Johann Wolfgang Goethe

Theoretische
Schriften

Zum Schäkespears Tag

Mir kommt vor, das sei die edelste von unsern Empfindungen, die Hoffnung, auch dann zu bleiben, wenn das Schicksal uns zur allgemeinen Nonexistenz zurückgeführt zu haben scheint. Dieses Leben, meine Herren, ist für unsre Seele viel zu kurz, Zeuge, daß jeder Mensch, der geringste wie der höchste, der unfähigste wie der würdigste, eher alles müd wird, als zu leben; und daß keiner sein Ziel erreicht, wornach er so sehnlich ausging – denn wenn es einem auf seinem Gange auch noch so lang glückt, fällt er doch endlich, und oft im Angesicht des gehofften Zwecks, in eine Grube, die ihm, Gott weiß wer, gegraben hat, und wird für nichts gerechnet.

Für nichts gerechnet! Ich! Der ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft jeder, der sich fühlt, und macht große Schritte durch dieses Leben, eine Bereitung für den unendlichen Weg drüben. Freilich jeder nach seinem Maß. Macht der eine mit dem stärksten Wandrertrab sich auf, so hat der andre Siebenmeilenstiefel an, überschreitet ihn, und zwei Schritte des letzten bezeichnen die Tagreise des ersten. Dem sei wie ihm wolle, dieser embsige Wandrer bleibt unser Freund und unser Geselle, wenn wir die gigantischen Schritte jenes anstaunen und ehren, seinen Fußtapfen folgen, seine Schritte mit den unsrigen abmessen.

Auf die Reise, meine Herren! die Betrachtung so eines einzigen Tapfs macht unsre Seele feuriger und größer als das Angaffen eines tausendfüßigen königlichen Einzugs.

Wir ehren heute das Andenken des größten Wandrers und tun uns dadurch selbst eine Ehre an. Von Verdiensten, die wir zu schätzen wissen, haben wir den Keim in uns.

Erwarten Sie nicht, daß ich viel und ordentlich schreibe, Ruhe der Seele ist kein Festtagskleid; und noch zur Zeit habe ich wenig über Schäkespearen gedacht; geahndet, empfunden, wenn’s hoch kam, ist das Höchste, wohin ich’s habe bringen können. Die erste Seite, die ich in ihm las, machte mich auf zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stocke fertig war, stund ich wie ein Blindgeborner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt. Ich erkannte, ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert, alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernt ich sehen, und, dank sei meinem erkenntlichen Genius, ich fühle noch immer lebhaft, was ich gewonnen habe.

Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich, die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskraft. Ich sprang in die freie Luft und fühlte erst, daß ich Hände und Füße hatte. Und jetzo, da ich sahe, wieviel Unrecht mir die Herrn der Regeln in ihrem Loch angetan haben, wieviel freie Seelen noch drinne sich krümmen, so wäre mir mein Herz geborsten, wenn ich ihnen nicht Fehde angekündigt hätte und nicht täglich suchte ihre Türne zusammenzuschlagen.

Das griechische Theater, das die Franzosen zum Muster nahmen, war, nach innrer und äußerer Beschaffenheit, so, daß eher ein Marquis den Alkibiades nachahmen könnte, als es Corneillen dem Sophokles zu folgen möglich wär.

Erst Intermezzo des Gottesdiensts, dann feierlich politisch, zeigte das Trauerspiel einzelne große Handlungen der Väter dem Volk, mit der reinen Einfalt der Vollkommenheit, erregte ganze große Empfindungen in den Seelen, denn es war selbst ganz, und groß.

Und in was für Seelen!

Griechischen! Ich kann mich nicht erklären, was das heißt, aber ich fühl’s, und berufe mich der Kürze halben auf Homer und Sophokles und Theokrit, die haben’s mich fühlen gelehrt.

Nun sag ich geschwind hintendrein: Französchen, was willst du mit der griechischen Rüstung, sie ist dir zu groß und zu schwer.

Drum sind auch alle französche Trauerspiele Parodien von sich selbst.

Wie das so regelmäßig zugeht, und daß sie einander ähnlich sind wie Schuhe, und auch langweilig mitunter, besonders in genere im vierten Akt, das wissen die Herren leider aus der Erfahrung, und ich sage nichts davon.

Wer eigentlich zuerst drauf gekommen ist, die Haupt- und Staatsaktionen aufs Theater zu bringen, weiß ich nicht, es gibt Gelegenheit für den Liebhaber zu einer kritischen Abhandlung. Ob Schäkespearen die Ehre der Erfindung gehört, zweifl ich; genug, er brachte diese Art auf den Grad, der noch immer der höchste geschienen hat, da so wenig Augen hinaufreichen und also schwer zu hoffen ist, einer könne ihn übersehen oder gar übersteigen. Schäkespear, mein Freund, wenn du noch unter uns wärest, ich könnte nirgend leben als mit dir, wie gern wollt ich die Nebenrolle eines Pylades spielen, wenn du Orest wärst, lieber als die geehrwürdigte Person eines Oberpriesters im Tempel zu Delphos.

Ich will abbrechen, meine Herren, und morgen weiterschreiben, denn ich bin in einem Ton, der Ihnen vielleicht nicht so erbaulich ist, als er mir von Herzen geht.

Schäkespears Theater ist ein schöner Raritätenkasten, in dem die Geschichte der Welt vor unsern Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt. Seine Plane sind, nach dem gemeinen Stil zu reden, keine Plane, aber seine Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt (den noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat), in dem das Eigentümliche unsres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt. Unser verdorbner Geschmack aber umnebelt dergestalt unsere Augen, daß wir fast eine neue Schöpfung nötig haben, uns aus dieser Finsternis zu entwickeln.

Alle Franzosen und angesteckte Deutsche, sogar Wieland, haben sich bei dieser Gelegenheit, wie bei mehreren, wenig Ehre gemacht. Voltaire, der von jeher Profession machte, alle Majestäten zu lästern, hat sich auch hier als ein echter Thersit bewiesen. Wäre ich Ulysses; er sollte seinen Rücken unter meinem Zepter verzerren.

Die meisten von diesen Herren stoßen auch besonders an seinen Charakteren an.

Und ich rufe Natur! Natur! nichts so Natur als Schäkespears Menschen.

Da hab ich sie alle überm Hals.

Laßt mir Luft, daß ich reden kann!

Er wetteiferte mit dem Prometheus, bildete ihm Zug vor Zug seine Menschen nach, nur in kolossalischer Größe; darin liegt’s, daß wir unsre Brüder verkennen; und dann belebte er sie alle mit dem Hauch seines Geistes, er redet aus allen, und man erkennt ihre Verwandtschaft.

Und was will sich unser Jahrhundert unterstehen, von Natur zu urteilen. Wo sollten wir sie her kennen, die wir von Jugend auf alles geschnürt und geziert an uns fühlen und an andern sehen. Ich schäme mich oft vor Schäkespearen, denn es kommt manchmal vor, daß ich beim ersten Blick denke, das hätt ich anders gemacht! Hintendrein erkenn ich, daß ich ein armer Sünder bin, daß aus Schäkespearen die Natur weissagt und daß meine Menschen Seifenblasen sind, von Romanengrillen aufgetrieben.

Und nun zum Schluß, ob ich gleich noch nicht angefangen habe.

Das, was edle Philosophen von der Welt gesagt haben, gilt auch von Schäkespearen, das, was wir bös nennen, ist nur die andre Seite vom Guten, die so notwendig zu seiner Existenz und in das Ganze gehört, als Zona torrida brennen und Lappland einfrieren muß, daß es einen gemäßigten Himmelsstrich gebe.

Er führt uns durch die ganze Welt, aber wir verzärtelte unerfahrne Menschen schreien bei jeder fremden Heuschrecke, die uns begegnet: Herr, er will uns fressen.

Auf, meine Herren! trompeten Sie mir alle edle Seelen aus dem Elysium des sogenannten guten Geschmacks, wo sie schlaftrunken, in langweiliger Dämmerung halb sind, halb nicht sind, Leidenschaften im Herzen und kein Mark in den Knochen haben; und weil sie nicht müde genug, zu ruhen, und doch zu faul sind, um tätig zu sein, ihr Schattenleben zwischen Myrten und Lorbeergebüschen verschlendern und vergähnen.

 
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Von deutscher Baukunst

D. M. Ervini a Steinbach

Als ich auf deinem Grabe herumwandelte, edler Erwin, und den Stein suchte, der mir deuten sollte: »Anno domini 1318. XVI. Kal. Febr. obiit Magister Ervinus, Gubernator Fabricae Ecclesiae Argentinensis«, und ich ihn nicht finden, keiner deiner Landsleute mir ihn zeigen konnte, daß sich meine Verehrung deiner an der heiligen Stätte ergossen hätte, da ward ich tief in die Seele betrübt, und mein Herz, jünger, wärmer, töriger und besser als jetzt, gelobte dir ein Denkmal, wenn ich zum ruhigen Genuß meiner Besitztümer gelangen würde, von Marmor oder Sandsteinen, wie ich’s vermöchte.

Was braucht’s dir Denkmal! Du hast dir das herrlichste errichtet; und kümmert die Ameisen, die drum krabeln, dein Name nichts, hast du gleiches Schicksal mit dem Baumeister, der Berge auftürmte in die Wolken.

Wenigen ward es gegeben, einen Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz, groß, und bis in den kleinsten Teil notwendig schön, wie Bäume Gottes; wenigern, auf tausend bietende Hände zu treffen, Felsengrund zu graben, steile Höhen drauf zu zaubern und dann sterbend ihren Söhnen zu sagen: ich bleibe bei euch in den Werken meines Geistes, vollendet das Begonnene in die Wolken.

Was braucht’s dir Denkmal! und von mir! Wenn der Pöbel heilige Namen ausspricht, ist’s Aberglaube oder Lästerung. Dem schwachen Geschmäckler wird’s ewig schwindlen an deinem Koloß, und ganze Seelen werden dich erkennen ohne Deuter.

Also nur, trefflicher Mann, eh ich mein geflicktes Schiffchen wieder auf den Ozean wage, wahrscheinlicher dem Tod als dem Gewinst entgegen, siehe: hier in diesem Hain, wo ringsum die Namen meiner Geliebten grünen, schneid ich den deinigen in eine deinem Turm gleich schlank aufsteigende Buche, hänge an seinen vier Zipfeln dies Schnupftuch mit Gaben dabei auf. Nicht ungleich jenem Tuche, das dem heiligen Apostel aus den Wolken herabgelassen ward, voll reiner und unreiner Tiere; so auch voll Blumen, Blüten, Blätter, auch wohl dürres Gras und Moos und über Nacht geschoßne Schwämme, das alles ich auf dem Spaziergang durch unbedeutende Gegenden, kalt zu meinem Zeitvertreib botanisierend eingesammelt, dir nun zu Ehren der Verwesung weihe.

Es ist im kleinen Geschmack, sagt der Italiener und geht vorbei. Kindereien, lallt der Franzose nach und schnellt triumphierend auf seine Dose à la Grecque. Was habt ihr getan, daß ihr verachten dürft?

Hat nicht der seinem Grab entsteigende Genius der Alten den deinen gefesselt, Welscher! Krochst an den mächtigen Resten, Verhältnisse zu betteln, flicktest aus den heiligen Trümmern dir Lusthäuser zusammen, und hältst dich für Verwahrer der Kunstgeheimnisse, weil du auf Zoll und Linien von Riesengebäuden Rechenschaft geben kannst. Hättest du mehr gefühlt als gemessen, wäre der Geist der Massen über dich gekommen, die du anstauntest, du hättest nicht so nur nachgeahmt, weil sie’s taten und es schön ist; notwendig und wahr hättest du deine Plane geschaffen, und lebendige Schönheit wäre bildend aus ihnen gequollen.

So hast du deinen Bedürfnissen einen Schein von Wahrheit und Schönheit aufgetüncht. Die herrliche Wirkung der Säulen traf dich, du wolltest auch ihrer brauchen und mauertest sie ein, wolltest auch Säulenreihen haben und umzirkeltest den Vorhof der Peterskirche mit Marmorgängen, die nirgends hin- noch herführen, daß Mutter Natur, die das Ungehörige und Unnötige verachtet und haßt, deinen Pöbel trieb, ihre Herrlichkeit zu öffentlichen Kloaken zu prostituieren, daß ihr die Augen wegwendet und die Nasen zuhaltet vorm Wunder der Welt.

Das geht nun so alles seinen Gang, die Grille des Künstlers dient dem Eigensinne des Reichen, der Reisebeschreiber gafft, und unsre schöne Geister, genannt Philosophen, erdrechseln aus protoplastischen Märchen Prinzipien und Geschichte der Künste bis auf den heutigen Tag, und echte Menschen ermordet der böse Genius im Vorhof der Geheimnisse.

Schädlicher als Beispiele sind dem Genius Prinzipien. Vor ihm mögen einzelne Menschen einzelne Teile bearbeitet haben. Er ist der erste, aus dessen Seele die Teile, in ein ewiges Ganze zusammengewachsen, hervortreten. Aber Schule und Principium fesselt alle Kraft der Erkenntnis und Tätigkeit. Was soll uns das, du neufranzöscher philosophierender Kenner, daß der erste zum Bedürfnis erfindsame Mensch vier Stämme einrammelte, vier Stangen drüber verband und Äste und Moos drauf deckte? Daraus entscheidest du das Gehörige unsrer heurigen Bedürfnisse, eben als wenn du dein neues Babylon mit einfältigem patriarchalischem Hausvatersinn regieren wolltest.

Und es ist noch dazu falsch, daß deine Hütte die erstgeborne der Welt ist. Zwei an ihrem Gipfel sich kreuzende Stangen vornen, zwei hinten und eine Stange querüber zum First ist und bleibt, wie du alltäglich an Hütten der Felder und Weinberge erkennen kannst, eine weit primävere Erfindung, von der du doch nicht einmal Principium für deine Schweinställe abstrahieren könntest.

So vermag keiner deiner Schlüsse sich zur Region der Wahrheit zu erheben, sie schweben alle in der Atmosphäre deines Systems. Du willst uns lehren, was wir brauchen sollen, weil das, was wir brauchen, sich nach deinen Grundsätzen nicht rechtfertigen läßt.

Die Säule liegt dir sehr am Herzen, und in andrer Weltgegend wärst du Prophet. Du sagst: die Säule ist der erste, wesentliche Bestandteil des Gebäudes, und der schönste.

Welche erhabene Eleganz der Form, welche reine mannigfaltige Größe, wenn sie in Reihen dastehn! Nur hütet euch, Sie ungehörig zu brauchen; ihre Natur ist, frei zu stehn. Wehe den Elenden, die ihren schlanken Wuchs an plumpe Mauern geschmiedet haben!

Und doch dünkt mich, lieber Abt, hätte die öftere Wiederholung dieser Unschicklichkeit des Säuleneinmauerns, daß die Neuern sogar antiker Tempel Intercolumnia mit Mauerwerk ausstopften, dir einiges Nachdenken erregen können. Wäre dein Ohr nicht für Wahrheit taub, diese Steine würden sie dir gepredigt haben.

Säule ist mitnichten ein Bestandteil unsrer Wohnungen; sie widerspricht vielmehr dem Wesen all unsrer Gebäude. Unsre Häuser entstehen nicht aus vier Säulen in vier Ecken; sie entstehen aus vier Mauern auf vier Seiten, die statt aller Säulen sind, alle Säulen ausschließen, und wo ihr sie anflickt, sind sie belastender Überfluß. Eben das gilt von unsern Palästen und Kirchen, wenige Fälle ausgenommen, auf die ich nicht zu achten brauche.

Eure Gebäude stellen euch also Flächen dar, die, je weiter sie sich ausbreiten, je kühner sie gen Himmel steigen, mit desto unerträglicherer Einförmigkeit die Seele unterdrücken müssen! Wohl! wenn uns der Genius nicht zu Hülfe käme, der Erwinen von Steinbach eingab: vermannigfaltige die ungeheure Mauer, die du gen Himmel führen sollst, daß sie aufsteige gleich einem hocherhabnen, weitverbreiteten Baume Gottes, der mit tausend Ästen, Millionen Zweigen und Blättern wie der Sand am Meer ringsum der Gegend verkündet die Herrlichkeit des Herrn, seines Meisters.

Als ich das erstemal nach dem Münster ging, hatt ich den Kopf voll allgemeiner Erkenntnis guten Geschmacks. Auf Hörensagen ehrt ich die Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrnen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen. Unter die Rubrik gotisch, gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymische Mißverständnisse, die mir von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem jemals durch den Kopf gezogen waren. Nicht gescheiter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles gotisch, was nicht in mein System paßte, von dem gedrechselten, bunten Puppen- und Bilderwerk an, womit unsre bürgerliche Edelleute ihre Häuser schmücken, bis zu den ernsten Resten der älteren deutschen Baukunst, über die ich, auf Anlaß einiger abenteuerlichen Schnörkel, in den allgemeinen Gesang stimmte: »Ganz von Zierat erdrückt!« und so graute mir’s im Gehen vorm Anblick eines mißgeformten krausborstigen Ungeheuers.

Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davortrat. Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelnheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, daß es also mit den Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unsrer ältern Brüder in ihren Werken zu umfassen. Wie oft bin ich zurückgekehrt, von allen Seiten, aus allen Entfernungen, in jedem Lichte des Tags zu schauen seine Würde und Herrlichkeit. Schwer ist’s dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hoch erhaben ist, daß er nur beugen und anbeten muß. Wie oft hat die Abenddämmerung mein durch forschendes Schauen ermattetes Aug mit freundlicher Ruhe geletzt, wenn durch sie die unzähligen Teile zu ganzen Massen schmolzen und nun diese, einfach und groß, vor meiner Seele standen und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu genießen und zu erkennen. Da offenbarte sich mir in leisen Ahndungen der Genius des großen Werkmeisters. Was staunst du? lispelt’ er mir entgegen. Alle diese Massen waren notwendig, und siehst du sie nicht an allen älteren Kirchen meiner Stadt? Nur ihre willkürliche Größen hab ich zum stimmenden Verhältnis erhoben. Wie über dem Haupteingang, der zwei kleinere zu ’n Seiten beherrscht, sich der weite Kreis des Fensters öffnet, der dem Schiffe der Kirche antwortet und sonst nur Tageloch war, wie hoch drüber der Glockenplatz die kleineren Fenster forderte! das all war notwendig, und ich bildete es schön. Aber ach, wenn ich durch die düstern erhabnen Öffnungen hier zur Seite schwebe, die leer und vergebens dazustehn scheinen. In ihre kühne, schlanke Gestalt hab ich die geheimnisvollen Kräfte verborgen, die jene beiden Türme hoch in die Luft heben sollten, deren, ach, nur einer traurig dasteht, ohne den fünfgetürmten Hauptschmuck, den ich ihm bestimmte, daß ihm und seinem königlichen Bruder die Provinzen umher huldigten. – Und so schied er von mir, und ich versank in teilnehmende Traurigkeit. Bis die Vögel des Morgens, die in seinen tausend Öffnungen wohnen, der Sonne entgegenjauchzten und mich aus dem Schlummer weckten. Wie frisch leuchtet’ er im Morgenduftglanz mir entgegen, wie froh konnt ich ihm meine Arme entgegen strecken, schauen die großen harmonischen Massen, zu unzählig kleinen Teilen belebt: wie in Werken der ewigen Natur, bis aufs geringste Zäserchen, alles Gestalt und alles zweckend zum Ganzen; wie das festgegründete ungeheure Gebäude sich leicht in die Luft hebt; wie durchbrochen alles und doch für die Ewigkeit. Deinem Unterricht dank ich’s, Genius, daß mir’s nicht mehr schwindelt an deinen Tiefen, daß in meine Seele ein Tropfen sich senkt der Wonneruh des Geistes, der auf solch eine Schöpfung herabschauen und gottgleich sprechen kann: Es ist gut!

Und nun soll ich nicht ergrimmen, heiliger Erwin, wenn der deutsche Kunstgelehrte, auf Hörensagen neidischer Nachbarn, seinen Vorzug verkennt, dein Werk mit dem unverstandnen Worte gotisch verkleinert. Da er Gott danken sollte, laut verkündigen zu können, das ist deutsche Baukunst, unsre Baukunst, da der Italiener sich keiner eignen rühmen darf, viel weniger der Franzos. Und wenn du dir selbst diesen Vorzug nicht zugestehen willst, so erweis uns, daß die Goten schon wirklich so gebaut haben, wo sich einige Schwürigkeiten finden werden. Und, ganz am Ende, wenn du nicht dartust, ein Homer sei schon vor dem Homer gewesen, so lassen wir dir gerne die Geschichte kleiner gelungner und mißlungner Versuche und treten anbetend vor das Werk des Meisters, der zuerst die zerstreuten Elemente in ein lebendiges Ganze zusammenschuf. Und du, mein lieber Bruder im Geiste des Forschens nach Wahrheit und Schönheit, verschließ dein Ohr vor allem Wortgeprahle über bildende Kunst, komm, genieße und schaue. Hüte dich, den Namen deines edelsten Künstlers zu entheiligen, und eile herbei, daß du schauest sein treffliches Werk. Macht es dir einen widrigen Eindruck oder keinen, so gehab dich wohl, laß einspannen, und so weiter nach Paris.

Aber zu dir, teurer Jüngling, gesell ich mich, der du bewegt dastehst und die Widersprüche nicht vereinigen kannst, die sich in deiner Seele kreuzen, bald die unwiderstehliche Macht des großen Ganzen fühlst, bald mich einen Träumer schiltst, daß ich da Schönheit sehe, wo du nur Stärke und Rauheit siehst. Laß einen Mißverstand uns nicht trennen, laß die weiche Lehre neuerer Schönheitelei dich für das bedeutende Rauhe nicht verzärteln, daß nicht zuletzt deine kränkelnde Empfindung nur eine unbedeutende Glätte ertragen könne. Sie wollen euch glauben machen, die schönen Künste seien entstanden aus dem Hang, den wir haben sollen, die Dinge rings um uns zu verschönern. Das ist nicht wahr! Denn in dem Sinne, darin es wahr sein könnte, braucht wohl der Bürger und Handwerker die Worte, kein Philosoph.

Die Kunst ist lange bildend, eh sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die schöne selbst. Denn in dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu fürchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, ihm seinen Geist einzuhauchen. Und so modelt der Wilde mit abenteuerlichen Zügen, gräßlichen Gestalten, hohen Farben seine Kokos, seine Federn und seinen Körper. Und laßt diese Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehn, sie wird ohne Gestaltsverhältnis zusammenstimmen, denn eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen.

Diese charakteristische Kunst ist nun die einzige wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigner, selbständiger Empfindung um sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und lebendig. Da seht ihr bei Nationen und einzelnen Menschen dann unzählige Grade. Je mehr sich die Seele erhebt zu dem Gefühl der Verhältnisse, die allein schön und von Ewigkeit sind, deren Hauptakkorde man beweisen, deren Geheimnisse man nur fühlen kann, in denen sich allein das Leben des gottgleichen Genius in seligen Melodien herumwälzt; je mehr diese Schönheit in das Wesen eines Geistes eindringt, daß sie mit ihm entstanden zu sein scheint, daß ihm nichts genugtut als sie, daß er nichts aus sich wirkt als sie, desto glücklicher ist der Künstler, desto herrlicher ist er, desto tiefgebeugter stehen wir da und beten an den Gesalbten Gottes.

Und von der Stufe, auf welche Erwin gestiegen ist, wird ihn keiner herabstoßen. Hier steht sein Werk, tretet hin und erkennt das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, würkend aus starker, rauher, deutscher Seele auf dem eingeschränkten düstern Pfaffenschauplatz des medii aevi.

Und unser aevum? hat auf seinen Genius verziehen, hat seine Söhne umhergeschickt, fremde Gewächse zu ihrem Verderben einzusammeln. Der leichte Franzose, der noch weit ärger stoppelt, hat wenigstens eine Art von Witz, seine Beute zu einem Ganzen zu fügen, er baut jetzt aus griechischen Säulen und deutschen Gewölbern seiner Magdalene einen Wundertempel. Von einem unsrer Künstler, als er ersucht ward, zu einer altdeutschen Kirche ein Portal zu erfinden, hab ich gesehen ein Modell fertigen, stattlichen antiken Säulenwerks.

Wie sehr unsre geschminkte Puppenmaler mir verhaßt sind, mag ich nicht deklamieren. Sie haben durch theatralische Stellungen, erlogne Teints und bunte Kleider die Augen der Weiber gefangen. Männlicher Albrecht Dürer, den die Neulinge anspötteln, deine holzgeschnitzteste Gestalt ist mir willkommner.

Und ihr selbst, treffliche Menschen, denen die höchste Schönheit zu genießen gegeben ward und nunmehr herabtretet, zu verkünden eure Seligkeit: ihr schadet dem Genius. Er will auf keinen fremden Flügeln, und wären’s die Flügel der Morgenröte, emporgehoben und fortgerückt werden. Seine eigne Kräfte sind’s, die sich im Kindertraum entfalten, im Jünglingsleben bearbeiten, bis er stark und behend wie der Löwe des Gebürges auseilt auf Raub. Drum erzieht sie meist die Natur, weil ihr Pädagogen ihm nimmer den mannigfaltigen Schauplatz erkünsteln könnt, stets im gegenwärtigen Maß seiner Kräfte zu handeln und zu genießen.

Heil dir, Knabe! der du mit einem scharfen Aug für Verhältnisse geboren wirst, dich mit Leichtigkeit an allen Gestalten zu üben. Wenn denn nach und nach die Freude des Lebens um dich erwacht und du jauchzenden Menschengenuß nach Arbeit, Furcht und Hoffnung fühlst; das mutige Geschrei des Winzers, wenn die Fülle des Herbsts seine Gefäße anschwellt, den belebten Tanz des Schnitters wenn er die müßige Sichel hoch in den Balken geheftet hat; wenn dann männlicher die gewaltige Nerve der Begierden und Leiden in deinem Pinsel lebt, du gestrebt und gelitten genug hast, und genug genossen, und satt bist irdischer Schönheit, und wert bist, auszuruhen in dem Arme der Göttin, wert, an ihrem Busen zu fühlen, was den vergötterten Herkules neu gebar; nimm ihn auf, himmlisch Schönheit, du Mittlerin zwischen Göttern und Menschen und mehr als Prometheus leit’ er die Seligkeit der Götter auf die Erde.

 
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Rezensionen für die »Frankfurter Gelehrten Anzeigen«

Moralische Erzählungen« und »Idyllen«
von Diderot und S. Geßner
Zürch 1772. 8°. 273 S.

Was beiden würdigen Männern Anlaß gegeben, in Gesellschaft aufzutreten, erklärt die zur Pränumeration auf die französische Ausgabe dieses Werks unsern Blättern angehängte Nachricht, so daß wir ohne weitere Vorrede zur Sache schreiten können.

»Idyllen« von Geßner

»Die Schönheiten der Natur«, sagt der Verfasser in dem angehängten Brief an Fueßlin, »und die guten Nachahmungen derselben von jeder Art taten immer die größte Würkung auf mich; aber in Absicht auf Kunst war’s nur ein dunkles Gefühl, das mit keiner Kenntnis verbunden war, und daher entstand, daß ich meine Empfindungen und die Eindrücke, welche die Schönheiten der Natur auf mich gemacht hatten, lieber auf eine andre und solche Art auszudrücken suchte, welche weniger mechanische Übung, aber die gleichen Talente, eben das Gefühl für das Schöne, eben die aufmerksame Bemerkung der Natur fordert.«

Geßner war also zum Landschaftmaler geboren, ein pis aller machte ihn zum Landschaftdichter, und auch nun, da er zu seiner Bestimmung durchgedrungen, da er einen ansehnlichen Rang unter den Künstlern erworben, genießt er in Gesellschaft der Gespielin seiner Jugend, der ländlichen Muse, manchen süßen Augenblick. Malender Dichter! dazu charakterisiert sich in angeführter Stelle Geßner selbst, und wer mit Lessingen der ganzen Gattung ungünstig wäre, würde hier wenig zu loben finden. Doch wir wollen hier nicht unbillig sein. Wir kennen die Empfindungen, die aus der bürgerlichen Gesellschaft in die Einsamkeit führen, aufs Land, wo wir dann nur zum Besuch sind, nur wie bei einer Visite die schöne Seite der Wohnung sehn, und ach! nur sehn – der geringste Anteil, den wir an einer Sache nehmen können!

Und so ist es Geßnern gegangen. Mit dem empfindlichsten Auge für die Schönheiten der Natur, das heißt für schöne Massen, Formen und Farben, hat er reizende Gegenden durchwandelt, in seiner Einbildungskraft zusammengesetzt, verschönert, und so standen paradiesische Landschaften vor seiner Seele. Ohne Figuren ist eine Landschaft tot, er schuf sich also Gestalten aus seiner schmachtenden Empfindung und erhöhten Phantasie, staffierte seine Gemälde damit, und so wurden seine Idyllen. Und in diesem Geiste lese man sie! und man wird über seine Meisterschaft erstaunen. Wer einen Malerblick in die Welt hat, wird mit inniger Freude vor seinen Gegenden verweilen, ein herrliches Ganze steigt vor unsern Augen auf, und dann das Detail, wie bestimmt, Steine, Gräschen. Wir glauben, alles schon einmal gemalt gesehen zu haben, oder wir möchten’s malen. Da sagt uns aber ein Feind poetischer Malerei: Was ist’s? Der Vorhang hebt sich, wir sehen in ein Theater, das für uns, von der Seite zu beschauen, ebenso künstlich hintereinandergeschoben, so wohl beleuchtet ist, und wenn wir einige Minuten Zeit gehabt haben, Ah! zu sagen, dann treten Junggesellen und Jungfrauen herein und spielen ihr Spiel.

Wir zweifeln nicht, daß sich darauf antworten ließe; aber die Leute sind nicht zu bekehren, sie verlangen, daß alles von Empfindung ausgehn, alles in sie zurückkehren soll. Wenn wir als Maler Geßners Figuren betrachten, so sind es die edelsten, schönsten Formen; ihre Stellung so ausgedacht, so meisterhaft empfunden, ihr Stehen, Sitzen, Liegen, nach der Antike gewählt –

Was geht mich das an? sagt der Gegner! Im Gedicht ist mir nicht drum zu tun, wie die Leute aussehn, wie sie Hände und Füße stellen, sondern was sie tun, was sie empfinden. Nach der Antike mögen sie wohl studiert sein, wie Geßner seine Landschaft mehr nach seines Herrn Schwähervaters Kupferstichsammlung als nach der Natur ausgebildet zu haben scheint.

Ich will, fährt er fort, von dem Schattenwesen Geßnerischer Menschen nichts reden. Darüber ist lange gesagt, was zu sagen ist. Aber zeigt das nicht den größten Mangel dichterischer Empfindung, daß in keiner einzigen dieser Idyllen die handlenden Personen wahres Interesse an- und miteinander haben? Entweder ist es kalter erzählender Monolog oder, was ebenso schlimm ist, Erzählung, und ein Vertrauter, der seine paar Pfennige quer hinein dialogisiert, und wenn denn einmal zwei was zusammen empfinden, empfindet’s einer wie der andre, und da ist’s vor wie nach.

Wer wird aber einzelnen Stellen wahres Dichtergefühl absprechen? Niemand. Einzelne Stellen sind vortrefflich, und die kleinen Gedichte machen jedes ein niedliches Ganze. Hingegen die größern; so trefflich das Detail sein mag, so wenig zu leugnen ist, daß es zu gewissen Zwecken wohl geordnet ist, so mißt ihr doch überall den Geist, der die Teile so verwebt, daß jeder ein wesentliches Stück vom Ganzen wird. Ebensowenig kann er Szene, Handlung und Empfindung verschmelzen. Gleich in der ersten tritt der Mond auf, und die ganze Idylle ist Sonnenschein. Der Sturm ist unerträglich daher. Voltaire kann zu Lausanne aus seinem Bette dem Sturm des Genfer Sees im Spiegel nicht ruhiger zugesehen haben, als die Leute auf dem Felsen, um die das Wetter wütet, sich vice versa detaillieren, was sie beide sehn. Das mag sein! In dieser Dichtungsart ist der Fehler unvermeidlich; dagegen zu wie viel Schönheiten gibt er Anlaß? Muß man dem Theater nicht auch manche Unwahrscheinlichkeit zugute halten? und dennoch interessiert es, rührt es. Und von der »Schweizer-Idylle« habt ihr kein Wort gesagt! Wie ich anfing, sie zu lesen, rief ich aus: O hätt er nichts als »Schweizer-Idyllen« gemacht! Dieser treuherzige Ton, diese muntre Wendung des Gesprächs, das Nationalinteresse! »Das hölzerne Bein« ist mir lieber als ein Dutzend elfenbeinerne Nymphenfüßchen. Warum muß sie sich nur so schäfermäßig enden? kann eine Handlung durch nichts rund werden als durch eine Hochzeit? Wie lebendig läßt sich an diesem kleinen Stücke fühlen, was Geßner uns sein könnte, wenn er nicht durch ein zu abstraktes und ekles Gefühl, physikalischer und moralischer Schönheit, wäre in das Land der Ideen geleitet worden, woher er uns nur halbes Interesse, Traumgenuß herüberzaubert.

(Von Diderots »Moralischen Erzählungen« nächstens.)

»Gedichte von einem polnischen Juden«

Mitau und Leipzig 1772. 8°. 96 S.

Zuvörderst müssen wir versichern, daß die Aufschrift dieser Bogen einen sehr vorteilhaften Eindruck auf uns gemacht hat. Da tritt, dachten wir, ein feuriger Geist, ein fühlbares Herz, bis zum selbständigen Alter unter einem fremden rauhen Himmel aufgewachsen, auf einmal in unsre Welt. Was für Empfindungen werden sich in ihm regen, was für Bemerkungen wird er machen, er, dem alles neu ist?

Auch nur das flache, bürgerliche, gesellige und gesellschaftliche Leben genommen, wieviel Dinge werden ihm auffallen, die durch Gewohnheit auf euch ihre Wirkung verloren haben? Da, wo ihr an Langerweile schmachtet, wird er Quellen von Vergnügen entdecken; er wird euch aus eurer wohlhergebrachten Gleichgültigkeit reißen, euch mit euern eignen Reichtümern bekannt machen, euch ihren Gebrauch lehren. Dagegen werden ihm hundert Sachen, die ihr so gut sein laßt, unerträglich sein. Genug, er wird finden, was er nicht sucht, und suchen, was er nicht findet. Denn, seine Gefühle, seine Gedanken in freien Liedern der Gesellschaft, Freunden, Mädchen mitteilen, wenn er nichts Neues sagt, wird alles eine neue Seite haben. Das hofften wir und griffen – in Wind.

In denen fast zu langen und zu eitlen Vorberichtsbriefen erscheint er in Selbstgefälligkeit, der seine Gedichte nicht entsprechen.

Es ist recht löblich, ein polnischer Jude sein, der Handelschaft entsagen, sich den Musen weihen, Deutsch lernen, Liederchen ründen; wenn man aber in allem zusammen nicht mehr leistet als ein christlicher etudiant en belles lettres auch, so ist es, deucht uns, übel getan, mit seiner Judenschaft ein Aufsehn zu machen.

Abstrahiert von allem, produziert sich hier wieder ein hübscher junger Mensch, gepudert und mit glattem Kinn und grünem goldbesetzten Rock (siehe S. 11, 12), der die schönen Wissenschaften eine Zeitlang getrieben hat und unterm Treiben fand, wie artig und leicht das sei, Melodiechen nachzutrillern. Seine Mädchen sind die allgemeinsten Gestalten, wie man sie in Sozietät und auf der Promenade kennenlernt, sein Lebenslauf unter ihnen der Gang von tausenden; er ist an den lieben Geschöpfen so hingestrichen, hat sie einmal amüsiert, einmal ennuyiert, geküßt, wo er ein Mäulchen erwischen konnte. Über diese wichtige Erfahrungen am weiblichen Geschlecht ist er denn zum petit volage geworden, und nun, wenn er mehr Zurückhaltung bei einem Mädchen antrifft, beklagt er sich bitterlich, daß er nur den Handschuh ehrerbietig kosten, sie nicht beim Kopf nehmen und weidlich anschmatzen darf, und das alles so ohne Gefühl von weiblichem Wert, so ohne zu wissen, was er will.

Laß, o Genius unsers Vaterlands, bald einen Jüngling aufblühen, der, voller Jugendkraft und Munterkeit, zuerst für seinen Kreis der beste Gesellschafter wäre, das artigste Spiel angäbe, das freudigste Liedchen sänge, im Rundgesange den Chor belebte, dem die beste Tänzerin freudig die Hand reichte, den neusten mannigfaltigsten Reihen vorzutanzen, den zu fangen die Schöne, die Witzige, die Muntre alle ihre Reize ausstellten, dessen empfindendes Herz sich auch wohl fangen ließe, sich aber stolz im Augenblicke wieder losriß, wenn er aus dem dichtenden Traum erwachend fände, daß seine Göttin nur schön, nur witzig, nur munter sei; dessen Eitelkeit, durch den Gleichmut einer Zurückhaltenden beleidigt, sich der aufdrängte, sie durch erzwungne und erlogne Seufzer und Tränen und Sympathien, hunderterlei Aufmerksamkeiten des Tags, schmelzende Lieder und Musiken des Nachts, endlich auch eroberte und – auch wieder verließ, weil sie nur zurückhaltend war; der uns dann all seine Freuden und Siege und Niederlagen, all seine Torheiten und Resipiszenzen mit dem Mut eines unbezwungenen Herzens vorjauchzte, vorspottete; des Flatterhaften würden wir uns freuen, dem gemeine, einzelne weibliche Vorzüge nicht genugtun.

Aber dann, o Genius! daß offenbar werde, nicht Fläche, Weichheit des Herzens sei an seiner Unbestimmtheit schuld; laß ihn ein Mädchen finden, seiner wert!

Wenn ihn heiligere Gefühle aus dem Geschwirre der Gesellschaft in die Einsamkeit leiten, laß ihn auf seiner Wallfahrt ein Mädchen entdecken, deren Seele, ganz Güte, zugleich mit einer Gestalt ganz Anmut, sich in stillem Familienkreis häuslicher tätiger Liebe glücklich entfaltet hat; die Liebling, Freundin, Beistand ihrer Mutter, die zweite Mutter ihres Hauses ist, deren stets liebwürkende Seele jedes Herz unwiderstehlich an sich reißt, zu der Dichter und Weise willig in die Schule gingen, mit Entzücken schauten eingeborne Tugend, mitgebornen Wohlstand und Grazie. – Ja, wenn sie in Stunden einsamer Ruhe fühlt, daß ihr bei all dem Liebeverbreiten noch etwas fehlt, ein Herz, das, jung und warm wie sie, mit ihr nach fernern, verhülltern Seligkeiten dieser Welt ahndete, in dessen belebender Gesellschaft sie nach all den goldnen Aussichten von ewigem Beisammensein, daurender Vereinigung, unsterblich webender Liebe fest angeschlossen hinstrebte.

Laß die beiden sich finden; beim ersten Nahen werden sie dunkel und mächtig ahnden, was jedes für einen Inbegriff von Glückseligkeit in dem andern ergreift, werden nimmer voneinander lassen. Und dann lall er ahndend und hoffend und genießend:

»Was doch keiner mit Worten ausspricht, keiner mit Tränen, und keiner mit dem verweilenden vollen Blick, und der Seele drin.«

Wahrheit wird in seinen Liedern sein, und lebendige Schönheit, nicht bunte Seifenblasenideale, wie sie in hundert deutschen Gesängen herumwallen.

Doch ob’s solche Mädchen gibt? ob’s solche Jünglinge geben kann? Es ist hier vom polnischen Juden die Rede, den wir fast verloren hätten, auch haben wir nichts von seinen Oden gesagt. Was ist da viel zu sagen! durchgehends die Göttern und Menschen verhaßte Mittelmäßigkeit. Wir wünschen, daß er uns auf denen Wegen, wo wir unser Ideal suchen, einmal wieder und geistiger begegnen möge.

»Charakteristik der vornehmsten europäischen Nationen«

Aus dem Englischen.
Leipzig 8°.
Erster Teil 16 Bogen. Zweiter Teil 14 Bogen

Das Werk ist aus dem »Britischen Museum«. Nun für ein Museum war das kein Stück! ins Hinterstübchen mit; in die Küche, da ist sein Platz, je mehr berauchert, desto besser! Charakter polierter Nationen! Werft die Münze in den Tiegel, wenn ihr ihren Gehalt wissen wollt; unter dem Gepräge findet ihr ihn in Ewigkeit nicht.

Sobald eine Nation poliert ist, sobald hat sie konventionelle Wege, zu denken, zu handlen, zu empfinden, sobald hört sie auf, Charakter zu haben. Die Masse individueller Empfindungen, ihre Gewalt, die Art der Vorstellung, die Wirksamkeit, die sich alle auf diese eigene Empfindungen beziehen, das sind die Züge der Charakteristik lebender Wesen. Und wieviel von alledem ist uns polierten Nationen noch eigen? Die Verhältnisse der Religion, die mit ihnen auf das engste verbundenen bürgerlichen Beziehungen, der Druck der Gesetze, der noch größere Druck gesellschaftlicher Verbindungen und tausend andere Dinge lassen den polierten Menschen und die polierte Nation nie ein eigenes Geschöpf sein, betäuben den Wink der Natur und verwischen jeden Zug, aus dem ein charakteristisches Bild gemacht werden könnte.

Was heißt also nun Charakter einer polierten Nation? Was kann’s anders heißen als Gemälde von Religion und burgerlicher Verfassung, in die eine Nation gestellt worden ist, Draperie, wovon man höchstens sagen kann, wie sie der Nation ansteht. Und hätte uns der Verfasser dieses Werkchens nur soviel gesagt, nur gezeigt, wie die polierte Nation denn unter allen diesen Lasten und Feßlen lebt; ob sie sie gedultig erträgt, wie Isaschar, oder ob sie dagegen anstrebt, sie bisweilen abwirft, bisweilen ihnen ausweicht oder gar andere Auswege sucht, wo sie noch freiere Schritte tun kann; ob noch hier und da unter der Politur der Naturstoff hervorblickt, ob der Stoff immer so biegsam war, daß er die Politur annehmen konnte, ob die Nation wenigstens eigene, ihrem Stoff gemäße Politur hat oder nicht und dergleichen. Vielleicht würde ein philosophischer Beobachter noch auf diese Art eine erträgliche Charakteristik zustande bringen. Aber der Verfasser reiste gemächlich seine große Tour durch England, Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland und die Niederlande, blickte in seinen Pufendorf, konversierte mit schönen Herrn und Damen und nahm sein Buch und schrieb. Zum Unglück ist in der ganzen Welt nichts schiefer als die schönen Herrn und Damen, und so wurden seine Gemälde gerade ebenso schief; den Engländer verteidigt er immer gegen die Franzosen, den Franzosen setzt er dem Engländer immer entgegen. Jener ist nur stark, dieser nur tändlend; der Italiener prächtig und feierlich, der Deutsche sauft und zählt Ahnen. Alles vom Hörensagen, Oberfläche, aus guten Gesellschaften abstrahiert – und das ist ihm Charakteristik! Wie so gar anders würden oft seine Urteile ausgefallen sein, wenn er sich heruntergelassen hätte, den Mann in seine[r] Familie, den Bauern auf seinem Hof, die Mutter unter ihren Kindern, den Handwerksmann in seiner Werkstatt, den ehrlichen Burger bei seiner Kanne Wein und den Gelehrten und Kaufmann in seinem Kränzchen oder seinem Kaffeehaus zu sehen. Aber das fiel ihm nicht einmal ein, daß da Menschen wären, oder wenn’s ihm einfiel, wie sollte er die Geduld, die Zeit, die Herablassung haben? Ihm war ganz Europa feines französisches Drama oder, was ziemlich auf eins hinauskommt, Marionettenspiel! Er guckte hinein und wieder heraus, und das war alles!

»Die Vorzüge des alten Adels«

Eine Erzählung aus dem Französischen.
Lemgo 1772. 8°. 80 S.

Eine Karikatur von einem alten Baron, der außer dem alten Adel kein Heil kennet, versagt seine Tochter einem neuen Edelmann. Die junge Baronessin ist nicht so bekümmert um die Ahnen und flieht mit ihrem Geliebten davon, und das mit so wenig adeliger Delikatesse, daß sie drei der ältesten Ahne[n]gemälde braucht, ein Regenloch zu verstopfen, das ihre Flucht hinderte. Eine standsmäßige Heurat des Sohnes mit einem scheelen buckligen Zweig eines der ältesten Häuser tröstet den Alten, und die Begeisterung des Weins weckt seine Zärtlichkeit gegen seine Tochter so sehr wieder auf, daß er ihr den Schandflecken vergibt, den sie seiner Familie angehängt hat. – Man kann einen alltäglichen Gegenstand der Satire nicht alltäglicher bearbeiten. Wird denn das Dichter- und Philosophenvolk nie begreifen, daß der Adel noch ganz allein dem Despotismus die Waage hält? Wir wünschten, daß der wahre Adel nur eine bessere, erleuchtetere Erziehung haben möchte, und dann wollten wir gerne den nach unserer Verfassung so nötigen Unterschied der Stände dulten. Ahnenstolz ist nicht ein Haar mehr lächerlich als Gelehrtenstolz, Kaufmannstolz, Burgerstolz und alle übertriebene Parteilichkeit für Vorzüge des Glücks. Wer gelernt hat, Zufriedenheit auf der Stufe zu finden, wo er steht, der wird alle Stufen über und unter sich mit Gleichgültigkeit ansehn. Aber erst muß man aufhören, selbst Scapin zu sein, ehe man über den Arlequin spotten darf.

»Die schönen Künste in ihrem Ursprung, ihrer wahren Natur und besten Anwendung«

betrachtet von J. G. Sulzer.
Leipzig 1772. 8°. 85 S.

Sehr bequem ins Französische zu übersetzen, könnte auch wohl aus dem Französischen übersetzt sein. Herr Sulzer, der nach dem Zeugnis eines unsrer berühmten Männer ein ebenso großer Philosoph ist als irgendeiner aus dem Altertume, scheint in seiner Theorie nach Art der Alten mit einer exoterischen Lehre das arme Publikum abzuspeisen, und diese Bogen sind womöglich unbedeutender als alles andre.

»Die schönen Künste«, ein Artikel der »Allgemeinen Theorie«, tritt hier besonders ans Licht, um die Liebhaber und Kenner desto bälder in Stand zu setzen, vom Ganzen zu urteilen. Wir haben beim Lesen des großen Werks bisher schon manchen Zweifel gehabt; da wir nun aber gar die Grundsätze, worauf sie gebaut ist, den Leim, der die verworfnen Lexikonsglieder zusammenkleben soll, untersuchen, so finden wir uns in der Meinung nur zu sehr bestärkt: hier sei für niemanden nichts getan als für den Schüler, der Elementa sucht, und für den ganz leichten Dilettante nach der Mode.

Daß eine Theorie der Künste für Deutschland noch nicht gar in der Zeit sein möchte, haben wir schon ehmals unsre Gedanken gesagt. Wir bescheiden uns wohl, daß eine solche Meinung die Ausgabe eines solchen Buchs nicht hindern kann; nur warnen können und müssen wir unsre gute junge Freunde vor dergleichen Werken. Wer von den Künsten nicht sinnliche Erfahrung hat, der lasse sie lieber. Warum sollte er sich damit beschäftigen? Weil es so Mode ist? Er bedenke, daß er sich durch alle Theorie den Weg zum wahren Genusse versperrt, denn ein schädlicheres Nichts als sie ist nicht erfunden worden.

»Die schönen Künste«, der Grundartikel Sulzerischer Theorie. Da sind sie denn, versteht sich, wieder alle beisammen, verwandt oder nicht. Was steht im Lexiko nicht alles hintereinander? Was läßt sich durch solche Philosophie nicht verbinden? Malerei und Tanzkunst, Beredsamkeit und Baukunst, Dichtkunst und Bildhauerei: alle aus einem Loche, durch das magische Licht eines philosophischen Lämpchens auf die weiße Wand gezaubert, tanzen sie im Wunderschein buntfarbig auf und nieder, und die verzückten Zuschauer frohlocken sich fast außer Atem.

Daß einer, der ziemlich schlecht räsonierte, sich einfallen ließ, gewisse Beschäftigungen und Freuden der Menschen, die bei ungenialischen, gezwungnen Nachahmern Arbeit und Mühseligkeit wurden, ließen sich unter die Rubrik Künste, schöne Künste klassifizieren, zum Behuf theoretischer Gaukelei, das ist denn der Bequemlichkeit wegen Leitfaden geblieben zur Philosophie darüber, da sie doch nicht verwandter sind als septem artes liberales der alten Pfaffenschulen.

Wir erstaunen, wie Herr S., wenn er auch nicht drüber nachgedacht hätte, in der Ausführung die große Unbequemlichkeit nicht fühlen mußte, daß, solange man in generalioribus sich aufhält, man nichts sagt und höchstens durch Deklamation den Mangel des Stoffes vor Unerfahrnen verbergen kann.

Er will das unbestimmte Principium: Nachahmung der Natur, verdrängen und gibt uns ein gleich unbedeutendes dafür: Die Verschönerung der Dinge. Er will nach hergebrachter Weise von Natur auf Kunst herüberschließen: »In der ganzen Schöpfung stimmt alles darin überein, daß das Aug und die andern Sinnen von allen Seiten her durch angenehme Eindrücke gerührt werden.« Gehört denn, was unangenehme Eindrücke auf uns macht, nicht so gut in den Plan der Natur als ihr Lieblichstes? Sind die wütenden Stürme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut und Tod in allen Elementen nicht eben so wahre Zeugen ihres ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne über volle Weinberge und duftende Orangenhaine? Was würde Herr Sulzer zu der liebreichen Mutter Natur sagen, wenn sie ihm eine Metropolis, die er mit allen schönen Künsten, Handlangerinnen, erbaut und bevölkert hätte, in ihren Bauch hinunterschlänge?

Ebensowenig besteht die Folgerung: »Die Natur wollte durch die von allen Seiten auf uns zuströmenden Annehmlichkeiten unsre Gemüter überhaupt zu der Sanftmut und Empfindsamkeit bilden.« Überhaupt tut sie das nie, sie härtet vielmehr, Gott sei Dank, ihre echten Kinder gegen die Schmerzen und Übel ab, die sie ihnen unablässig bereitet, so daß wir den den glücklichsten Menschen nennen können, der der stärkste wäre, dem Übel zu entgegnen, es von sich zu weisen und ihm zum Trutz den Gang seines Willens zu gehen. Das ist nun einem großen Teil der Menschen zu beschwerlich, ja unmöglich; daher retirieren und retranchieren sich die meisten, sonderlich die Philosophen, deswegen sie denn auch überhaupt so adäquat disputieren.

Wie partikular und eingeschränkt ist folgendes, und wie viel soll es beweisen! »Vorzüglich hat diese zärtliche Mutter den vollen Reiz der Annehmlichkeit in die Gegenstände gelegt, die uns zur Glückseligkeit am nötigsten sind, besonders die selige Vereinigung, wodurch der Mensch eine Gattin findet.« Wir ehren die Schönheit von ganzem Herzen, sind für ihre Attraktion nie unfühlbar gewesen; allein sie hier zum primo mobili zu machen, kann nur der, der von den geheimnisvollen Kräften nichts ahndet, durch die jedes zu seinesgleichen gezogen wird, alles unter der Sonne sich paart und glücklich ist, Wäre es nun also auch wahr, daß die Künste zu Verschönerung der Dinge um uns würken, so ist’s doch falsch, daß sie es nach dem Beispiele der Natur tun.

Was wir von Natur sehn, ist Kraft, die Kraft verschlingt, nichts gegenwärtig, alles vorübergehend, tausend Keime zertreten, jeden Augenblick tausend geboren, groß und bedeutend, mannigfaltig ins Unendliche; schön und häßlich, gut und bös, alles mit gleichem Rechte nebeneinander existierend. Und die Kunst ist gerade das Widerspiel; sie entspringt aus den Bemühungen des Individuums, sich gegen die zerstörende Kraft des Ganzen zu erhalten. Schon das Tier durch seine Kunsttriebe scheidet, verwahrt sich; der Mensch durch alle Zustände befestigt sich gegen die Natur, ihre tausendfache Übel zu vermeiden und nur das Maß von Gutem zu genießen; bis es ihm endlich gelingt, die Zirkulation aller seiner wahr’ und gemachten Bedürfnisse in einen Palast einzuschließen, sofern es möglich ist, alle zerstreute Schönheit und Glückseligkeit in seine gläserne Mauern zu bannen, wo er denn immer weicher und weicher wird, den Freuden des Körpers Freuden der Seele substituiert und seine Kräfte, von keiner Widerwärtigkeit zum Naturgebrauche aufgespannt, in Tugend, Wohltätigkeit, Empfindsamkeit zerfließen.

Herr S. geht nun seinen Gang, den wir ihm nicht folgen mögen; an einem großen Trupp Schüler kann’s ihm so nicht fehlen; denn er setzt Milch vor und nicht starke Speise, redet viel von dem Wesen der Künste, Zweck, und preist ihre hohe Nutzbarkeit als Mittel zu Beförderung der menschlichen Glückseligkeit. Wer den Menschen nur einigermaßen kennt und Künste und Glückseligkeit, wird hier wenig hoffen, es werden ihm die vielen Könige einfallen, die mitten im Glanz ihrer Herrlichkeit der Ennui zu Tode fraß. Denn wenn es nur auf Kennerschaft angesehn ist, wenn der Mensch nicht mitwürkend genießt, müssen bald Hunger und Ekel, die zwei feindlichsten Triebe, sich vereinigen, den elenden Pococurante zu quälen.

Hierauf läßt er sich ein auf eine Abbildung der Schicksale schöner Künste und ihres gegenwärtigen Zustandes, die denn mit recht schönen Farben hinimaginiert ist, so gut und nicht besser als die Geschichten der Menschheit, die wir so gewohnt worden sind in unsern Tagen, wo immer das Märchen der vier Weltalter sufficienter ist und im Ton der zum Roman umpragmatisierten Geschichte.

Nun kommt Herr S. auf unsere Zeiten und schilt, wie es einem Propheten geziemt, wacker auf sein Jahrhundert; leugnet zwar nicht, daß die schönen Künste mehr als zu viel Beförderer und Freunde gefunden haben, weil sie aber zum großen Zweck, zur moralischen Besserung des Volks noch nicht gebraucht worden, haben die Großen nichts getan. Er träumt mit andern, eine weise Gesetzgebung würde zugleich Genies beleben und auf den wahren Zweck zu arbeiten anweisen können, und was dergleichen mehr ist.

Zuletzt wirft er die Frage auf, deren Beantwortung den Weg zur wahren Theorie eröffnen soll: »Wie ist es anzufangen, daß der dem Menschen angeborne Hang zur Sinnlichkeit zu Erhöhung seiner Sinnesart angewendet und in besondern Fällen als ein Mittel gebraucht werde, ihn unwiderstehlich zu seiner Pflicht zu reizen?« So halb und mißverstanden und in den Wind als der Wunsch Cicerons, die Tagend in körperlicher Schönheit seinem Sohne zuzuführen. Herr S. beantwortet auch die Frage nicht, sondern deutet nur, worauf es hier ankomme, und wir machen das Büchlein zu. Ihm mag sein Publikum von Schülern und Kennerchens getreu bleiben, wir wissen, daß alle wahre Künstler und Liebhaber auf unsrer Seite sind, die so über den Philosophen lachen werden, wie sie sich bisher über die Gelehrten beschwert haben. Und zu diesen noch ein paar Worte, auf einige Künste eingeschränkt, das auf so viele gelten mag als kann.

Wenn irgendeine spekulative Bemühung den Künsten nützen soll, so muß sie den Künstler grade angehen, seinem natürlichen Feuer Luft machen, daß es um sich greife und sich tätig erweise. Denn um den Künstler allein ist’s zu tun, daß der keine Seligkeit des Lebens fühlt als in seiner Kunst, daß, in sein Instrument versunken, er mit allen seinen Empfindungen und Kräften da lebt. Am gaffenden Publikum, ob das, wenn’s ausgegafft hat, sich Rechenschaft geben kann, warum’s gaffte oder nicht, was liegt an dem?

Wer also schriftlich, mündlich oder im Beispiel, immer einer besser als der andre, den sogenannten Liebhaber, das einzige wahre Publikum des Künstlers, immer näher und näher zum Künstlergeist aufheben könnte, daß die Seele mit einflösse ins Instrument, der hätte mehr getan als alle psychologische Theoristen. Die Herren sind so hoch droben im Empyreum transzendenter Tugend-Schöne, daß sie sich um Kleinigkeiten hienieden nichts kümmern, auf die alles ankommt. Wer von uns Erdensöhnen hingegen sieht nicht mit Erbarmen, wie viel gute Seelen z.B. in der Musik an ängstlicher mechanischer Ausübung hangenbleiben, drunter erliegen.

Gott erhalt unsre Sinnen, und bewahr uns vor der Theorie der Sinnlichkeit, und gebe jedem Anfänger einen rechten Meister! Weil denn die nun nicht überall und immer zu haben sind und es doch auch geschrieben sein soll, so gebe uns Künstler und Liebhaber ein περι έαυτον seiner Bemühungen, der Schwürigkeiten, die ihn am meisten aufgehalten, der Kräfte, mit denen er überwunden, des Zufalls, der ihm geholfen, des Geists, der in gewissen Augenblicken über ihn gekommen und ihn auf sein Leben erleuchtet, bis er zuletzt, immer zunehmend, sich zum mächtigen Besitz hinaufgeschwungen und als König und Überwinder die benachbarten Künste, ja die ganze Natur zum Tribute genötigt.

So würden wir nach und nach vom mechanischen zum intellektuellen, vom Farbenreiben und Saitenaufziehen zum wahren Einfluß der Künste auf Herz und Sinn eine lebendige Theorie versammeln, würden dem Liebhaber Freude und Mut machen und vielleicht dem Genie etwas nutzen.

 
 * 

Brief des Pastors zu

an den neuen Pastor zu
Aus dem Französischen. 1773

Lieber Herr Amtsbruder,

Da die Veränderung in meiner Nachbarschaft vorging, daß der alte Pastor starb, an dessen Stelle Ihr kommt, freute ich mich von ganzem Herzen. Denn ob ich gleich kein unleidsamer Mann bin und meinem Nächsten nichts mehr gönne als sein bißchen Leben, das bei manchen, wie beim Vieh, das einzige ist, was sie haben; so muß ich doch aufrichtig gestehen, daß Eures Vorfahren Totengeläut mir ebenso eine freudige Wallung ins Blut brachte als das Geläute sonntags früh, wenn es mich zur Kirche ruft, da mein Herz vor Liebe und Neigung gegen meine Zuhörer überfließt. Er konnte niemanden leiden, Euer Vorfahr, und Gott wird mir vergeben, daß ich ihn auch nicht leiden konnte; ich hoffe, Ihr sollt mir soviel Freude machen, als er mir Verdruß gemacht hat; denn ich höre soviel Guts von Euch, als man von einem Geistlichen sagen kann, das heißt: Ihr treibt Euer Amt still und mit nicht mehr Eifer, als nötig ist, und seid ein Feind von Kontroversen. Ich weiß nicht, ob’s Euerm Verstand oder Euerm Herzen mehr Ehre macht, daß Ihr so jung und so friedfertig seid, ohne deswegen schwach zu sein; denn freilich ist’s auch kein Vorteil für die Herde, wenn der Schäfer ein Schaf ist.

Ihr glaubt nicht, lieber Herr Amtsbruder, was mir Euer Vorfahr für Not gemacht hat. Unsre Sprengel liegen so nah beisammen, und da steckten seine Leute meine Leute an, daß die zuletzt haben wollten, ich sollte mehr Menschen verdammen als ich nicht täte; es wäre keine Freude, meinten sie, ein Christ zu sein, wenn nicht alle Heiden ewig gebraten würden. Ich versichre, lieber Bruder, ich wurde manchmal ganz mutlos, denn es gibt gewisse Materien, von denen anzufangen ich so entfernt bin, daß ich vielmehr jedesmal am Ende der Woche meinem Gott von ganzem Herzen danke, wenn mich niemand darum gefragt hat, und, wenn’s geschehen ist, ihn bitte, daß er’s inskünftige abwenden möge; und so wird’s jedem rechtschaffnen Geistlichen sein, der gutdenkende Gemüter nicht mit Worten bezahlen will und doch weiß, wie gefährlich es ist, sie halbbefriedigt wegzuschicken oder sie gar abzuweisen. Ich muß Euch gestehen, daß die Lehre von Verdammung der Heiden eine von denen ist, über die ich wie über glühendes Eisen eile. Ich bin alt geworden und habe die Wege des Herrn betrachtet, soviel ein Sterblicher in ehrfurchtsvoller Stille darf; wenn Ihr ebenso alt sein werdet als ich, sollt Ihr auch bekennen, daß Gott und Liebe Synonymen sind, wenigstens wünsche ich’s Euch. Zwar müßt Ihr nicht denken, daß meine Toleranz mich indifferent gemacht habe. Das ist bei allen Eiferern vor ihre Sekte ein mächtiger Behuf der Redekunst, daß sie mit Worten um sich werfen, die sie nicht verstehen. Sowenig die ewige einzige Quelle der Wahrheit indifferent sein kann, so tolerant sie auch ist, sowenig kann ein Herz, das sich seiner Seligkeit versichern will, von der Gleichgültigkeit Profession machen. Die Nachfolger des Pyrrho waren Elende. Wer möchte zeitlebens auf dem Meer von Stürmen getrieben werden? Unsere Seele ist einfach und zur Ruhe geboren; solang sie zwischen Gegenständen geteilt ist, so fühlt sie was, das jeder am besten weiß, wer zweifelt.

Also, lieber Bruder, danke ich Gott für nichts mehr als die Gewißheit meines Glaubens; denn darauf sterb ich, daß ich kein Glück besitze und keine Seligkeit zu hoffen habe, als die mir von der ewigen Liebe Gottes mitgeteilt wird, die sich in das Elend der Welt mischte und auch elend ward, damit das Elend der Welt mit ihr herrlich gemacht werde. Und so lieb ich Jesum Christum, und so glaub ich an ihn und danke Gott, daß ich an ihn glaube, denn wahrhaftig, es ist meine Schuld nicht, daß ich glaube. Es war eine Zeit, da ich Saulus war, gottlob, daß ich Paulus geworden bin; gewiß, ich war sehr erwischt, da ich nicht mehr leugnen konnte. Man fühlt einen Augenblick, und der Augenblick ist entscheidend für das ganze Leben, und der Geist Gottes hat sich vorbehalten, ihn zu bestimmen. So wenig bin ich indifferent, darf ich deswegen nicht tolerant sein? Um wieviel Millionen Meilen verrechnet sich der Astronom? Wer der Liebe Gottes Grenzen bestimmen wollte, würde sich noch mehr verrechnen. Weiß ich, wie mancherlei seine Wege sind? So viel weiß ich, daß ich auf meinem Weg gewiß in den Himmel komme, und ich hoffe, daß er andern auch auf dem ihrigen hineinhelfen wird. Unsre Kirche behauptet, daß Glauben und nicht Werke selig machen, und Christus und seine Apostel lehren das ohngefähr auch. Das zeigt nun von der großen Liebe Gottes, denn für die Erbsünde können wir nichts und für die würkliche auch nichts, das ist so natürlich, als daß einer geht, der Füße hat; und darum verlangt Gott zur Seligkeit keine Taten, keine Tugenden, sondern den einfältigsten Glauben, und durch den Glauben allein wird uns das Verdienst Christi mitgeteilt, so daß wir die Herrschaft der Sünde einigermaßen loswerden hier im Leben, und nach unserm Tode, Gott weiß wie, auch das eingeborne Verderben im Grabe bleibt. Wenn nun der Glaube das einzige ist, wodurch wir Christi Verdienst uns zueignen, so sagt mir, wie ist’s denn mit den Kindern? Die sprecht ihr selig? Nicht wahr? Warum denn? Weil sie nicht gesündigt haben! Das ist ein schöner Satz, man wird ja nicht verdammet, weil man sündigt. Und das eingeborne Verderben haben sie ja doch an sich und werden also nicht aus Verdienst selig; nun so sagt mir die Art, wie die Gerechtigkeit der menschgewordenen Liebe sich den Kindern mitteilt. Seht, ich finde in dem Beispiel einen Beweis, daß wir nicht wissen, was Gott tut, und daß wir nicht Ursache haben, an jemands Seligkeit zu verzweifeln. Ihr wißt, lieber Herr Amtsbruder, daß viele Leute, die so barmherzig waren wie ich, auf die Wiederbringung gefallen sind, und ich versichre Euch, es ist die Lehre, womit ich mich insgeheim tröste; aber das weiß ich wohl, es ist keine Sache, davon zu predigen. Übers Grab geht unser Amt nicht, und wenn ich ja einmal sagen muß, daß es eine Hölle gibt, so red ich davon, wie die Schrift davon redet, und sage immerhin »ewig«! Wenn man von Dingen spricht, die niemand begreift, so ist’s einerlei, was für Worte man braucht. Übrigens hab ich gefunden, daß ein rechtschaffner Geistlicher in dieser Zeitlichkeit so viel zu tun hat, daß er gern Gott überläßt, was in der Ewigkeit zu tun sein möchte.

So, mein lieber Herr Konfrater, sind meine Gesinnungen über diesen Punkt: Ich halte den Glauben an die göttliche Liebe, die vor so viel hundert Jahren, unter dem Namen Jesus Christus, auf einem kleinen Stückchen Welt, eine kleine Zeit als Mensch herumzog, für den einzigen Grund meiner Seligkeit, und das sage ich meiner Gemeinde, sooft Gelegenheit dazu ist; ich subtilisiere die Materie nicht; denn da Gott Mensch geworden ist, damit wir arme sinnliche Kreaturen ihn möchten fassen und begreifen können, so muß man sich vor nichts mehr hüten, als ihn wieder zu Gott zu machen.

Ihr habt in Eurer vorigen Pfarre, wie ich höre, viel von denen Leuten um Euch gehabt, die sich Philosophen nennen und eine sehr lächerliche Person in der Welt spielen. Es ist nichts jämmerlicher, als Leute unaufhörlich von Vernunft reden zu hören, mittlerweile sie allein nach Vorurteilen handeln. Es liegt ihnen nichts so sehr am Herzen als die Toleranz, und ihr Spott über alles, was nicht ihre Meinung ist, beweist, wie wenig Friede man von ihnen zu hoffen hat. Ich war recht erfreut, lieber Herr Bruder, zu hören, daß Ihr Euch niemals mit ihnen gezankt noch Euch Mühe gegeben habt, sie eines Bessern zu überweisen. Man hält einen Aal am Schwanze fester als einen Lacher mit Gründen. Es geschah dem portugiesischen Juden recht, der den Spötter von Ferney Vernunft hören machen wollte; seine Gründe mußten einer Sottise weichen, und anstatt seinen Gegner überführt zu sehen, fertigte ihn dieser sehr tolerant ab und sagte: »Bleibt denn Jude, weil Ihr es einmal seid.«

»Bleibt denn Philosoph, weil Ihr’s einmal seid, und Gott habe Mitleiden mit Euch!« So pflege ich zu sagen, wenn ich mit so einem zu tun habe.

Ich weiß nicht, ob man die Göttlichkeit der Bibel einem beweisen kann, der sie nicht fühlt, wenigstens halte ich es für unnötig. Denn wenn ihr fertig seid, und es antwortet euch einer wie der savoyische Vikar: »Es ist meine Schuld nicht, daß ich keine Gnade am Herzen fühle«, so seid ihr geschlagen und könnt nichts antworten, wenn ihr euch nicht in Weitläufigkeiten vom freien Willen und von der Gnadenwahl einlassen wollt, wovon ihr doch, alles zusammengenommen, zu wenig wißt, um davon disputieren zu können.

Wer die Süßigkeit des Evangelii schmecken kann, der mag so was Herrliches niemanden aufdringen. Und gibt uns unser Herr nicht das exzellenteste Beispiel selbst? Ging er nicht gleich von Gergesa, ohne böse zu werden, sobald man ihn darum bat? Und vielleicht war’s ihm selbst um die Leute nicht zu tun, die ihre Schweine nicht drum geben wollten, um den Teufel loszuwerden. Denn man mag ihnen vorsagen, was man will, so bleiben sie auf ihrem Kopfe. Was wir tun können, ist die Heilsbegierigen zurechtzuweisen, und den andern läßt man, weil sie’s nicht besser haben wollen, ihre Teufel und ihre Schweine.

Da habt Ihr also die eine Ursache, warum und wie tolerant ich bin; ich überlasse, wie Ihr seht, alle Ungläubigen der ewigen wiederbringenden Liebe und habe das Zutrauen zu ihr, daß sie am besten wissen wird, den unsterblichen und unbeflecklichen Funken, unsre Seele, aus dem Leibe des Todes auszuführen und mit einem neuen und unsterblich reinen Kleide zu umgeben. Und diese Seligkeit meiner friedfertigen Empfindung vertauschte ich nicht mit dem höchsten Ansehn der Infallibilität. Welche Wonne ist es zu denken, daß der Türke, der mich für einen Hund, und der Jude, der mich für ein Schwein hält, sich einst freuen werden, meine Brüder zu sein.

Soweit davon, mein lieber Bruder! und gleichsam im Vorbeigehen; denn das Hauptelend der Intoleranz offenbart sich doch am meisten in den Uneinigkeiten der Christen selbst, und das ist was Trauriges. Nicht daß ich meine, man sollte eine Vereinigung suchen, das ist eine Sottise wie die Republik Heinrichs des Vierten. Wir sind alle Christen, und Augsburg und Dordrecht machen sowenig einen wesentlichen Unterschied der Religion als Frankreich und Deutschland in dem Wesen des Menschen. Ein Franzose ist von Kopf bis auf die Füße eben ein Mensch wie ein Deutscher, das andre sind politische Konsiderationen, die fürtrefflich sind und die niemand unbestraft einreißen soll.

Wer die Geschichte des Wortes Gottes unter den Menschen mit liebevollem Herzen betrachtet, der wird die Wege der ewigen Weisheit anbeten. Aber wahrhaftig, weder Bellarmin noch Seckendorf wird Euch eine reine Geschichte erzählen. Warum sollte ich leugnen, daß der Anfang der Reformation eine Mönchszänkerei war und daß es Luthers Intention im Anfang gar nicht war, das auszurichten, was er ausrichtete. Was sollte mich antreiben, die Augsburgische Konfession für was anders als eine Formel auszugeben, die damals nötig war und noch nötig ist, etwas festzusetzen, das mich aber nur äußerlich verbindet und mir übrigens meine Bibel läßt. Kommt aber ein Glaubensbekenntnis dem Worte Gottes näher als das andre, so sind die Bekenner desto besser dran, aber das bekümmert niemand anders.

Luther arbeitete, uns von der geistlichen Knechtschaft zu befreien; möchten doch alle seine Nachfolger so viel Abscheu vor der Hierarchie behalten haben, als der große Mann empfand.

Er arbeitete sich durch verjährte Vorurteile durch und schied das Göttliche vom Menschlichen, soviel ein Mensch scheiden kann, und was noch mehr war, er gab dem Herzen seine Freiheit wieder und machte es der Liebe fähiger; aber man lasse sich nicht blenden, als hätte er das Reich erworben, davon er einen andern herunterwarf, man bilde sich nicht ein, die alte Kirche sei deswegen ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung; hat sie doch wenige menschliche Satzungen, die nicht auf etwas göttlich Wahres gegründet wären; laßt sie, leidet sie und segnet sie. Warum lästert ihr ihre Messe? Sie tun zu viel, das weiß ich, aber laßt sie tun, was sie wollen; verflucht sei der, der einen Dienst Abgötterei nennt, dessen Gegenstand Christus ist. Lieber Bruder, es wird täglich lichter in der römischen Kirche, ob aber Gottes Werk ist, wird die Zeit ausweisen. Vielleicht protestiert sie bald mehr, als gut ist. Luther hatte die Schwärmerei zur Empfindung gemacht, Calvin machte die Empfindung zu Verstand. Diese Trennung war unvermeidlich, und daß sie politisch geworden ist, lag in den Umständen. Ich bin so fern, eine Vereinigung zu wünschen, daß ich sie vielmehr äußerst gefährlich halte, jeder Teil, der sich ein Haar vergäbe, hätte unrecht. Doch es ist gut, daß politische Betrachtungen der Sache im Wege stehen, sonst würde man vielleicht den Gewissen ihre Freiheit rauben. Beides lauft auf eins hinaus, ob ein Sakrament ein Zeichen oder mehr ist, und wie könnte ich böse sein, daß ein andrer nicht empfinden kann wie ich. Ich kenne die Seligkeit zu gut, es für mehr zu halten als ein Zeichen, und doch habe ich unter meiner Gemeinde eine große Anzahl Menschen, die die Gnade nicht haben, es auch zu fühlen; es sind Leute, wo der Kopf das Herz überwiegt, mit diesen leb ich in so zärtlicher Eintracht und bitte Gott, daß er jedem Freude und Seligkeit gebe nach seinem Maß; denn der Geist Gottes weiß am besten, was einer fassen kann. Eben so ist’s mit der Gnadenwahl, davon verstehen wir ja alle nichts, und so ist’s mit tausend Dingen. Denn wenn man’s beim Lichte besieht, so hat jeder seine eigene Religion, und Gott muß mit unserm armseligen Dienste zufrieden sein, aus übergroßer Güte, denn das müßte mir ein rechter Mann sein, der Gott diente, wie sich gehört.

Ach, es ist unwidersprechlich, lieber Bruder, daß keine Lehre uns von Vorurteilen reinigt, als die vorher unsern Stolz zu erniedrigen weiß; und welche Lehre ist’s, die auf Demut baut, als die aus der Höhe. Wenn wir das immer bedächten und recht im Herzen fühlten, was das sei: Religion, und jeden auch fühlen ließen, wie er könnte, und dann mit brüderlicher Liebe unter alle Sekten und Parteien träten, wie würde es uns freuen, den göttlichen Samen auf so vielerlei Weise Frucht bringen zu sehen. Dann würden wir ausrufen: Gottlob, daß das Reich Gottes auch da zu finden ist, wo ich’s nicht suchte.

Unser lieber Herr wollte nicht, daß es ein Ohr kosten sollte, dieses Reich auszubreiten, er wußte, daß es damit nicht ausgerichtet wäre, er wollte anklopfen an der Türe und sie nicht einschmeißen. Wenn wir das nur recht bedächten und Gott dankten, daß wir in diesen schlimmen Zeiten noch ungestört lehren dürfen. Und einmal vor allemal, eine Hierarchie ist ganz und gar wider den Begriff einer echten Kirche. Denn, mein lieber Bruder, betrachtet nur selbst die Zeiten der Apostel gleich nach Christi Tod, und Ihr werdet bekennen müssen, es war nie eine sichtbare Kirche auf Erden. Es sind wunderliche Leute, die Theologen; da prätendieren sie, was nicht möglich ist. Die christliche Religion in ein Glaubensbekenntnis bringen, o ihr guten Leute! Petrus meinte schon, in Bruder Pauli Briefen wäre viel schwer zu verstehen, und Petrus war doch ein andrer Mann als unsre Superintendenten; aber er hatte recht, Paulus hat Dinge geschrieben, die die ganze christliche Kirche in corpore bis auf den heutigen Tag nicht versteht. Da sieht’s denn schon gewaltig scheu um unsre Lehre aus, wenn wir alles, was in der Bibel steht, in ein System zerren wollen, und mit dem Wandel läßt sich eben so wenig Gewisses bestimmen. Peter tate schon Sachen, die Paulen nicht gefielen, und ich möchte wissen, mit was für Titeln der große Apostel unsre Geistlichen beehren würde, die noch eine weit ungegründetere und verwerflichere Prädilektion für ihre Sekte haben als Petrus für die Juden.

Daß bei der Einsetzung des Abendmahls die Jünger das Brot und Wein genossen wie die reformierte Kirche, ist unleugbar, denn ihr Meister, den sie viel kannten, der saß bei ihnen, sie versprachen’s gleichsam zu seinem Gedächtnis zu wiederholen, weil sie ihn liebten, und mehr prätendierte er auch nicht. Wahrhaftig, Johannes, der an seinem Busen lag, brauchte nicht erst das Brot, um sich von der Existenz seines Herren lebendig zu überzeugen, genug, es mag den Jüngern dabei der Kopf gedreht haben, wie selbigen ganzen Abend, denn sie verstunden nicht eine Silbe von dem, was der Herr sagte.

Kaum war der Herr von der Erde weg, als zärtliche, liebesgesinnte Leute sich nach einer innigen Vereinigung mit ihm sehnten, und weil wir immer nur halb befriedigt sind, wenn unsere Seele genossen hat, so verlangten sie auch was für den Körper und hatten nicht unrecht, denn der Körper bleibt immer ein merkwürdiger Teil des Menschen, und dazu gaben ihnen die Sakramente die erwünschteste Gelegenheit. Durch die sinnliche Handlung der Taufe oder des Händeauflegens gerührt, gab vielleicht ihr Körper der Seele eben denjenigen Ton, der nötig ist, um mit dem Wehen des Heiligen Geistes zu sympathisieren, das uns unaufhörlich umgibt. Ich sage »vielleicht«, und ich darf »gewiß« sagen. Eben das fühlten sie beim Abendmahl und glaubten, durch die Worte Christi geleitet, es für das halten zu können, was sie so sehr wünschten. Besonders da die Unarten ihres Körpers sich durch diese Heiligung am besten heilen ließen, so blieb ihnen kein Zweifel übrig, daß ihr verherrlichter Bruder ihnen von dem Wesen seiner göttlichen Menschheit durch diese sinnliche Zeichen mitteile. Aber das waren unaussprechliche Empfindungen, die sie wohl im Anfang zur gemeinschaftlichen Erbauung einander kommunizierten, die aber leider nachher zum Gesetz gemacht wurden. Und da konnte es nicht fehlen, daß die, deren Herz keiner solchen Empfindung fähig war und die mit einer bedächtigen geistlichen Vereinigung sich genügten, daß die sich trennten und sich zu behaupten getrauten, eine Empfindung, die nicht allgemein sei, könne kein allgemein verbindendes Gesetz werden.

Ich denke, daß das der ehrlichste Status causae ist, den man erwarten kann, und wenn man wohltun will, so verfährt man mit seiner Gemeinde so billig von der Seite als möglich. Einem Meinungen aufzwingen ist schon grausam, aber von einem verlangen, er müsse empfinden, was er nicht empfinden kann, das ist tyrannischer Unsinn.

Noch was, lieber Bruder, unsre Kirche hat sich nicht allein mit der reformierten gezankt, weil die zu wenig empfindet, sondern auch mit andern ehrlichen Leuten, weil sie zu viel empfanden. Die Schwärmer und Inspiranten haben sich oft unglücklicherweise ihrer Erleuchtung überhoben, man hat ihnen ihre eingebildete Offenbarung vorgeworfen; aber weh uns, daß unsre Geistlichen nichts mehr von einer unmittelbaren Eingebung wissen, und wehe dem Christen, der aus Kommentaren die Schrift verstehen lernen will. Wollt ihr die Würkungen des Heiligen Geistes schmälern? bestimmet mir die Zeit, wenn er aufgehöret hat, an die Herzen zu predigen, und euern schalen Diskursen das Amt überlassen hat, von dem Reiche Gottes zu zeugen. Unverständlich nennt ihr unnütz! was sah der Apostel im dritten Himmel? Nicht wahr, unaussprechliche Dinge? Und was waren denn das für Leute, die in der Gemeine Sachen redeten, die einer Auslegung bedurften? O meine Herren, eure Dogmatik hat noch viel Lücken. Lieber Bruder, der Heilige Geist gibt allen Weisheit, die ihn darum bitten, und ich habe Schneider gekannt, die Mosheimen zu raten aufgegeben hätten.

Genung, die Wahrheit sei uns lieb, wo wir sie finden. Laßt uns unser Gewissen nicht beflecken, daß wir an jenem Tage rein sein mögen, wenn an das Licht kommen wird, daß die Lehre von Christo nirgends gedruckter war als in der christlichen Kirche. Und wem darum zu tun ist, die Wahrheit dieses Satzes noch bei seinem Leben zu erfahren, der wage, ein Nachfolger Christi öffentlich zu sein, der wage sich’s merken zu lassen, daß ihm um seine Seligkeit zu tun ist! Er wird einen Unnamen am Halse haben, eh er sich’s versieht, und eine christliche Gemeine macht ein Kreuz vor ihm.

Laßt uns also darauf arbeiten, lieber Bruder, nicht daß unsere, sondern daß Christi Lehre lauter gepredigt werde. Laßt uns unbekümmert über andere Reiche sein, nur laßt uns für unser Reich sorgen, und besonders hütet Euch vor den falschen Propheten. Diese nichtswürdige Schmeichler nennen sich Christen, und unter ihrem Schafspelz sind sie reißende Wölfe; sie predigen eine glänzende Sittenlehre und einen tugendhaften Wandel und schmälern das Verdienst Christi, wo sie können. Wahrhaftig, alle Religionsspötter sind wenigstens ehrliche Leute, die über das lachen, was sie nicht fühlen, und einen öffentlichen Feind hat man wenig zu fürchten; aber diese heimlichen sucht aus Eurer Gemeinde zu scheiden, nicht, daß Ihr sie in Eurem Sprengel nicht leiden wollt, sondern nur, daß Ihr sie als ehrliche Leute verlangt, die bekennen, was sie sind.

Der liebe Johannes lehrt uns ganz kurz allen Religionsunterschied; das sei der einzige, den wir kennen. Ich habe in meinem Amt Jesum so laut geprediget, daß sich die Widerchristen geschieden haben, und weiter braucht’s keine Scheidung. Wer Jesum einen Herrn heißt, der sei uns willkommen, können die andre auf ihre eigene Hand leben und sterben, wohl bekomme es ihnen. Wenn der Geistliche ein Mann ist, der nicht vom Hauptpunkte abweicht, so wird unter der Gemeine auch kein Zwist entstehen, hier habt Ihr mein und meiner ganzen Gemeine Glaubensbekenntnis.

Wir sind elend! Wie wir’s sind und warum wir’s sind, das kann uns sehr einerlei sein, wir sehnen uns nur nach einem Weg, auf dem uns geholfen werden könnte. Wir glauben, daß die ewige Liebe darum Mensch geworden ist, um uns das zu verschaffen, wornach wir uns sehnen, und alles, was uns dient, uns mit ihr näher zu vereinigen, ist uns liebenswürdig, was zu diesem Zwecke nicht zielt, gleichgültig und, was davon entfernt, verhaßt. Ihr könnet Euch denken, Herr Konfrater, in was für einem Kredit die Kontroversen bei uns stehen.

Laßt uns Friede halten, lieber Herr Amtsbruder, ich weiß nicht, wie ein Pastor sich unterstehen kann, mit Haß im Herzen auf einen Stuhl zu treten, wo nur Liebe erschallen sollte, und um keinem Zwist Gelegenheit zu geben, laßt uns alle Kleinigkeiten fliehen, wo man Grillen für Wahrheit und Hypothesen für Grundlehren verkauft. Es ist immer lächerlich, wenn ein Pastor seine Gemeine belehrt, daß die Sonne nicht um die Erde geht, und doch kommt so was vor.

Noch eins, Herr Bruder, laßt Eure Gemeine ja die Bibel lesen, soviel sie wollen, wenn sie sie gleich nicht verstehen, das tut nichts; es kommt doch immer viel Guts dabei heraus; und wenn Eure Leute Respekt für der Bibel haben, so habt Ihr viel gewonnen. Doch bitte ich Euch, nichts vorzubringen, was Ihr nicht jedem an seinem Herzen beweisen könnt, und wenn’s hundertmal geschrieben stünde. Ich habe sonst auch gesorgt, die Leute möchten Anstoß an Dingen nehmen, die hier und da in der Bibel fürkommen, aber ich habe gefunden, daß der Geist Gottes sie gerade über die Stellen wegführt, die ihnen nichts nützen dürften. Ich weiß, zum Exempel, kein zärtliches Herz, das an Salomons Diskursen, die freilich herzlich trocken sind, einigen Geschmack hätte finden können.

Überhaupt ist es ein eignes Ding um die Erbauung. Es ist oft nicht die Sache, die einen erbaut, sondern die Lage des Herzens, worin sie uns überrascht, ist das, was einer Kleinigkeit den Wert gibt.

Darum kann ich die Liederverbesserungen nicht leiden, das möchte für Leute sein, die dem Verstand viel und dem Herzen wenig geben; was ist dran gelegen, was man singt, wenn sich nur meine Seele hebt und in den Flug kömmt, in dem der Geist des Dichters war; aber wahrhaftig, das wird einem bei denen gedrechselten Liedern sehr einerlei bleiben, die mit aller kritisch richtigen Kälte hinter dem Schreibepulte mühsam poliert worden sind.

Adieu, lieber Herr Konfrater, Gott gebe Eurem Amte Segen. Prediget Liebe, so werdet Ihr Liebe haben. Segnet alles, was Christi ist, und seid übrigens in Gottes Namen indifferent, wenn man Euch so schelten will. Sooft ich an Euerm Geläute höre, daß Ihr auf die Kanzel geht, sooft will ich für Euch beten. Und wenn Euer allgemeiner Vortrag nach aller Maß eingerichtet ist und Ihr die Seelen, die sich Euch besonders vertrauen, insbesondere belehret, so daß Ihr sie doch alle auf den großen Mittelpunkt unsres Glaubens, die ewige Liebe, hinweiset; wenn Ihr dem Starken genug und dem Schwachen so viel gebet, als er braucht, wenn Ihr die Gewissensskrupel vermindert und allen die Süßigkeit des Friedens wünschenswert macht, so werdet Ihr dereinst mit der Überzeugung, Euer Amt wohl geführt zu haben, vor den Richterstuhl des Herrn treten können, der über Hirten und Schafe als Oberhirt allein zu richten das Recht hat. Ich bin mit aller Zärtlichkeit

Euer Bruder ***

Pastor zu ***

 
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Aus Goethes Brieftasche

An den Leser

Folgende Blätter streu ich ins Publikum mit der Hoffnung, daß sie die Menschen finden werden, denen sie Freude machen können. Sie enthalten Bemerkungen und Grillen des Augenblicks, meist über bildende Kunst, und scheinen also hier am unrechten Platz hingeworfen. Sei’s also nur denen, die einen Sprung über die Gräben, wodurch Kunst von Kunst gesondert wird, als Salto mortale nicht fürchten, und solchen, die mit freundlichem Herzen aufnehmen, was man ihnen in harmloser Zutraulichkeit hinreicht. So auch mit den Gedichten.

I. Nach Falconet und über Falconet

– »Aber«, möchte einer sagen, »diese schwebende Verbindungen, diese Glanzkraft des Marmors, die die Übereinstimmung hervorbringen, diese Übereinstimmung selbst, begeistert sie nicht den Künstler mit der Weichheit, mit der Lieblichkeit, die er nachher in seine Werke legt? Der Gips dagegen, beraubt er ihn nicht einer Quelle von Annehmlichkeiten, die sowohl die Malerei als die Bildhauerkunst erheben? Diese Bemerkung ist nur obenhin. Der Künstler findet die Zusammenstimmung weit stärker in den Gegenständen der Natur als in einem Marmor, der sie vorstellt. Das ist die Quelle, wo er unaufhörlich schöpft, und da hat er nicht wie bei der Arbeit nach dem Marmor zu fürchten ein schwacher Kolorist zu werden. Man vergleiche nur, was diesen Teil betrifft, Rembrandt und Rubens mit Poussin, und entscheide nachher, was ein Künstler mit allen den sogenannten Vorzügen des Marmors gewinnt. Auch sucht der Bildhauer die Stimmung nicht in der Materie, woraus er arbeitet, er versteht sie in der Natur zu sehen, er findet sie so gut in dem Gips als in dem Marmor; denn es ist falsch, daß der Gips eines harmonischen Marmors nicht auch harmonisch sei, sonst würde man nur Abgüsse ohne Gefühl machen können; das Gefühl ist Übereinstimmung und vice versa.« Die Liebhaber, die so bezaubert von diesen Tons, diesen feinen Schwingungen sind, haben nicht unrecht, denn es zeigen sich solche an dem Marmor so gut wie in der ganzen Natur, nur erkennt man sie leichter da, wegen der einfachen und starken Würkung; und der Liebhaber, weil er sie hier zum erstenmal bemerkt, glaubt, daß sie nirgends oder wenigstens nirgends so kräftig anzutreffen seien. Das Aug des Künstlers aber findet sie überall. Er mag die Werkstätte eines Schusters betreten oder einen Stall, er mag das Gesicht seiner Geliebten, seine Stiefel oder die Antike ansehn, überall sieht er die heiligen Schwingungen und leise Töne, womit die Natur alle Gegenstände verbindet. Bei jedem Tritte eröffnet sich ihm die magische Welt, die jene große Künstler innig und beständig umgab, deren Werke in Ewigkeit den wetteifernden Künstler zur Ehrfurcht hinreißen, alle Verächter, ausländische und inländische, studierte und unstudierte, im Zaum halten und den reichen Sammler in Kontribution setzen werden.

Jeder Mensch hat mehrmal in seinem Leben die Gewalt dieser Zauberei gefühlt, die den Künstler allgegenwärtig faßt, dadurch ihm die Welt ringsumher belebt wird. Wer ist nicht einmal beim Eintritt in einen heiligen Wald von Schauer überfallen worden? Wen hat die umfangende Nacht nicht mit einem unheimlichen Grausen geschüttelt? Wem hat nicht in Gegenwart seines Mädchens die ganze Welt golden geschienen? Wer fühlte nicht an ihrem Arme Himmel und Erde in wonnevollsten Harmonien zusammenfließen?

Davon fühlt nun der Künstler nicht allein die Würkungen, er dringt bis in die Ursachen hinein, die sie hervorbringen. Die Welt liegt vor ihm, möcht ich sagen, wie vor ihrem Schöpfer, der in dem Augenblick, da er sich des Geschaffnen freut, auch alle die Harmonien genießt, durch die er sie hervorbrachte und in denen sie besteht. Drum glaubt nicht so schnell zu verstehen, was das heiße: Das Gefühl ist die Harmonie und vice versa.

Und das ist es, was immer durch die Seele des Künstlers webt, was in ihm nach und nach sich zum verstandensten Ausdrucke drängt, ohne durch die Erkenntniskraft durchgegangen zu sein.

Ach dieser Zauber ist’s, der aus den Sälen der Großen und aus ihren Gärten flieht, die nur zum Durchstreifen, nur zum Schauplatz der aneinander hinwischenden Eitelkeit ausstaffiert und beschnitten sind. Nur da, wo Vertraulichkeit, Bedürfnis, Innigkeit wohnen, wohnt alle Dichtungskraft, und weh dem Künstler, der seine Hütte verläßt, um in den akademischen Pranggebäuden sich zu verflattern! Denn wie geschrieben steht: es seie schwer, daß ein Reicher ins Reich Gottes komme, ebenso schwer ist’s auch, daß ein Mann, der sich der veränderlichen modischen Art gleichstellt, der sich an der Flitterherrlichkeit der neuen Welt ergötzt, ein gefühlvoller Künstler werde. Alle Quellen natürlicher Empfindung, die der Fülle unsrer Väter offen waren, schließen sich ihm. Die papierne Tapete, die an seiner Wand in wenig Jahren verbleicht, ist ein Zeugnis seines Sinns und ein Gleichnis seiner Werke.

Über das Übliche sind schon so viel Blätter verdorben worden; mögen diese mit drein gehn. Mich dünkt, das Schickliche gelte in aller Welt fürs Übliche, und was ist in der Welt schicklicher als das Gefühlte? Rembrandt, Raffael, Rubens kommen mir in ihren geistlichen Geschichten wie wahre Heilige vor, die sich Gott überall auf Schritt und Tritt, im Kämmerlein und auf dem Felde, gegenwärtig fühlen und nicht des umständlichen Prachts von Tempeln und Opfern bedürfen, um ihn an ihre Herzen herbeizuzerren. Ich setze da drei Meister zusammen, die man fast immer durch Berge und Meere zu trennen pflegt, aber ich dürfte mich wohl getrauen, noch manche große Namen herzusetzen und zu beweisen, daß sie sich alle in diesem wesentlichen Stücke gleich waren.

Ein großer Maler wie der andre lockt durch große und kleine empfundne Naturzüge den Zuschauer, daß er glauben soll, er sei in die Zeiten der vorgestellten Geschichte entrückt und wird nur in die Vorstellungsart, in das Gefühl des Malers versetzt. Und was kann er im Grunde verlangen, als daß ihm Geschichte der Menschheit mit und zu wahrer menschlicher Teilnehmung hingezaubert werde?

Wenn Rembrandt seine Mutter Gottes mit dem Kinde als niederländische Bäurin vorstellt, sieht freilich jedes Herrchen, daß entsetzlich gegen die Geschichte geschlägelt ist, welche vermeldet: Christus seie zu Bethlehem im jüdischen Lande geboren worden. Das haben die Italiener besser gemacht! sagt er: Und wie? – Hat Raffael was anders, was mehr gemalt als eine liebende Mutter mit ihrem Ersten, Einzigen? und war aus dem Sujet etwas anders zu malen? Und ist Mutterliebe in ihren Abschattungen nicht eine ergiebige Quelle für Dichter und Maler, in allen Zeiten? Aber es sind die biblischen Stücke alle durch kalte Veredlung und die gesteifte Kirchenschicklichkeit aus ihrer Einfalt und Wahrheit herausgezogen und dem teilnehmenden Herzen entrissen worden, um gaffende Augen des Dumpfsinns zu blenden. Sitzt nicht Maria zwischen den Schnörkeln aller Altareinfassungen vor den Hirten mit dem Knäblein da, als ließ’ sie’s um Geld sehn oder habe sich, nach ausgeruhten vier Wochen, mit aller Kindbettsmuße und Weibseitelkeit auf die Ehre dieses Besuchs vorbereitet? Das ist nun schicklich! das ist gehörig! das stößt nicht mit der Geschichte!

Wie behandelt Rembrandt diesen Vorwurf? Er versetzt uns in einen dunkeln Stall; Not hat die Gebärerin getrieben, das Kind an der Brust, mit dem Vieh das Lager zu teilen; sie sind beide bis an Hals mit Stroh und Kleidern zugedeckt; es ist alles düster, außer einem Lämpchen, das dem Vater leuchtet, der mit einem Büchelchen dasitzt und Marien einige Gebete vorzulesen scheint. In dem Augenblick treten die Hirten herein. Der vorderste, der mit einer Stallaterne vorangeht, guckt, indem er die Mütze abnimmt, in das Stroh. War an diesem Platze die Frage deutlicher auszudrücken: Ist hier der neugeborne König der Juden?

Und so ist alles Kostüm lächerlich! denn auch der Maler, der’s euch am besten zu beobachten scheint, beobachtet’s nicht einen Augenblick. Derjenige, der auf die Tafel des reichen Manns Stengelgläser setzte, würde übel angesehen werden, und drum hilft er sich mit abenteuerlichen Formen, belügt euch mit unbekannten Töpfen, aus welchem uralten Gerümpelschranke er nur immer mag, und zwingt mich durch den markleeren Adel überirdischer Wesen in stattlich gefalteten Schleppmänteln zu Bewundrung und Ehrfurcht.

Was der Künstler nicht geliebt hat, nicht liebt, soll er nicht schildern, kann er nicht schildern. Ihr findet Rubensens Weiber zu fleischig! Ich sage euch, es waren seine Weiber, und hätt er Himmel und Hölle, Luft, Erd und Meer mit Idealen bevölkert, so wäre er ein schlechter Ehmann gewesen, und es wäre nie kräftiges Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein geworden.2

Es ist törig, von einem Künstler zu fordern, er soll viel, er soll alle Formen umfassen. Hatte doch oft die Natur selbst für ganze Provinzen nur eine Gesichtsgestalt zu vergeben. Wer allgemein sein will, wird nichts, die Einschränkung ist dem Künstler so notwendig als jedem, der aus sich was Bedeutendes bilden will. Das Haften an ebendenselben Gegenständen, an dem Schrank voll alten Hausrats und wunderbaren Lumpen hat Rembrandt zu dem Einzigen gemacht, der er ist. Denn ich will hier nur von Licht und Schatten reden, ob sich gleich auf Zeichnung eben das anwenden läßt. Das Haften an eben der Gestalt unter einer Lichtsart muß notwendig den, der Auge hat, endlich in alle Geheimnisse leiten, wodurch sich das Ding ihm darstellt, wie es ist. Nimm jetzo das Haften an einer Form, unter allen Lichtern, so wird dir dieses Ding immer lebendiger, wahrer, runder, es wird endlich du selbst werden. Aber bedenke, daß jeder Menschenkraft ihre Grenzen gegeben sind. Wie viel Gegenstände bist du imstande so zu fassen, daß sie aus dir wieder neu hervorgeschaffen werden mögen? Das frag dich, geh vom Häuslichen aus, und verbreite dich, so du kannst, über alle Welt.

II. Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775

Vorbereitung

Wieder an deinem Grabe und dem Denkmal des ewigen Lebens in dir über deinem Grabe, heiliger Erwin! fühle ich, Gott sei Dank, daß ich bin, wie ich war, noch immer so kräftig gerührt von dem Großen und, o Wonne, noch einziger, ausschließender gerührt von dem Wahren als ehemals, da ich oft aus kindlicher Ergebenheit das zu ehren mich bestrebte, wofür ich nichts fühlte und, mich selbst betrügend, den kraft-und wahrheitsleeren Gegenstand mit liebevoller Ahndung übertünchte. Wie viel Nebel sind von meinen Augen gefallen, und doch bist du nicht aus meinem Herzen gewichen, alles belebende Liebe! Die du mit der Wahrheit wohnst, ob sie gleich sagen, du seist lichtscheu und entfliehend im Nebel.

Gebet

Du bist eins und lebendig, gezeugt und entfaltet, nicht zusammengetragen und geflickt. Vor dir, wie vor dem schaumstürmenden Sturze des gewaltigen Rheins, wie vor der glänzenden Krone der ewigen Schneegebürge, wie vor dem Anblick des heiter ausgebreiteten Sees und deiner Wolkenfelsen und wüsten Täler, grauer Gotthard! wie vor jedem großen Gedanken der Schöpfung, wird in der Seele reg, was auch Schöpfungskraft in ihr ist. In Dichtung stammelt sie über, in krützlenden Strichen wühlt sie auf dem Papier Anbetung dem Schaffenden, ewiges Leben, umfassendes, unauslöschliches Gefühl des, das da ist und da war und da sein wird.

Erste Station

Ich will schreiben, denn mir ist’s wohl, und sooft ich da schrieb, ist’s auch andern wohl worden, die’s lasen, wenn ihnen das Blut rein durch die Adern floß und die Augen ihnen hell waren. Mög es euch wohlsein, meine Freunde, wie mir in der Luft, die mir über alle Dächer der verzerrten Stadt morgendlich auf diesem Umgange entgegenweht.

Zweite Station

Höher in der Luft, hinabschauend, schon überschauend die herrliche Ebne, vaterlandwärts, liebwärts und doch voll bleibenden Gefühls des gegenwärtigen Augenblicks.

Ich schrieb ehmals ein Blatt verhüllter Innigkeit, das wenige lasen, buchstabenweise nicht verstanden und worin gute Seelen nur Funken wehen sahen des, was sie unaussprechlich und unausgesprochen glücklich macht. Wunderlich war’s, von einem Gebäude geheimnisvoll reden, Tatsachen in Rätsel hüllen und von Maßverhältnissen poetisch lallen! Und doch geht mir’s jetzt nicht besser. So sei es denn mein Schicksal, wie es dein Schicksal ist, himmelan strebender Turn, und deins, weitverbreitete Welt Gottes! angegafft und läppchensweise in den Gehirnchen der Welschen aller Völker auftapeziert zu werden.

Dritte Station

Hätt ich euch bei mir, schöpfungsvolle Künstler, gefühlvolle Kenner! deren ich auf meinen kleinen Wanderungen so viele fand, und auch euch, die ich nicht fand und die sind. Wenn euch dies Blatt reichen wird, laßt es euch Stärkung sein gegen das flache unermüdete Anspülen unbedeutender Mittelmäßigkeit, und solltet ihr an diesen Platz kommen, gedenkt mein in Liebe.

Tausend Menschen ist die Welt ein Raritätenkasten, die Bilder gaukeln vorüber und verschwinden, die Eindrücke bleiben flach und einzeln in der Seele, drum lassen sie sich so leicht durch fremdes Urteil leiten, sie sind willig, die Eindrücke anders ordnen, verschieben und ihren Wert auf und ab bestimmen zu lassen.

Hier ward durch Lenzens Ankunft die Andacht des Schreibers unterbrochen, die Empfindung ging in Gespräche über, unter welchen die übrigen Stationen vollendet wurden. Mit jedem Tritte überzeugte man sich mehr: daß Schöpfungskraft im Künstler sei aufschwellendes Gefühl der Verhältnisse, Maße und des Gehörigen, und daß nur durch diese ein selbständig Werk, wie andere Geschöpfe durch ihre individuelle Keimkraft hervorgetrieben werden.

Baukunst

Es war sehr leicht zu sehen, daß die Steinbaukunst der Alten, insofern sie Säulenordnungen gebrauchten, von der Holzbaukunst ihr Muster genommen habe. Vitruv bringt bei dieser Gelegenheit das Märchen von der Hütte zu Markte, das nun auch von so vielen Theoristen angenommen und geheiliget worden ist; allein ich bin überzeugt, daß man die Ursachen viel näher zu suchen habe.

Die dorischen Tempel der ältesten Ordnung, wie sie in Großgriechenland und Sizilien bis auf den heutigen Tag noch zu sehen sind und welche Vitruv nicht kannte, bringen uns auf den natürlichen Gedanken: daß nicht eine hölzerne Hütte zuerst den sehr entfernten Anlaß gegeben habe.

Die ältesten Tempel waren von Holz, sie waren auf die simpelste Weise aufgebaut, man hatte nur für das Notwendigste gesorgt. Die Säulen trugen den Hauptbalken, dieser wieder die Köpfe der Balken, welche von innen heraus lagen, und das Gesims ruhte oben drüber. Die sichtbaren Balkenköpfe waren, wie es der Zimmermann nicht lassen kann, ein wenig ausgekerbt, übrigens aber der Raum zwischen denselben, die sogenannten Metopen, nicht einmal verschlagen, so daß man die Schädel der Opfertiere hineinlegen, daß Pylades, in der »Iphigenie auf Tauris« des Euripides, hindurchzukriechen den Vorschlag tun konnte. Diese ganz solide, einfache und rohe Gestalt der Tempel war jedoch dem Auge des Volks heilig, und da man anfing von Stein zu bauen, ahmte man sie, so gut man konnte, im dorischen Tempel nach.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß man bei hölzernen Tempeln auch die stärksten Stämme zu Säulen genommen habe, weil man sie, wie es scheint, ohne eigentliche Verbindung der Zimmerkunst, dem Hauptbalken nur gerad untersetzte. Als man diese Säulen in Stein nachzuahmen anfing, wollte man für die Ewigkeit bauen; man hatte aber nicht jederzeit die festesten Steine zur Hand; man mußte die Säulen aus Stücken zusammensetzen, um ihnen die gehörige Höhe zu geben; man machte sie also sehr stark in Verhältnis zur Höhe und ließ sie spitzer zugehen, um die Gewalt ihres Tragens zu vermehren.

Die Tempel von Paestum, Segeste, Selinunt, Girgent sind alle von Kalkstein, der mehr oder weniger sich der Tuffsteinart nähert, die in Italien Travertin genannt wird; ja die Tempel von Girgent sind alle von dem losesten Muschelkalkstein, der sich denken läßt. Sie waren auch deshalb von der Witterung so leicht anzugreifen und ohne eine andere feindliche Gewalt zu zerstören.

Man erlaube mir eine Stelle des Vitruv hierher zu deuten, wo er erzählt: daß Hermogenes, ein Architekt, da er zu Erbauung eines dorischen Tempels den Marmor beisammengehabt, seine Gedanken geändert und daraus einen ionischen gebaut habe.

Vitruv gibt zwar zur Ursache an: daß dieser Baumeister sowohl als andre mit der Einteilung der Triglyphen nicht einig werden können; allein es gefällt mir mehr zu glauben, daß dieser Mann, als er die schönen Blöcke Marmor vor sich gesehen, solche lieber zu einem gefälligern und reizendern Gebäude bestimmt habe, indem ihn die Materie an der Ausführung nicht hinderte. Auch hat man die dorische Ordnung selbst immer schlanker gemacht, so daß zuletzt der Tempel des Herkules zu Cora acht Diameter in der Säulenlänge enthält.

Ich möchte durch das, was ich sage, es nicht gerne mit denjenigen verderben, welche für die Form der altdorischen Tempel sehr eingenommen sind. Ich gestehe selbst, daß sie ein majestätisches, ja einige ein reizendes Ansehen haben: allein es liegt in der menschlichen Natur, immer weiter, ja über ihr Ziel fortzuschreiten; und so war es auch natürlich, daß in dem Verhältnis der Säulendicke zur Höhe das Auge immer das Schlankere suchte und der Geist mehr Hoheit und Freiheit dadurch zu empfinden glaubte.

Besonders, da man von so mannigfaltigem schönen Marmor sehr große Säulen aus einem Stücke fertigen konnte und zuletzt noch der Urvater alles Gesteins, der alte Granit, aus Ägypten herüber nach Asien und Europa gebracht ward und seine großen und schönen Massen zu jedem ungeheuren Gebrauche darbot. Soviel ich weiß, sind noch immer die größten Säulen von Granit.

Die ionische Ordnung unterschied sich bald von der dorischen, nicht allein durch die mehrere verhältnismäßige Säulenhöhe, durch ein verzierteres Kapitäl, sondern auch vorzüglich dadurch, daß man die Triglyphen aus dem Friese ließ und den immer unvermeidlichen Brüchen in der Einteilung derselben entging. Auch würden, nach meinem Begriff, die Triglyphen niemals in die Steinbaukunst gekommen sein, wenn die ersten nachgeahmten Holztempel nicht so gar roh gewesen, die Metopen verwahrt und zugeschlossen und der Fries etwa abgetüncht worden wäre. Allein ich gestehe es selbst, daß solche Ausbildungen für jene Zeiten nicht waren und daß es dem rohen Handwerk ganz natürlich ist, Gebäude nur wie einen Holzstoß übereinander zu legen.

Daß nun ein solches Gebäude, durch die Andacht der Völker geheiligt, zum Muster ward, wornach ein anderes, von einer ganz andern Materie, aufgeführt wurde, ist ein Schicksal, welches unser Menschengeschlecht in hundert andern Fällen erfahren mußte, die ihm weit näher lagen und weit schlimmer auf dasselbe wirkten als Metopen und Triglyphen.

Ich überspringe viele Jahrhunderte und suche ein ähnliches Beispiel auf, indem ich den größten Teil sogenannter gotischer Baukunst aus den Holzschnitzwerken zu erklären suche, womit man in den ältesten Zeiten Heiligenschränkchen, Altäre und Kapellen auszuzieren pflegte, welche man nachher, als die Macht und der Reichtum der Kirche wuchsen, mit allen ihren Schnörkeln, Stäben und Leisten an die Außenseiten der nordischen Mauern anheftete und Giebel und formenlose Türme damit zu zieren glaubte.

Leider suchten alle nordischen Kirchenverzierer ihre Größe nur in der multiplizierten Kleinheit. Wenige verstanden diesen kleinlichen Formen unter sich ein Verhältnis zu geben; und dadurch wurden solche Ungeheuer wie der Dom zu Mailand, wo man einen ganzen Marmorberg mit ungeheuren Kosten versetzt und in die elendesten Formen gezwungen hat, ja noch täglich die armen Steine quält, um ein Werk fortzusetzen, das nie geendigt werden kann, indem der erfindungslose Unsinn, der es eingab, auch die Gewalt hatte, einen gleichsam unendlichen Plan zu bezeichnen.

Fußnoten

Warum ist die Natur immer schön? Überall schön? Überall bedeutend? Sprechend! Und der Marmor und Gips, warum will der Licht, besonder Licht haben? Ist’s nicht, weil die Natur sich ewig in sich bewegt, ewig neu erschafft und der Marmor, der belebteste, dasteht tot. Erst durch den Zauberstab der Beleuchtung zu retten von seiner Leblosigkeit.

In dem Stück von Goudt nach Elsheimer, »Philemon und Baucis«, hat sich Jupiter auf einem Großvaterstuhl niedergelassen, Merkur ruht auf einem niederen Lager aus, Wirt und Wirtin sind nach ihrer Art beschäftigt, sie zu bedienen. Jupiter hat sich indessen in der Stube umgesehen, und just fallen seine Augen auf einen Holzschnitt an der Wand, wo er einen seiner Liebesschwänke, durch Merkurs Beihülfe ausgeführt, klärlich abgebildet sieht. Wenn so ein Zug nicht mehr wert ist als ein ganzes Zeughaus wahrhafter antiker Nachtgeschirrn, so will ich alles Denken, Dichten, Trachten und Schreiben aufgeben.

 
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Studie nach Spinoza

Der Begriff vom Dasein und der Vollkommenheit ist ein und ebenderselbe; wenn wir diesen Begriff so weit verfolgen, als es uns möglich ist, so sagen wir, daß wir uns das Unendliche denken.

Das Unendliche aber oder die vollständige Existenz kann von uns nicht gedacht werden.

Wir können nur Dinge denken, die entweder beschränkt sind oder die sich unsre Seele beschränkt. Wir haben also insofern einen Begriff vom Unendlichen, als wir uns denken können, daß es eine vollständige Existenz gebe, welche außer der Fassungskraft eines beschränkten Geistes ist.

Man kann nicht sagen, daß das Unendliche Teile habe.

Alle beschränkte Existenzen sind im Unendlichen, sind aber keine Teile des Unendlichen, sie nehmen vielmehr teil an der Unendlichkeit.

Wir können uns nicht denken, daß etwas Beschränktes durch sich selbst existiere, und doch existiert alles wirklich durch sich selbst, obgleich die Zustände so verkettet sind, daß einer aus dem andern sich entwickeln muß und es also scheint, daß ein Ding vom andern hervorgebracht werde, welches aber nicht ist, sondern ein lebendiges Wesen gibt dem andern Anlaß, zu sein, und nötigt es, in einem bestimmten Zustand zu existieren.

Jedes existierende Ding hat also sein Dasein in sich, und so auch die Übereinstimmung, nach der es existiert.

Das Messen eines Dings ist eine grobe Handlung, die auf lebendige Körper nicht anders als höchst unvollkommen angewendet werden kann.

Ein lebendig existierendes Ding kann durch nichts gemessen werden, was außer ihm ist, sondern wenn es ja geschehen sollte, müßte es den Maßstab selbst dazu hergeben; dieser aber ist höchst geistig und kann durch die Sinne nicht gefunden werden; schon beim Zirkel läßt sich das Maß des Diameters nicht auf die Peripherie anwenden. So hat man den Menschen mechanisch messen wollen, die Maler haben den Kopf als den vornehmsten Teil zu der Einheit des Maßes genommen, es läßt sich aber doch dasselbe nicht ohne sehr kleine und unaussprechliche Brüche auf die übrigen Glieder anwenden.

In jedem lebendigen Wesen sind das, was wir Teile nennen, dergestalt unzertrennlich vom Ganzen, daß sie nur in und mit demselben begriffen werden können, und es können weder die Teile zum Maß des Ganzen noch das Ganze zum Maß der Teile angewendet werden, und so nimmt, wie wir oben gesagt haben, ein eingeschränktes lebendiges Wesen teil an der Unendlichkeit oder vielmehr, es hat etwas Unendliches in sich, wenn wir nicht lieber sagen wollen, daß wir den Begriff der Existenz und der Vollkommenheit des eingeschränktesten lebendigen Wesens nicht ganz fassen können und es also ebenso wie das ungeheure Ganze, in dem alle Existenzen begriffen sind, für unendlich erklären müssen.

Der Dinge, die wir gewahr werden, ist eine ungeheure Menge, die Verhältnisse derselben, die unsre Seele ergreifen kann, sind äußerst mannigfaltig. Seelen, die eine innre Kraft haben, sich auszubreiten, fangen an zu ordnen, um sich die Erkenntnis zu erleichtern, fangen an zu fügen und zu verbinden, um zum Genuß zu gelangen.

Wir müssen also alle Existenz und Vollkommenheit in unsre Seele dergestalt beschränken, daß sie unsrer Natur und unsrer Art zu denken und zu empfinden angemessen werden; dann sagen wir erst, daß wir eine Sache begreifen oder sie genießen.

Wird die Seele ein Verhältnis gleichsam im Keime gewahr, dessen Harmonie, wenn sie ganz entwickelt wäre, sie nicht ganz auf einmal überschauen oder empfinden könnte, so nennen wir diesen Eindruck erhaben, und es ist der herrlichste, der einer menschlichen Seele zuteile werden kann.

Wenn wir ein Verhältnis erblicken, welches in seiner ganzen Entfaltung zu überschauen oder zu ergreifen das Maß unsrer Seele eben hinreicht, dann nennen wir den Eindruck groß.

Wir haben oben gesagt, daß alle lebendig existierende Dinge ihr Verhältnis in sich haben; den Eindruck also, den sie sowohl einzeln als in Verbindung mit andern auf uns machen, wenn er nur aus ihrem vollständigen Dasein entspringt, nennen wir wahr, und wenn dieses Dasein teils auf eine solche Weise beschränkt ist, daß wir es leicht fassen können, und in einem solchen Verhältnis zu unsrer Natur stehet, daß wir es gern ergreifen mögen, nennen wir den Gegenstand schön.

Ein Gleiches geschieht, wenn sich Menschen nach ihrer Fähigkeit ein Ganzes, es sei so reich oder arm als es wolle, von dem Zusammenhange der Dinge gebildet und nunmehr den Kreis zugeschlossen haben. Sie werden dasjenige, was sie am bequemsten denken, worin sie einen Genuß finden können, für das Gewisseste und Sicherste halten, ja man wird meistenteils bemerken, daß sie andere, welche sich nicht so leicht beruhigen und mehr Verhältnisse göttlicher und menschlicher Dinge aufzusuchen und zu erkennen streben, mit einem zufriedenen Mitleid ansehen und bei jeder Gelegenheit bescheiden trotzig merken lassen, daß sie im Wahren eine Sicherheit gefunden, welche über allen Beweis und Verstand erhaben sei. Sie können nicht genug ihre innere beneidenswerte Ruhe und Freude rühmen und diese Glückseligkeit einem jeden als das letzte Ziel andeuten. Da sie aber weder klar zu entdecken imstande sind, auf welchem Weg sie zu dieser Überzeugung gelangen, noch was eigentlich der Grund derselbigen sei, sondern bloß von Gewißheit als Gewißheit sprechen, so bleibt auch dem Lehrbegierigen wenig Trost bei ihnen, indem er immer hören muß, das Gemüt müsse immer einfältiger und einfältiger werden, sich nur auf einen Punkt hin richten, sich aller mannigfaltigen verwirrenden Verhältnisse entschlagen, und nur alsdenn könne man aber auch um desto sicherer in einem Zustande sein Glück finden, der ein freiwilliges Geschenk und eine besondere Gabe Gottes sei.

Nun möchten wir zwar nach unsrer Art zu denken diese Beschränkung keine Gabe nennen, weil ein Mangel nicht als eine Gabe angesehen werden kann, wohl aber möchten wir es als eine Gnade der Natur ansehen, daß sie, da der Mensch nur meist zu unvollständigen Begriffen zu gelangen imstande ist, sie ihn doch mit einer solchen Zufriedenheit [in] seiner Enge versorgt hat.

 
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Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil

Es scheint nicht überflüssig zu sein, genau anzuzeigen, was wir uns bei diesen Worten denken, welche wir öfters brauchen werden. Denn wenn man sich gleich auch derselben schon lange in Schriften bedient, wenn sie gleich durch theoretische Schriften bestimmt zu sein scheinen so braucht denn doch jeder sie meistens in einem eignen Sinne und denkt sich mehr oder weniger dabei, je schärfer oder schwächer er den Begriff gefaßt hat, der dadurch ausgedrückt werden soll.

Einfache Nachahmung der Natur

Wenn ein Künstler, bei dem man das natürliche Talent voraussetzen muß, in der frühsten Zeit, nachdem er nur einigermaßen Auge und Hand an Mustern geübt, sich an die Gegenstände der Natur wendete, mit Treue und Fleiß ihre Gestalten, ihre Farben auf das genaueste nachahmte, sich gewissenhaft niemals von ihr entfernte, jedes Gemälde, das er zu fertigen hätte, wieder in ihrer Gegenwart anfinge und vollendete, ein solcher würde immer ein schätzenswerter Künstler sein: denn es könnte ihm nicht fehlen, daß er in einem unglaublichen Grade wahr würde, daß seine Arbeiten sicher, kräftig und reich sein müßten.

Wenn man diese Bedingungen genau überlegt, so sieht man leicht, daß eine zwar fähige, aber beschränkte Natur angenehme, aber beschränkte Gegenstände auf diese Weise behandeln könne.

Solche Gegenstände müssen leicht und immer zu haben sein; sie müssen bequem gesehen und ruhig nachgebildet werden können; das Gemüt, das sich mit einer solchen Arbeit beschäftigt, muß still, in sich gekehrt und in einem mäßigen Genuß genügsam sein.

Diese Art der Nachbildung würde also bei sogenannten toten oder stilliegenden Gegenständen von ruhigen, treuen, eingeschränkten Menschen in Ausübung gebracht werden. Sie schließt ihrer Natur nach eine hohe Vollkommenheit nicht aus.

Manier

Allein gewöhnlich wird dem Menschen eine solche Art zu verfahren zu ängstlich oder nicht hinreichend. Er sieht eine Übereinstimmung vieler Gegenstände, die er nur in ein Bild bringen kann, indem er das Einzelne aufopfert; es verdrießt ihn, der Natur ihre Buchstaben im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren; er erfindet sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache, um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken, einem Gegenstande, den er öfters wiederholt hat, eine eigne bezeichnende Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur selbst vor sich zu haben, noch auch sich geradezu ihrer ganz lebhaft zu erinnern.

Nun wird es eine Sprache, in welcher sich der Geist des Sprechenden unmittelbar ausdrückt und bezeichnet. Und wie die Meinungen über sittliche Gegenstände sich in der Seele eines jeden, der selbst denkt, anders reihen und gestalten, so wird auch jeder Künstler dieser Art die Welt anders sehen, ergreifen und nachbilden, er wird ihre Erscheinungen bedächtiger oder leichter fassen, er wird sie gesetzter oder flüchtiger wieder hervorbringen.

Wir sehen, daß diese Art der Nachahmung am geschicktesten bei Gegenständen angewendet wird, welche in einem großen Ganzen viele kleine subordinierte Gegenstände enthalten. Diese letztem müssen aufgeopfert werden, wenn der allgemeine Ausdruck des großen Gegenstandes erreicht werden soll, wie z. E. bei Landschaften der Fall ist, wo man ganz die Absicht verfehlen würde, wenn man sich ängstlich beim Einzelnen aufhalten und den Begriff des Ganzen nicht vielmehr festhalten wollte.

Stil

Gelangt die Kunst durch Nachahmung der Natur, durch Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen, durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin, daß sie die Eigenschaften der Dinge und die Art, wie sie bestehen, genau und immer genauer kennenlernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht und die verschiedenen charakteristischen Formen nebeneinanderzustellen und nachzuahmen weiß: dann wird der Stil der höchste Grad, wohin sie gelangen kann, der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf.

Wie die einfache Nachahmung auf dem ruhigen Dasein und einer liebevollen Gegenwart beruht, die Manier eine Erscheinung mit einem leichten fähigen Gemüt ergreift, so ruht der Stil auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen.

Die Ausführung des oben Gesagten würde ganze Bände einnehmen; man kann auch schon manches darüber in Büchern finden; der reine Begriff aber ist allein an der Natur und den Kunstwerken zu studieren. Wir fügen noch einige Betrachtungen hinzu und werden, sooft von bildender Kunst die Rede ist, Gelegenheit haben, uns dieser Blätter zu erinnern.

Es läßt sich leicht einsehen, daß diese drei hier voneinander geteilten Arten, Kunstwerke hervorzubringen, genau miteinander verwandt sind und daß eine in die andere sich zart verlaufen kann.

Die einfache Nachahmung leicht faßlicher Gegenstände (wir wollen hier zum Beispiel Blumen und Früchte nehmen) kann schon auf einen hohen Grad gebracht werden. Es ist natürlich, daß einer, der Rosen nachbildet, bald die schönsten und frischesten Rosen kennen und unterscheiden und unter tausenden, die ihm der Sommer anbietet, heraussuchen werde. Also tritt hier schon die Wahl ein, ohne daß sich der Künstler einen allgemeinen bestimmten Begriff von der Schönheit der Rose gemacht hätte. Er hat mit faßlichen Formen zu tun; alles kommt auf die mannigfaltige Bestimmung und die Farbe der Oberfläche an. Die pelzige Pfirsche, die fein bestaubte Pflaume, den glatten Apfel, die glänzende Kirsche, die blendende Rose, die mannigfaltigen Nelken, die bunten Tulpen, alle wird er nach Wunsch im höchsten Grade der Vollkommenheit ihrer Blüte und Reife in seinem stillen Arbeitszimmer vor sich haben; er wird ihnen die günstigste Beleuchtung geben; sein Auge wird sich an die Harmonie der glänzenden Farben, gleichsam spielend, gewöhnen; er wird alle Jahre dieselben Gegen stände zu erneuern wieder imstande sein und durch eine ruhige nachahmende Betrachtung des simpeln Daseins die Eigenschaften dieser Gegenstände ohne mühsame Abstraktion erkennen und fassen: und so werden die Wunderwerke eines Huysum, einer Rachel Ruysch entstehen, welche Künstler sich gleichsam über das Mögliche hinübergearbeitet haben. Es ist offenbar, daß ein solcher Künstler nur desto größer und entschiedener werden muß, wenn er zu seinem Talente noch ein unterrichteter Botaniker ist; wenn er von der Wurzel an den Einfluß der verschiedenen Teile auf das Gedeihen und den Wachstum der Pflanze, ihre Bestimmung und wechselseitigen Wirkungen erkennt, wenn er die sukzessive Entwicklung der Blätter, Blumen, Befruchtung, Frucht und des neuen Keimes einsiehet und überdenkt. Er wird alsdann nicht bloß durch die Wahl aus den Erscheinungen seinen Geschmack zeigen, sondern er wird uns auch durch eine richtige Darstellung der Eigenschaften zugleich in Verwunderung setzen und belehren. In diesem Sinne würde man sagen können, er habe sich einen Stil gebildet, da man von der andern Seite leicht einsehen kann, wie ein solcher Meister, wenn er es nicht gar so genau nähme, wenn er nur das Auffallende, Blendende leicht auszudrücken beflissen wäre, gar bald in die Manier übergehen würde.

Die einfache Nachahmung arbeitet also gleichsam im Vorhofe des Stils. Je treuer, sorgfältiger, reiner sie zu Werke gehet, je ruhiger sie das, was sie erblickt, empfindet, je gelassener sie es nachahmt, je mehr sie sich dabei zu denken gewöhnt, das heißt, je mehr sie das Ähnliche zu vergleichen, das Unähnliche voneinander abzusondern und einzelne Gegenstände unter allgemeine Begriffe zu ordnen lernet, desto würdiger wird sie sich machen, die Schwelle des Heiligtums selbst zu betreten.

Wenn wir nun ferner die Manier betrachten, so sehen wir, daß sie im höchsten Sinne und in der reinsten Bedeutung des Worts ein Mittel zwischen der einfachen Nachahmung und dem Stil sein könne. Je mehr sie bei ihrer leichteren Methode sich der treuen Nachahmung nähert, je eifriger sie von der andern Seite das Charakteristische der Gegenstände zu ergreifen und faßlich auszudrücken sucht, je mehr sie beides durch eine reine, lebhafte, tätige Individualität verbindet, desto höher, größer und respektabler wird sie werden. Unterläßt ein solcher Künstler, sich an die Natur zu halten und an die Natur zu denken, so wird er sich immer mehr von der Grundfeste der Kunst entfernen, seine Manier wird immer leerer und unbedeutender werden, je weiter sie sich von der einfachen Nachahmung und von dem Stil entfernt.

Wir brauchen hier nicht zu wiederholen, daß wir das Wort Manier in einem hohen und respektablen Sinne nehmen, daß also die Künstler, deren Arbeiten nach unsrer Meinung in den Kreis der Manier fallen, sich über uns nicht zu beschweren haben. Es ist uns bloß angelegen, das Wort Stil in den höchsten Ehren zu halten, damit uns ein Ausdruck übrigbleibe, um den höchsten Grad zu bezeichnen, welchen die Kunst je erreicht hat und je erreichen kann. Diesen Grad auch nur erkennen ist schon eine große Glückseligkeit und davon sich mit Verständigen unterhalten ein edles Vergnügen, das wir uns in der Folge zu verschaffen manche Gelegenheit finden werden.

 
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»Über die bildende Nachahmung des Schönen«

von Karl Philipp Moritz
Braunschweig, 1788
in der Schulbuchhandlung

Diese wenigen Bogen scheinen die Resultate vieler Beobachtungen und eines anhaltenden Nachdenkens zu sein, mit welchen sich der Verfasser bei seinem fast dreijährigen Aufenthalt in Rom beschäftigte.

Zuvörderst entwickelt er den Begriff der Nachahmung durch ein Beispiel. Er nimmt an, Sokrates werde von einem Toren, einem Schauspieler und einem Weisen nachgeahmt. Der Tor äfft dem Sokrates nach, der Schauspieler parodiert ihn, der Weise ahmt ihm nach.

Nachahmen, im edlen moralischen Sinn, wird mit den Begriffen von Nachstreben und Wetteifern fast gleichbedeutend.

Es fragt sich nun, wie die Nachahmung des Edlen und Guten von der Nachahmung des Schönen unterschieden sei?

Jene strebt, in sich hinein, diese, aus sich heraus zu bilden.

Sehr scharfsinnig werden nun die Gegenstände dieser doppelten Nachahmung auseinandergesetzt und mit den verwandten Begriffen verglichen.

Das Edle und Gute steht zwischen dem Schönen und Nützlichen gleichsam in der Mitte; gut und edel steigt bis zum Schönen hinauf. Nützlich kann sich mit schlecht verbinden, schlecht mit unnütz; und da, wo sich die Begriffe am weitesten zu entfernen scheinen, treffen sie gleichsam in einem Zirkel wieder zusammen. Es ist nämlich ein Vorrecht des Schönen, daß es nicht nützlich zu sein braucht.

Unter Nutzen denken wir uns die Beziehung eines Dinges, als Teil betrachtet, auf einen Zusammenhang eines Dinges, das wir uns als ein Ganzes denken.

Was nicht nützlich zu sein braucht, muß notwendig ein für sich bestehendes Ganzes sein und seine Beziehung in sich haben; allein um schön genannt zu werden, muß es in unsern Sinn fallen oder von unserer Einbildungskraft umfaßt werden können.

Aus der höchsten Mischung des Schönen mit dem Edlen entsteht der Begriff des Majestätischen.

Wenn wir das Edle in Handlung und Gesinnung mit dem Unedlen messen, so nennen wir das Edle groß, das Unedle klein. Messen wir wieder das Edle, Große und Schöne nach der Höhe, in der es über uns, unsrer Fassungskraft kaum noch erreichbar, ist, so geht der Begriff des Schönen in den Begriff des Erhabenen über.

Unsre Empfindungswerkzeuge schreiben dem Schönen sein Maß vor.

Der Zusammenhang der ganzen Natur würde für uns das höchste Schöne sein, wenn wir ihn einen Augenblick umfassen könnten.

Jedes schöne Ganze der Kunst ist im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im Ganzen der Natur.

Der geborne Künstler begnügt sich nicht, die Natur anzuschauen; er muß ihr nachahmen, ihr nachstreben.

Der Sinn für das höchste Schöne in dem harmonischen Bau des Ganzen, das die vorstellende Kraft des Menschen nicht umfaßt, liegt unmittelbar in der Tatkraft selbst.

Der Horizont der Tatkraft umfaßt mehr, als äußerer Sinn, Einbildungs- und Denkkraft umfassen können.

In der Tatkraft liegen stets die Anlässe und Anfänge zu so vielen Begriffen, als die Denkkraft nicht auf einmal einander unterordnen, die Einbildungskraft nicht auf einmal nebeneinanderstellen und der äußere Sinn noch weniger auf einmal in der Wirklichkeit außer sich fassen kann.

Der Horizont der tätigen Kraft muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber sein.

Seine Organisation muß der Natur unendlich viele Berührungspunkte darbieten.

Die bildende Kraft, durch ihre Individualität bestimmt, wählt einen Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen, das sich in ihr immer spiegelt, überträgt.

Der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des Schönen kann nur im Gefühl der tätigen Kraft, die das Werk hervorbringt, im ersten Augenblick der Entstehung stattfinden.

Der höchste Genuß des Schönen läßt sich nur in dessen Werden aus eigner Kraft empfinden.

Das Schöne kann nicht erkannt, es muß empfunden oder hervorgebracht werden.

Damit wir den Genuß des Schönen nicht ganz entbehren, tritt der Geschmack oder die Empfindungsfähigkeit für das Schöne in uns an die Stelle der hervorbringenden Kraft und nähert sich ihr soviel als möglich, ohne in sie selbst überzugehen.

Je vollkommener das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf diese Weise durch tausend mißlingende Versuche den Frieden mit sich selbst zu stören.

Wo sich in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die Vorstellung von dem Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet ist, gewähren soll, und wo diese Vorstellung der erste und stärkste Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb gewiß nicht rein; der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die Strahlen gehen auseinander; das Werk kann sich nicht in sich selber ründen.

Die bloß tätige Kraft kann ohne eigentliche Empfindungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich stattfinden; dann wirkt sie zur Zerstörung.

Was uns allein zum wahren Genuß des Schönen bilden kann, ist das, wodurch das Schöne selbst entstand: ruhige Betrachtung der Natur und Kunst als eines einzigen großen Ganzen. Denn was die Vorwelt hervorgebracht, ist nun mit der Natur verbunden und eins geworden und soll mit ihr vereint harmonisch auf uns wirken.

Diese Betrachtung muß so ruhig und selbst wieder Genuß sein und ihren Endzweck desto sicherer erreichen, indem er keinen Zweck außer sich zu haben scheint.

Auf diese Weise entstand das Schöne, ohne Rücksicht auf Nutzen, ja ohne Rücksicht auf Schaden, den es stiften konnte.

Wir nennen eine unvollkommene Sache nur dann schädlich, wenn eine vollkommnere darunter leidet; wir sagen so wenig, daß die Tierwelt der Pflanzenwelt schädlich sei, als wir sagen, die Menschheit sei der Tierwelt schädlich, ob sie sich gleich von oben hinunter aufzehren.

Wenn wir nun durch alle Stufen hinaufsteigen, so finden wir das Schöne auf dem Gipfel aller Dinge, das wie eine Gottheit beglückt und elend macht, nützt und schadet, ohne daß wir sie deswegen zu Rechenschaft ziehen können noch dürfen.

Wir schließen hier den Auszug aus dieser kleinen interessanten Schrift und überlassen unsern Lesern, sowohl die weitere Ausführung und Verbindung dieser ausgezogenen Sätze als auch besonders den schönen und rührenden Schluß in ihr selbst aufzusuchen.

Man erkennt in diesen wenigen Bogen den Tief-und Scharfsinn des Verfassers, den er schon in so manchen Schriften gezeigt; wir finden ihn jenen Grundsätzen getreu, zu welchen er sich schon ehemals bekannt. Nur schadet die Gedrängtheit der Methode und des Stils dem wohldurchdachten und bei mehrerer Beleuchtung auch wohlgeordneten Inhalt.

Er schrieb diese Blätter in Rom, in der Nähe so manches Schönen, das Natur und Kunst hervorbrachte; er schrieb gleichsam aus der Seele und in die Seele des Künstlers, und er scheint bei seinen Lesern auch diese Nähe, diese Bekanntschaft mit dem Gegenstande seiner Betrachtung vorauszusetzen; notwendig muß daher sein Vortrag dunkel scheinen und manchen unbefriediget lassen.

Diese Betrachtung bewegt uns, den Verfasser hiermit aufzufordern, durch eine weitere Ausführung der hier vorgetragenen Sätze sie mehrern Lesern anschaulich und sowohl auf die Werke der Dichtkunst als der bildenden Künste allgemein anwendbar zu machen.

 
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Literarischer Sansculottismus

In dem »Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks«, und zwar im Märzstücke dieses Jahres, findet sich ein Aufsatz »Über Prosa und Beredsamkeit der Deutschen«, den die Herausgeber, wie sie selbst bekennen, nicht ohne Bedenken einrückten. Wir, unsrerseits, tadeln sie nicht, daß sie dieses unreife Produkt aufnahmen: denn wenn ein Archiv Zeugnisse von der Art eines Zeitalters aufbehalten soll, so ist es zugleich seine Pflicht, auch dessen Unarten zu verewigen. Zwar ist der entscheidende Ton und die Manier, womit man sich das Ansehn eines umfassenden Geistes zu geben denkt, in dem Kreise unserer Kritik nichts weniger als neu; aber auch die Rückfälle einzelner Menschen in ein roheres Zeitalter sind zu bemerken, da man sie nicht hindern kann; und so mögen denn die »Horen« dagegen in demjenigen, was wir zu sagen haben, ob es gleich auch schon oft und vielleicht besser gesagt ist, ein Zeugnis aufbewahren, daß neben jenen unbilligen und übertriebenen Forderungen an unsre Schriftsteller auch noch billige und dankbare Gesinnungen gegen diese verhältnismäßig zu ihren Bemühungen wenig belohnten Männer im stillen walten.

Der Verfasser bedauert die Armseligkeit der Deutschen an vortrefflich klassisch prosaischen Werken und hebt alsdann seinen Fuß hoch auf, um mit einem Riesenschritte über beinahe ein Dutzend unserer besten Autoren hinwegzuschreiten, die er nicht nennt und mit mäßigem Lob und mit strengem Tadel so charakterisieret, daß man sie wohl schwerlich aus seinen Karikaturen herausfinden möchte.

Wir sind überzeugt, daß kein deutscher Autor sich selbst für klassisch hält und daß die Forderungen eines jeden an sich selbst strenger sind als die verworrnen Prätensionen eines Thersiten, der gegen eine ehrwürdige Gesellschaft aufsteht, die keineswegs verlangt, daß man ihre Bemühungen unbedingt bewundere, die aber erwarten kann, daß man sie zu schätzen wisse.

Ferne sei es von uns, den übelgedachten und übelgeschriebenen Text, den wir vor uns haben, zu kommentieren; nicht ohne Unwillen werden unsre Leser jene Blätter am angezeigten Orte durchlaufen und die ungebildete Anmaßung, womit man sich in einen Kreis von Bessern zu drängen, ja Bessere zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen denkt, diesen eigentlichen Sansculottismus zu beurteilen und zu bestrafen wissen. Nur weniges werde dieser rohen Zudringlichkeit entgegengestellt.

Wer mit den Worten, deren er sich im Sprechen oder Schreiben bedient, bestimmte Begriffe zu verbinden für eine unerläßliche Pflicht hält, wird die Ausdrücke: klassischer Autor, klassisches Werk höchst selten gebrauchen. Wann und wo entsteht ein klassischer Nationalautor? Wenn er in der Geschichte seiner Nation große Begebenheiten und ihre Folgen in einer glücklichen und bedeutenden Einheit vorfindet; wenn er in den Gesinnungen seiner Landsleute Größe, in ihren Empfindungen Tiefe und in ihren Handlungen Stärke und Konsequenz nicht vermißt; wenn er selbst, vom Nationalgeiste durchdrungen, durch ein einwohnendes Genie sich fähig fühlt, mit dem Vergangnen wie mit dem Gegenwärtigen zu sympathisieren; wenn er seine Nation auf einem hohen Grade der Kultur findet, so daß ihm seine eigene Bildung leicht wird; wenn er viele Materialien gesammelt, vollkommene oder unvollkommene Versuche seiner Vorgänger vor sich sieht und so viel äußere und innere Umstände zusammentreffen, daß er kein schweres Lehrgeld zu zahlen braucht, daß er in den besten Jahren seines Lebens ein großes Werk zu übersehen, zu ordnen und in einem Sinne auszuführen fähig ist.

Man halte diese Bedingungen, unter denen allein ein klassischer Schriftsteller, besonders ein prosaischer, möglich wird, gegen die Umstände, unter denen die besten Deutschen dieses Jahrhunderts gearbeitet haben, so wird, wer klar sieht und billig denkt, dasjenige, was ihnen gelungen ist, mit Ehrfurcht bewundern und das, was ihnen mißlang, anständig bedauern.

Eine bedeutende Schrift ist, wie eine bedeutende Rede, nur Folge des Lebens; der Schriftsteller so wenig als der handelnde Mensch bildet die Umstände, unter denen er geboren wird und unter denen er wirkt. Jeder, auch das größte Genie, leidet von seinem Jahrhundert in einigen Stücken, wie er von andern Vorteil zieht, und einen vortrefflichen Nationalschriftsteller kann man nur von der Nation fordern.

Aber auch der deutschen Nation darf es nicht zum Vorwurfe gereichen, daß ihre geographische Lage sie eng zusammenhält, indem ihre politische sie zerstückelt. Wir wollen die Umwälzungen nicht wünschen, die in Deutschland klassische Werke vorbereiten könnten.

Und so ist der ungerechteste Tadel derjenige, der den Gesichtspunkt verrückt. Man sehe unsere Lage, wie sie war und ist; man betrachte die individuellen Verhältnisse, in denen sich deutsche Schriftsteller bildeten, so wird man auch den Standpunkt, aus dem sie zu beurteilen sind, leicht finden. Nirgends in Deutschland ist ein Mittelpunkt gesellschaftlicher Lebensbildung, wo sich Schriftsteller zusammenfänden und nach einer Art, in einem Sinne, jeder in seinem Fache sich ausbilden könnten. Zerstreut geboren, höchst verschieden erzogen, meist nur sich selbst und den Eindrücken ganz verschiedener Verhältnisse überlassen; von der Vorliebe für dieses oder jenes Beispiel einheimischer oder fremder Literatur hingerissen; zu allerlei Versuchen, ja Pfuschereien genötigt, um ohne Anleitung seine eigenen Kräfte zu prüfen; erst nach und nach durch Nachdenken von dem überzeugt, was man machen soll; durch Praktik unterrichtet, was man machen kann; immer wieder irregemacht durch ein großes Publikum ohne Geschmack, das das Schlechte nach dem Guten mit ebendemselben Vergnügen verschlingt; dann wieder ermuntert durch Bekanntschaft mit der gebildeten, aber durch alle Teile des großen Reichs zerstreuten Menge; gestärkt durch mitarbeitende, mitstrebende Zeitgenossen: so findet sich der deutsche Schriftsteller endlich in dem männlichen Alter, wo ihn Sorge für seinen Unterhalt, Sorge für eine Familie sich nach außen umzusehen zwingt und wo er oft mit dem traurigsten Gefühl durch Arbeiten, die er selbst nicht achtet, sich die Mittel verschaffen muß, dasjenige hervorbringen zu dürfen, womit sein ausgebildeter Geist sich allein zu beschäftigen strebt. Welcher deutsche geschätzte Schriftsteller wird sich nicht in diesem Bilde erkennen, und welcher wird nicht mit bescheidener Trauer gestehen, daß er oft genug nach Gelegenheit geseufzt habe, früher die Eigenheiten seines originellen Genius einer allgemeinen Nationalkultur, die er leider nicht vorfand, zu unterwerfen? Denn die Bildung der höheren Klassen durch fremde Sitten und ausländische Literatur, soviel Vorteil sie uns auch gebracht hat, hinderte doch den Deutschen als Deutschen sich früher zu entwickeln.

Und nun betrachte man die Arbeiten deutscher Poeten und Prosaisten von entschiednem Namen! Mit welcher Sorgfalt, mit welcher Religion folgten sie auf ihrer Bahn einer aufgeklärten Überzeugung! So ist es zum Beispiel nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten, daß ein verständiger, fleißiger Literator durch Vergleichung der sämtlichen Ausgaben unsres Wielands, eines Mannes, dessen wir uns, trotz dem Knurren aller Smelfungen, mit stolzer Freude rühmen dürfen, allein aus den stufenweisen Korrekturen dieses unermüdet zum Bessern arbeitenden Schriftstellers die ganze Lehre des Geschmacks würde entwickeln können. Jeder aufmerksame Bibliothekar sorge, daß eine solche Sammlung aufgestellt werde, die jetzt noch möglich ist, und das folgende Jahrhundert wird einen dankbaren Gebrauch davon zu machen wissen.

Vielleicht wagen wir in der Folge, die Geschichte der Ausbildung unsrer vorzüglichsten Schriftsteller, wie sie sich in ihren Werken zeigt, dem Publikum vorzulegen. Wollten sie selbst, sowenig wir an Konfessionen Ansprüche machen, uns nach ihrem Gefallen nur diejenigen Momente mitteilen, die zu ihrer Bildung am meisten beigetragen haben, und dasjenige, was ihr am stärksten entgegengestanden, bekanntmachen, so würde der Nutzen, den sie gestiftet, noch ausgebreiteter werden.

Denn worauf ungeschickte Tadler am wenigsten merken, das Glück, das junge Männer von Talent jetzt genießen, indem sie sich früher ausbilden, eher zu einem reinen, dem Gegenstande angemessenen Stil gelangen können, wem sind sie es schuldig als ihren Vorgängern, die in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts mit einem unablässigen Bestreben, unter mancherlei Hindernissen, sich jeder auf seine eigene Weise ausgebildet haben? Dadurch ist eine Art von unsichtbarer Schule entstanden, und der junge Mann, der jetzt hineintritt, kommt in einen viel größeren und lichteren Kreis als der frühere Schriftsteller, der ihn erst selbst beim Dämmerschein durchirren mußte, um ihn nach und nach, gleichsam nur zufällig, erweitern zu helfen. Viel zu spät kommt der Halbkritiker, der uns mit seinem Lämpchen vorleuchten will; der Tag ist angebrochen, und wir werden die Läden nicht wieder zumachen.

Üble Laune läßt man in guter Gesellschaft nicht aus, und der muß sehr üble Laune haben, der in dem Augenblicke Deutschland vortreffliche Schriftsteller abspricht, da fast jedermann gut schreibt. Man braucht nicht weit zu suchen, um einen artigen Roman, eine glückliche Erzählung, einen reinen Aufsatz über diesen oder jenen Gegenstand zu finden. Unsre kritischen Blätter, Journale und Kompendien, welchen Beweis geben sie nicht oft eines übereinstimmenden guten Stils! Die Sachkenntnis erweitert sich beim Deutschen mehr und mehr, und die Übersicht wird klärer. Eine würdige Philosophie macht ihn, trotz allem Widerstand schwankender Meinungen, mit seinen Geisteskräften immer bekannter und erleichtert ihm die Anwendung derselben. Die vielen Beispiele des Stils, die Vorarbeiten und Bemühungen so mancher Männer setzen den Jüngling früher in Stand, das, was er von außen aufgenommen und in sich ausgebildet hat, dem Gegenstande gemäß, mit Klarheit und Anmut darzustellen. So sieht ein heitrer, billiger Deutscher die Schriftsteller seiner Nation auf einer schönen Stufe und ist überzeugt, daß sich auch das Publikum nicht durch einen mißlaunischen Krittler werde irremachen lassen. Man entferne ihn aus der Gesellschaft, aus der man jeden ausschließen sollte, dessen vernichtende Bemühungen nur die Handelnden mißmutig, die Teilnehmenden lässig und die Zuschauer mißtrauisch und gleichgültig machen könnten.

 
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Einleitung in die Propyläen

Eine periodische Schrift,
herausgegeben von Goethe
Ersten Bandes erstes Stück. Tübingen 1798
In der J. G. Cottaschen Buchhandlung

Einleitung

Veranlassung des symbolischen Titels – Das Werk soll eigentlich Bemerkungen und Betrachtungen harmonisch verbundner Freunde über Natur und Kunst enthalten – Aufmerksamkeit des Künstlers auf die Gegenstände – Bemerkungen – Praktischer Gebrauch – Mitteilung – Betrachtungen – Gefahr der Einseitigkeit – durch Verbindung mit mehrern Gleichdenkenden vermindert – Freundschaftliche Verbindung zu fortschreitender Ausbildung – Vorteile des Gesprächs – eines Briefwechsels – kurzer Aufsätze – Verhältnis des Schriftstellers zum Publikum – in früherer Zeit – in späterer – Wünsche

Übereinstimmung der Verfasser im ganzen – Abweichung im einzelnen – Harmonie mit einem Teil des Publikums – Disharmonie mit einem andern – Beharrlichkeit auf einem Bekenntnisse

Natur – Forderung an den Künstler, daß er sich an die Natur halten solle – Größe dieser Forderung – Naturstoffe – praktische Ausbildung, sie zu beherrschen – theoretische Ausbildung – Nötige Kenntnisse – Schwierigkeit, aus der Schule des Anatomen, des Naturbeschreibers, des Naturlehrers aufzusuchen, was zum Zweck des Künstlers dient – Die menschliche Gestalt kann nicht allein durch das Beschauen ihrer Oberfläche begriffen werden – in der Kenntnis liegt die Vollendung des Anschauens – Beispiel vom Naturbeschreiber, der zugleich Zeichner ist – Überblick über organische Naturen überhaupt – die vergleichende Anatomie erleichtert ihn – organisches Verfahren der Natur – organisierendes Verfahren des Künstlers – Unorganische Naturen – Kenntnis derselben erleichtert – Allgemeine Naturwirkungen – Nötige Einsicht in ihre Gesetze – Töne – Farben

Kunst – Aufsatz über bildende Kunst zunächst versprochen – Natur als Schatzkammer der Stoffe im allgemeinen – Gegenstand durch den Künstler ergriffen – Kunstkreis abgeschlossen – Fabel, Inhalt des Kunstwerks – Sorgfalt bei der Wahl – ausführliche Abhandlung zunächst – Behandlung – geistige – sinnliche – mechanische

Der Mensch leidet von seinem Zeitalter, wie er von demselben Vorteil zieht – Einfluß des Publikum auf die Kunst – Einstimmung des Künstlers – Zufriedenheit beider miteinander – Einzelnes Beispiel, Schwierigkeit, von dem Formlosen zur Gestalt überzugehen – Wirkung eines Aufenthalts in Italien auf den Künstler – Sein Schicksal nach seiner Zurückkunft – Wirkung schlechter und guter Kunstwerke auf Empfindung und Einbildungskraft – Die Neuern nennen die Alten ihre Lehrer und entfernen sich von ihren Maximen – einzelne Beispiele – Vermischung der Kunstarten, als Zeichen des Verfalls – Beispiel von der Bildhauerkunst – Auszusprechende Maximen – Sie sind aus den Kunstwerken gezogen – sind von dem Künstler praktisch zu prüfen – sind bei Beurteilung alter und neuer Kunstwerke zum Grunde zu legen – Eine genaue Kritik der ältern sowohl als neuern Kunstwerke nötig – Beispiel von der wachsenden Kenntnis des Liebhabers in der plastischen Kunst – Höchster Grad der Einsicht – mehrere Menschen können darnach streben

Von Kunstwerken sollte man eigentlich nur in ihrer Gegenwart sprechen – doch läßt sich auch für solche Leser schreiben, welche die Werke gesehen haben und sehen werden – Wie man auch den übrigen nützlich sein kann? – Nur auf dem höchsten und genausten Begriff von Kunst kann eine Kunstgeschichte ruhen – Psychologisch-chronologischer Gang des Auf- und Absteigens der bildenden Kunst – Beurteilung der alten und neuern Kunst nach Grundsätzen – Maximen am nötigsten bei Beurteilung der gleichzeitigen Künstler

Ausdehnung des Werks auf andre Gegenstände – Theorie und Kritik der Dichtkunst wird sich besonders an diese Arbeit anschließen

Über Kunstlokal – Italien als ein großer Kunstkörper, wie er vor kurzem noch bestand – Zerstücklung desselben – Kunstkörper in Paris – Was Deutschland und England tun sollte, einen idealen Kunstkörper bilden zu helfen – Die ausführlichen Vorschläge künftig.

Der Jüngling, wenn Natur und Kunst ihn anziehen, glaubt mit einem lebhaften Streben bald in das innerste Heiligtum zu dringen; der Mann bemerkt nach langem Umherwandeln, daß er sich noch immer in den Vorhöfen befinde.

Eine solche Betrachtung hat unsern Titel veranlaßt. Stufe, Tor, Eingang, Vorhalle, der Raum zwischen dem Innern und Äußern, zwischen dem Heiligen und Gemeinen kann nur die Stelle sein, auf der wir uns mit unsern Freunden gewöhnlich aufhalten werden.

Will jemand noch besonders bei dem Worte Propyläen sich jener Gebäude erinnern, durch die man zur atheniensischen Burg, zum Tempel der Minerva gelangte, so ist auch dies nicht gegen unsre Absicht, nur daß man uns nicht die Anmaßung zutraue, als gedächten wir ein solches Werk der Kunst und Pracht hier selbst aufzuführen. Unter dem Namen des Orts verstehe man das, was daselbst allenfalls hätte geschehen können, man erwarte Gespräche, Unterhaltungen, die vielleicht nicht unwürdig jenes Platzes gewesen wären.

Werden nicht Denker, Gelehrte, Künstler angelockt, sich in ihren besten Stunden in jene Gegenden zu versetzen, unter einem Volke wenigstens in der Einbildungskraft zu wohnen, dem eine Vollkommenheit, die wir wünschen und nie erreichen, natürlich war, bei dem in einer Folge von Zeit und Leben sich eine Bildung in schöner und stetiger Reihe entwickelt, die bei uns nur als Stückwerk vorübergehend erscheint?

Welche neuere Nation verdankt nicht den Griechen ihre Kunstbildung? und, in gewissen Fächern, welche mehr als die deutsche?

Soviel zur Entschuldigung des symbolischen Titels, wenn sie ja nötig sein sollte. Er stehe uns zur Erinnerung, daß wir uns so wenig als möglich vom klassischen Boden entfernen, er erleichtere durch seine Kürze und Bedeutsamkeit die Nachfrage der Kunstfreunde, die wir durch gegenwärtiges Werk zu interessieren gedenken, das Bemerkungen und Betrachtungen harmonisch verbundner Freunde über Natur und Kunst enthalten soll.

Derjenige, der zum Künstler berufen ist, wird auf alles um sich her lebhaft achtgeben, die Gegenstände und ihre Teile werden seine Aufmerksamkeit an sich ziehen, und indem er praktischen Gebrauch von solchen Erfahrungen macht, wird er sich nach und nach üben, immer schärfer zu bemerken, er wird in seiner frühern Zeit alles soviel möglich zu eignem Gebrauch verwenden, später wird er sich auch andern gerne mitteilen. So gedenken auch wir manches, was wir für nützlich und angenehm halten, was unter mancherlei Umständen von uns seit mehrern Jahren aufgezeichnet worden, unsern Lesern vorzulegen und zu erzählen.

Allein wer bescheidet sich nicht gern, daß reine Bemerkungen seltner sind, als man glaubt? Wir vermischen so schnell unsere Empfindungen, unsere Meinung, unser Urteil mit dem, was wir erfahren, daß wir in dem ruhigen Zustande des Beobachters nicht lange verharren, sondern bald Betrachtungen anstellen, auf die wir kein größer Gewicht legen dürfen, als insofern wir uns auf die Natur und Ausbildung unsers Geistes einigermaßen verlassen möchten.

Was uns hierin eine stärkere Zuversicht zu geben vermag, ist die Harmonie, in der wir mit mehrern stehen, ist die Erfahrung, daß wir nicht allein, sondern gemeinschaftlich denken und wirken. Die zweifelhafte Sorge, unsere Vorstellungsart möchte uns nur allein angehören, die uns so oft überfällt, wenn andere gerade das Gegenteil von unserer Überzeugung aussprechen, wird erst gemildert, ja aufgehoben, wenn wir uns in mehreren wiederfinden; dann fahren wir erst mit Sicherheit fort, uns in dem Besitze solcher Grundsätze zu erfreuen, die eine lange Erfahrung uns und andern nach und nach bewährt hat.

Wenn mehrere vereint auf diese Weise zusammenleben, daß sie sich Freunde nennen dürfen, indem sie ein gleiches Interesse haben, sich fortschreitend auszubilden, und auf nahverwandte Zwecke losgehen, dann werden sie gewiß sein, daß sie sich auf den vielfachsten Wegen wieder begegnen und daß selbst eine Richtung, die sie voneinander zu entfernen schien, sie doch bald wieder glücklich zusammenführen wird.

Wer hat nicht erfahren, welche Vorteile in solchen Fällen das Gespräch gewährt! Allein es ist vorübergehend, und indem die Resultate einer wechselseitigen Ausbildung unauslöschlich bleiben, geht die Erinnerung der Mittel verloren, durch welche man dazu gelangt ist.

Ein Briefwechsel bewahrt schon besser die Stufen eines freundschaftlichen Fortschrittes: jeder Moment des Wachstums ist fixiert, und wenn das Erreichte uns eine beruhigende Empfindung gibt, so ist ein Blick rückwärts auf das Werden belehrend, indem er uns zugleich ein künftiges, unablässiges Fortschreiten hoffen läßt.

Kurze Aufsätze, in die man von Zeit zu Zeit seine Gedanken, seine Überzeugungen und Wünsche niederlegt, um sich nach einiger Zeit wieder mit sich selbst zu unterhalten, sind auch ein schönes Hülfsmittel eigner und fremder Bildung, deren keines versäumt werden darf, wenn man die Kürze der dem Leben zugemessenen Zeit und die vielen Hindernisse bedenkt, die einer jeden Ausführung im Wege stehen.

Daß hier besonders von einem Ideenwechsel solcher Freunde die Rede sei, die sich im allgemeinen zu Künsten und Wissenschaften auszubilden streben, versteht sich von selbst, obgleich ein Welt- und Geschäftsleben auch eines solchen Vorteils nicht ermangeln sollte.

Bei Künsten und Wissenschaften aber ist nicht allein eine solche engere Verbindung, sondern auch das Verhältnis zu dem Publikum ebenso günstig, als es ein Bedürfnis wird. Was man irgend Allgemeines denkt oder leistet, gehört der Welt an, und das, was sie von den Bemühungen der einzelnen nutzen kann, bringt sie auch selbst zur Reife. Der Wunsch nach Beifall, welchen der Schriftsteller fühlt, ist ein Trieb, den ihm die Natur eingepflanzt hat, um ihn zu etwas Höherem anzulocken; er glaubt den Kranz schon erreicht zu haben und wird bald gewahr, daß eine mühsamere Ausbildung jeder angebornen Fähigkeit nötig ist, um die öffentliche Gunst festzuhalten, die wohl auch durch Glück und Zufall auf kurze Momente erlangt werden kann.

So bedeutend ist für den Schriftsteller in einer frühern Zeit sein Verhältnis zum Publikum, und selbst in spätern Tagen kann er es nicht entbehren. So wenig er auch bestimmt sein mag, andere zu belehren, so wünscht er doch sich denen mitzuteilen, die er sich gleichgesinnt weiß, deren Anzahl aber in der Breite der Welt zerstreut ist; er wünscht sein Verhältnis zu den ältesten Freunden dadurch wieder anzuknüpfen, mit neuen es fortzusetzen und in der letzten Generation sich wieder andere für seine übrige Lebenszeit zu gewinnen. Er wünscht der Jugend die Umwege zu ersparen, auf denen er sich selbst verirrte, und, indem er die Vorteile der gegenwärtigen Zeit bemerkt und nützt, das Andenken verdienstlicher früherer Bemühungen zu erhalten.

In diesem ernsten Sinne verband sich eine kleine Gesellschaft; eine heitere Stimmung möge unsere Unternehmungen begleiten, und wohin wir gelangen, mag die Zeit lehren.

Die Aufsätze, welche wir vorzulegen gedenken, werden, ob sie gleich von mehrern verfaßt sind, in Hauptpunkten hoffentlich niemals miteinander in Widerspruch stehen, wenn auch die Denkart der Verfasser nicht völlig die gleiche sein sollte. Kein Mensch betrachtet die Welt ganz wie der andere, und verschiedene Charaktere werden oft den gleichen Grundsatz, den sie sämtlich anerkennen, verschieden anwenden. Ja, der Mensch ist sich in seinen Anschauungen und Urteilen nicht immer selbst gleich: frühere Überzeugungen müssen spätern weichen. Möge immerhin das Einzelne, was man denkt und äußert, nicht alle Proben aushalten, wenn man nur auf seinem Wege gegen sich selbst und gegen andre wahr bleibt!

So sehr nun auch die Verfasser untereinander und mit einem großen Teil des Publikums in Harmonie zu stehen wünschen und hoffen, so dürfen sie sich doch nicht verbergen, daß ihnen von verschiedenen Seiten mancher Mißton entgegenklingen wird. Sie haben dies um so mehr zu erwarten, als sie von den herrschenden Meinungen in mehr als einem Punkte abweichen. Weit entfernt, die Denkart irgendeines Dritten meistern oder verändern zu wollen, werden sie ihre eigne Meinung fest aussprechen und, wie es die Umstände geben, einer Fehde ausweichen oder sie aufnehmen, im ganzen aber immer auf einem Bekenntnisse halten und besonders diejenigen Bedingungen, die ihnen zu Bildung eines Künstlers unerläßlich scheinen, oft genug wiederholen. Wem um die Sache zu tun ist, der muß Partei zu nehmen wissen, sonst verdient er nirgends zu wirken.

Wenn wir nun Bemerkungen und Betrachtungen über Natur vorzulegen versprechen, so müssen wir zugleich anzeigen, daß es besonders solche sein werden, die sich zunächst auf bildende Kunst sowie auf Kunst überhaupt, dann aber auch auf allgemeine Bildung des Künstlers beziehen.

Die vornehmste Forderung, die an den Künstler gemacht wird, bleibt immer die: daß er sich an die Natur halten, sie studieren, sie nachbilden, etwas, das ihren Erscheinungen ähnlich ist, hervorbringen solle.

Wie groß, ja wie ungeheuer diese Anforderung sei, wird nicht immer bedacht, und der wahre Künstler selbst erfährt es nur bei fortschreitender Bildung. Die Natur ist von der Kunst durch eine ungeheure Kluft getrennt, welche das Genie selbst ohne äußere Hülfsmittel zu überschreiten nicht vermag.

Alles, was wir um uns her gewahr werden, ist nur roher Stoff, und wenn sich das schon selten genug ereignet, daß ein Künstler durch Instinkt und Geschmack, durch Übung und Versuche dahin gelangt, daß er den Dingen ihre äußere schöne Seite abzugewinnen, aus dem vorhandenen Guten das Beste auszuwählen und wenigstens einen gefälligen Schein hervorzubringen lernt, so ist es, besonders in der neuern Zeit, noch viel seltner, daß ein Künstler sowohl in die Tiefe der Gegenstände als in die Tiefe seines eignen Gemüts zu dringen vermag, um in seinen Werken nicht bloß etwas leicht- und oberflächlich Wirkendes, sondern, wetteifernd mit der Natur, etwas geistig Organisches hervorzubringen und seinem Kunstwerk einen solchen Gehalt, eine solche Form zu geben, wodurch es natürlich zugleich und übernatürlich erscheint.

Der Mensch ist der höchste, ja der eigentliche Gegenstand bildender Kunst; um ihn zu verstehen, um sich aus dem Labyrinthe seines Baues herauszuwickeln, ist eine allgemeine Kenntnis der organischen Natur unerläßlich. Auch von den unorganischen Körpern sowie von allgemeinen Naturwirkungen, besonders wenn sie, wie z.B. Ton und Farbe, zum Kunstgebrauch anwendbar sind, sollte der Künstler sich theoretisch belehren; allein welchen weiten Umweg müßte er machen, wenn er sich aus der Schule des Zergliederers, des Naturbeschreibers, des Naturlehrers dasjenige mühsam aussuchen sollte, was zu seinem Zwecke dient; ja es ist die Frage, ob er dort gerade das, was ihm das wichtigste sein muß, finden würde? Jene Männer haben ganz andere Bedürfnisse ihrer eigentlichen Schüler zu befriedigen, als daß sie an das eingeschränkte, besondere Bedürfnis des Künstlers denken sollten. Deshalb ist unsere Absicht, hier ins Mittel zu treten und, wenn wir gleich nicht voraussehen, die nötige Arbeit selbst vollenden zu können, dennoch teils im ganzen eine Übersicht zu geben, teils im einzelnen die Ausführung einzuleiten.

Die menschliche Gestalt kann nicht bloß durch das Beschauen ihrer Oberfläche begriffen werden, man muß ihr Inneres entblößen, ihre Teile sondern, die Verbindungen derselben bemerken, die Verschiedenheiten kennen, sich von Wirkung und Gegenwirkung unterrichten, das Verborgene, Ruhende, das Fundament der Erscheinung sich einprägen, wenn man das jenige wirklich schauen und nachahmen will, was sich als ein schönes ungetrenntes Ganze in lebendigen Wellen vor unserm Auge bewegt. Der Blick auf die Oberfläche eines lebendigen Wesens verwirrt den Beobachter, und man darf wohl hier, wie in andern Fällen, den wahren Spruch anbringen: Was man weiß, sieht man erst! Denn wie derjenige, der ein kurzes Gesicht hat, einen Gegenstand besser sieht, von dem er sich wieder entfernt als einen, dem er sich erst nähert, weil ihm das geistige Gesicht nunmehr zu Hülfe kommt, so liegt eigentlich in der Kenntnis die Vollendung des Anschauens.

Wie gut bildet ein Kenner der Naturgeschichte, der zugleich Zeichner ist, die Gegenstände nach, indem er das Wichtige und Bedeutende der Teile, woraus der Charakter des Ganzen entspringt, einsieht und den Nachdruck darauf legt.

So wie nun eine genauere Kenntnis der einzelnen Teile menschlicher Gestalt, die er zuletzt wieder als ein Ganzes betrachten muß, den Künstler äußerst fördert, so ist auch ein Überblick, ein Seitenblick über und auf verwandte Gegenstände höchst nützlich, vorausgesetzt, daß der Künstler fähig ist, sich zu Ideen zu erheben und die nahe Verwandtschaft entfernt scheinender Dinge zu fassen.

Die vergleichende Anatomie hat einen allgemeinen Begriff über organische Naturen vorbereitet; sie führt uns von Gestalt zu Gestalten, und indem wir nah oder fern verwandte Naturen betrachten, erheben wir uns über sie alle, um ihre Eigenschaften in einem idealen Bilde zu erblicken.

Halten wir dasselbe fest, so finden wir erst, daß unsere Aufmerksamkeit bei Beobachtung der Gegenstände eine bestimmte Richtung nimmt, daß abgesonderte Kenntnisse durch Vergleichung leichter gewannen und festgehalten werden und daß wir zuletzt beim Kunstgebrauch nur dann mit der Natur wetteifern können, wenn wir die Art, wie sie bei Bildung ihrer Werke verfährt, ihr wenigstens einigermaßen abgelernt haben.

Muntern wir ferner den Künstler auf, auch von unorganischen Naturen einige Kenntnis zu nehmen, so können wir es um so eher tun, als man sich gegenwärtig von dem Mineralreich bequem und schnell unterrichtet. Der Maler bedarf einiger Kenntnis der Steine, um sie charakteristisch nachzuahmen, der Bildhauer und Baumeister, um sie zu nutzen; der Steinschneider kann eine Kenntnis der Edelsteine nicht entbehren, der Kenner und Liebhaber wird gleichfalls darnach streben.

Haben wir nun zuletzt dem Künstler geraten, sich von allgemeinen Naturwirkungen einen Begriff zu machen, um diejenigen kennenzulernen, die ihn besonders interessieren, teils um sich nach mehr Seiten auszubilden, teils um das, was ihn betrifft, besser zu verstehen, so wollen wir auch über diesen bedeutenden Punkt noch einiges hinzufügen.

Bisher konnte der Maler die Lehre des Physikers von den Farben nur anstaunen, ohne daraus einigen Vorteil zu ziehen; das natürliche Gefühl des Künstlers aber, eine fortdauernde Übung, eine praktische Notwendigkeit führte ihn auf einen eignen Weg: er fühlte die lebhaften Gegensätze, durch deren Vereinigung die Harmonie der Farben entsteht, er bezeichnete gewisse Eigenschaften derselben durch annähernde Empfindungen, er hatte warme und kalte Farben, Farben, die eine Nähe, andere, die eine Ferne ausdrücken, und was dergleichen Bezeichnungen mehr sind, durch welche er diese Phänomene den allgemeinsten Naturgesetzen auf seine Weise näher brachte. Vielleicht bestätigt sich die Vermutung, daß die farbigen Naturwirkungen so gut als die magnetischen, elektrischen und andere auf einem Wechselverhältnis, einer Polarität, oder wie man die Erscheinungen des Zwiefachen, ja Mehrfachen in einer entschiedenen Einheit nennen mag, beruhen.

Diese Lehre umständlich und für den Künstler faßlich vorzulegen, werden wir uns zur Pflicht machen, und wir können um so mehr hoffen, hierin etwas zu tun, das ihm willkommen sei, als wir nur dasjenige, was er bisher aus Instinkt getan, auszulegen und auf Grundsätze zurückzuführen bemüht sein werden.

So viel von dem, was wir zuerst in Absicht auf Natur mitzuteilen hoffen; und nun das Notwendigste in Absicht auf Kunst.

Da die Einrichtung des gegenwärtigen Werks von der Art ist, daß wir einzelne Abhandlungen, ja dieselben sogar teilweise vorlegen werden, dabei aber unser Wunsch ist, nicht ein Ganzes zu zerstücken, sondern aus mannigfaltigen Teilen endlich ein Ganzes zusammenzusetzen, so wird es nötig sein, baldmöglichst allgemein und summarisch dasjenige vorzulegen, worüber der Leser nach und nach im einzelnen unsere Ausarbeitungen erhalten wird. Daher wird uns zunächst ein Aufsatz über bildende Kunst beschäftigen, worin die bekannten Rubriken nach unserer Vorstellungsart und Methode vorgetragen werden sollen. Dabei werden wir vorzüglich darauf bedacht sein, die Wichtigkeit eines jeden Teils der Kunst vor Augen zu stellen und zu zeigen, daß der Künstler keinen derselben zu vernachlässigen habe, wie es leider so oft geschehen ist und geschieht.

Wir betrachteten vorhin die Natur als die Schatzkammer der Stoffe im allgemeinen, nun gelangen wir aber an den wichtigen Punkt, wo sich zeigt, wie die Kunst ihre Stoffe sich selbst näher zubereite.

Indem der Künstler irgendeinen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen, daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante abgewinnt oder vielmehr erst den höhern Wert hineinlegt.

Auf diese Weise werden der menschlichen Gestalt die schönern Proportionen, die edlern Formen, die höhern Charaktere gleichsam erst aufgedrungen, der Kreis der Regelmäßigkeit, Vollkommenheit, Bedeutsamkeit und Vollendung wird gezogen, in welchem die Natur ihr Bestes gerne niederlegt, wenn sie übrigens in ihrer großen Breite leicht in Häßlichkeit ausartet und sich ins Gleichgültige verliert.

Ebendasselbe gilt von zusammengesetzten Kunstwerken, ihrem Gegenstand und Inhalt, die Aufgabe sei Fabel oder Geschichte.

Wohl dem Künstler, der sich bei Unternehmung des Werkes nicht vergreift! der das Kunstgemäße zu wählen oder vielmehr dasselbe zu bestimmen versteht!

Wer in den zerstreuten Mythen, in der weitläufigen Geschichte, um sich eine Aufgabe zu suchen, ängstlich herumirrt, mit Gelehrsamkeit bedeutend oder allegorisch interessant sein will, der wird in der Hälfte seiner Arbeit oft bei unerwarteten Hindernissen stocken oder nach Vollendung derselben seinen schönsten Zweck verfehlen. Wer zu den Sinnen nicht klar spricht, redet auch nicht rein zum Gemüt, und wir achten diesen Punkt so wichtig, daß wir gleich zu Anfang eine ausführlichere Abhandlung darüber einrücken.

Ist nun der Gegenstand glücklich gefunden oder erfunden, dann tritt die Behandlung ein, die wir in die geistige, sinnliche und mechanische einteilen möchten.

Die geistige arbeitet den Gegenstand in seinem innern Zusammenhange aus, sie findet die untergeordneten Motive, und wenn sich bei der Wahl des Gegenstandes überhaupt die Tiefe des künstlerischen Genies beurteilen läßt, so kann man an der Entdeckung der Motive seine Breite, seinen Reichtum, seine Fülle und Liebenswürdigkeit erkennen.

Die sinnliche Behandlung würden wir diejenige nennen, wodurch das Werk durchaus den Sinnen faßlich, angenehm erfreulich und durch einen milden Reiz unentbehrlich wird.

Die mechanische zuletzt wäre diejenige, die durch irgendein körperliches Organ auf bestimmte Stoffe wirkt und so der Arbeit ihr Dasein, ihre Wirklichkeit verschafft.

Indem wir nun auf solche Art dem Künstler nützlich zu sein hoffen und lebhaft wünschen, daß er sich manches Rates, mancher Vorschläge bei seinen Arbeiten bedienen möge, so dringt sich uns leider die bedenkliche Betrachtung auf, daß jedes Unternehmen, so wie jeder Mensch, von seinem Zeitalter ebensowohl leide, als man davon gelegentlich Vorteil zu ziehen im Fall ist; und wir können bei uns selbst die Frage nicht ganz ablehnen, welche Aufnahme wir denn wohl finden möchten?

Alles ist einem ewigen Wechsel unterworfen, und da gewisse Dinge nicht nebeneinander bestehen können, verdrängen sie einander. So geht es mit Kenntnissen, mit Anleitungen zu gewissen Übungen, mit Vorstellungsarten und Maximen. Die Zwecke der Menschen bleiben ziemlich immer dieselben: man will jetzt noch ein guter Künstler und Dichter sein oder werden wie vor Jahrhunderten; die Mittel aber, wodurch man zu dem Zwecke gelangt, sind nicht jedem klar, und warum sollte man leugnen, daß nichts angenehmer wäre, als wenn man einen großen Vorsatz spielend ausführen könnte.

Natürlicherweise hat das Publikum auf die Kunst großen Einfluß, indem es für seinen Beifall, für sein Geld ein Werk verlangt, das ihm gefalle, ein Werk, das unmittelbar zu genießen sei, und meistens wird sich der Künstler gern darnach bequemen, denn er ist ja auch ein Teil des Publikums, auch er ist in gleichen Jahren und Tagen gebildet, auch er fühlt die gleichen Bedürfnisse, er drängt sich in derselbigen Richtung, und so bewegt er sich glücklich mit der Menge fort, die ihn trägt und die er belebt.

Wir sehen auf diese Weise ganze Nationen, ganze Zeitalter von ihren Künstlern entzückt, so wie der Künstler sich in seiner Nation, in seinem Zeitalter bespiegelt, ohne daß beide nur den mindesten Argwohn hätten, ihr Weg könnte vielleicht nicht der rechte, ihr Geschmack wenigstens einseitig, ihre Kunst auf dem Rückwege und ihr Vordringen nach der falschen Seite gerichtet sein.

Anstatt uns hierüber ins Allgemeinere zu verbreiten, machen wir hier eine Bemerkung, die sich besonders auf bildende Kunst bezieht.

Dem deutschen Künstler, so wie überhaupt jedem neuen und nordischen, ist es schwer, ja beinahe unmöglich, von dem Formlosen zur Gestalt überzugehen und, wenn er auch bis dahin durchgedrungen wäre, sich dabei zu erhalten.

Jeder Künstler, der eine Zeitlang in Italien gelebt hat, frage sich: ob nicht die Gegenwart der besten Werke alter und neuer Kunst in ihm das unablässige Streben erregt habe, die menschliche Gestalt in ihren Proportionen, Formen, Charakteren zu studieren und nachzubilden, sich in der Ausführung allen Fleiß und Mühe zu geben, um sich jenen Kunstwerken, die ganz auf sich selbst ruhen, zu nähern, um ein Werk hervorzubringen, das, indem es das sinnliche Anschauen befriedigt, den Geist in seine höchsten Regionen erhebt? Er gestehe aber auch, daß er nach seiner Zurückkunft nach und nach von jenem Streben heruntersinken müsse, weil er wenig Personen findet, die das Gebildete eigentlich sehen, genießen und denken mögen, sondern meist nur solche, die ein Werk obenhin ansehen, dabei etwas Beliebiges denken und nach ihrer Art etwas dabei empfinden und genießen wollen.

Das schlechteste Bild kann zur Empfindung und zur Einbildungskraft sprechen, indem es sie in Bewegung setzt, los und frei macht und sich selbst überläßt; das beste Kunstwerk spricht auch zur Empfindung, aber eine höhere Sprache, die man freilich verstehen muß; es fesselt die Gefühle und die Einbildungskraft; es nimmt uns unsre Willkür, wir können mit dem Vollkommenen nicht schalten und walten, wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst von ihm, erhöht und verbessert, wieder zu erhalten.

Daß dies keine Träume sind, werden wir nach und nach im einzelnen so deutlich als möglich zu zeigen suchen, besonders werden wir auf einen Widerspruch aufmerksam machen, in welchen sich die Neuern so oft verwickeln. Sie nennen die Alten ihre Lehrer, sie gestehen jenen Werken eine unerreichbare Vortrefflichkeit zu und entfernen sich in Theorie und Praxis doch von den Maximen, die jene beständig ausübten.

Indem wir nun von diesem wichtigen Punkte ausgehen und oft wieder auf denselben zurückkehren wer den, so finden wir noch andere, davon noch einiges zu erwähnen ist.

Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalles der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben.

Die Künste selbst sowie ihre Arten sind untereinander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich ineinander zu verlieren; aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von andern abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen und sie aufs möglichste zu isolieren wisse.

Man hat bemerkt, daß alle bildende Kunst zur Malerei, alle Poesie zum Drama strebe, und es kann uns diese Erfahrung künftig zu wichtigen Betrachtungen Anlaß geben.

Der echte, gesetzgebende Künstler strebt nach Kunstwahrheit, der gesetzlose, der einem blinden Trieb folgt, nach Naturwirklichkeit; durch jenen wird die Kunst zum höchsten Gipfel, durch diesen auf ihre niedrigste Stufe gebracht.

So wie mit dem Allgemeinen der Kunst, ebenso verhält es sich auch mit den Arten derselben. Der Bildhauer muß anders denken und empfinden als der Maler, ja er muß anders zu Werke gehen, wenn er ein halberhobenes Werk, als wenn er ein rundes hervor bringen will. Indem man die flacherhobenen Werke immer höher und höher machte, dann Teile, dann Figuren ablöste, zuletzt Gebäude und Landschaften anbrachte und so halb Malerei, halb Puppenspiel darstellte, ging man immer abwärts in der wahren Kunst, und leider haben treffliche Künstler der neuern Zeit ihren Weg auf diese Weise genommen.

Wenn wir nun künftig solche Maximen, die wir für die rechten halten, aussprechen werden, wünschten wir, daß sie, wie sie aus den Kunstwerken gezogen sind, von dem Künstler praktisch geprüft werden. Wie selten kann man mit dem andern über einen Grundsatz theoretisch einig werden! Hingegen was anwendbar, was brauchbar sei, ist viel geschwinder entschieden. Wie oft sieht man Künstler bei der Wahl ihrer Gegenstände, bei der für ihre Kunst passenden Zusammensetzung im allgemeinen, bei der Anordnung im besondern sowie den Maler bei der Wahl der Farben in Verlegenheit. Dann ist es Zeit, einen Grundsatz zu prüfen, dann wird die Frage leichter zu entscheiden sein, ob wir durch ihn den großen Mustern und allem, was wir an ihnen schätzen und lieben, näherkommen oder ob er uns in der empirischen Verwirrung einer nicht genug durchdachten Erfahrung stecken läßt.

Gelten nun dergleichen Maximen zur Bildung des Künstlers, zur Leitung desselben in mancher Verlegenheit, so werden sie auch bei Entwicklung, Schätzung und Beurteilung alter und neuer Kunstwerke dienen und wieder wechselsweise aus der Betrachtung derselben entstehen. Ja, es ist um so nötiger, sich auch hier daran zu halten, weil, unerachtet der allgemein gepriesenen Vorzüge des Altertums, dennoch unter den Neuern sowohl einzelne Menschen als ganze Nationen oft eben das verkennen, worin der höchste Vorzug jener Werke liegt.

Eine genaue Prüfung derselben wird uns am meisten vor diesem Übel bewahren. Deshalb sei hier nur ein Beispiel aufgestellt, wie es dem Liebhaber in der plastischen Kunst zu gehen pflegt, damit etwa deutlich werde, wie notwendig eine genaue Kritik der ältern sowohl als der neuern Kunstwerke sei, wenn sie einigermaßen Nutzen bringen soll.

Auf jeden, der ein zwar ungeübtes, aber für das Schöne empfängliches Auge hat, wird ein stumpfer, unvollkommner Gipsabguß eines trefflichen alten Werks noch immer eine große Wirkung tun; denn in einer solchen Nachbildung bleibt doch immer die Idee, die Einfalt und Größe der Form, genug, das Allgemeinste noch übrig, so viel, als man mit schlechten Augen allenfalls in der Ferne gewahr werden könnte.

Man kann bemerken, daß oft eine lebhafte Neigung zur Kunst durch solche ganz unvollkommene Nachbildungen entzündet wird. Allein die Wirkung ist dem Gegenstande gleich, es wird mehr ein dunkles, unbestimmtes Gefühl erregt, als daß eigentlich der Gegenstand in seinem Wert und in seiner Würde solchen angehenden Kunstfreunden erscheinen sollte. Solche sind es, die gewöhnlich den Grundsatz äußern, daß eine allzu genaue kritische Untersuchung den Genuß zerstöre, solche sind es, die sich gegen eine Würdigung des Einzelnen zu sträuben und zu wehren pflegen.

Wenn ihnen aber nach und nach bei weiterer Erfahrung und Übung ein scharfer Abguß statt eines stumpfen, ein Original statt eines Abgusses vorgelegt wird, dann wächst mit der Einsicht auch das Vergnügen, und so steigt es, wenn Originale selbst, wenn vollkommene Originale ihnen endlich bekannt werden.

Gern läßt man sich in die Labyrinthe genauer Betrachtungen ein, wenn das Einzelne so wie das Ganze vollkommen ist, ja man lernt einsehen, daß man das Vortreffliche nur in dem Maße kennenlernt, insofern man das Mangelhafte einzusehen imstande ist. Die Restauration von den ursprünglichen Teilen, die Kopie von dem Original zu unterscheiden, in dem kleinsten Fragmente noch die zerstörte Herrlichkeit des Ganzen zu schauen, wird der Genuß des vollendeten Kenners, und es ist ein großer Unterschied, ein stumpfes Ganze mit dunklem Sinne oder ein vollendetes mit hellem Sinne zu beschauen und zu fassen.

Wer sich mit irgendeiner Kenntnis abgibt, soll nach dem Höchsten streben! Es ist mit der Einsicht viel anders als mit der Ausübung, denn im Praktischen muß sich jeder bald bescheiden, daß ihm nur ein gewisses Maß von Kräften zugeteilt sei; zur Kenntnis, zur Einsicht aber sind weit mehrere Menschen fähig, ja man kann wohl sagen ein jeder, der sich selbst verleugnen, sich den Gegenständen unterordnen kann, der nicht mit einem starren, beschränkten Eigensinn sich und seine kleinliche Einseitigkeit in die höchsten Werke der Natur und Kunst überzutragen strebt.

Um von Kunstwerken eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen. Alles kommt aufs Anschauen an, es kommt darauf an, daß bei dem Worte, wodurch man ein Kunstwerk zu erläutern hofft, das Bestimmteste gedacht werde, weil sonst gar nichts gedacht wird.

Daher geschieht es so oft, daß derjenige, der über Kunstwerke schreibt, bloß im Allgemeinen verweilt, wodurch wohl Ideen und Empfindungen erregt werden, ja allen Lesern, nur demjenigen nicht genuggetan wird, der mit dem Buche in der Hand vor das Kunstwerk hintritt.

Aber eben deswegen werden wir in mehrern Abhandlungen vielleicht in dem Falle sein, das Verlangen der Leser mehr zu reizen als zu befriedigen; denn es ist nichts natürlicher, als daß sie ein vortreffliches Kunstwerk, das genau zergliedert wird, sogleich vor Augen zu haben wünschen, um das Ganze, von dem die Rede ist, zu genießen und, was die Teile betrifft, die Meinung, die sie vernehmen, ihrem Urteil zu unterwerfen.

Indem nun aber die Verfasser für diejenigen zu arbeiten denken, welche die Werke teils gesehen haben, teils künftig sehen werden, so hoffen sie für solche, die sich in keinem der beiden Fälle befinden, dennoch das mögliche zu tun. Wir werden der Nachbildungen erwähnen, anzeigen, wo Abgüsse von alten Kunstwerken, alte Kunstwerke selbst besonders den Deutschen sich näher befinden, und so echter Liebhaberei und Kunstkenntnis, soviel an uns liegt, zu begegnen suchen.

Denn nur auf dem höchsten und genausten Begriff von Kunst kann eine Kunstgeschichte beruhen; nur wenn man das Vortrefflichste kennt, was der Mensch hervorzubringen imstande war, kann der psychologisch-chronologische Gang dargestellt werden, den man in der Kunst sowie in andern Fächern nahm, wo erst eine beschränkte Tätigkeit in einer trocknen, ja traurigen Nachahmung des Unbedeutenden sowie des Bedeutenden verweilte, sich darauf ein lieblicheres, gemütlicheres Gefühl gegen die Natur entwickelte, dann, begleitet von Kenntnis, Regelmäßigkeit, Ernst und Strenge, unter günstigen Umständen die Kunst bis zum Höchsten hinaufstieg, wo es denn zuletzt dem glücklichen Genie, das sich von allen diesen Hülfsmitteln umgeben fand, möglich ward, das Reizende, Vollendete hervorzubringen.

Leider aber erregen Kunstwerke, die mit solcher Leichtigkeit sich aussprechen, die dem Menschen ein bequemes Gefühl seiner selbst, die ihm Heiterkeit und Freiheit einflößen, bei dem nachstrebenden Künstler den Begriff, daß auch das Hervorbringen bequem sei. Da der Gipfel dessen, was Kunst und Genie darstellen, eine leichte Erscheinung ist, so werden die Nachkommenden gereizt, sich’s leicht zu machen und auf den Schein zu arbeiten.

So verliert die Kunst sich nach und nach von ihrer Höhe herunter, im ganzen so wie im einzelnen. Wenn wir uns aber hievon einen anschaulichen Begriff bilden wollen, so müssen wir ins Einzelne des Einzelnen hinabsteigen, welches nicht immer eine angenehme und reizende Beschäftigung ist, wofür aber der sichere Blick über das Ganze nach und nach reichlich entschädigt.

Wenn uns nun die Erfahrung bei Betrachtung der alten und mittlern Kunstwerke gewisse Maximen bewährt hat, so bedürfen wir ihrer am meisten bei Beurteilung der neuen und neuesten Arbeiten; denn da bei Würdigung lebender oder kurz verstorbener Künstler so leicht persönliche Verhältnisse, Liebe und Haß der Einzelnen, Neigung und Abneigung der Menge sich einmischen, so brauchen wir Grundsätze um so nötiger, um über unsre Zeitgenossen ein Urteil zu äußern. Die Untersuchung kann alsdann sogleich auf doppelte Weise angestellt werden. Der Einfluß der Willkür wird vermindert, die Frage vor einen höhern Gerichtshof gebracht. Man kann den Grundsatz selbst sowie dessen Anwendung prüfen, und wenn man sich auch nicht vereinigen sollte, so kann der streitige Punkt doch sicher und deutlich bezeichnet werden.

Besonders wünschten wir, daß der lebende Künstler, bei dessen Arbeiten wir vielleicht einiges zu erinnern hätten, unsere Urteile auf diese Weise bedächtig prüfte. Denn jeder, der diesen Namen verdient, ist zu unsrer Zeit genötigt, sich aus Arbeit und eignem Nachdenken wo nicht eine Theorie, doch einen gewissen Inbegriff theoretischer Hausmittel zu bilden, bei deren Gebrauch er sich in mancherlei Fällen ganz leidlich befindet; man wird aber oft bemerken, daß er auf diesem Wege sich solche Maximen als Gesetze aufstellt, die seinem Talent, seiner Neigung und Bequemlichkeit gemäß sind. Er unterliegt einem allgemeinen menschlichen Schicksal. Wie viele handeln nicht in andern Fächern auf eben diese Weise! Aber wir bilden uns nicht, wenn wir das, was in uns liegt, nur mit Leichtigkeit und Bequemlichkeit in Bewegung setzen. Jeder Künstler, wie jeder Mensch, ist nur ein einzelnes Wesen und wird nur immer auf eine Seite hängen. Deswegen hat der Mensch auch das, was seiner Natur entgegengesetzt ist, theoretisch und praktisch, insofern es ihm möglich wird, in sich aufzunehmen. Der Leichte sehe nach Ernst und Strenge sich um, der Strenge habe ein leichtes und bequemes Wesen vor Augen, der Starke die Lieblichkeit, der Liebliche die Stärke, und jeder wird seine eigene Natur nur desto mehr ausbilden, je mehr er sich von ihr zu entfernen scheint. Jede Kunst verlangt den ganzen Menschen, der höchstmögliche Grad derselben die ganze Menschheit.

Die Ausübung der bildenden Kunst ist mechanisch, und die Bildung des Künstlers fängt in seiner frühsten Jugend mit Recht vom Mechanischen an, seine übrige Erziehung hingegen ist oft vernachlässigt, da sie doch weit sorgfältiger sein sollte als die Bildung anderer, welche Gelegenheit haben, aus dem Leben selbst Vorteil zu ziehen. Die Gesellschaft macht einen rohen Menschen bald höflich, ein geschäftiges Leben den offensten vorsichtig; literarische Arbeiten, welche durch den Druck vor ein großes Publikum kommen, finden überall Widerstand und Zurechtweisung; nur der bildende Künstler allein ist meist auf eine einsame Werkstatt beschränkt, er hat fast nur mit dem zu tun, der seine Arbeit bestellt und bezahlt, mit einem Publikum, das oft nur gewissen krankhaften Eindrücken folgt, mit Kennern, die ihn unruhig machen, und mit Marktrufern, welche jedes Neue mit solchen Lob- und Preisformeln empfangen, durch die das Vortrefflichste schon hinlänglich geehrt wäre.

Doch es wird Zeit, diese Einleitung zu schließen, damit sie nicht, anstatt dem Werke bloß voranzugehen, ihm vorlaufe und vorgreife. Wir haben bisher wenigstens den Punkt bezeichnet, von welchem wir auszugehen gedenken; wie weit wir uns verbreiten können und werden, muß sich erst nach und nach entwickeln. Theorie und Kritik der Dichtkunst wird uns hoffentlich bald beschäftigen; was uns das Leben überhaupt, was uns Reisen, ja was uns die Begebenheiten des Tags anbieten, soll nicht ausgeschlossen sein, und so sei denn noch zuletzt von einer wichtigen Angelegenheit des Augenblicks gesprochen.

Für die Bildung des Künstlers, für den Genuß des Kunstfreundes war es von jeher von der größten Bedeutung, an welchem Orte sich Kunstwerke befanden; es war eine Zeit, in der sie, geringere Dislokationen abgerechnet, meistens an Ort und Stelle blieben; nun aber hat sich eine große Veränderung zugetragen, welche für die Kunst im ganzen sowohl als im besondern wichtige Folgen haben wird.

Man hat vielleicht jetzo mehr Ursache als jemals, Italien als einen großen Kunstkörper zu betrachten, wie er vor kurzem noch bestand. Ist es möglich, davon eine Übersicht zu geben, so wird sich alsdann erst zeigen, was die Welt in diesem Augenblicke verliert, da so viele Teile von diesem großen und alten Ganzen abgerissen wurden.

Was in dem Akt des Abreißens selbst zugrunde gegangen, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben; allein eine Darstellung jenes neuen Kunstkörpers, der sich in Paris bildet, wird in einigen Jahren möglich werden; die Methode, wie ein Künstler und Kunstliebhaber Frankreich und Italien zu nutzen hat, wird sich angeben lassen, so wie dabei noch eine wichtige und schöne Frage zu erörtern ist: was andere Nationen, besonders Deutschland und England, tun sollten, um in dieser Zeit der Zerstreuung und des Verlustes mit einem wahren weltbürgerlichen Sinne, der vielleicht nirgends reiner als bei Künsten und Wissenschaften stattfinden kann, die mannigfaltigen Kunstschätze, die bei ihnen zerstreut niedergelegt sind, allgemein brauchbar zu machen und einen idealen Kunstkörper bilden zu helfen, der uns mit der Zeit für das, was uns der gegenwärtige Augenblick zerreißt, wo nicht entreißt, vielleicht glücklich zu entschädigen vermöchte.

Soviel im allgemeinen von der Absicht eines Werkes, dem wir recht viel ernsthafte und wohlwollende Teilnehmer wünschen.

 
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Über Laokoon

Kunst- und Naturwerke sind unaussprechlich – Bei einem trefflichen Kunstwerke ist nötig, von der ganzen Kunst zu reden – Beschäftigung der hohen Künste mit dem Menschen – Erfordernisse eines hohen Kunstwerks – Organisation und Leben – Charakter – Ruhe oder Bewegung – Ideal – Anmut – Schönheit – Laokoon erfüllt jene Bedingungen – Geschlossenheit des Gegenstandes – Entkleidung von allem Fremden – Darstellung des Moments – Zustand der drei Figuren – Stellung des Vaters aus physischer Ursache erklärt – Geistige Einwirkung – Die sämtlichen Teile der Gruppe – Doppelte Handlung aller Figuren – Gipfel des Moments – Augenblick nachher – Allgemeine Betrachtung und Wiederholung – Verhältnis des Gegenstandes zur Poesie.

Ein echtes Kunstwerk bleibt, wie ein Naturwerk, für unsern Verstand immer unendlich; es wird angeschaut, empfunden; es wirkt, es kann aber nicht eigentlich erkannt, viel weniger sein Wesen, sein Verdienst mit Worten ausgesprochen werden. Was also hier über Laokoon gesagt ist, hat keineswegs die Anmaßung, diesen Gegenstand zu erschöpfen, es ist mehr bei Gelegenheit dieses trefflichen Kunstwerks als über dasselbe geschrieben. Möge dieses bald wieder so aufgestellt sein, daß jeder Liebhaber sich daran freuen und darüber nach seiner Art reden könne.

Wenn man von einem trefflichen Kunstwerke sprechen will, so ist es fast nötig, von der ganzen Kunst zu reden, denn es enthält sie ganz, und jeder kann, soviel in seinen Kräften steht, auch das Allgemeine aus einem solchen besondern Fall entwickeln; deswegen sei hier auch etwas Allgemeines vorausgeschickt.

Alle hohen Kunstwerke stellen die menschliche Natur dar, die bildenden Künste beschäftigen sich besonders mit dem menschlichen Körper; wir reden gegenwärtig nur von diesen. Die Kunst hat viele Stufen, auf jeder der selben können vorzügliche Künstler erscheinen, ein vollkommenes Kunstwerk aber begreift alle Eigenschaften, die sonst nur einzeln ausgeteilt sind.

Die höchsten Kunstwerke, die wir kennen, zeigen uns:

Lebendige, hochorganisierte Naturen. Man erwartet vor allem Kenntnis des menschlichen Körpers in seinen Teilen, Maßen, innern und äußern Zwecken, Formen und Bewegungen im allgemeinen.

Charaktere. Kenntnis des Abweichens dieser Teile in Gestalt und Wirkung. Eigenschaften sondern sich ab und stellen sich einzeln dar; hierdurch entstehen die Charaktere, und es können die verschiedenen Kunstwerke dadurch in ein bedeutendes Verhältnis gegeneinander gebracht werden, so wie auch, wenn ein Werk zusammengesetzt ist, seine Teile sich bedeutend gegeneinander verhalten können. Der Gegenstand ist:

In Ruhe oder Bewegung. Ein Werk oder seine Teile können entweder für sich bestehend, ruhig ihr bloßes Dasein anzeigend, oder auch bewegt, wirkend, leidenschaftlich ausdrucksvoll dargestellt werden.

Ideal. Um hierzu zu gelangen, bedarf der Künstler eines tiefen, gründlichen, ausdauernden Sinnes, zu dem aber noch ein hoher Sinn sich gesellen muß, um den Gegenstand in seinem ganzen Umfange zu übersehen, den höchsten darzustellenden Moment zu finden und ihn also aus seiner beschränkten Wirklichkeit herauszuheben und ihm in einer idealen Welt Maß, Grenze, Realität und Würde zu geben.

Anmut. Der Gegenstand aber und die Art, ihn vorzustellen, sind den sinnlichen Kunstgesetzen unterworfen, nämlich der Ordnung, Faßlichkeit, Symmetrie, Gegenstellung etc., wodurch er für das Auge schön, das heißt anmutig wird.

Schönheit. Ferner ist er dem Gesetz der geistigen Schönheit unterworfen, die durch das Maß entsteht, welchem der zur Darstellung oder Hervorbringung des Schönen gebildete Mensch alles, sogar die Extreme zu unterwerfen weiß.

Nachdem ich die Bedingungen, welche wir von einem hohen Kunstwerke fordern, zum voraus angegeben habe, so kann ich mit wenigen Worten viel sagen, wenn ich behaupte, daß unsre Gruppe sie alle erfüllt, ja daß man sie aus derselben allein entwickeln könne.

Man wird mir den Beweis erlassen, daß sie Kenntnis des menschlichen Körpers, daß sie das Charakteristische an demselben sowie Ausdruck und Leidenschaft zeige. Wie hoch und ideal der Gegenstand gefaßt sei, wird sich aus dem Folgenden ergeben; daß man das Werk schön nennen müsse, wird wohl niemand bezweifeln, welcher das Maß erkennt, womit das Extrem eines physischen und geistigen Leidens hier dargestellt ist.

Hingegen wird manchem paradox scheinen, wenn ich behaupte, daß diese Gruppe auch zugleich anmutig sei. Hierüber also nur einige Worte:

Jedes Kunstwerk muß sich als ein solches anzeigen, und das kann es allein durch das, was wir sinnliche Schönheit oder Anmut nennen. Die Alten, weit entfernt von dem modernen Wahne, daß ein Kunstwerk dem Scheine nach wieder ein Naturwerk werden müsse, bezeichneten ihre Kunstwerke als solche durch gewählte Ordnung der Teile; sie erleichterten dem Auge die Einsicht in die Verhältnisse durch Symmetrie, und so ward ein verwickeltes Werk faßlich. Durch eben diese Symmetrie und durch Gegenstellungen wurden in leisen Abweichungen die höchsten Kontraste möglich. Die Sorgfalt der Künstler, mannigfaltige Massen gegeneinander zu stellen, besonders die Extremitäten der Körper bei Gruppen gegeneinander in eine regelmäßige Lage zu bringen, war äußerst überlegt und glücklich, so daß ein jedes Kunstwerk, wenn man auch von dem Inhalt abstrahiert, wenn man in der Entfernung auch nur die allgemeinsten Umrisse sieht, noch immer dem Auge als ein Zierat erscheint. Die alten Vasen geben uns hundert Beispiele einer solchen anmutigen Gruppierung, und es würde vielleicht möglich sein, stufenweise von der ruhigsten Vasengruppe bis zu der höchst bewegten des Laokoon die schönsten Beispiele einer symmetrisch künstlichen, den Augen gefälligen Zusammensetzung darzulegen. Ich getraue mir daher nochmals zu wiederholen: daß die Gruppe des Laokoon neben allen übrigen anerkannten Verdiensten zugleich ein Muster sei von Symmetrie und Mannigfaltigkeit, von Ruhe und Bewegung, von Gegensätzen und Stufengängen, die sich zusammen teils sinnlich, teils geistig dem Beschauer darbieten, bei dem hohen Pathos der Vorstellung eine angenehme Empfindung erregen und den Sturm der Leiden und Leidenschaft durch Anmut und Schönheit mildern.

Es ist ein großer Vorteil für ein Kunstwerk, wenn es selbständig, wenn es geschlossen ist. Ein ruhiger Gegenstand zeigt sich bloß in seinem Dasein, er ist also durch und in sich selbst geschlossen. Ein Jupiter mit einem Donnerkeil im Schoß, eine Juno, die auf ihrer Majestät und Frauenwürde ruht, eine in sich versenkte Minerva sind Gegenstände, die gleichsam nach außen keine Beziehung haben, sie ruhen auf und in sich und sind die ersten, liebsten Gegenstände der Bildhauerkunst. Aber in dem herrlichen Zirkel des mythischen Kunstkreises, in welchem die einzelnen selbständigen Naturen stehen und ruhen, gibt es kleinere Zirkel, wo die einzelnen Gestalten in bezug auf andere gedacht und gearbeitet sind. Zum Exempel, die neun Musen mit ihrem Führer Apoll, ist jede für sich gedacht und ausgeführt, aber in dem ganzen mannigfaltigen Chor wird sie noch interessanter. Geht die Kunst zum leidenschaftlich Bedeutenden über, so kann sie wieder auf dieselbe Weise handeln: sie stellt uns entweder einen Kreis von Gestalten dar, die untereinander einen leidenschaftlichen Bezug haben, wie Niobe mit ihren Kindern, verfolgt von Apoll und Diana, oder sie zeigt uns in einem Werke die Bewegung zugleich mit ihrer Ursache. Wir gedenken hier nur des anmutigen Knaben, der sich den Dorn aus dem Fuße zieht, der Ringer, zweier Gruppen von Faunen und Nymphen in Dresden und der bewegten herrlichen Gruppe des Laokoon.

Die Bildhauerkunst wird mit Recht so hoch gehalten, weil sie die Darstellung auf ihren höchsten Gipfel bringen kann und muß, weil sie den Menschen von allem, was ihm nicht wesentlich ist, entblößt. So ist auch bei dieser Gruppe Laokoon ein bloßer Name; von seiner Priesterschaft, von seinem Trojanisch-Nationellen, von allem poetischen und mythologischen Beiwesen haben ihn die Künstler entkleidet; er ist nichts von allem, wozu ihn die Fabel macht, es ist ein Vater mit zwei Söhnen, in Gefahr, zwei gefährlichen Tieren unterzuliegen. So sind auch hier keine göttergesandten, sondern bloß natürliche Schlangen, mächtig genug, einige Menschen zu überwältigen, aber keineswegs, weder in ihrer Gestalt noch Handlung, außerordentliche, rächende, strafende Wesen. Ihrer Natur gemäß schleichen sie heran, umschlingen, schnüren zusammen, und die eine beißt erst gereizt. Sollte ich diese Gruppe, wenn mir keine weitere Deutung derselben bekannt wäre, erklären, so würde ich sie eine tragische Idylle nennen. Ein Vater schlief neben seinen beiden Söhnen, sie wurden von Schlangen umwunden und streben nun, erwachend, sich aus dem lebendigen Netze loszureißen.

Äußerst wichtig ist dieses Kunstwerk durch die Darstellung des Moments. Wenn ein Werk der bildenden Kunst sich wirklich vor dem Auge bewegen soll, so muß ein vorübergehender Moment gewählt sein; kurz vorher darf kein Teil des Ganzen sich in dieser Lage befunden haben, kurz nachher muß jeder Teil genötigt sein, diese Lage zu verlassen; dadurch wird das Werk Millionen Anschauern immer wieder neu lebendig sein.

Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixierter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt. Dieselbe Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe nachts bei der Fackel sieht.

Der Zustand der drei Figuren ist mit der höchsten Weisheit stufenweise dargestellt; der älteste Sohn ist nur an den Extremitäten verstrickt, der zweite öfters umwunden, besonders ist ihm die Brust zusammengeschnürt; durch die Bewegung des rechten Arms sucht er sich Luft zu machen, mit der Linken drängt er sanft den Kopf der Schlange zurück, um sie abzuhalten, daß sie nicht noch einen Ring um die Brust ziehe; sie ist im Begriff, unter der Hand wegzuschlüpfen, keineswegs aber beißt sie. Der Vater hingegen will sich und die Kinder von diesen Umstrickungen mit Gewalt befreien, er preßt die andere Schlange, und diese, gereizt, beißt ihn in die Hüfte.

Um die Stellung des Vaters sowohl im ganzen als nach allen Teilen des Körpers zu erklären, scheint es mir am vorteilhaftesten, das augenblickliche Gefühl der Wunde als die Hauptursache der ganzen Bewegung anzugeben. Die Schlange hat nicht gebissen, sondern sie beißt, und zwar in den weichen Teil des Körpers, über und etwas hinter der Hüfte. Die Stellung des restaurierten Kopfes der Schlange hat den eigentlichen Biß nie recht angegeben, glücklicherweise haben sich noch die Reste der beiden Kinnladen an dem hintern Teil der Statue erhalten, wenn nur nicht diese höchst wichtigen Spuren bei der jetzigen traurigen Veränderung auch verlorengehen! Die Schlange bringt dem unglücklichen Manne eine Wunde an dem Teile bei, wo der Mensch gegen jeden Reiz sehr empfindlich ist, wo sogar ein geringer Kitzel jene Bewegung hervorbringt, welche wir hier durch die Wunde bewirkt sehen: der Körper flieht auf die entgegengesetzte Seite, der Leib zieht sich ein, die Schulter drängt sich herunter, die Brust tritt hervor, der Kopf senkt sich nach der berührten Seite; da sich nun noch in den Füßen, die gefesselt, und in den Armen, die ringend sind, der Überrest der vorhergehenden Situation oder Handlung zeigt, so entsteht eine Zusammenwirkung von Streben und Fliehen, von Wirken und Leiden, von Anstrengen und Nachgeben, die vielleicht unter keiner andern Bedingung möglich wäre. Man verliert sich in Erstaunen über die Weisheit der Künstler, wenn man versucht, den Biß an einer andern Stelle anzubringen, die ganze Gebärde würde verändert sein, und auf keine Weise ist sie schicklicher denklich. Es ist also dieses ein Hauptsatz: der Künstler hat uns eine sinnliche Wirkung dargestellt, er zeigt uns auch die sinnliche Ursache. Der Punkt des Bisses, ich wiederhole es, bestimmt die gegenwärtigen Bewegungen der Glieder: das Fliehen des Unterkörpers, das Einziehen des Leibes, das Hervorstreben der Brust, das Niederzucken der Achsel und des Hauptes, ja alle die Züge des Angesichts seh ich durch diesen augenblicklichen, schmerzlichen, unerwarteten Reiz entschieden.

Fern aber sei es von mir, daß ich die Einheit der menschlichen Natur trennen, daß ich den geistigen Kräften dieses herrlich gebildeten Mannes ihr Mitwirken ableugnen, daß ich das Streben und Leiden einer großen Natur verkennen sollte. Angst, Furcht, Schrecken, väterliche Neigung scheinen auch mir sich durch diese Adern zu bewegen, in dieser Brust aufzusteigen, auf dieser Stirn sich zu furchen; gern gesteh ich, daß mit dem sinnlichen auch das geistige Leiden auf der höchsten Stufe dargestellt sei, nur trage man die Wirkung, die das Kunstwerk auf uns macht, nicht zu lebhaft auf das Werk selbst über, besonders sehe man keine Wirkung des Gifts bei einem Körper, den erst im Augenblicke die Zähne der Schlange ergreifen; man sehe keinen Todeskampf bei einem herrlichen, strebenden, gesunden, kaum verwundeten Körper. Hier sei mir eine Bemerkung erlaubt, die für die bildende Kunst von Wichtigkeit ist; der höchste pathetische Ausdruck, den sie darstellen kann, schwebt auf dem Übergange eines Zustandes in den andern. Man sehe ein lebhaftes Kind, das mit aller Energie und Lust des Lebens rennt, springt und sich ergötzt, dann aber etwa unverhofft von einem Gespielen hart getroffen oder sonst physisch oder moralisch heftig verletzt wird; diese neue Empfindung teilt sich wie ein elektrischer Schlag allen Gliedern mit, und ein solcher Übersprung ist im höchsten Sinne pathetisch, es ist ein Gegensatz, von dem man ohne Erfahrung keinen Begriff hat. Hier wirkt nun offenbar der geistige sowohl als der physische Mensch. Bleibt alsdann bei einem solchen Übergange noch die deutliche Spur vom vorhergehenden Zustande, so entsteht der herrlichste Gegenstand für die bildende Kunst, wie beim Laokoon der Fall ist, wo Streben und Leiden in einem Augenblick vereinigt sind. So würde z.B. Eurydike, die im Moment, da sie mit gesammelten Blumen fröhlich über die Wiese geht, von einer getretenen Schlange in die Ferse gebissen wird, eine sehr pathetische Statue machen, wenn nicht allein durch die herabfallenden Blumen, sondern durch die Richtung aller Glieder und das Schwanken der Falten der doppelte Zustand des fröhlichen Vorschreitens und des schmerzlichen Anhaltens ausgedrückt werden könnte.

Wenn wir nun die Hauptfigur in diesem Sinne gefaßt haben, so können wir auf die Verhältnisse, Abstufungen und Gegensätze sämtlicher Teile des ganzen Werkes mit einem freien und sichern Blicke hinsehen.

Der gewählte Gegenstand ist einer der glücklichsten, die sich denken lassen. Menschen mit gefährlichen Tieren im Kampfe, und zwar mit Tieren, die nicht als Massen oder Gewalten, sondern als ausgeteilte Kräfte wirken, nicht von einer Seite drohen, nicht einen zusammengefaßten Widerstand fordern, sondern die nach ihrer ausgedehnten Organisation fähig sind, drei Menschen mehr oder weniger ohne Verletzung zu paralysieren. Durch dieses Mittel der Lähmung wird bei der großen Bewegung über das Ganze schon eine gewisse Ruhe und Einheit verbreitet. Die Wirkungen der Schlangen sind stufenweise angegeben. Die eine umschlingt nur, die andere wird gereizt und verletzt ihren Gegner. Die drei Menschen sind gleichfalls äußerst weise gewählt: Ein starker, wohlgebauter Mann, aber schon über die Jahre der größten Energie hinaus, weniger fähig, Schmerz und Leiden zu widerstehen. Man denke sich an seiner Statt einen rüstigen Jüngling, und die Gruppe wird ihren ganzen Wert verlieren. Mit ihm leiden zwei Knaben, die, selbst dem Maße nach, gegen ihn klein gehalten sind; abermals zwei Naturen empfänglich für Schmerz.

Der jüngere strebt ohnmächtig, er ist geängstigt, aber nicht verletzt; der Vater strebt mächtig, aber unwirksam, vielmehr bringt sein Streben die entgegengesetzte Wirkung hervor. Er reizt seinen Gegner und wird verwundet. Der älteste Sohn ist am leichtesten verstrickt; er fühlt weder Beklemmung noch Schmerz, er erschrickt über die augenblickliche Verwundung und Bewegung seines Vaters, er schreit auf, indem er das Schlangenende von dem einen Fuße abzustreifen sucht; hier ist also noch ein Beobachter, Zeuge und Teilnehmer bei der Tat, und das Werk ist abgeschlossen.

Was ich schon im Vorbeigehen berührt habe, will ich hier noch besonders bemerken: daß alle drei Figuren eine doppelte Handlung äußern und so höchst mannigfaltig beschäftigt sind. Der jüngste Sohn will sich durch Erhöhung des rechten Arms Luft machen und drängt mit der linken Hand den Kopf der Schlange zurück, er will sich das gegenwärtige Übel erleichtern und das größere verhindern: der höchste Grad von Tätigkeit, der ihm in seiner gefangenen Lage noch übrigbleibt. Der Vater strebt, sich von den Schlangen loszuwinden, und der Körper flieht zugleich vor dem augenblicklichen Bisse. Der älteste Sohn entsetzt sich vor der Bewegung des Vaters und sucht sich von der leicht umwindenden Schlange zu befreien.

Schon oben ist der Gipfel des vorgestellten Augenblicks als ein großer Vorzug dieses Kunstwerks gerühmt, und hier ist noch besonders davon zu sprechen.

Wir nahmen an, daß natürliche Schlangen einen Vater mit seinen Söhnen im Schlaf umwunden, damit wir bei Betrachtung der Momente eine Steigerung vor uns sähen. Die ersten Augenblicke des Umwindens im Schlafe sind ahndungsvoll, aber für die Kunst unbedeutend. Man könnte vielleicht einen schlafenden jungen Herkules bilden, wie er von Schlangen umwunden wird, dessen Gestalt und Ruhe uns aber zeigte, was wir von seinem Erwachen zu erwarten hätten.

Gehen wir nun weiter und denken uns den Vater, der sich mit seinen Kindern, es sei nun, wie es sei, von Schlangen umwunden fühlt, so gibt es nur einen Moment des höchsten Interesse: wenn der eine Körper durch die Umwindung wehrlos gemacht ist, wenn der andere zwar wehrhaft, aber verletzt ist und dem dritten eine Hoffnung zur Flucht übrigbleibt. In dem ersten Falle ist der jüngere Sohn, im zweiten der Vater, im dritten der ältere Sohn. Man versuche noch einen andern Fall zu finden! man suche die Rollen anders, als sie hier ausgeteilt sind, zu verteilen!

Denken wir nun die Handlung vom Anfang herauf und erkennen, daß sie gegenwärtig auf dem höchsten Punkt steht, so werden wir, wenn wir die nächstfolgenden und fernern Momente bedenken, sogleich gewahr werden, daß sich die ganze Gruppe verändern muß und daß kein Augenblick gefunden werden kann, der diesem an Kunstwert gleich sei. Der jüngste Sohn wird entweder von der umwindenden Schlange erstickt oder, wenn er sie reizen sollte, in seinem völlig hülflosen Zustande noch gebissen. Beide Fälle sind unerträglich, weil sie ein Letztes sind, das nicht dargestellt werden soll. Was den Vater betrifft, so wird er entweder von der Schlange noch an andern Teilen gebissen, wodurch die ganze Lage seines Körpers sich verändern muß und die ersten Bisse für den Zuschauer, wenn sie nicht verlorengehen, doch, wenn sie angezeigt werden sollten, ekelhaft sein würden; oder die Schlange kann auch sich umwenden und den ältesten Sohn anfallen, dieser wird alsdann auf sich selbst zurückgeführt, die Begebenheit verliert ihren Teilnehmer, der letzte Schein von Hoffnung ist aus der Gruppe verschwunden, es ist keine tragische, es ist eine grausame Vorstellung. Der Vater, der jetzt in seiner Größe und in seinem Leiden auf sich ruht, müßte sich gegen den Sohn wenden, er würde teilnehmende Nebenfigur.

Der Mensch hat bei eignen und fremden Leiden nur drei Empfindungen: Furcht, Schrecken und Mitleiden, das bange Voraussehen eines sich annähernden Übels, das unerwartete Gewahrwerden gegenwärtigen Leidens und die Teilnahme am dauernden oder vergangenen; alle drei werden durch dieses Kunstwerk dargestellt und erregt, und zwar in den gehörigsten Abstufungen.

Die bildende Kunst, die immer für den Moment arbeitet, wird, sobald sie einen pathetischen Gegenstand wählt, denjenigen ergreifen, der Schrecken erweckt, dahingegen Poesie sich an solche hält, die Furcht und Mitleiden erregen. Bei der Gruppe des Laokoon erregt das Leiden des Vaters Schrecken, und zwar im höchsten Grad, an ihm hat die Bildhauerkunst ihr Höchstes getan; allein teils um den Zirkel aller menschlichen Empfindungen zu durchlaufen, teils um den heftigen Eindruck des Schreckens zu mildern, erregt sie Mitleiden für den Zustand des jüngern Sohns und Furcht für den ältern, indem sie für diesen auch noch Hoffnung übrigläßt. So brachten die Künstler durch Mannigfaltigkeit ein gewisses Gleichgewicht in ihre Arbeit, milderten und erhöhten Wirkung durch Wirkungen und vollendeten sowohl ein geistiges als ein sinnliches Ganze.

Genug, wir dürfen kühnlich behaupten, daß dieses Kunstwerk seinen Gegenstand erschöpfe und alle Kunstbedingungen glücklich erfülle. Es lehrt uns: daß, wenn der Meister sein Schönheitsgefühl ruhigen und einfachen Gegenständen einflößen kann, sich doch eigentlich dasselbe in seiner höchsten Energie und Würde zeige, wenn es bei Bildung mannigfaltiger Charaktere seine Kraft beweist und die leidenschaftlichen Ausbrüche der menschlichen Natur in der Kunstnachahmung zu mäßigen und zu bändigen versteht. Wir geben in der Folge wohl eine genauere Beschreibung der Statuen, welche unter dem Namen der Familie der Niobe bekannt sind, sowie auch der Gruppe des Farnesischen Stiers; sie gehören unter die wenigen pathetischen Darstellungen, welche uns von alter Skulptur übriggeblieben sind.

Gewöhnlich haben sich die Neuern bei der Wahl solcher Gegenstände vergriffen. Wenn Milo, mit beiden Händen in einer Baumspalte gefangen, von einem Löwen angefallen wird, so wird die Kunst sich vergebens bemühen, daraus ein Werk zu bilden, das eine reine Teilnahme erregen könnte. Ein doppelter Schmerz, eine vergebliche Anstrengung, ein hülfloser Zustand, ein gewisser Untergang können nur Abscheu erregen, wenn sie nicht ganz kalt lassen.

Und zuletzt nur noch ein Wort über das Verhältnis des Gegenstandes zur Poesie.

Man ist höchst ungerecht gegen Virgil und die Dichtkunst, wenn man das geschlossenste Meisterwerk der Bildhauerarbeit mit der episodischen Behandlung in der »Aeneis« auch nur einen Augenblick vergleicht. Da einmal der unglückliche vertriebene Aeneas selbst erzählen soll, daß er und seine Landsleute die unverzeihliche Torheit begangen haben, das bekannte Pferd in ihre Stadt zu führen, so muß der Dichter nur darauf denken, wie die Handlung zu entschuldigen sei. Alles ist auch darauf angelegt, und die Geschichte des Laokoon steht hier als ein rhetorisches Argument, bei dem eine Übertreibung, wenn sie nur zweckmäßig ist, gar wohl gebilligt werden kann. So kommen ungeheure Schlangen aus dem Meere, mit Kämmen auf dem Haupte, eilen auf die Kinder des Priesters, der das Pferd verletzt hatte, umwickeln sie, beißen sie, begeifern sie; umwinden, umschlingen darauf Brust und Hals des zu Hülfe eilenden Vaters und ragen mit ihren Köpfen triumphierend hoch empor, indem der Unglückliche unter ihren Windungen vergebens um Hülfe schreit. Das Volk entsetzt sich und flieht beim Anblick, niemand wagt es mehr, ein Patriot zu sein, und der Zuhörer, durch die abenteuerliche und ekelhafte Geschichte erschreckt, gibt denn auch gern zu, daß das Pferd in die Stadt gebracht werde.

So steht also die Geschichte Laokoons im Virgil bloß als ein Mittel zu einem höhern Zwecke, und es ist noch eine große Frage, ob die Begebenheit an sich ein poetischer Gegenstand sei.

 
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