetzt?«, wollte er wissen.
»Wart mal ’ne Sekunde«, sagte Joey. Er drückte erneut den Schlüsselanhänger, und das Garagentor schwang langsam zur Decke hinauf.
Sobald sich das Tor in Bewegung setzte, wurde deutlich, dass sie in Schwierigkeiten steckten. In beschissen ernsten Schwierigkeiten. Zwei Paar Armeestiefel wurden sichtbar, und als das Tor höher stieg, folgten darüber zwei tarnfarbene Hosen, in denen die Inhaber der Stiefel steckten.
»Erwartest du jemanden?«, fragte Elvis.
»Scheiße, nein!«, antwortete Joey.
Das Garagentor war nicht mehr aufzuhalten, sobald es sich einmal in Bewegung gesetzt hatte. Während sich dieser Vorgang fortsetzte, sahen sie als Nächstes die schwarzen Ledergürtel der beiden Soldaten, dann deren Hände und Arme. Und die Maschinenpistolen, mit denen sie auf das Auto zielten.
Bei den beiden Männern handelte es sich um die von Blake Jackson entsandten Marines. Sie standen vor Joeys gelb-rotem Stockcar, das stets unmittelbar hinter dem Garagentor parkte. Sobald sie Blickkontakt zu den Passagieren im Cadillac hergestellt hatten, eröffneten die Marines das Feuer. Die Kugeln aus den beiden MP7-Maschinenpistolen prasselten auf die Windschutzscheibe ein.
Joey packte Jasmine und zog sie hinter den Vordersitzen in Deckung. Jasmine selbst hatte die Gefahr gar nicht bemerkt, da sie so in ihren Gesang vertieft war. Aber andererseits schienen auch weder Elvis noch Rodeo Rex etwas zu bemerken. Sie duckten sich nicht einmal, als die beiden Schützen losballerten. Der Lärm der Maschinenpistolen übertönte Bugs Bunny. Rex steckte den Kopf über die Rückenlehne und blickte zu Joey und Jasmine hinab.
»Ist okay«, sagte er. »Kugelsichere Windschutzscheibe.«
Joey richtete sich zögernd auf und zog Jasmine mit. Sie sang nicht mehr, was ein Segen war. Der Geschosshagel ließ jedoch nicht nach. Die beiden Marines deckten den Cadillac weiter mit Kugeln ein und näherten sich, als sie bemerkten, dass ihre Geschosse ihr Ziel nicht erreichten. Ihnen schien nicht zu dämmern, dass die Kugeln das Glas der Autofenster auch dann nicht durchdringen würden, wenn sie noch dichter heranrückten. So erzielten sie mit ihrem Bemühen weiterhin wenig mehr, als Elvis’ Lackierung zu beschädigen.
Elvis streckte eine Hand Richtung Rex aus und sagte etwas, was Joey durch die Schüsse nicht hören konnte. Rex nickte und öffnete das Handschuhfach. Er holte eine goldene Desert Eagle hervor und reichte Elvis die Pistole. Elvis packte die Waffe und sah nach, ob sie geladen war. Dann drehte er die Lautstärke der Stereoanlage hoch.
Zündet an die Weihnachtskerzen
Fa-la-la-la-la, la-la-la-la!
Hell und warm wie eure Herzen
Fa-la-la-la-la, la-la-la-la!
Als das zweite Fa la la la endete, was eigentlich sehr hübsch zum Rattattatta-Rhythmus der Maschinenpistolen passte, ging beiden Marines die Munition aus.
Elvis fuhr das elektrische Seitenfenster auf der Fahrerseite herunter, lehnte sich hinaus und gab zwei Schüsse aus der goldenen Pistole ab, einen auf jeden Marine. Der erste Marine steckte den Treffer im Gesicht ein und stolperte rückwärts. Sein Kollege traf eher auf dem Fußboden ein, dank Elvis’ zweiter Kugel, die ihn am Hals erwischte und ihre Bahn bis ins Gehirn zog. Ein Sprühregen aus Blut schoss ihm aus dem Hinterkopf, während er umkippte. Der erste Typ landete einen oder zwei Augenblicke später neben ihm. Zwei Kugeln, zwei Tote. Hübsch gemacht.
Elvis zog sich auf seinen Sitz zurück, schwenkte die Pistole in der Hand herum und reichte sie mit dem Griff voran Rex. Rex legte sie zurück ins Handschuhfach neben einige halbleere Zigarettenschachteln.
Elvis fuhr das Seitenfenster wieder hoch und blickte über die Schulter hinweg Joey an.
»Wo soll ich parken?«, fragte er.