Betrachtungen über Farbenlehre und Farbenbehandlung der Alten

Wie irgend jemand über einen gewissen Fall denke, wird man nur erst recht einsehen, wenn man weiß, wie er überhaupt gesinnt ist. Dieses gilt, wenn wir die Meinungen über wissenschaftliche Gegenstände, es sei nun einzelner Menschen oder ganzer Schulen und Jahrhunderte, recht eigentlich erkennen wollen. Daher ist die Geschichte der Wissenschaften mit der Geschichte der Philosophie innigst verbunden, aber ebenso auch mit der Geschichte des Lebens und des Charakters der Individuen sowie der Völker.

So begreift sich die Geschichte der Farbenlehre auch nur in Gefolg der Geschichte aller Naturwissenschaften. Denn zur Einsicht in den geringsten Teil ist die Übersicht des Ganzen nötig. Auf eine solche Behandlung können wir freilich nur hindeuten; indessen, wenn wir unter unsern Materialien manches mit einführen, was nicht unmittelbar zum Zwecke zu gehören scheint, so ist ihm doch eigentlich nur deswegen der Platz gegönnt, um an allgemeine Bezüge zu erinnern, welches in der Geschichte der Farbenlehre um so notwendiger ist, als sie ihre eigenen Schicksale gehabt hat und auf dem Meere des Wissens bald nur für kurze Zeit auftaucht, bald wieder auf längere nieder sinkt und verschwindet.

Inwiefern bei der ersten Entwickelung nachsinnender Menschen mystisch-arithmetische Vorstellungsarten wirklich stattgefunden, ist schwer zu beurteilen, da die Dokumente meistens verdächtig sind. Manches andre, was man uns von jenen Anfängen gern möchte glauben machen, ist ebenso unzuverlässig, und wenige werden uns daher verargen, wenn wir den Blick von der Wiege so mancher Nationen weg und dahin wenden, wo uns eine erfreuliche Jugend entgegenkommt.

Die Griechen, welche zu ihren Naturbetrachtungen aus den Regionen der Poesie herüberkamen, erhielten sich dabei noch dichterische Eigenschaften. Sie schauten die Gegenstände tüchtig und lebendig und fühlten sich gedrungen, die Gegenwart lebendig auszusprechen. Suchen sie sich darauf von ihr durch Reflexion loszuwinden, so kommen sie wie jedermann in Verlegenheit, indem sie die Phänomene für den Verstand zu bearbeiten denken. Sinnliches wird aus Sinnlichem erklärt, dasselbe durch dasselbe. Sie finden sich in einer Art von Zirkel und jagen das Unerklärliche immer vor sich her im Kreise herum.

Der Bezug zu dem Ähnlichen ist das erste Hülfsmittel, wozu sie greifen. Es ist bequem und nützlich, indem dadurch Symbole entstehen und der Beobachter einen dritten Ort außerhalb des Gegenstandes findet; aber es ist auch schädlich, indem das, was man ergreifen will, sogleich wieder entwischt, und das, was man gesondert hat, wieder zusammenfließt.

Bei solchen Bemühungen fand man gar bald, daß man notwendig aussprechen müsse, was im Subjekt vorgeht, was für ein Zustand in dem Betrachtenden und Beobachtenden erregt wird. Hierauf entstand der Trieb, das Äußere mit dem Innern in der Betrachtung zu vereinen, welches freilich mitunter auf eine Weise geschah, die uns wunderlich, abstrus und unbegreiflich vorkommen muß. Der Billige wird jedoch deshalb nicht übler von ihnen denken, wenn er gestehen muß, daß es uns, ihren späten Nachkommen, oft selbst nicht besser geht.

Aus dem, was uns von den Pythagoreern überliefert wird, ist wenig zu lernen. Daß sie Farbe und Oberfläche mit einem Worte bezeichnen, deutet auf ein sinnlich gutes, aber doch nur gemeines Gewahrwerden, das uns von der tiefern Einsicht in das Penetrative der Farbe ablenkt. Wenn auch sie das Blaue nicht nennen, so werden wir abermals erinnert, daß das Blaue mit dem Dunklen und Schattigen dergestalt innig verwandt ist, daß man es lange Zeit dazu zählen konnte.

Die Gesinnungen und Meinungen Demokrits beziehen sich auf Forderungen einer erhöhten geschärften Sinnlichkeit und neigen sich zum Oberflächlichen. Die Unsicherheit der Sinne wird anerkannt; man findet sich genötigt, nach einer Kontrolle umherzuschauen, die aber nicht gefunden wird. Denn anstatt bei der Verwandtschaft der Sinne nach einem ideellen Sinn aufzublicken, in dem sich alle vereinigten, so wird das Gesehene in ein Getastetes verwandelt, der schärfste Sinn soll sich in den stumpfsten auflösen, uns durch ihn begreiflicher werden. Daher entsteht Ungewißheit anstatt einer Gewißheit. Die Farbe ist nicht, weil sie nicht getastet werden kann, oder sie ist nur insofern, als sie allenfalls tastbar werden könnte. Daher die Symbole von dem Tasten hergenommen werden. Wie sich die Oberflächen glatt, rauh, scharf, eckig und spitz finden, so entspringen auch die Farben aus diesen verschiedenen Zuständen. Auf welche Weise sich aber hiermit die Behauptung vereinigen lassen, die Farbe sei ganz konventionell, getrauen wir uns nicht aufzulösen. Denn sobald eine gewisse Eigenschaft der Oberfläche eine gewisse Farbe mit sich führt, so kann es doch hier nicht ganz an einem bestimmten Verhältnis fehlen.

Betrachten wir nun Epikur und Lukrez, so gedenken wir einer allgemeinen Bemerkung, daß die originellen Lehrer immer noch das Unauflösbare der Aufgabe empfinden und sich ihr auf eine naive gelenke Weise zu nähern suchen. Die Nachfolger werden schon didaktisch, und weiterhin steigt das Dogmatische bis zum Intoleranten.

Auf diese Weise möchten sich Demokrit, Epikur und Lukrez verhalten. Bei dem letztern finden wir die Gesinnung der erstern, aber schon als Überzeugungsbekenntnis erstarrt und leidenschaftlich parteiisch überliefert.

Jene Ungewißheit dieser Lehre, die wir schon oben bemerkt, verbunden mit solcher Lebhaftigkeit einer Lehrüberlieferung, läßt uns den Übergang zur Lehre der Pyrrhonier finden. Diesen war alles ungewiß, wie es jedem wird, der die zufälligen Bezüge irdischer Dinge gegeneinander zu seinem Hauptaugenmerk macht; und am wenigsten wäre ihnen zu verargen, daß sie die schwankende, schwebende, kaum zu erhaschende Farbe für ein unsicheres nichtiges Meteor ansehen: allein auch in diesem Punkte ist nichts von ihnen zu lernen, als was man meiden soll.

Dagegen nahen wir uns dem Empedokles mit Vertrauen und Zuversicht. Er erkennt ein Äußeres an, die Materie; ein Inneres, die Organisation. Er läßt die verschiedenen Wirkungen der ersten, das mannigfaltig Verflochtene der andern, gelten. Seine ποροι machen uns nicht irre. Freilich entspringen sie aus der gemein-sinnlichen Vorstellungsart. Ein Flüssiges soll sich bestimmt bewegen; da muß es ja wohl eingeschlossen sein, und so ist der Kanal schon fertig. Und doch läßt sich bemerken, daß dieser Alte gedachte Vorstellung keinesweges so roh und körperlich genommen habe als manche Neuern, daß er vielmehr daran nur ein bequemes faßliches Symbol gefunden. Denn die Art, wie das Äußere und Innere eins für das andre da ist, eins mit dem andern übereinstimmt, zeigt sogleich von einer höhern Ansicht, die durch jenen allgemeinen Satz: Gleiches werde nur von Gleichem erkannt, noch geistiger erscheint.

Daß Zeno, der Stoiker, auch irgendwo sichern Fuß fassen werde, läßt sich denken. Jener Ausdruck: die Farben seien die ersten Schematismen der Materie, ist uns sehr willkommen. Denn wenn diese Worte im antiken Sinne auch das nicht enthalten, was wir hineinlegen könnten, so sind sie doch immer bedeutend genug. Die Materie tritt in die Erscheinung, sie bildet, sie gestaltet sich. Gestalt bezieht sich auf ein Gesetz und nun zeigt sich in der Farbe, in ihrem Bestehen und Wechseln, ein Naturgesetzliches fürs Auge, von keinem andern Sinne leicht unterscheidbar.

Noch willkommner tritt uns bei Plato jede vorige Denkweise, gereinigt und erhöht, entgegen. Er sondert, was empfunden wird. Die Farbe ist sein viertes Empfindbares. Hier finden wir die Poren, das Innere, das dem Äußern antwortet, wie beim Empedokles, nur geistiger und mächtiger; aber was vor allem ausdrücklich zu bemerken ist, er kennt den Hauptpunkt der ganzen Farben- und Lichtschatten-Lehre, denn er sagt uns: durch das Weiße werde das Gesicht entbunden, durch das Schwarze gesammelt.

Wir mögen anstatt der griechischen Worte συγκρινειν und διακρινειν in anderen Sprachen setzen, was wir wollen: Zusammenziehen, Ausdehnen, Sammlen, Entbinden, Fesseln, Lösen, rétrécir und développer etc. so finden wir keinen so geistig-körperlichen Ausdruck für das Pulsieren, in welchem sich Leben und Empfinden ausspricht. Überdies sind die griechischen Ausdrücke Kunstworte, welche bei mehrern Gelegenheiten vorkommen, wodurch sich ihre Bedeutsamkeit jedesmal vermehrt.

So entzückt uns denn auch in diesem Fall, wie in den übrigen, am Plato die heilige Scheu, womit er sich der Natur nähert, die Vorsicht, womit er sie gleichsam nur umtastet und bei näherer Bekanntschaft vor ihr sogleich wieder zurücktritt, jenes Erstaunen, das, wie er selbst sagt, den Philosophen so gut kleidet.

Den übrigen Gehalt jener kurzen, aus dem Timäus ausgezogenen Stelle bringen wir in dem Folgenden nach, indem wir unter dem Namen des Aristoteles alles versammeln können, was den Alten über diesen Gegenstand bekannt gewesen.

Die Alten glaubten an ein ruhendes Licht im Auge; sie fühlten sodann als reine kräftige Menschen die Selbsttätigkeit dieses Organs und dessen Gegenwirken gegen das äußre Sichtbare; nur sprachen sie dieses Gefühl sowie des Fassens, des Ergreifens der Gegenstände mit dem Auge durch allzu krude Gleichnisse aus. Die Einwirkung des Auges nicht aufs Auge allein, sondern auch auf andre Gegenstände erschien ihnen so mächtig wundersam, daß sie eine Art von Bann und Zauber gewahr zu werden glaubten.

Das Sammeln und Entbinden des Auges durch Licht und Finsternis, die Dauer des Eindrucks war ihnen bekannt. Von einem farbigen Abklingen, von einer Art Gegensatz finden sich Spuren. Aristoteles kannte den Wert und die Würde der Beachtung der Gegensätze überhaupt. Wie aber Einheit sich in Zweiheit selbst auseinander lege, war den Alten verborgen. Sie kannten den Magnet, das Elektron, bloß als Anziehen; Polarität war ihnen noch nicht deutlich geworden. Und hat man bis auf die neusten Zeiten nicht auch nur immer der Anziehung die Aufmerksamkeit geschenkt und das zugleich geforderte Abstoßen nur als eine Nachwirkung der ersten schaffenden Kraft betrachtet?

In der Farbenlehre stellten die Alten Licht und Finsternis, Weiß und Schwarz, einander entgegen. Sie bemerkten wohl, daß zwischen diesen die Farben entspringen, aber die Art und Weise sprachen sie nicht zart genug aus, obgleich Aristoteles ganz deutlich sagt, daß hier von keiner gemeinen Mischung die Rede sei.

Derselbe legt einen sehr großen Wert auf die Erkenntnis des Diaphanen, als des Mittels, und kennt so gut als Plato die Wirkung des trüben Mittels zu Hervorbringung des Blauen. Bei allen seinen Schritten aber wird er denn doch durch Schwarz und Weiß, das er bald materiell nimmt, bald symbolisch oder vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre geführt.

Die Alten kannten das Gelbe, entspringend aus gemäßigtem Licht, das Blaue bei Mitwirkung der Finsternis; das Rote durch Verdichtung, Beschattung, obgleich das Schwanken zwischen einer atomistischen und dynamischen Vorstellungsart auch hier oft Undeutlichkeit und Verwirrung erregt.

Sie waren ganz nahe zu der Einteilung gelangt, die auch wir als die günstigste angesehen haben. Einige Farben schrieben sie dem bloßen Lichte zu, andere dem Licht und den Mitteln, andre den Körpern als inwohnend, und bei diesen letztern kannten sie das Oberflächliche der Farbe sowohl als ihr Penetratives und hatten in die Umwandlung der chemischen Farben gute Einsichten. Wenigstens wurden die verschiedenen Fälle wohl bemerkt und die organische Kochung wohl beachtet.

Und so kann man sagen, sie kannten alle die hauptsächlichsten Punkte, worauf es ankommt, aber sie gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen und zusammenzubringen. Und wie einem Schatzgräber, der durch die mächtigsten Formeln den mit Gold und Juwelen gefüllten blinkenden Kessel schon bis an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein einziges an der Beschwörung versieht, das nah gehoffte Glück unter Geprassel und Gepolter und dämonischem Hohngelächter wieder zurücksinkt, um auf späte Epochen hinaus abermals verscharrt zu liegen, so ist auch jede unvollendete Bemühung für Jahrhunderte wieder verloren, worüber wir uns jedoch trösten müssen, da sogar von mancher vollendeten Bemühung kaum noch eine Spur übrig bleibt.

Werfen wir nun einen Blick auf das allgemeine Theoretische, wodurch sie das Gewahrgewordne verbinden, so finden wir die Vorstellung, daß die Elemente von den Farben begleitet werden. Die Einteilung der ursprünglichen Naturkräfte in vier Elemente ist für kindliche Sinnen faßlich und erfreulich, ob sie gleich nur oberflächlich gelten kann; aber die unmittelbare Begleitung der Elemente durch Farben ist ein Gedanke, den wir nicht schelten dürfen, da wir ebenfalls in den Farben eine elementare, über alles ausgegossene Erscheinung anerkennen.

Überhaupt aber entsprang die Wissenschaft für die Griechen aus dem Leben. Beschaut man das Büchelchen über die Farben genau, wie gehaltvoll findet man solches. Welch ein Aufmerken, welch ein Aufpassen auf jede Bedingung, unter welcher diese Erscheinung zu beobachten ist. Wie rein, wie ruhig gegen spätre Zeiten, wo die Theorien keinen andern Zweck zu haben schienen, als die Phänomene beiseitezubringen, die Aufmerksamkeit von ihnen abzulenken, ja sie womöglich aus der Natur zu vertilgen.

Das, was man unter jenen Elementen verstand, mit allen Zufälligkeiten ihres Erscheinens, ward beobachtet: Feuer so gut als Rauch, Wasser so gut als das daraus entspringende Grün, Luft und ihre Trübe, Erde rein und unrein gedacht. Die apparenten Farben wechseln hin und her; mannigfaltig verändert sich das Organische; die Werkstätten der Färber werden besucht und das Unendliche, Unbestimmbare des engen Kreises recht wohl eingesehen.

Wir leugnen nicht, daß uns manchmal der Gedanke gekommen, eben gedachtes Büchlein umzuschreiben mit so wenig Abänderungen als möglich, wie es sich vielleicht bloß durch Veränderung des Ausdrucks tun ließe. Eine solche Arbeit wäre wohl fruchtbarer, als durch einen weitläuftigen Kommentar auseinanderzusetzen, worin man mit dem Verfasser eins oder uneins wäre. Jedes gute Buch, und besonders die der Alten, versteht und genießt niemand, als wer sie supplieren kann. Wer etwas weiß, findet unendlich mehr in ihnen als derjenige, der erst lernen will.

Sehen wir uns aber nach den eigentlichen Ursachen um, wodurch die Alten in ihren Vorschritten gehindert worden, so finden wir sie darin, daß ihnen die Kunst fehlt, Versuche anzustellen, ja sogar der Sinn dazu. Die Versuche sind Vermittler zwischen Natur und Begriff, zwischen Natur und Idee, zwischen Begriff und Idee. Die zerstreute Erfahrung zieht uns allzusehr nieder und ist sogar hinderlich, auch nur zum Begriff zu gelangen. Jeder Versuch aber ist schon theoretisierend; er entspringt aus einem Begriff oder stellt ihn sogleich auf. Viele einzelne Fälle werden unter ein einzig Phänomen subsummiert; die Erfahrung kommt ins Enge, man ist imstande, weiter vorwärts zu gehen.

Die Schwierigkeit, den Aristoteles zu verstehen, entspringt aus der antiken Behandlungsart, die uns fremd ist. Zerstreute Fälle sind aus der gemeinen Empirie aufgegriffen, mit gehörigem und geistreichem Räsonnement begleitet, auch wohl schicklich genug zusammengestellt; aber nun tritt der Begriff ohne Vermittlung hinzu, das Räsonnement geht ins Subtile und Spitzfindige, das Begriffene wird wieder durch Begriffe bearbeitet, anstatt daß man es nun deutlich auf sich beruhen ließe, einzeln vermehrte, massenweise zusammenstellte und erwartete, ob eine Idee daraus entspringen wolle, wenn sie sich nicht gleich von Anfang an dazu gesellte.

Hatten wir nun bei der wissenschaftlichen Behandlung, wie sie von den Griechen unternommen worden, wie sie ihnen geglückt, manches zu erinnern, so treffen wir nunmehr, wenn wir ihre Kunst betrachten, auf einen vollendeten Kreis, der, indem er sich in sich selbst abschließt, doch auch zugleich als Glied in jene Bemühungen eingreift und, wo das Wissen nicht Genüge leistete, uns durch die Tat befriedigt.

Die Menschen sind überhaupt der Kunst mehr gewachsen als der Wissenschaft. Jene gehört zur großen Hälfte ihnen selbst, diese zur großen Hälfte der Welt an. Bei jener läßt sich eine Entwickelung in reiner Folge, diese kaum ohne ein unendliches Zusammenhäufen denken. Was aber den Unterschied vorzüglich bestimmt: die Kunst schließt sich in ihren einzelnen Werken ab, die Wissenschaft erscheint uns grenzenlos.

Das Glück der griechischen Ausbildung ist schon oft und trefflich dargestellt worden. Gedenken wir nur ihrer bildenden Kunst und des damit so nahe verwandten Theaters. An den Vorzügen ihrer Plastik zweifelt niemand. Daß ihre Malerei, ihr Helldunkel, ihr Kolorit ebenso hoch gestanden, können wir in vollkommenen Beispielen nicht vor Augen stellen; wir müssen das wenige Übriggebliebene, die historischen Nachrichten, die Analogie, den Naturschritt, das Mögliche zu Hülfe nehmen, wie es der Verfasser des obenstehenden Aufsatzes getan, und es wird uns kein Zweifel übrig bleiben, daß sie auch in diesem Punkte alle ihre Nachfahren übertroffen.

Zu dem gepriesenen Glück der Griechen muß vorzüglich gerechnet werden, daß sie durch keine äußre Einwirkung irre gemacht worden: ein günstiges Geschick, das in der neuern Zeit den Individuen selten, den Nationen nie zuteil wird; denn selbst vollkommene Vorbilder machen irre, indem sie uns veranlassen, notwendige Bildungsstufen zu überspringen, wodurch wir denn meistens am Ziel vorbei in einen grenzenlosen Irrtum geführt werden.

Kehren wir nun zur Vergleichung der Kunst und Wissenschaft zurück, so begegnen wir folgender Betrachtung: da im Wissen sowohl als in der Reflexion kein Ganzes zusammengebracht werden kann, weil jenem das Innre, dieser das Äußere fehlt, so müssen wir uns die Wissenschaft notwendig als Kunst denken, wenn wir von ihr irgendeine Art von Ganzheit erwarten. Und zwar haben wir diese nicht im allgemeinen im Überschwenglichen zu suchen, sondern wie die Kunst sich immer ganz in jedem einzelnen Kunstwerk darstellt, so sollte die Wissenschaft sich auch jedesmal ganz in jedem einzelnen Behandelten erweisen.

Um aber einer solchen Forderung sich zu nähern, so müßte man keine der menschlichen Kräfte bei wissenschaftlicher Tätigkeit ausschließen. Die Abgründe der Ahndung, ein sicheres Anschauen der Gegenwart, mathematische Tiefe, physische Genauigkeit, Höhe der Vernunft, Schärfe des Verstandes, bewegliche, sehnsuchtsvolle Phantasie, liebevolle Freude am Sinnlichen, nichts kann entbehrt werden zum lebhaften fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks, wodurch ganz allein ein Kunstwerk, von welchem Gehalt es auch sei, entstehen kann.

Wenn diese geforderten Elemente, wo nicht widersprechend, doch sich dergestalt gegenüberstehend erscheinen möchten, daß auch die vorzüglichsten Geister nicht hoffen dürften, sie zu vereinigen, so liegen sie doch in der gesamten Menschheit offenbar da und können jeden Augenblick hervortreten, wenn sie nicht durch Vorurteile, durch Eigensinn einzelner Besitzenden, und wie sonst alle die verkennenden, zurückschreckenden und tötenden Verneinungen heißen mögen, in dem Augenblick, wo sie allein wirksam sein können, zurückgedrängt werden und die Erscheinung im Entstehen vernichtet wird.

Vielleicht ist es kühn, aber wenigstens in dieser Zeit nötig zu sagen: daß die Gesamtheit jener Elemente vielleicht vor keiner Nation so bereit liegt als vor der deutschen. Denn ob wir gleich, was Wissenschaft und Kunst betrifft, in der seltsamsten Anarchie leben, die uns von jedem erwünschten Zweck immer mehr zu entfernen scheint, so ist es doch eben diese Anarchie, die uns nach und nach aus der Weite ins Enge, aus der Zerstreuung zur Vereinigung drängen muß.

Niemals haben sich die Individuen vielleicht mehr vereinzelt und voneinander abgesondert als gegenwärtig. Jeder möchte das Universum vorstellen und aus sich darstellen; aber indem er mit Leidenschaft die Natur in sich aufnimmt so ist er auch das Überlieferte, das, was andre geleistet, in sich aufzunehmen genötigt. Tut er es nicht mit Bewußtsein, so wird es ihm unbewußt begegnen; empfängt er es nicht offenbar und gewissenhaft, so mag er es heimlich und gewissenlos ergreifen; mag er es nicht dankbar anerkennen, so werden ihm andere nachspüren: genug, wenn er nur Eigenes und Fremdes, unmittelbar und mittelbar aus den Händen der Natur oder von Vorgängern Empfangenes tüchtig zu bearbeiten und einer bedeutenden Individualität anzueignen weiß, so wird jederzeit für alle ein großer Vorteil daraus entstehen. Und wie dies nun gleichzeitig schnell und heftig geschieht, so muß eine Übereinstimmung daraus entspringen, das, was man in der Kunst Stil zu nennen pflegt, wodurch die Individualitäten im Rechten und Guten immer näher aneinander gerückt und eben dadurch mehr herausgehoben, mehr begünstigt werden, als wenn sie sich durch seltsame Eigentümlichkeiten karikaturmäßig voneinander zu entfernen streben.

Wem die Bemühungen der Deutschen in diesem Sinne seit mehrern Jahren vor Augen sind, wird sich Beispiele genug zu dem, was wir im allgemeinen aus sprechen, vergegenwärtigen können, und wir sagen getrost in Gefolg unserer Überzeugung: an Tiefe sowie an Fleiß hat es dem Deutschen nie gefehlt. Nähert er sich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und übertrifft sie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit, so wird man ihm früher oder später die erste Stelle in Wissenschaft und Kunst nicht streitig machen.

Nachtrag

Ehe wir uns von diesen gutmütigen Hoffnungen zu jener traurigen Lücke wenden, die zwischen der Geschichte alter und neuer Zeit sich nun bald vor uns auftut, so haben wir noch einiges nachzubringen, das uns den Überblick des Bisherigen erleichtert und uns zu weiterem Fortschreiten anregt.

Wir gedenken hier des Lucius Annäus Seneca nicht sowohl insofern er von Farben etwas erwähnt, da es nur sehr wenig ist und bloß beiläufig geschieht, als vielmehr wegen seines allgemeinen Verhältnisses zur Naturforschung.

Ungeachtet der ausgebreiteten Herrschaft der Römer über die Welt stockten doch die Naturkenntnisse eher bei ihnen, als daß sie sich verhältnismäßig erweitert hätten. Denn eigentlich interessierte sie nur der Mensch, insofern man ihm mit Gewalt oder durch Überredung etwas abgewinnen kann. Wegen des letztern waren alle ihre Studien auf rednerische Zwecke berechnet. Übrigens benutzten sie die Naturgegenstände zu notwendigem und willkürlichem Gebrauch so gut und so wunderlich, als es gehn wollte.

Seneca war, wie er selbst bedauert, spät zur Naturbetrachtung gelangt. Was die Früheren in diesem Fache gewußt, was sie darüber gedacht hatten, war ihm nicht unbekannt geblieben. Seine eigenen Meinungen und Überzeugungen haben etwas Tüchtiges. Eigentlich aber steht er gegen die Natur doch nur als ein ungebildeter Mensch: denn nicht sie interessiert ihn, sondern ihre Begebenheiten. Wir nennen aber Begebenheiten diejenigen zusammengesetzten auffallenden Ereignisse, die auch den rohesten Menschen erschüttern, seine Aufmerksamkeit erregen, und wenn sie vornüber sind, den Wunsch in ihm beleben, zu erfahren, woher so etwas denn doch wohl kommen möchte.

Im ganzen führt Seneca dergleichen Phänomene, auf die er in seinem Lebensgange aufmerksam geworden, nach der Ordnung der vier Elemente auf, läßt sich aber doch, nach vorkommenden Umständen, bald da bald dorthin ableiten.

Die meteorischen Feuerkugeln, Höfe um Sonn’ und Mond, Regenbogen, Wettergallen, Nebensonnen, Wetterleuchten, Sternschnuppen, Kometen beschäftigen ihn unter der Rubrik des Feuers. In der Luft sind Blitz und Donner die Hauptveranlassungen seiner Betrachtungen. Später wendet er sich zu den Winden, und da er das Erdbeben auch einem unterirdischen Geiste zuschreibt, findet er zu diesem den Übergang.

Bei dem Wasser sind ihm, außer dem süßen, die Gesundbrunnen merkwürdig, nicht weniger die periodischen Quellen. Von den Heilkräften der Wasser geht er zu ihrem Schaden über, besonders zu dem, den sie durch Überschwemmung anrichten. Nach den Quellen des Nils und der weisen Benutzung dieses Flusses beschäftigen ihn Hagel, Schnee, Eis und Regen.

Er läßt keine Gelegenheit vorbeigehen, prächtige und, wenn man den rhetorischen Stil einmal zugeben will, wirklich köstliche Beschreibungen zu machen, wovon die Art wie er den Nil und was diesen Fluß betrifft, behandelt, nicht weniger seine Beschreibung der Überschwemmungen und Erdbeben, ein Zeugnis ablegen mag. Seine Gesinnungen und Meinungen sind tüchtig. So streitet er zum Beispiel lebhaft gegen diejenigen, welche das Quellwasser vom Regen ableiten, welche behaupten, daß die Kometen eine vorübergehende Erscheinung seien.

Worin er sich aber vom wahren Physiker am meisten unterscheidet, sind seine beständigen, oft sehr gezwungen herbeigeführten Nutzanwendungen und die Verknüpfung der höchsten Naturphänomene mit dem Bedürfnis, dem Genuß, dem Wahn und dem Übermut der Menschen.

Zwar sieht man wohl, daß er gegen Leichtgläubigkeit und Aberglauben im Kampfe steht, daß er den humanen Wunsch nicht unterdrücken kann, alles, was die Natur uns reicht, möge dem Menschen zum Besten gedeihen; er will, man solle so viel als möglich in Mäßigkeit genießen und zugleich den verderblichen und zerstörenden Naturwirkungen mit Ruhe und Ergebung entgegensehen; insofern erscheint er höchst ehrwürdig, und da er einmal von der Redekunst herkommt, auch nicht außer seinem Kreise.

Unleidlich wird er aber, ja lächerlich, wenn er oft, und gewöhnlich zur Unzeit, gegen den Luxus und die verderbten Sitten der Römer loszieht. Man sieht diesen Stellen ganz deutlich an, daß die Redekunst aus dem Leben sich in die Schulen und Hörsäle zurückgezogen hat: denn in solchen Fällen finden wir meist bei ihm wo nicht leere, doch unnütze Deklamationen, die, wie man deutlich sieht, bloß daher kommen, daß der Philosoph sich über sein Zeitalter nicht erheben kann. Doch ist dieses das Schicksal fast seiner ganzen Nation.

Die Römer waren aus einem engen, sittlichen, bequemen, behaglichen, bürgerlichen Zustand zur großen Breite der Weltherrschaft gelangt, ohne ihre Beschränktheit abzulegen; selbst das, was man an ihnen als Freiheitssinn schätzt, ist nur ein borniertes Wesen. Sie waren Könige geworden und wollten nach wie vor Hausväter, Gatten, Freunde bleiben; und wie wenig selbst die Besseren begriffen, was Regieren heißt, sieht man an der abgeschmacktesten Tat, die jemals begangen worden, an der Ermordung Cäsars.

Aus eben dieser Quelle läßt sich ihr Luxus herleiten. Ungebildete Menschen, die zu großem Vermögen gelangen, werden sich dessen auf eine lächerliche Weise bedienen; ihre Wollüste, ihre Pracht, ihre Verschwendung werden ungereimt und übertrieben sein. Daher denn auch jene Lust zum Seltsamen, Unzähligen und Ungeheuern. Ihre Theater, die sich mit den Zuschauern drehen, das zweite Volk von Statuen, womit die Stadt überladen war, sind wie der spätere kolossale Napf, in welchem der große Fisch ganz gesotten werden sollte, alle eines Ursprungs; sogar der Übermut und die Grausamkeit ihrer Tyrannen läuft meistens aufs Alberne hinaus.

Bloß indem man diese Betrachtungen anstellt, begreift man, wie Seneca, der ein so bedeutendes Leben geführt, dagegen zürnen kann, daß man gute Mahlzeiten liebt, sein Getränk dabei mit Schnee abkühlt, daß man sich des günstigen Windes bei Seeschlachten bedient, und was dergleichen Dinge mehr sein mögen. Solche Kapuzinerpredigten tun keine Wirkung, hindern nicht die Auflösung des Staates und können sich einer eindringenden Barbarei keinesweges entgegensetzen.

Schließlich dürfen wir jedoch nicht verschweigen, wie er höchst liebenswürdig in seinem Vertrauen auf die Nachwelt erscheint. Alle jene verflochtenen Naturbegebenheiten, auf die er vorzüglich seine Aufmerksamkeit wendet, ängstigen ihn als ebenso viele unergründliche Rätsel. Aufs Einfachere zu dringen, das Einfachste durch eine Erfahrung, in einem Versuch vor die Sinne zu stellen, die Natur durch Entwicklung zu enträtseln, war noch nicht Sitte geworden. Nun bleibt ihm, bei dem großen Drange, den er in sich fühlt, nichts übrig, als auf die Nachkommen zu hoffen, mit Vorfreude überzeugt zu sein, daß sie mehr wissen, mehr einsehen werden als er, ja ihnen sogar die Selbstgefälligkeit zu gönnen, mit der sie wahrscheinlich auf ihre unwissenden Vorfahren herabsehen würden.

Das haben sie denn auch redlich getan und tun es noch. Freilich sind sie viel später dazu gelangt, als unser Philosoph sich vorstellen mochte. Das Verderbnis der Römer schwebt ihm fürchterlich vor; daß aber daraus nur allzubald das Verderben sich entwickeln, daß die vorhandene Welt völlig untergehen, die Menschheit über ein Jahrtausend verworren und hülflos irren und schwanken würde, ohne auf irgend einen Ausweg zu geraten, das war ihm wohl unmöglich zu denken, ihm, der das Reich, dessen Kaiser von ihm erzogen ward, in übermäßiger Herrlichkeit vor sich blühen sah.

 
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Dritte Abteilung: Zwischenzeit

Lücke

Jene früheren Geographen, welche die Karte von Afrika verfertigten, waren gewohnt, dahin, wo Berge, Flüsse, Städte fehlten, allenfalls einen Elefanten, Löwen oder sonst ein Ungeheuer der Wüste zu zeichnen, ohne daß sie deshalb wären getadelt worden. Man wird uns daher wohl auch nicht verargen, wenn wir in die große Lücke, wo uns die erfreuliche, lebendige, fortschreitende Wissenschaft verläßt, einige Betrachtungen einschieben, auf die wir uns künftig wieder beziehen können.

Die Kultur des Wissens durch inneren Trieb um der Sache selbst willen, das reine Interesse am Gegenstand, sind freilich immer das vorzüglichste und nutzbarste; und doch sind von den frühsten Zeiten an die Einsichten der Menschen in natürliche Dinge durch jenes weniger gefördert worden als durch ein naheliegendes Bedürfnis, durch einen Zufall, den die Aufmerksamkeit nutzte, und durch mancherlei Art von Ausbildung zu entschiedenen Zwecken.

Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wissen, Zustände, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird. Diejenige Zeit, welche der Same unter der Erde zubringt, gehört vorzüglich mit zum Pflanzenleben.

Es gibt auffallende Zeiten, von denen uns weniges, aber höchst Merkwürdiges bekannt ist. Hier treten außerordentliche Individuen hervor, es ereignen sich seltsame Begebenheiten. Solche Epochen geben einen entschiedenen Eindruck, sie erregen große Bilder, die uns durch ihr Einfaches anziehen.

Die historischen Zeiten erscheinen uns im vollen Tag. Man sieht vor lauter Licht keinen Schatten, vor lauter Hellung keinen Körper, den Wald nicht vor Bäumen, die Menschheit nicht vor Menschen; aber es sieht aus, als wenn jedermann und allem recht geschähe, und so ist jedermann zufrieden.

Die Existenz irgendeines Wesens erscheint uns ja nur, insofern wir uns desselben bewußt werden. Daher sind wir ungerecht gegen die stillen dunklen Zeiten, in denen der Mensch, unbekannt mit sich selbst, aus innerm starken Antrieb tätig war, trefflich vor sich hin wirkte und kein anderes Dokument seines Daseins zurückließ als eben die Wirkung, welche höher zu schätzen wäre als alle Nachrichten.

Höchst reizend ist für den Geschichtsforscher der Punkt, wo Geschichte und Sage zusammengrenzen. Es ist meistens der schönste der ganzen Überlieferung. Wenn wir uns aus dem bekannten Gewordenen das unbekannte Werden aufzubauen genötigt finden, so erregt es eben die angenehme Empfindung, als wenn wir eine uns bisher unbekannte gebildete Person kennen lernen und die Geschichte ihrer Bildung lieber herausahnden als herausforschen.

Nur müßte man nicht so griesgrämig, wie es würdige Historiker neuerer Zeit getan haben, auf Dichter und Chronikenschreiber herabsehen.

Betrachtet man die einzelne frühere Ausbildung der Zeiten, Gegenden, Ortschaften, so kommen uns aus der dunklen Vergangenheit überall tüchtige und vortreffliche Menschen, tapfere, schöne, gute in herrlicher Gestalt entgegen. Der Lobgesang der Menschheit, dem die Gottheit so gerne zuhören mag, ist niemals verstummt, und wir selbst fühlen ein göttliches Glück, wenn wir die durch alle Zeiten und Gegenden verteilten harmonischen Ausströmungen, bald in einzelnen Stimmen, in einzelnen Chören, bald fugenweise, bald in einem herrlichen Vollgesang vernehmen.

Freilich müßte man mit reinem frischen Ohre hinlauschen, und jedem Vorurteil selbstsüchtiger Parteilichkeit, mehr vielleicht als dem Menschen möglich ist, entsagen.

Es gibt zwei Momente der Weltgeschichte, die bald aufeinander folgen, bald gleichzeitig, teils einzeln und abgesondert, teils höchst verschränkt, sich an Individuen und Völkern zeigen.

Der erste ist derjenige, in welchem sich die einzelnen nebeneinander frei ausbilden; dies ist die Epoche des Werdens, des Friedens, des Nährens, der Künste, der Wissenschaften, der Gemütlichkeit, der Vernunft. Hier wirkt alles nach innen und strebt in den besten Zeiten zu einem glücklichen häuslichen Auferbauen; doch löst sich dieser Zustand zuletzt in Parteisucht und Anarchie auf.

Die zweite Epoche ist die des Benutzens, des Kriegens, des Verzehrens, der Technik, des Wissens, des Verstandes. Die Wirkungen sind nach außen gerichtet; im schönsten und höchsten Sinne gewährt dieser Zeitpunkt Dauer und Genuß unter gewissen Bedingungen. Leicht artet jedoch ein solcher Zustand in Selbstsucht und Tyrannei aus, wo man sich aber keinesweges den Tyrannen als eine einzelne Person zu denken nötig hat; es gibt eine Tyrannei ganzer Massen, die höchst gewaltsam und unwiderstehlich ist.

Man mag sich die Bildung und Wirkung der Menschen unter welchen Bedingungen man will denken, so schwanken beide durch Zeiten und Länder, durch Einzelnheiten und Massen, die proportionierlich und unproportionierlich aufeinander wirken; und hier liegt das Inkalkulable, das Inkommensurable der Weltgeschichte. Gesetz und Zufall greifen ineinander, der betrachtende Mensch aber kommt oft in den Fall, beide miteinander zu verwechseln, wie sich besonders an parteiischen Historikern bemerken läßt, die zwar meistens unbewußt, aber doch künstlich genug, sich eben dieser Unsicherheit zu ihrem Vorteil bedienen.

Der schwache Faden, der sich aus dem manchmal so breiten Gewebe des Wissens und der Wissenschaften durch alle Zeiten, selbst die dunkelsten und verworrensten, ununterbrochen fortzieht, wird durch Individuen durchgeführt. Diese werden in einem Jahrhundert wie in dem andern von der besten Art geboren und verhalten sich immer auf dieselbe Weise gegen jedes Jahrhundert, in welchem sie vorkommen. Sie stehen nämlich mit der Menge im Gegensatz, ja im Widerstreit. Ausgebildete Zeiten haben hierin nichts voraus vor den barbarischen: denn Tugenden sind zu jeder Zeit selten, Mängel gemein. Und stellt sich denn nicht sogar im Individuum eine Menge von Fehlern der einzelnen Tüchtigkeit entgegen?

Gewisse Tugenden gehören der Zeit an, und so auch gewisse Mängel, die einen Bezug auf sie haben.

Die neuere Zeit schätzt sich selbst zu hoch, wegen der großen Masse Stoffes, den sie umfaßt. Der Hauptvorzug des Menschen beruht aber nur darauf, inwiefern er den Stoff zu behandeln und zu beherrschen weiß.

Es gibt zweierlei Erfahrungsarten, die Erfahrung des Abwesenden und die des Gegenwärtigen. Die Erfahrung des Abwesenden, wozu das Vergangene gehört, machen wir auf fremde Autorität, die des Gegenwärtigen sollten wir auf eigene Autorität machen. Beides gehörig zu tun, ist die Natur des Individuums durchaus unzulänglich.

Die ineinander greifenden Menschen- und Zeitalter nötigen uns, eine mehr oder weniger untersuchte Überlieferung gelten zu lassen, um so mehr, als auf der Möglichkeit dieser Überlieferung die Vorzüge des menschlichen Geschlechts beruhen.

Überlieferung fremder Erfahrung, fremden Urteils sind bei so großen Bedürfnissen der eingeschränkten Menschheit höchst willkommen, besonders wenn von hohen Dingen, von allgemeinen Anstalten die Rede ist.

Ein ausgesprochnes Wort tritt in den Kreis der übrigen, notwendig wirkenden Naturkräfte mit ein. Es wirkt um so lebhafter, als in dem engen Raume, in welchem die Menschheit sich ergeht, die nämlichen Bedürfnisse, die nämlichen Forderungen immer wiederkehren.

Und doch ist jede Wortüberlieferung so bedenklich. Man soll sich, heißt es, nicht an das Wort, sondern an den Geist halten. Gewöhnlich aber vernichtet der Geist das Wort oder verwandelt es doch dergestalt, daß ihm von seiner frühern Art und Bedeutung wenig übrig bleibt.

Wir stehen mit der Überlieferung beständig im Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung des Gegenwärtigen auf eigene Autorität machen sollten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit auf. Und doch fühlt ein Mensch, dem eine originelle Wirksamkeit zuteil geworden, den Beruf, diesen doppelten Kampf persönlich zu bestehen, der durch den Fortschritt der Wissenschaften nicht erleichtert, sondern erschwert wird. Denn es ist am Ende doch nur immer das Individuum, das einer breiteren Natur und breiteren Überlieferung Brust und Stirn bieten soll.

Der Konflikt des Individuums mit der unmittelbaren Erfahrung und der mittelbaren Überlieferung ist eigentlich die Geschichte der Wissenschaften: denn was in und von ganzen Massen geschieht, bezieht sich doch nur zuletzt auf ein tüchtigeres Individuum, das alles sammeln, sondern, redigieren und vereinigen soll; wobei es wirklich ganz einerlei ist, ob die Zeitgenossen ein solch Bemühen begünstigen oder ihm widerstreben. Denn was heißt begünstigen, als das Vorhandene vermehren und allgemein machen. Dadurch wird wohl genutzt, aber die Hauptsache nicht gefördert.

Sowohl in Absicht auf Überlieferung als eigene Erfahrung muß nach Natur der Individuen, Nationen und Zeiten ein sonderbares Entgegenstreben, Schwanken und Vermischen entstehen.

Gehalt ohne Methode führt zur Schwärmerei; Methode ohne Gehalt zum leeren Klügeln; Stoff ohne Form zum beschwerlichen Wissen, Form ohne Stoff zu einem hohlen Wähnen.

Leider besteht der ganze Hintergrund der Geschichte der Wissenschaften bis auf den heutigen Tag aus lauter solchen beweglichen, ineinander fließenden und sich doch nicht vereinigenden Gespenstern, die den Blick dergestalt verwirren, daß man die hervortretenden, wahrhaft würdigen Gestalten kaum recht scharf ins Auge fassen kann.

Überliefertes

Nun können wir nicht einen Schritt weiter gehen, ohne jenes Ehrwürdige, wodurch das Entfernte verbunden, das Zerrissene ergänzt wird, ich meine das Überlieferte, näher zu bezeichnen.

Weniges gelangt aus der Vorzeit herüber als vollständiges Denkmal, vieles in Trümmern; manches als Technik, als praktischer Handgriff; einiges, weil es dem Menschen nahe verwandt ist, wie Mathematik; anderes, weil es immer wieder gefordert und angeregt wird, wie Himmel- und Erdkunde; einiges, weil man dessen bedürftig bleibt, wie die Heilkunst; anderes zuletzt, weil es der Mensch, ohne zu wollen, immer wieder selbst hervorbringt, wie Musik und die übrigen Künste.

Doch von alle diesem ist im wissenschaftlichen Falle nicht sowohl die Rede als von schriftlicher Überlieferung. Auch hier übergehen wir vieles. Soll jedoch für uns ein Faden aus der alten Welt in die neue herüberreichen, so müssen wir dreier Hauptmassen gedenken, welche die größte, entschiedenste, ja oft eine ausschließende Wirkung hervorgebracht haben, der Bibel, der Werke Platos und Aristoteles’.

Jene große Verehrung, welche der Bibel von vielen Völkern und Geschlechtern der Erde gewidmet wor den, verdankt sie ihrem innern Wert. Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volks zum Symbol aller übrigen aufstellt, die Geschichte desselben an die Entstehung der Welt anknüpft und durch eine Stufenreihe irdischer und geistiger Entwickelungen, notwendiger und zufälliger Ereignisse bis in die entferntesten Regionen der äußersten Ewigkeiten hinausführt.

Wer das menschliche Herz, den Bildungsgang der einzelnen kennt, wird nicht in Abrede sein, daß man einen trefflichen Menschen tüchtig heraufbilden könnte, ohne dabei ein anderes Buch zu brauchen als etwa Tschudis schweizerische oder Aventins bayerische Chronik. Wieviel mehr muß also die Bibel zu diesem Zwecke genügen, da sie das Musterbuch zu jenen erstgenannten gewesen, da das Volk, als dessen Chronik sie sich darstellt, auf die Weltbegebenheiten so großen Einfluß ausgeübt hat und noch ausübt.

Es ist uns nicht erlaubt, hier ins einzelne zu gehen; doch liegt einem jeden vor Augen, wie in beiden Abteilungen dieses wichtigen Werkes der geschichtliche Vortrag mit dem Lehrvortrage dergestalt innig verknüpft ist, daß einer dem andern auf- und nachhilft, wie vielleicht in keinem andern Buche. Und was den Inhalt betrifft, so wäre nur wenig hinzuzufügen, um ihn bis auf den heutigen Tag durchaus vollständig zu machen. Wenn man dem Alten Testamente einen Auszug aus Josephus beifügte, um die jüdische Geschichte bis zur Zerstörung Jerusalems fortzuführen; wenn man, nach der Apostelgeschichte, eine gedrängte Darstellung der Ausbreitung des Christentums und der Zerstreuung des Judentums durch die Welt, bis auf die letzten treuen Missionsbemühungen apostelähnlicher Männer, bis auf den neusten Schacher- und Wucherbetrieb der Nachkommen Abrahams, einschaltete; wenn man vor der Offenbarung Johannis die reine christliche Lehre im Sinne des Neuen Testamentes zusammengefaßt aufstellte, um die verworrene Lehrart der Episteln zu entwirren und aufzuhellen: so verdiente dieses Werk gleich gegenwärtig wieder in seinen alten Rang einzutreten, nicht nur als allgemeines Buch, sondern auch als allgemeine Bibliothek der Völker zu gelten, und es würde gewiß, je höher die Jahrhunderte an Bildung steigen, immer mehr zum Teil als Fundament, zum Teil als Werkzeug der Erziehung, freilich nicht von naseweisen, sondern von wahrhaft weisen Menschen genutzt werden können.

Die Bibel an sich selbst, und dies bedenken wir nicht genug, hat in der ältern Zeit fast gar keine Wirkung gehabt. Die Bücher des Alten Testaments fanden sich kaum gesammelt, so war die Nation, aus der sie entsprungen, völlig zerstreut; nur der Buchstabe war es, um den die Zerstreuten sich sammelten und noch sammlen. Kaum hatte man die Bücher des Neuen Testaments vereinigt, als die Christenheit sich in unendliche Meinungen spaltete. Und so finden wir, daß sich die Menschen nicht sowohl mit dem Werke als an dem Werke beschäftigten und sich über die verschiedenen Auslegungsarten entzweiten, die man auf den Text anwenden, die man dem Text unterschieben, mit denen man ihn zudecken konnte.

Hier werden wir nun veranlaßt, jener beiden trefflichen Männer zu gedenken, die wir oben genannt. Es wäre Verwegenheit, ihr Verdienst an dieser Stelle würdigen, ja nur schildern zu wollen; also nicht mehr denn das Notwendigste zu unsern Zwecken.

Plato verhält sich zu der Welt wie ein seliger Geist, dem es beliebt, einige Zeit auf ihr zu herbergen. Es ist ihm nicht sowohl darum zu tun, sie kennenzulernen, weil er sie schon voraussetzt, als ihr dasjenige, was er mitbringt und was ihr so nottut, freundlich mitzuteilen. Er dringt in die Tiefen, mehr um sie mit seinem Wesen auszufüllen, als um sie zu erforschen. Er bewegt sich nach der Höhe, mit Sehnsucht, seines Ursprungs wieder teilhaft zu werden. Alles, was er äußert, bezieht sich auf ein ewig Ganzes, Gutes, Wahres, Schönes, dessen Forderung er in jedem Busen aufzuregen strebt. Was er sich im einzelnen von irdischem Wissen zueignet, schmilzt, ja man kann sagen, verdampft in seiner Methode, in seinem Vortrag.

Aristoteles hingegen steht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeisterlicher. Er ist nun einmal hier und soll hier wirken und schaffen. Er erkundigt sich nach dem Boden, aber nicht weiter, als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunkt der Erde ist ihm das übrige gleichgültig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis für sein Gebäude, schafft Materialien von allen Seiten her, ordnet sie, schichtet sie auf und steigt so in regelmäßiger Form pyramidenartig in die Höhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer spitzen Flamme gleich, den Himmel sucht.

Wenn ein Paar solcher Männer, die sich gewissermaßen in die Menschheit teilten, als getrennte Repräsentanten herrlicher, nicht leicht zu vereinender Eigenschaften auftraten; wenn sie das Glück hatten, sich vollkommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete vollkommen auszusprechen, und nicht etwa in kurzen lakonischen Sätzen gleich Orakelsprüchen, sondern in ausführlichen, ausgeführten, mannigfaltigen Werken; wenn diese Werke zum Besten der Menschheit übrig blieben und immerfort mehr oder weniger studiert und betrachtet wurden: so folgt natürlich, daß die Welt, insofern sie als empfindend und denkend anzusehen ist, genötigt war, sich einem oder dem andern hinzugeben, einen oder den andern als Meister, Lehrer, Führer anzuerkennen.

Diese Notwendigkeit zeigte sich am deutlichsten bei Auslegung der Heiligen Schrift. Diese, bei der Selbständigkeit, wunderbaren Originalität, Vielseitigkeit, Totalität, ja Unermeßlichkeit ihres Inhalts, brachte keinen Maßstab mit, wonach sie gemessen werden konnte; er mußte von außen gesucht und an sie angelegt werden, und das ganze Chor derer, die sich deshalb versammelten, Juden und Christen, Heiden und Heilige, Kirchenväter und Ketzer, Konzilien und Päpste, Reformatoren und Widersacher, sämtlich, indem sie auslegen und erklären, verknüpfen oder supplieren, zurechtlegen oder anwenden wollten, taten es auf platonische oder aristotelische Weise, bewußt oder unbewußt, wie uns, um nur der jüdischen Schule zu erwähnen, schon die talmudistische und kabbalistische Behandlung der Bibel überzeugt.

Wie bei Erklärung und Benutzung der heiligen Schriften, so auch bei Erklärung, Erweiterung und Benutzung des wissenschaftlich Überlieferten, teilte sich das Chor der Wiß- und Kenntnis begierigen in zwei Parteien. Betrachten wir die afrikanischen, besonders ägyptischen neuern Weisen und Gelehrten, wie sehr neigt sich dort alles nach der platonischen Vorstellungsart. Bemerken wir die Asiaten, so finden wir mehr Neigung zur aristotelischen Behandlungsweise, wie es später bei den Arabern besonders auffällt.

Ja wie die Völker, so teilen sich auch Jahrhunderte in die Verehrung des Plato und Aristoteles, bald friedlich, bald in heftigem Widerstreit; und es ist als ein großer Vorzug des unsrigen anzusehen, daß die Hochschätzung beider sich im Gleichgewichte hält, wie schon Raffael in der sogenannten Schule von Athen beide Männer gedacht und gegeneinander übergestellt hat.

Wir fühlen und wissen recht gut, was sich gegen die von uns aphoristisch entworfene Skizze einwenden läßt, besonders wenn man von dem, was ihr mangelt, und von dem, was an ihr näher zu bestimmen wäre, reden wollte. Allein es war die Aufgabe, in möglichster Kürze hinzuzeichnen, was von Hauptwirkungen über die durch Barbaren gerissene Lücke in die mittlere und neuere Zeit vor allem andern bedeutend herüberreicht, was in die Wissenschaften überhaupt, in die Naturwissenschaften besonders und in die Farbenlehre, die uns vorzüglich beschäftigt, einen dauernden Einfluß ausübte.

Denn andre köstliche Massen des unschätzbar Überlieferten, wie zum Exempel die Masse der griechischen Dichter, hat erst spät, ja sehr spät, wieder lebendig auf Bildung gewirkt, so wie die Denkweisen anderer philosophischen Schulen, der Epikureer, der Skeptiker, auch erst spät für uns einige Bedeutung gewinnen.

Wenn wir nun oben schon ausgesprochen und behauptet, daß die Griechen mit allem bekannt gewesen, was wir als Hauptgrund der Farbenlehre anerkennen, was wir als die Hauptmomente derselben verehren, so bleibt uns nun die Pflicht, dem Natur- und Geschichtsfreunde vor Augen zu legen, wie in der neuern Zeit die Platonischen und Aristotelischen Überzeugungen wieder emporgehoben, wie sie verdrängt oder genutzt, wie sie vervollständigt oder verstümmelt werden mochten und wie, durch ein seltsames Schwanken älterer und neuerer Meinungsweisen, die Sache von einer Seite zur andern geschoben und zuletzt am Anfang des vorigen Jahrhunderts völlig verschoben worden.

Autorität

Indem wir nun von Überlieferung sprechen, sind wir unmittelbar aufgefordert, zugleich von Autorität zu reden. Denn genau betrachtet, so ist jede Autorität eine Art Überlieferung. Wir lassen die Existenz, die Würde, die Gewalt von irgendeinem Dinge gelten, ohne daß wir seinen Ursprung, sein Herkommen, seinen Wert deutlich einsehen und erkennen. So schätzen und ehren wir zum Beispiel die edlen Metalle beim Gebrauch des gemeinen Lebens; doch ihre großen physischen und chemischen Verdienste sind uns dabei selten gegenwärtig. So hat die Vernunft und das ihr verwandte Gewissen eine ungeheure Autorität, weil sie unergründlich sind; ingleichen das, was wir mit dem Namen Genie bezeichnen. Dagegen kann man dem Verstand gar keine Autorität zuschreiben: denn er bringt nur immer seinesgleichen hervor, so wie denn offenbar aller Verstandesunterricht zur Anarchie führt.

Gegen die Autorität verhält sich der Mensch, so wie gegen vieles andere, beständig schwankend. Er fühlt in seiner Dürftigkeit, daß er, ohne sich auf etwas Drittes zu stützen, mit seinen Kräften nicht auslangt. Dann aber, wenn das Gefühl seiner Macht und Herrlichkeit in ihm aufgeht, stößt er das Hülfreiche von sich und glaubt, für sich selbst und andre hinzureichen.

Das Kind bequemt sich meist mit Ergebung unter die Autorität der Eltern; der Knabe sträubt sich dagegen; der Jüngling entflieht ihr, und der Mann läßt sie wieder gelten, weil er sich deren mehr oder weniger selbst verschafft, weil die Erfahrung ihn gelehrt hat, daß er ohne Mitwirkung anderer doch nur wenig ausrichte.

Ebenso schwankt die Menschheit im ganzen. Bald sehen wir um einen vorzüglichen Mann sich Freunde, Schüler, Anhänger, Begleiter, Mitlebende, Mitwohnende, Mitstreitende versammeln. Bald fällt eine solche Gesellschaft, ein solches Reich wieder in vielerlei Einzelnheiten auseinander. Bald werden Monumente älterer Zeiten, Dokumente früherer Gesinnungen, göttlich verehrt, buchstäblich aufgenommen; jedermann gibt seine Sinne, seinen Verstand darunter gefangen; alle Kräfte werden aufgewendet, das Schätzbare solcher Überreste darzutun, sie bekannt zu machen, zu kommentieren, zu erläutern, zu erklären, zu verbreiten und fortzupflanzen. Bald tritt dagegen, wie jene bilderstürmende, so hier eine schriftstürmende Wut ein; es täte not, man vertilgte bis auf die letzte Spur das, was bisher so großen Wertes geachtet wurde. Kein ehmals ausgesprochenes Wort soll gelten, alles, was weise war, soll als närrisch erkannt werden, was heilsam war, als schädlich, was sich lange Zeit als für derlich zeigte, nunmehr als eigentliches Hindernis.

Die Epochen der Naturwissenschaften im allgemeinen und der Farbenlehre insbesondre, werden uns ein solches Schwanken auf mehr als eine Weise bemerklich machen. Wir werden sehen, wie dem menschlichen Geist das aufgehäufte Vergangene höchst lästig wird zu einer Zeit, wo das Neue, das Gegenwärtige gleichfalls gewaltsam einzudringen anfängt, wie er die alten Reichtümer aus Verlegenheit, Instinkt, ja aus Maxime wegwirft, wie er wähnt, man könne das Neuzuerfahrende durch bloße Erfahrung in seine Gewalt bekommen: wie man aber bald wieder genötigt wird, Räsonnement und Methode, Hypothese und Theorie zu Hülfe zu rufen, wie man dadurch abermals in Verwirrung, Kontrovers, Meinungenwechsel, und früher oder später aus der eingebildeten Freiheit wieder unter den ehernen Zepter einer aufgedrungenen Autorität fällt.

Alles, was wir an Materialien zur Geschichte, was wir Geschichtliches einzeln ausgearbeitet zugleich überliefern, wird nur der Kommentar zu dem Vorgesagten sein. Die Naturwissenschaften haben sich bewundernswürdig erweitert, aber keinesweges in einem stetigen Gange, auch nicht einmal stufenweise, sondern durch Auf- und Absteigen, durch Vor- und Rückwärtswandeln in grader Linie oder in der Spirale, wobei sich denn von selbst versteht, daß man in jeder Epoche über seine Vorgänger weit erhaben zu sein glaubte. Doch wir dürfen künftigen Betrachtungen nicht vorgreifen. Da wir die Teilnehmenden durch einen labyrinthischen Garten zu führen haben, so müssen wir ihnen und uns das Vergnügen mancher überraschenden Aussicht vorbehalten.

Wenn nun derjenige, wo nicht für den Vorzüglichsten, doch für den Begabtesten und Glücklichsten zu halten wäre, der Ausdauer, Lust, Selbstverleugnung genug hätte, sich mit dem Überlieferten völlig bekannt zu machen, und dabei noch Kraft und Mut genug behielte, sein originelles Wesen selbständig auszubilden und das vielfach Aufgenommene nach seiner Weise zu bearbeiten und zu beleben: wie erfreulich muß es nicht sein, wenn dergleichen Männer in der Geschichte der Wissenschaften uns, wiewohl selten genug, wirklich begegnen. Ein solcher ist derjenige, zu dem wir uns nun wenden, der uns vor vielen andern trefflichen Männern aus einer zwar regsamen, aber doch immer noch trüben Zeit, lebhaft und freudig entgegen tritt.

Roger Bacon

von 1216 bis 1294

Die in Britannien durch Römerherrschaft gewirkte Kultur, diejenige, welche früh genug durch das Christentum daselbst eingeleitet worden, verlor sich nur gar zu bald, vernichtet durch den Zudrang wilder Inselnachbarn und seeräuberischer Scharen. Bei zurückkehrender, obgleich oft gestörter Ruhe fand sich auch die Religion wieder ein und wirkte auf eine vorzügliche Weise zum Guten. Treffliche Männer bildeten sich aus zu Aposteln ihres eigenen Vaterlandes, ja des Auslandes. Klöster wurden gestiftet, Schulen eingerichtet, und jede Art besserer Bildung schien sich in diese abgesonderten Länder zu flüchten, sich daselbst zu bewahren und zu steigern.

Roger Bacon war in einer Epoche geboren, welche wir die des Werdens, der freien Ausbildung der einzelnen nebeneinander genannt haben; für einen Geist wie der seine, in der glücklichsten. Sein eigentliches Geburtsjahr ist ungewiß, aber die Magna Charta war bereits unterzeichnet (1215), als er zur Welt kam, jener große Freiheitsbrief, der durch die Zusätze nachfolgender Zeiten das wahre Fundament neuer englischer Nationalfreiheit geworden. So sehr auch der Klerus und die Baronen für ihren Vorteil dabei mochten gesorgt haben, so gewann doch der Bürgerstand dadurch außerordentlich, daß freier Handel gestattet, besonders der Verkehr mit Auswärtigen völlig ungehindert sein sollte, daß die Gerichtsverfassung verbessert ward, daß der Gerichtshof nicht mehr dem Könige folgen, sondern stets an einem Orte Sitz haben, daß kein freier Mann sollte gefangen gehalten, verbannt oder auf irgendeine Weise an Freiheit und Leben angegriffen werden; es sei denn, seinesgleichen hätten über ihn gesprochen, oder es geschähe nach dem Recht des Landes.

Was auch noch in der Verfassung zu wünschen übrig blieb, was in der Ausführung mangeln, was durch politische Stürme erschüttert werden mochte, die Nation war im Vorschreiten, und Roger brachte sein höheres Alter unter der Regierung Königs Eduard des Ersten zu, wo die Wissenschaften aller Art einen beträchtlichen Fortgang nahmen und großen Einfluß auf eine vollkommnere Justiz- und Polizeiverfassung hatten. Der dritte Stand wurde mehr und mehr begünstigt, und einige Jahre nach Rogers Tode (1297) erhielt die Magna Charta einen Zusatz zugunsten der Volksklasse.

Obgleich Roger nur ein Mönch war und sich in dem Bezirk seines Klosters halten mochte, so dringt doch der Hauch solcher Umgebungen durch alle Mauern, und gewiß verdankt er gedachten nationellen Anlagen, daß sein Geist sich über die trüben Vorurteile der Zeit erheben und der Zukunft voreilen konnte. Er war von der Natur mit einem geregelten Charakter begabt, mit einem solchen, der für sich und andre Sicherheit will, sucht und findet. Seine Schriften zeugen von großer Ruhe, Besonnenheit und Klarheit. Er schätzt die Autorität, verkennt aber nicht das Verworrene und Schwankende der Überlieferung. Er ist überzeugt von der Möglichkeit einer Einsicht in Sinnliches und Übersinnliches, Weltliches und Göttliches.

Zuvörderst weiß er das Zeugnis der Sinne gehörig anzuerkennen; doch bleibt ihm nicht unbewußt, daß die Natur dem bloß sinnlichen Menschen vieles verberge. Er wünscht daher tiefer einzudringen und wird gewahr, daß er die Kräfte und Mittel hiezu in seinem eigenen Geiste suchen muß. Hier begegnet seinem kindlichen Sinne die Mathematik als ein einfaches, eingebornes, aus ihm selbst hervorspringendes Werkzeug, welches er umso mehr ergreift, als man schon so lange alles Eigene vernachlässigt, die Überlieferung auf eine seltsame Weise übereinander gehäuft und sie dadurch gewissermaßen in sich selbst zerstört hatte.

Er gebraucht nunmehr sein Organ, um die Vorgänger zu beurteilen, die Natur zu betasten, und zufrieden mit der Weise, nach der ihm manches gelingt, erklärt er die Mathematik zu dem Hauptschlüssel aller wissenschaftlichen Verborgenheiten.

Je nachdem nun die Gegenstände sind, mit welchen er sich beschäftigt, danach ist auch das Gelingen. In den einfachsten physischen Fällen löst die Formel das Problem, in komplizierteren ist sie wohl behülflich, deutet auf den Weg, bringt uns näher, aber sie dringt nicht mehr auf den Grund. In den höheren Fällen und nun gar im Organischen und Moralischen bleibt sie ein bloßes Symbol.

Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, sehr gehaltvoll ist, auch nichts fehlt, was den sinnenden Menschen interessieren kann, ob er sich schon mit großer Ehrfurcht den erhabenen Gegenständen des Universums nähert, so muß er doch den einzelnen Teilen des Wißbaren und Ausführbaren, einzelnen Wissenschaften und Künsten unrecht tun, um seine These durchzusetzen. Was in ihnen eigentümlich, fundamental und elementar gewiß ist, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die Seite, die sie gegen die Mathematik bieten. So löst er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Musik auf und erklärt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer Demonstrationen für die bessere Logik.

Indem er nun zwar parteiisch aber keinesweges Pedant ist, so fühlt er sehr bald, wo seine Grundmaximen (canones), mit denen er alles ausrichten will, nicht hinreichen, und es scheint ihm selbst nicht recht Ernst zu sein, wenn er seinen mathematisch-physischen Maßstab geistigen und göttlichen Dingen anpassen und durch ein witziges Bilderspiel das, was nicht ineinander greift, zusammenhängen will.

Bei alledem läßt ihn sein großes Sicherheitsbedürfnis durchaus feste und entschiedene Schritte tun. Was die Alten erfahren und gedacht, was er selbst gefunden und ersonnen, das alles bringt er nicht gerade streng methodisch, aber doch in einem sehr faßlichen naiven Vortrag, uns vor Seel’ und Gemüt. Alles hängt zusammen, alles hat die schönste Folge, und indem das Bekannte klar vor ihm liegt, so ist ihm auch das Unbekannte selbst nicht fremd; daher er denn voraussieht, was noch künftig zu leisten ist und was erst einige Jahrhunderte nachher, durch fortschreitende Beobachtung der Natur und durch eine immer verfeinerte Technik, wirklich geleistet worden.

Wir lassen ihn seine allgemeinen Grundsätze selbst, vortragen, sowohl weil es interessant ist, sie an und für sich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch Gelegenheit finden, unsere Überzeugungen in seinem Sinne auszusprechen.

»Es gibt mancherlei, das wir geradehin und leicht erkennen; anderes aber, das für uns verborgen ist, welches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Dergleichen sind alle höhere Wesen, Gott und die Engel, als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hinreichen. Aber es findet sich daß wir auch einen Sinn haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was der Natur bekannt ist, und dieser ist der mathematische: denn durch diesen erkennen wir auch die höheren Wesen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen auf diesem Wege zur Erkenntnis der übrigen erhabenen Naturen, und zwar auch auf eine einfache und leichte Weise.«

»Alle natürlichen Dinge werden zum Dasein gebracht durch ein Wirksames und durch eine Materie, auf welche jenes seine Tätigkeit ausübt: denn diese beiden treffen zu allererst zusammen. Denn das Handelnde durch seine Tugend bewegt und verwandelt die Materie, daß sie eine Sache werde, aber die Wahrheit des Wirksamen und der Materie können wir nicht einsehen ohne große Gewalt der Mathematik, ja nicht einmal die hervorgebrachten Wirkungen. Diese drei sind also zu beachten, das Wirkende, die Materie und das Gewirkte.

Alles Wirksame handelt durch seine Tugend, die es in der untergelegten Materie zur Wirklichkeit bringt. Eine solche (abgeleitete) Tugend wird ein Gleichnis, ein Bild, ein Artiges genannt und sonst noch auf mancherlei Weise bezeichnet. Dieses aber wird sowohl durch die Wesenheit als durch das Zufällige, durch das Geistige wie durch das Körperliche hervorgebracht, durch die Wesenheit aber mehr als durch das Zufällige, durch das Geistige mehr als durch das Körperliche; und dieses Gleichartige macht alle Wirkungen dieser Welt: denn es wirkt auf den Sinn, auf den Geist und auf die ganze Materie der Welt durch Erzeugung der Dinge. Und so bringt ein natürlich Wirksames immer ein und dasselbe hervor, es mag wirken, worauf es will, weil es hier nicht etwa überlegen und wählen kann, sondern was ihm vorkommt, macht es zu seinesgleichen. Wirkt es auf Sinne und Verstandeskräfte, so entsteht das Bild, das Gleichartige, wie ein jeder weiß, aber auch in der Materie wird dieses Gleichnis gewirkt. Und diejenigen wirksamen Wesen, welche Vernunft und Verstand haben, wenn sie gleich vieles aus Überlegung und Wahl des Willens tun, so ist doch diese Wirkung, die Erzeugung des Gleichnisses, ihnen so gut natürlich als andern Wesen, und so vervielfältigt die Wesenheit der Seele ihre Tugend im Körper und außerhalb des Körpers, und ein jeder Körper schafft auch außer sich seine Tugenden, und die Engel bewegen die Welt durch dergleichen Tugenden.

Aber Gott schafft die Tugenden aus Nichts, die er alsdann in den Dingen vervielfältigt. Die erschaffenen wirksamen Wesen vermögen dies nicht, sondern leisten das ihre auf andre Weise, wobei wir uns gegenwärtig nicht aufhalten können. Nur wiederholen wir, daß die Tugenden wirksamer Wesen in dieser Welt alles hervorbringen. Dabei ist aber zweierlei zu bemerken: erstlich die Vervielfältigung des Gleichnisses und der Tugend, von dem Ursprung ihrer Zeugung her; zweitens das mannigfaltige Wirken in dieser Welt, wodurch Fortzeugung und Verderbnis entsteht. Das zweite läßt sich nicht ohne das erste begreifen, deshalb wir uns zuerst an die Vervielfältigung wenden.«

Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfältigung der ursprünglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Figuren und so fort auf mathematische Weise zu bewirken, ist höchst bedeutend und erfreulich. Besonders gelingt es ihm, die fortschreitende Wirkung physischer und mechanischer Kräfte, die wachsende Mitteilung erster Anstöße, vorzüglich auch die Rückwirkungen, auf eine folgerechte und heitre Weise abzuleiten. So einfach seine Maximen sind, so fruchtbar zeigen sie sich in der Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines freies Gemüt sehr zufrieden sein konnte, auf solche Weise sich von himmlischen und irdischen Dingen Rechenschaft zu geben.

Von Farben spricht er nur gelegentlich. Auch er setzt sie voraus und erwähnt ihrer mehr beispielsweise und zu Erläuterung anderer Erscheinungen, als daß er sie selbst zu ergründen suchte. Wir könnten es also hier bei dem Gesagten bewenden lassen. Damit aber doch etwas geschehe, so versetzen wir uns im Geist an seine Stelle, nehmen an, das Büchlein von Theophrast sei ihm bekannt gewesen, was die Griechen eingesehen, sei auch ihm zur Überzeugung geworden, ihm wäre nicht entgangen, worauf es eigentlich bei der Sache ankomme, und so hätte er nachstehende kurze Farbenlehre, seinen Maximen gemäß, verfassen können, die auch uns ganz willkommen sein würde.

Das Licht ist eine der ursprünglichen, von Gott erschaffenen Kräfte und Tugenden, welches sein Gleichnis in der Materie darzustellen sich bestrebt. Dieses geschieht auf mancherlei Weise, für unser Auge aber folgendermaßen.

Das reine Materielle, insofern wir es mit Augen erblicken, ist entweder durchsichtig, oder undurchsichtig, oder halbdurchsichtig. Das letzte nennen wir trübe. Wenn nun die Tugend des Lichts durch das Trübe hindurchstrebt, so daß seine ursprüngliche Kraft zwar immer aufgehalten wird, jedoch aber immer fortwirkt, so erscheint sein Gleichnis Gelb und Gelbrot; setzt aber ein Finsteres dem Trüben Grenze, so daß des Lichts Tugend nicht fortzuschreiten vermag, sondern aus dem erhellten Trüben als ein Abglanz zurückkehrt, so ist dessen Gleichnis Blau und Blaurot.

Ähnliches begegnet bei durchsichtigen und undurchsichtigen Körpern, ja im Auge selbst.

Diese Wirkungen sind sehr einfach und beschränkt. Die Unendlichkeit und Unzähligkeit der Farben aber erzeugt sich aus der Mischung und daß die ursprünglichen Farben abermals ihr Gleichnis in der Materie und sonst hervorbringen, welches denn, wie alles Abgeleitete, unreiner und ungewisser erscheint; wobei wir jedoch zu bedenken haben, daß eben durch dieses Abgeleitete, durch dieses Bild vom Bilde, durch das Gleichnis vom Gleichnis, das meiste geschieht und eben dadurch das völlige Verschwinden der ersten Tugend, Verderbnis und Untergang möglich wird.

Nachstehendes kann zum Teil als Wiederholung, zum Teil als weitre Aus- und Fortbildung des oben Gesagten angesehen werden; sodann aber mag man entschuldigen, daß hier abermals gelegentlich erregte Gedanken mit aufgeführt sind.

Die Schriften Bacons zeugen von großer Ruhe und Besonnenheit. Er fühlte sehr tief den Kampf, den er mit der Natur und mit der Überlieferung zu bestehen hat. Er wird gewahr, daß er die Kräfte und Mittel hiezu bei sich selbst suchen muß. Hier findet er die Mathematik als ein sicheres, aus seinem Innern hervorspringendes Werkzeug. Er operiert mit demselben gegen die Natur und gegen seine Vorgänger, sein Unternehmen glückt ihm und er überzeugt sich, daß Mathematik den Grund zu allem Wissenschaftlichen lege.

Hat ihm jedoch dieses Organ bei allem Meßbaren gehörige Dienste geleistet, so findet er bald bei seinem zarten Gefühle, daß es Regionen gebe, wo es nicht hinreicht. Er spricht sehr deutlich aus, daß sie in solchen Fällen als eine Art von Symbolik zu brauchen sei; aber in der Ausführung selbst vermischt er den reellen Dienst, den sie ihm leistet, mit dem symbolischen; wenigstens knüpft er beide Arten so genau zusammen, daß er beiden denselben Grad von Überzeugung zuschreibt, obgleich sein Symbolisieren manchmal bloß auf ein Witzspiel hinausläuft. In diesem wenigen sind alle seine Tugenden und alle seine Fehler begriffen.

Man halte diese Ansicht fest und man wird sich überzeugen, daß es eine falsche Anwendung der reinen Mathematik und ebenso eine falsche Anwendung der angewandten Mathematik gebe. Offenbar ist die Astrologie aus der Astronomie durch den eben gerügten Mißgriff entstanden, indem man aus den Wirkungen bekannter Kräfte auf die Wirkungen unbekannter schloß und beide als gleichgeltende behandelte.

Man sehe, wie Baco das Mathematische geistigen und geistlichen Dingen annähern will durch ein anmutiges heiteres Zahlenspiel.

Ein großer Teil dessen, was man gewöhnlich Aberglauben nennt, ist aus einer falschen Anwendung der Mathematik entstanden, deswegen ja auch der Name eines Mathematikers mit dem eines Wahnkünstlers und Astrologen gleich galt. Man erinnere sich der Signatur der Dinge, der Chiromantie, der Punktierkunst, selbst des Höllenzwangs; alle dieses Unwesen nimmt seinen wüsten Schein von der klarsten aller Wissenschaften, seine Verworrenheit von der exaktesten. Man hat daher nichts für verderblicher zu halten, als daß man, wie in der neuern Zeit abermals geschieht, die Mathematik aus der Vernunft- und Verstandesregion, wo ihr Sitz ist, in die Region der Phantasie und Sinnlichkeit freventlich herüberzieht.

Dunklen Zeiten sind solche Mißgriffe nachzusehen; sie gehören mit zum Charakter. Denn eigentlich ergreift der Aberglaube nur falsche Mittel, um ein wahres Bedürfnis zu befriedigen, und ist deswegen weder so scheltenswert, als er gehalten wird, noch so selten in den sogenannten aufgeklärten Jahrhunderten und bei aufgeklärten Menschen.

Denn wer kann sagen, daß er seine unerläßlichen Bedürfnisse immer auf eine reine, richtige, wahre, untadelhafte und vollständige Weise befriedige; daß er sich nicht neben dem ernstesten Tun und Leisten, wie mit Glauben und Hoffnung, so auch mit Aberglauben und Wahn, Leichtsinn und Vorurteil hinhalte.

Wieviel falsche Formeln zu Erklärung wahrer und unleugbarer Phänomene finden sich nicht durch alle Jahrhunderte bis zu uns herauf. Die Schriften Luthers enthalten, wenn man will, viel mehr Aberglauben als die unsers englischen Mönchs. Wie bequem macht sichs nicht Luther durch seinen Teufel, den er überall bei der Hand hat, die wichtigsten Phänomene der allgemeinen und besonders der menschlichen Natur auf eine oberflächliche und barbarische Weise zu erklären und zu beseitigen; und doch ist und bleibt er, der er war, außerordentlich für seine und für künftige Zeiten. Bei ihm kam es auf Tat an; er fühlte den Konflikt, in dem er sich befand, nur allzu lästig, und indem er sich das ihm Widerstrebende recht häßlich, mit Hörnern, Schwanz und Klauen dachte, so wurde sein heroisches Gemüt nur desto lebhafter aufgeregt, dem Feindseligen zu begegnen und das Gehaßte zu vertilgen.

An jene Neigung Roger Bacons, das Unbekannte durch das Bekannte aufzulösen, das Ferne durch das Nahe zu gewältigen, wodurch sich eben sein vorzüglicher Geist legitimiert, schließt sich eine Eigenheit an, welche genau beachtet zu werden verdient, weil sie schon früher historische Zweifel erregt hat. Aus gewissen Eigenschaften der Körper, die ihm bekannt sind, aus gewissen Folgen, die sich von ihrer Verbindung oder von einer gewissen bestimmten Form hoffen lassen, folgert er so richtig, daß er über das, was zu seiner Zeit geleistet war, weit hinausgeht und von Dingen spricht, als wenn sie schon geleistet wären. Das Schießpulver, besonders aber die Fernröhre, behandelt er so genau, daß wir uns überzeugt halten müssen, er habe sie vor sich gehabt, zumal da er ja schon geschliffene Kugeln, Abschnitte von Kugeln in Glas besessen.

Allein wem bekannt ist, wie der Menschengeist voreilen kann, ehe ihm die Technik nachkommt, der wird auch hier nichts Unerhörtes finden.

Und so wagen wir zu behaupten, daß es nur Folgerungen bei ihm gewesen. Auch hier bei der angewandten Mathematik geht es ihm wie bei der reinen. Wie er jene anwendete, wo sie nicht hingehörte, so traut er dieser zu, was sie nicht leisten kann.

Durch die von ihm beschriebenen Gläser soll man nicht allein die entferntesten Gegenstände ganz nah, die kleinsten ungeheuer groß im eignen Auge wahrnehmen, sondern diese und andre Bilder sollen auch hinaus in die Luft, in die Atmosphäre geworfen einer Menge zur Erscheinung kommen. Zwar ist auch dieses nicht ohne Grund. So mancherlei Naturerscheinungen, die auf Refraktion und Reflexion beruhen, die viel später erfundene Camera obscura, die Zauberlaterne, das Sonnenmikroskop und ihre verschiedenen Anwendungen haben sein Vorausgesagtes fast buchstäblich wahr gemacht, weil er alle diese Folgen voraussah. Aber die Art, wie er sich über diese Dinge äußert, zeigt, daß sein Apparat nur in seinem Geiste gewirkt und daß daher manche imaginäre Resultate entsprungen sein mögen.

Zunächst bemerken wir, daß er, wie alle Erfinder, weitschauende und geistig lebhaft wirkende Menschen, von seinen Zeitgenossen angegangen worden, auch unmittelbar etwas zu ihrem Nutzen zu tun. Der Mensch ist so ein lust- und hülfsbedürftiges Wesen, daß man ihm nicht verargen kann, wenn er sich überall umsieht wo er im Glück einigen Spaß und in der Bedrängtheit einigen Beistand finden kann.

Den Mathematikern sind von jeher die Kriegshelden auf der Spur gewesen, weil man seine Macht gern mechanisch vermehren und jeder Übermacht große Wirkungen mit geringen Kräften entgegensetzen möchte. Daher findet sich bei Baco die Wiederholung älterer und die Zusicherung neuer dergleichen Hülfsmittel. Brennspiegel, um in der Ferne die Sonnenstrahlen zu konzentrieren, Vervielfältigungsspiegel, wodurch dem Feinde wenige Truppen als eine große Anzahl erschienen, und andre solche Dinge kommen bei ihm vor, die wunderbar genug aussehen, und die dennoch bei erhöhter Technik, geübtester Taschenspielerkunst, und auf andre Weise wenigstens zum Teil möglich gemacht worden.

Daß man ihn der Irrlehre angeklagt, das Schicksal hat er mit allen denen gemein, die ihrer Zeit vorlaufen; daß man ihn der Zauberei bezichtigt, war damals ganz natürlich. Aber seine Zeit nicht allein beging diese Übereilung, daß sie das, was tiefen, unbekannten, festgegründeten, konsequenten, ewigen Naturkräften möglich ist, als dem Willen und der Willkür unterworfen, als zufällig herbeigerufen, im Widerstreit mit Gott und der Natur gelten ließ.

Auch hierüber ist der Mensch weder zu schelten noch zu bedauern: denn diese Art von Aberglauben wird er nicht los werden, solange die Menschheit existiert. Ein solcher Aberglaube erscheint immer wieder, nur unter einer andern Form. Der Mensch sieht nur die Wirkungen, die Ursachen, selbst die nächsten, sind ihm unbekannt; nur sehr wenige, tiefer dringende, erfahrene, aufmerkende werden allenfalls gewahr, woher die Wirkung entspringe.

Man hat oft gesagt und mit Recht, der Unglaube sei ein umgekehrter Aberglaube, und an dem letzten möchte gerade unsere Zeit vorzüglich leiden. Eine edle Tat wird dem Eigennutz, eine heroische Handlung der Eitelkeit, das unleugbare poetische Produkt einem fieberhaften Zustande zugeschrieben; ja was noch wunderlicher ist, das Allervorzüglichste, was hervortritt, das Allermerkwürdigste, was begegnet, wird solange als nur möglich ist, verneint.

Dieser Wahnsinn unserer Zeit ist auf alle Fälle schlimmer, als wenn man das Außerordentliche, weil es nun einmal geschah, gezwungen zugab und es dem Teufel zuschrieb. Der Aberglaube ist ein Erbteil energischer, großtätiger, fortschreitender Naturen; der Unglaube das Eigentum schwacher, kleingesinnter, zurückschreitender, auf sich selbst beschränkter Menschen. Jene lieben das Erstaunen, weil das Gefühl des Erhabenen dadurch in ihnen erregt wird, dessen ihre Seele fähig ist, und da dies nicht ohne eine gewisse Apprehension geschieht, so spiegelt sich ihnen dabei leicht ein böses Prinzip vor. Eine ohnmächtige Generation aber wird durchs Erhabene zerstört, und da man niemanden zumuten kann, sich willig zerstören zu lassen, so haben sie völlig das Recht, das Große und Übergroße, wenn es neben ihnen wirkt, so lange zu leugnen, bis es historisch wird, da es denn aus gehöriger Entfernung in gedämpftem Glanze leidlicher anzuschauen sein mag.

Nachlese

Unter dieser Rubrik mag das wenige Platz nehmen, was wir in unsern Kollektaneen, den erst besprochenen Zeitpunkt betreffend, vorgefunden haben.

Von den Arabern ist mir nicht bekannt geworden, daß sie eine theoretische Aufmerksamkeit auf die Farbe geworfen hätten. Averroes und Avempace mögen, wie aus einigen Zitaten zu vermuten ist, bei Gelegenheit, daß sie den Aristoteles kommentiert, etwas beiläufig darüber geäußert haben. Das Büchlein des Theophrast scheint ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein. Alhazen, von dem ein optischer Traktat auf uns gekommen, beschäftigt sich mit den Gesetzen des Sehens überhaupt; doch war ihm der im Auge bleibende Eindruck eines angeschauten Bildes bekannt geworden.

Überhaupt war dieses physiologische Phänomen des bleibenden, ja des farbig abklingenden Lichteindruckes rein sinnlichen Naturen jener Zeit nicht verborgen geblieben, weshalb wir eine Stelle des Augustinus und eine des Themistius als Zeugnis anführen.

Augustinus

Wenn wir eine Zeitlang irgendein Licht anschauen und sodann die Augen schließen, so schweben vor unserm Blick gewisse leuchtende Farben, die sich verschiedentlich verändern und nach und nach weniger glänzen, bis sie zuletzt gänzlich verschwinden. Diese können wir für das Überbleibende jener Form halten, welche in dem Sinn erregt ward, indem wir das leuchtende Bild erblickten.

Themistius

Wenn jemand den Blick von einem Gegenstande, den er aufs schärfste betrachtet hat, wegwendet, so wird ihn doch die Gestalt der Sache, die er anschaute, begleiten, als wenn der frühere Anstoß die Augen bestimmt und in Besitz genommen hätte. Deshalb, wenn jemand aus dem Sonnenschein sich ins Finstere begibt, sehen die vor großem Glanz irre gewordenen Augen nichts; auch wenn du etwas sehr Glänzendes oder Grünes länger angesehen, so wird alles was dir hernach in die Augen fällt, gleichfarbig erscheinen. Nicht weniger, wenn du die Augen gegen die Sonne, oder sonst etwas Glänzendes richtest und sodann zudrückst, so wirst du eine Farbe sehen, wie etwa Weiß oder Grün, welche sich alsdann in Hochrot verwandelt, sodann in Purpur, nachher in andre Farben, zuletzt ins Schwarze, von da an aber abnimmt und verschwindet. Gleichermaßen zerrüttet auch das, was sich schnell bewegt, unsere Augen, so daß, wenn du in einen reißenden Strom hinabsiehst, eine Art von Schäumen und Schwindel in dir entsteht und auch das Stillstehende sich vor dir zu bewegen scheint.

Lust am Geheimnis

Das Überlieferte war schon zu einer großen Masse angewachsen, die Schriften aber, die es enthielten, nur im Besitz von wenigen; jene Schätze, die von Griechen, Römern und Arabern übrig geblieben waren, sah man nur durch einen Flor; die vermittelnden Kenntnisse mangelten; es fehlte völlig an Kritik; apokryphische Schriften galten den echten gleich, ja es fand sich mehr Neigung zu jenen als zu diesen.

Ebenso drängten sich die Beobachtungen einer erst wieder neu und frisch erblickten Natur auf. Wer wollte sie sondern, ordnen und nutzen. Was jeder einzelne erfahren hatte, wollte er auch sich zu Vorteil und Ehre gebrauchen; beides wird mehr durch Vorurteile als durch Wahrhaftigkeit erlangt. Wie nun die früheren, um die Gewandtheit ihrer dialektischen Formen zu zeigen, auf allen Kathedern sich öffentlich hören ließen, so fühlte man später, daß man mit einem gehaltreichen Besitz Ursach hatte, sparsamer umzugehen. Man verbarg, was dem Verbergenden selbst noch halb verborgen war, und weil es bei einem großen Ernst an einer vollkommnen Einsicht in die Sache fehlte, so entstand, was uns bei Betrachtung jener Bemühungen irre macht und verwirrt, der seltsame Fall, daß man verwechselte, was sich zu esoterischer und was sich zu exoterischer Überlieferung qualifiziert. Man verhehlte das Gemeine und sprach das Ungemeine laut, wiederholt und dringend aus.

Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen, die mancherlei Arten dieses Versteckens näher zu betrachten. Symbolik, Allegorie, Rätsel, Attrape, Chiffrieren wurden in Übung gesetzt. Apprehension gegen Kunstverwandte, Marktschreierei, Dünkel, Witz und Geist hatten alle gleiches Interesse, sich auf diese Weise zu üben und geltend zu machen, so daß der Gebrauch dieser Verheimlichungskünste sehr lebhaft bis in das siebzehnte Jahrhundert hinübergeht und sich zum Teil noch in den Kanzleien der Diplomatiker erhält.

Aber auch bei dieser Gelegenheit können wir nicht umhin, unsern Roger Baco, von dem nicht genug Gutes zu sagen ist, höchlich zu rühmen, daß er sich dieser falschen und schiefen Überlieferungsweise gänzlich enthalten, so sehr, daß wir wohl behaupten können, der Schluß seiner höchst schätzbaren Schrift de mirabili potestate artis et naturae gehöre nicht ihm, sondern einem Verfälscher, der dadurch diesen kleinen Traktat an eine Reihe alchimistischer Schriften anschließen wollen.

An dieser Stelle müssen wir manches, was sich in unsern Kollektaneen vorfindet, beiseite legen, weil es uns zu weit von dem vorgesteckten Ziele ablenken würde. Vielleicht zeigt sich eine andere Gelegenheit, die Lücke, die auch hier abermals entsteht, auf eine schickliche Weise auszufüllen.

 
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Vierte Abteilung: Sechzehntes Jahrhundert

Eine geschichtliche Darstellung nach Jahrhunderten einzuteilen, hat seine Unbequemlichkeit. Mit keinem schneiden sich die Begebenheiten rein ab; Menschenleben und -handeln greift aus einem ins andre; aber alle Einteilungsgründe, wenn man sie genau besieht, sind doch nur von irgendeinem Überwiegenden hergenommen. Gewisse Wirkungen zeigen sich entschieden in einem gewissen Jahrhundert, ohne daß man die Vorbereitung verkennen oder die Nachwirkung leugnen möchte. Bei der Farbenlehre geben uns die drei nunmehr aufeinander folgenden Jahrhunderte Gelegenheit, das, was wir vorzutragen haben, in gehöriger Absonderung und Verknüpfung darzustellen.

Daß wir in der sogenannten mittlern Zeit für Farbe und Farbenlehre wenig gewonnen, liegt in dem Vorhergehenden nur allzu deutlich am Tage. Vielleicht glückt es denjenigen, die sich mit den Denkmalen jener Zeit genauer bekannt machen, noch einiges aufzufinden; vielleicht kann in der Geschichte des Kolorits und der Färbekunst noch manches beigebracht werden. Für uns ging die Farbenlehre mit dem Glanz der übrigen Wissenschaften und Künste scheidend unter, um erst später wieder hervorzutreten. Wenn wir hier und da der Farbe erwähnt finden, so ist es nur gelegentlich; sie wird vorausgesetzt wie das Atemholen und Sprechen bei der Redekunst. Niemand beschäftigt sich mit ihren Elementen und Verhältnissen, bis endlich diese erfreuliche Erscheinung, die uns in der Natur so lebhaft umgibt, auch für das Bewußtsein mit den übrigen Wissenschaften aus der Überlieferung wieder hervortritt.

Je mehrere und vorzüglichere Menschen sich mit den köstlichen überlieferten Resten des Altertums beschäftigen mochten, desto energischer zeigte sich jene Funktion des Verstandes, die wir wohl die höchste nennen dürfen, die Kritik nämlich, das Absondern des Echten vom Unechten.

Dem Gefühl, der Einbildungskraft ist es ganz gleichgültig, wovon sie angeregt werden, da sie beide ganz reine Selbsttätigkeiten sind, die sich ihre Verhältnisse nach Belieben hervorbringen, nicht so dem Verstande, der Vernunft. Beide haben einen entschiedenen Bezug auf die Welt; der Verstand will sich nichts Unechtes aufbinden lassen, und die Vernunft verabscheuet es.

Dieser natürliche Abscheu vor dem Unechten und das Sonderungsvermögen sind nicht immer beisammen. Jener fühlt wohl, was er will, aber vermag es nicht immer zu beweisen; dieses will eigentlich nichts, aber das Erkannte vermag es darzutun. Es verwirft wohl ohne Abneigung und nimmt auf ohne Liebe. Vielleicht entsteht dadurch eine der Absicht gemäße Gerechtigkeit. Wenn beides jedoch, Abscheu und Sonderungsgabe, zusammenträfe, stünde die Kritik wohl auf der höchsten Stufe.

Die Bibel, als ein heiliges unantastbares Buch, entfernte von sich die Kritik, ja eine unkritische Behandlung schien ihr wohl angemessen. Den Platonischen und Aristotelischen Schriften erging es anfänglich auf ähnliche Weise. Erst später sah man sich nach einem Prüfstein um, der nicht so leicht zu finden war. Doch war man zuletzt veranlaßt, den Buchstaben dieser Werke näher zu untersuchen; mehrere Abschriften gaben zu Vergleichung Anlaß. Ein richtigeres Verstehen führte zum bessern Übersetzen. Dem geistreichen Manne mußten bei dieser Gelegenheit Emendationen in die Hand fallen und der reine Wortverstand immer bedeutender werden.

Die Farbenlehre verdankt auch diesen Bemühungen ihre neuen Anfänge, obgleich das, was auf solche Weise geschehen, für die Folge ohne sonderliche Wirkung blieb. Wir werden hier zuerst das Büchlein des Antonius Thylesius von den Farben in der Urschrift abdrucken lassen und sodann unsre Leser mit diesem Manne etwas näher bekannt machen; ferner des Simon Portius gedenken, welcher die kleine Aristotelische Schrift, deren Übersetzung wir früher eingerückt, zuerst übersetzt und kommentiert. Ihm folgt Julius Cäsar Scaliger, der im ähnlichen Sinne für uns nicht ohne Verdienst bleibt, so wie wir denn auch bei dieser Gelegenheit den Aufsatz über Farbenbenennung, den wir auf der 282. Seite eingeschaltet, wieder in Erinnerung zu bringen haben.

Antonii Thylesii de Coloribus Libellus

Dicam aliquid de coloribus in hoc libello, non quidem unde conficiantur aut quae sit eorum natura: neque enim pictoribus haec traduntur aut philosophis, sed tantum philologis, qui Latini sermonis elegantiam studiose inquirunt. Scribam omnia breviter et accurate, ac rerum ipsarum nomina, quo statim colores intelligantur, singulis apponam.

1. Coeruleus. Exordiar primum a coeruleo: quo nisi natura ipsa maxime gauderet, nunquam profecto deorum hoc domicilium

Continuo circum complexu cuncta coercens, specie tam laeta universum exhilarasset: reliquos deinde contexam. Coeruleus igitur dictus quasi coeluleus, ut ex voce ipsa apparet, proprie color est coeli, sed sereni: id quod Ennius respiciens, Coeli inquit, coerula templa. Atque inde ab omnibus mare appellatur coeruleum: refert enim illud eundem quem ab ipso superne accipit coeli nitorem. Quare ex antiquis nonnulli, ut alterum Homeri opus, propter caedes, de quibus illic poeta loquitur, colore exornabant sanguineo: sic Odysseam, ubi Ulyssis idem maritimos scribit errores, membrana contegebant coerulea. Sed quoniam coerulei quaedam species est pene nigra, ut quod Indicum dicitur, eoque olim vestitu Graecae mulieres amictae producebant eorum funera, quorum in coelum animas migrasse coeruleum existimabant: idcirco pro tristi nonnunquam capitur, ut apud Virgilium puppis coerulea Charontis, imberque et sol coeruleus. Cucumis autem coeruleus, nam id quoque legitur, melopeponem significat, qui inter cucumeres, (multa enim sunt eorum genera,) pulcherrimus est. Nec tantum coerulei videtur particeps, sed ipsius quoque mundi gradus, introrsum versus, attenuatos ostendit, ut hoc olim de eo lusimus,

Quis neget e coelo missum formamque coloremque

Atque gradus coeli nectaris atque refert.

Est enim sapore suavissimo. Sine ulla dubitatione, quod nos coeruleum, Graeci dicunt cyaneum, in quorum etiam commentariis lazuarion invenio. Adscribitur huic generi, qui venetus olim nunc vulgo blavus nuncupatur, color ex factione Circensi valde nobilitatus. Fuerunt autem colores in Circo, praeter hunc venetum, roseus, albus et prasinus: quibus auratus postea, purpureus et luteus additi sunt. De iis suo loco dicemus.

2. Caesius. Caesius vero si dictus esset, ut doctissimi viri monumentis olim tradiderunt, quasi coelius a coelo, eadem foret in coelo et caesio diphthongus. Constat autem esse in iis vocibus diversam: nihil praeterea differret a coeruleo, quando id, ut ostendimus, a coelo deductum est: differt autem sine dubio, vel ex ipsius M. Tullii auctoritate, cuius haec sunt verba in primo de natura deorum libro, Caesios oculos Minervae, coeruleos esse Neptuni. Ad haec non quemadmodum legimus coelum, mare, vestem, florem coeruleum: ita legimus coelum, mare, vestem, florem caesium: sed oculos tantum caesios veteres dixerunt, quibus inest fulgor quidam visu horrendus. Unde existimo, sicut Caesar et Caeso dicuntur a caedendo: ita caesium a caede nominatum esse: ut qui caesius sit, caedem quodammodo oculis minari videatur: qualis proelio gaudens et caede dicitur fuisse Minerva, ex quo illa ab antiquis vocata fuit, ut ego arbitror, caesia. Significat hoc M. Cicero, ubi de Catilina ait: Notat et designat oculis ad caedem unumquemque nostrum. Hic qui oculis ad caedem Senatores designabat, caesius erat. Cuius etiam oculos Sallustius, insignis historicus, fuisse tradidit foedos, id est caesios. Cuiusmodi memoriae proditum est Neronis quoque oculos fuisse: quod ipsum non leve fuit arqumentum tyrannicae crudelitatis. Quin a Terentio caesii hominis facies dicitur cadaverosa, hoc est immanis, et saevitiam arguens, qualem sicarii prae se ferunt et carnifices: quamvis alii parum erudite cadaverosam pro sublivida exposuerint. Enimvero leonis oculos si quis inspexit, qualis sit hic color, intelligit. Micant illi, ut studiose ipsi prope consideravimus, velut ignis penitus flagrans. Dicitur color hic Graece ab omnibus glaucus, quod verbum longo iam usu Latini poetae suum fecerunt. Latius tamen patet glaucus: nam praeter oculos noctuinos, quos, ut avis ipsius Graecum nomen declarat, omnes glaucos esse confirmant: multa quoque dicuntur glauca, ut ulva palustris herba: ut salix, cuius quum frondes, tum multo magis cortex in ramis, praesertim anniculis, nitet hoc colore. Quem laudat Virgilius in equis eosque noto carmine glaucos appellat, communi Italorum lingua baios nominatos. Nam spadices honesti ab eodem poeta ibidem vocati, illustriores sunt aliquanto, baii et ipsi, sed clari vulgo nuncupati: atque ii duo aliorum omnium maxime probantur colores in equis. Ulva igitur et salix, quas idem Virgilius glaucas dixit, equi item species optima: castaneae etiam nucis tunica, aliaque multa, praeter leonis ac noctuae oculos, colorem glaucum ostendunt. Sed ut unde discessi, redeam: quando caesius color tantum est oculorum, videndum est, ne is sit potius quem Aristoteles charopon vocat. Sic enim ab illo dicitur leo ab oculorum saevitia, quem Catullus poeta doctissimus caesium appellat. Unde Hercules cognomento dictus fuit charops, quasi iracunde intuens. Nam chara Graece, ira quoque dicitur Latine: et ex eodem, ut puto, horrore Charybdis nominata est, et Charon: de quo cum inquit Virgilius, Stant circum lumina flamma, caesium voluit senem illum horribilem ac dirum significare. Quamvis non nesciam, charopon ab aliis aliter quoque exponi.

3. Ater. Horribilis etiam color est ater dictus, omnino velut anthrax, id est carbo: nam proprie est carbonis extincti. Quare scite, ut omnia, Terentius, Tam excoctam, inquit, reddam atque atram, quam est carbo. Et inde a Virgilio cinis dictus est ater et favilla atra. Sanguis praeterea caloris atque coloris ignei particeps, effusus ac frigefactus amisso rubore, tanquam in carbonem mutatus, ater ab omnibus vocatur. Dicitur et mors atra, quia cadaver extincto calore illo vitali, quo corpus alitur, atrum relinquitur, ut est carbo, quae mihi perquam elegans videtur similitudo. Quid quod dies atri eadem de causa dicti fuerunt! Qui enim luctum afferebant, carbonibus: ut contra dies laeti scrupis signabantur gypseis. Ex quo Horatius ait:

Creta, an carbone notandi.

Differt in hoc a colore nigro, quod ut omnis ater est niger, sic non omnis niger est ater: horrendus est hic, tristis, visu iniucundus, lugentibus accommodatus, ille contra nonnunquam lepidus ac venustus: ut humani oculi sunt complures, quos nemo atros diceret, sed nigros, iisque tamen nihil maiori cum voluptate spectamus. Vocabatur autem ater ab antiquis etiam anthracinus, idemque furvus: quibus longe minus sunt nigri, lividus et fuscus. Alter ex gravi corporis ictu proveniens deformitatem habet. Unde invidi aliorum bonis, velut verberibus laniati, et idcirco exsangues, lividi nuncupantur. Alter non insuavis, et in homine persaepe laudatur. Qui tamen, si modum excedit, ac maxime fuscus est, et quasi nigrescit, pressus dicitur: ut quae aliquamdiu sub prelo vestis pressa nimium coloratur. Legimus etiam equi colorem pressum. Secus vero fasciolae coloriscae dictae fuerunt, quae non saturatae, sed vix colore aliquo illitae e coronis dependebant. Est autem forma diminutiva, ut Lycisca, Syrisca. Aquilum veteres hunc fuscum a colore aquae vocarunt, qui inter nigrum est et album, id quod Plato etiam docet.

4. Albus. Est autem albus color purissimus, quocirca ad animum translatus pro sincero capitur: is nullibi quam in nive clarior est, quam tamen atram esse Anaxagoras affirmabat. Sumitur pro pallido, unde timor albus legitur et metu exalbuit. Quam ob rem Romanae mulieres quondam funera sequebantur in veste alba, tanquam mortui quem efferebant, colorem referrent. Elucet candidus atque oculos delectat. At candens non hoc tantum est, sed pro ignito accipitur. Itaque Veneris humeros recte dixeris candidos, vel candentes. Ferrum quod a marito tunditur, non candidum est, sed candens. Eiusdem generis est canus, qui etsi ad alia transfertur, proprie tamen est capilli et barbae senilis. Nascitur equus nonnunquam canus atque albineus, non idem qui et candidus aut albus, sed huius non expers. Est et color albi nigrique particeps, a Graccis inde leucophaeus, voce iam a nostris usurpata, vocatus. Genus est id coloris nativi, non enim inficitur, sed ovis ipsa sic natura quasi pingitur. Hunc sibi secta sacerdotum sumpsit sanctissima, qui nulla tunica linea penitus induti, pro cingulo reste se vinilunt nodosa, ac ligneis tantum calciamentis usi, precario victum quaeritant.

5. Pullus. Qualis vero sit pullus, ostendit terrae ipsius color: maior enim illius pars pulla est. Itaque quoniam ea mortuis iniicitur, voluerunt veteres, ut qui lugerent, pullis pallis, terrae similibus, essent amicti. Dorsum etiam leporinum proprie est pullum: quam ob rem naturae ipsius doctus magisterio, terram recentem ab aratro metu pavidus quaerit ille, ibique nonnunquam stratus, nullaque re abditus, venatores canesque ipsos praetereuntes, ac sagaciter prope omnia perquirentes, coloris tantum beneficio saepissime latet: et ut in quodam epigrammate de lepore diximus,

Quem fuga non rapit ore canum, non occulit umbra:

Concolor immotum sub Iove terra tegit.

Nulla arte aut impensa color hic paratur. Natura enim sic provenit, unde nativus quoque vocatus es, diversus ab eo de quo locuti sumus. Iamque nos Cosentini, apud quos multa antiqultatis vestigia apparent, siquidem et praeficae, ut quondam, mortuos laudant, et silicernium in usu est, ac nemo sine suorum osculo sepelitur, utrinsque sexus vestimentum funebre, nativum dicimus: quamvis atrum sit illud, et in mulieribus matrimonio iunctis cyaneum, quo Graeci, ut dictum est, olim in funere utebantur. Idem quoque Hispanus vocatus est et Baeticus, etiam Mutinensis. In iis enim locis id genus lanae videtur. Est autem pullus nomen, ut reor, diminutivum a puro, velut a rara vestimenti genere fit ralla, ab opera opella, a terra etiam tellus: ut lana pulla sit pura, nullo alio colore infecta, sed suo tantum et ingenuo contenta. Colorias huiusmodi vestes per se coloratas aliqui dixerunt. Posuit hanc vocem Augustus in suo testamento, ubi haec verba legebantur, Gausapes, lodices purpureas, et colorias meas. Atque indidem, ut sentio, dicti sunt pulli equorum aliarumque pecudum, quasi puri, nulla adhuc libidine aut labore violati. Sunt huic pullo simillimi color impluviatus, dictus velut fumato stillicidio implutus: et suasus, qui insuasus quoque vocatus, lutum refert. Est autem suasus e stillicidio etiam factus fumoso in vestimento albo. Quare haud dubitanter non alius est quam impluviatus: quamvis aliqui tradiderint colorem omnem, qui fiat inficiendo, suasum dici, quod illi quodammodo sit persuasum, in alium quemvis colorem ex albo transire.

6. Ferrugineus. Ferrum longo situ rubiginosum, facile ostendit colorem ab ipso appellatum ferrugineum: agit enim is, id est refert colorem ferri. Quin et filamenta, quibus saepe conopaeum, et multae praeterea vestes lineae circumsuuntur, ferrugineum dicunt infectores. Tunica etiam nuclei pinei lanugine quadam pulverulenta ferruginea est. Erat is quoque lugentium color. Itaque capitur nonnunquam et ipse pro funesto, atque ea de causa hyacinthi dicti fuerunt a Virgilio ferruginei, quasi lugubres: quia puerum, ut est in fabulis, casu interfectum Apollo diu luxit: atque in eius foliis velut epitaphium, in sui doloris perpetuum monumentum inscripsit, non quia vere floris color sit ferruginens: est enim is, in quem mutatum ferunt adulescentulum, purpureus. De Hyacintho in literatum flosculum transformato fecimus hoc,

Nil opus elogio redimire aut flore sepulchrum:

Ipse sibi flos est, elogiumque puer.

Eodem modo coelum vocatur ferrugineum, hoc est nubilum et triste: atque apud eundem Virgilium, Sol caput suum nitidum in morte Caesaris texit ferrugine, quasi colorem se induit lugenti aptum: ut tanti viri caedem sol ipse lamentari videretur. Nec alia ratione Charontis naviculam dixit ferrugineam, quam quoniam ea una loco sandapilae, mortuos omnes vespillo indefessus transvectat.

7. Rufus. Non eundem esse rufum atque rubrum, ex hoc intelligi potest, quod recte dicitur sanguis ruber, rufus non recte. Rursus barbam et capillum Aenobarbi rubrum veteres non dixerunt: sed modo rufum, rutilum modo, qui idem est. Quin et canes immolabant Romani sacerdotes, nunquam rubras vocatas, sed quas nunc rufas, nunc rutilas appellabant, ad placandum caniculae sidus, frugibus inimicum. Ex quo manifestum est rufum rutilumque eundem esse, id quod ex antiquis etiam aliqui docent. E canis igitur colore satis noto, atque e multorum barba et capillo, cuiusmodi sit color rufus apparet. Hunc rustici in armentis robum, gilvumque olim dixerunt, atque etiam helvum, ut vini genus est quoddam inter rufum albumque nulli non cognitum: quod quoniam cerasi colorem refert duracini, cerasolum aliqui dicunt Italiae populi. Sed et burrham iidem appellabant vitulam, quae rostro esset rufo. At homo burrhus est, qui pransus, cibo et potione rubet: hunc aliqui etiam rubidum vocant. Invenitur et rubeus, etsi aliqui non indocti vocem non esse Latinam monuerint: cum tamen apud auctores non malos ex uvis nigris fieri vinum forte legatur, e rubeis autem suave, nec non bos rubeus probetur. Verbum est omnino rusticum, nec prorsus idem color est, qui et ruber, sed ad eum proxime accedit. Quid quod russeus etiam legitur? negat quidam e vetustis grammaticis dici posse, russum iubet, ex quo pannus est russatus. Utrumque certe Latinum est, sed aratoris magis quam oratoris: habent enim et sua verba qui ruri vivunt, urbanis nonnullis inaudita. Russeum equum dicunt illi, qui non plane russus est, sed aliquanto minus ruboris habens, idem fere videtur. Hic autem, quoniam quasi cruentato similis est, hodie saginatus, quasi sanguinatus vulgo nominatur; quamvis huius nominis nonnunquam equi albescant.

8. Ruber. Rubrum maxime indicat animantium sanguis, et quo lana inficitur, coccus: granum id a nostris vocatur, unde vestis est coccina, nulli ignota. Ostentat tamen hunc colorem prae caeteris rebus liquor purpurae, cuius adeo gratus est color, ut si quid paululum habeat ruboris, modo visu sit illud non iniucundum, purpureum saepe dicatur, ut sunt violae, et varia florum genera: quin et candidus, is enim quoque oculos remoratur, a poetis vocatur nonnunquam purpureus. Nam et olores purpureos dixit Horatius, et nivem ipsam purpuream Albinovanus. Invenitur et blatteus positus pro purpureo. Non praetereundus est color viteis frondibus arefactis simillimus, et idcirco xerampelinus Grzece dictus. Usurpant hanc vocem Latini: certum enim vitis genus adulto iam autumno pampinis rubet velut cruentatis, unde nomen colori inditum est; rosa ab omnibus nunc dicitur sicca. Atrabapticas vestes eo colore infectas, quoniam in eo purpura nigresceret, aliqui appellaverunt. De ea re fabellam excogitatam his versiculis fui complexus.

Caederet immeritae vitis dum crura, cecidit

Ipse sua: et dira caede Lycurgus obit.

Unde prius viridis, rubet hostis sparsa cruore

Illaeso vitis stipite, et ulta nefas.

9. Roseus. Iucundissimus omnium est color roseus, atque humano corpori, si id formosum est quam simillimus. Itaque os, cervicem, papillas, digitos roseos poetae dicunt: id est candidos, rubore sanguinis penitus diffuso cum venustate: isque color proprie est, quem communis sermo incarnatum vocat. Refert enim maxime omnium pueri nitorem ac virginis: rosam non Milesiam intelligo quae nimis purpurea ardere quodammodo videtur, nec rursus albam: sed quae utrinque decorem accepit, et quia corpus hominis imitatur, quod lingua vernacula carnem appellat, eadem id genus rosarum incarnatum nominavit. Cicero colorem hunc suavem dixit.

10. Puniceus. A Phoenicibus color phoeniceus, puniceus quoque dictus, flagrat, velut viola flammea: atque ita a multis olim purpura vocata fuit violacea, hodie pene nomen servat: nam Paonacius, quasi puniceus dicitur, etsi aliqui vocem hanc vernaculam a pavonis colore factam volunt. Phoeniceum vero alium ab hoc palma (quae phoenix Graece est) a se nominavit. Color hic in equo, ut iam diximus, maxime laudatur, qui modo spadiceus, baius modo, badius etiam et balius, variis nominibus vocatus est. Termites enim palmarum cum fructu spadices, et baia Graeci dicunt: unde equus ab equisonibus appellatur baius.

11. Fulvus. Ex omnibus maxime lucet fulvus, quem multa iactant, orichalcum in primis, aurum, ipsaeque etiam stellae:

Quas non extinguunt venti, non nimbus aquosa

Nube cadens: celsa semper sed luce coruscant.

Quare Tibullus proprie sidera fulva appellavit. Est et aureolae species arenae, quam fulvam dixit Virgilius: et genus quoddam aquilae ab Aristotele maxime celebratum, colore etiam fulvo. Qui si obtusus quodammodo est, atque obscuratus, vocatur ravus. Iamque sic Horatius lupam appellavit, cuius colorem noto magis verbo plerique omnes fulvum dixerunt. Tradunt aliqui ravos oculos, quos in cane et ariete laudat M. Varro, inter caesios esse et flavos.

Ornat saepe color hic flavus virginum ac puerorum capita: atque in maturis frugibus semper elucet, nec non pro pulchro frequenter positum videmus.

At luteum nihil aeque ostentat, ac flos calthae et genistae, ovique etiam vitellus. Croceo est hic perquam similis, sed lucidior aliquanto: ab antiquis flammeus quoque dictus, quoniam eo flaminis uxor flaminica utebatur. Potest hoc loco pallidus poni, ac luridus: mortui color est hic horribilis, ipsiusque mortis, ut poetae dicunt, et Plutonis. Ille nonnunquam vel gratus in homine, atque amabilis.

12. Viridis. Cuiusmodi sit color viridis, suppeditat exemplum herbarum multitudo, quarum tanta est varietas, ut cum earum vis sit infinita, nulla tamen aeque, atque ex iis aliqua prorsus vireat: sed omnes inter se discolores videantur, id quod in reliquis omnibus coloribus apparet. Quare si minus est hic albus aut niger, quam ille: non idcirco nomen albi amittit, aut nigri. Ex avibus autem insignis est hoc colore psittacus, avis inde a quibusdam viridis appellata, et qua nihil laetius est, smaragdus: maxime quoque lucet viriditas in genere quodam scarabei, cuius ipse meminit Aristoteles. Is quoniam dorsum habet, nota quadam aureola sic litum atque illustratum, ut lunae speciem exiguae sustinere videatur, non invenuste a nobis Cosentinis equus lunae nuncupatur. Fecimus hoc iam pridem de scarabeis iocosum epigramma:

Parvula Sisyphio gens condemnata labori,

Quas figula ipsa facit, fertque refertque pilas.

Pars nigra, ut Aethiopum manus usta caloribus horret,

Regia pars viridi picta colore nitet.

Parva micat cuius dorso nota, magna minutis

Si conferre licet, luna pusilla velut.

Dixit equum lunae hinc cognomine Brutia tellus.

Quod si bellator sic nituisset equus,

Illo capta foret non una Semiramis, essent

Centauri et plures, quam genus est hominum.

Egregius est inter colores, qui virent, prasinus, multorum carminibus collaudatus, nunc viride porrum ab infectoribus vocatur.

Epilogus. Libet epilogum addere, varietatem proprie de coloribus dici, ex quo vestis varia, discolor est, diversisque coloribus consuta. Divisam nunc omnes vocant, et equus varius non totus vel candidus vel niger, sed his aliisve coloribus distinctus: sic et coelum varium, cuius partes serenae interlucent, partes nubilae tristantur. Atque alium saepe pro alio, si inter eos affinitas est, colorem usurpant poetae, ut lumen Minervae flavum dixit Virgillus pro glauco, quo venustatem quoque esse in oculis deae ostenderet: quemadmodum amictum Tiberis, cuius aguam alibi flavam appellavit, glaucum idem esse cecinit: est enim inter hos colores similitudo et quasi vicinitas. Sic ut iam dictum est, albus pro pallido, ac coerulens pro subviridi poetice ponitur, proque etiam subnigro, multique praeterea invicem cedunt. Ex omnibus vero maxime contrarii sunt albus et niger, quare nihil aeque apparet atque in alba papyro atramentum. Utebantur veteres, quod nune etiam servatur, quum librorum titulos notarent, colore puniceo, in honorem memoriamque Phoenicum, quos literarum tradunt fuisse inventores. Sunt etiam e coloribus aliqui incerti, qui intuentium oeulos fallunt, ut est coeli nitor, quod quum tenebrosum quidam autument, illustratum radiis solaribus cyaneum videtur, ut iris, ut quas suspicimus nubes nonnunquam ignescere, ut mare ipsum, quod praeter coeruleum, modo atrum horret, modo virescit, interdum etiam flavum ravumque se ostendit, aut specie quadam purpurascit violacea. Non idem quoque decor in collo cernitur columbae et pavonis, unde aves saepe dicuntur versicolores, quale est serici genus satis notum, quod e diversis partibus spectanti, non eundem offert coloris leporem.

Discolor autem non modo pro vario sumitur, sed si quid eundem colorem velut radios quosdam diffundit, ut, Discolor unde auri per ramos aura refulsit. At decolor is dicitur ex cuius ore color defluxit, et exsanguis relictus est, atque idcirco pro deformi capitur et nigro, ut decolor Indus: nam concolorem eiusdem esse coloris nemo ignorat. Ad haec colores bifariam dividuntur, nam austeri vocabantur reliqui omnes, praeter minium, purpurissum, cinnabarim, armenium, chrysocollam, indicum, quos floridos dixerunt. Sed haec pictores videant, quibus olim in usu tantum erat melinus color, candidus. Silaceus, qui inter coeruleos nominatur, Sinopis genus rubricae, et atramentum. Quidam etiam suaves dicti sunt, ut flavus, purpureus, candidus, in primis roseus: humanis autem oculis nihil venusti hominis colore suavius videtur. Inesse vero coloribus suavitatem, praeterquam quod sensus ipsi iudicant, egregii Latinitatis auctores ostendunt, M. Cicero et Virgilius Maro, quorum alter suavem hominis colorem dixit, ab altero suave rubens hyacinthus vocatus est. Alii tristes sunt et lugubres, velut atrum esse dicimus, pullum, ferrugineum, et coerulei speciem. Quin ut videntur, sic sordidi etiam aliqui dicti sunt, ut de quibus locuti sumus, suasus et impluviatus: iis enim rei, ut misericordiam apud iudices captarent, se deturpabant. Talem quoque fuisse vestitum Charontis ostendit, cum inquit Virgillus,

Sordidus ex humeris nodo pendebat amictus.

Iam vero colores partim nominati sunt a locis, ut Puniceus, Tyrius, idemque Sarranus. Purpurei sunt hi, Indicum, Sinopis, Melinus, Hispanus, Baeticus, Mutinensis, de quibus dictum est. Colossinus a Colosso urbe in Troade, ubi lana inficitur, florem referens cyclamini, quod tum rapum, tum terrae malum, ac tuber vocatur, a nobis Cosentinis terrigena. Fulget flos ille inter candorem et purpuram. Partim a metallis nuncupati sunt, ut plumbeus, ferrugineus, argenteus, aureus. Sed a plantis nomen acceperunt complures, ut praeter phoeniceum, id est palmeum, ac xerampelinum, buxeus est qui pro pallido sumitur: pallet enim prae caeteris buxea materia. Roseus praeterea hyacinthinus, in quo purpura lucet subnigra. Hysginus ab hysge herba: coccinus, et utrique similis sandycinus. Violaceus qui et ianthinus, ex quo tyrianthinus, e purpura ut nomen indicat, factus, et viola. Additur his croceus. Unde crocotula vestis genus, ut a calta caltula: a bysso lini genere tenuissimo byssina: erantque hae omnes luteae, sed byssina pene ut aurum fulgebat. Fuit in usu vestis a citri similitudine, citrosa dicta. Et quaedam coloris candidi, papaverata a Lucilio Satyrico, cum eam, ut probrum, Torquato obiecisset, nominata. Invenitur quoque galbina vestis alba a galbano. A malvae item flosculo color est molochinus, ut a punicae etiam flore balaustinus. Virentis quoque porri folia nomen ex se, ut iam diximus, fecerunt prasinum. Multi praeterea ab animalibus vocati sunt, ut cervinus, murinus. Atque hi colores sunt in equo notissimi. Mustellinus, de quo Terentius. Ictericos, qui regio morbo laborat, a colore galguli, quam Graeci avem icteron dicunt. Luteus est hic admodum. Cygneus, idemque Latine olorinus, id est candidus, ut contra coracinus, niger. Adscribuntur et his ostrinus, conchyliatus, muriceus, purpureus, ab Hercule, ut fabulantur, primum inventus. Feci paucos de ea re choriambos, quos visum est hic ponere.

Errat dum bibulis Herculeus littoribus canis,

Nantem forte videt spumifero gurgite purpuram:

Aggressusque ferox corripuit viscera mordicus.

Mox pastus rediit commaculans gramina sanguine.

Quem Tyro simul ac pulcra videt (namque erat haec comes)

Prolutum roseis candida sic ora coloribus,

Alcidem alloquitur: Non alio munere te sequar,

Quam si picta mihi palla rubens huic similis datur.

Quod nunc per spolium terrificae te rogo belluae,

Invictaeque manus robora, per tela sonantia,

Non ignota avibus nubila translata fugacibus,

Da ferre haec ( poteris nam omnia) nec te tenuit maris

Circumfusa palus, hesperidum quo minus aurea

Ferres munera. Sic brachiolis fata revinciens

Robusta implicuit nympha procax colla tenaciter.

Paret victus amans blanditiis Amphitryonius;

Nactusque exanimem, quam exspuerat iam mare, purpuram

Infecit Tyrio primus ovem murice candidam.

A rebus denique diversis nonnulli colores dicti sunt, ut igneus, flammeus. Sic orbis nitorque solis ab Attio et Catullo appellatus est. Quare color solis, et quia ita apparet, et ex illorum auctoritate flammeus proprie potest vocari. A coelo, ut iam principio dixi, coeruleus est. Marinus, et thalassinus a mari: ab unda cymatilis et cymatius: idemque est in iis omnibus color. Quin etiam ab arcu pluviarum nuntio, arquatus est nominatus. Hyalinus, qui et vitreus, niveus, marmoreus, lacteus, eburneus, quo dictus fuit cognomento propter candorem corporis Fabius quidam. Amethystinus praeterea, ex quo tyriamethystius in usu fuit olim. Sandaracinus, flammeus est is, quibus etiam impluviatus, sanguineus, atque herbidus adduntur. Cereus item, piceus, cinereus, ut cardui genus esculenti a colore, cinara vocatum. In hoc autem carduo esse etiam aliquod ipsius virtutis simulachrum, pauci, quos hic subieci, declarant versiculi.

Ut vallatus acutis

Circum frondibus horret,

Intus sed tamen abdit

Dulcem carduus escam:

Coelo missa sereno

Sic virtus, puer, aspris

Ambit sentibus ipsam

Iucundam ambrosiam Diis.

A spumis quoque et maculis, spumeus est et maculosus: atque ii equorum sunt etiam colores, ut a guttis guttatus: cuiusmodi praeter equos, canes videntur nonnulli sagaces, quos a muscarum similitudine muscatos dicunt, velut equus scutulatus a scutulis: quem ab exiguorum pomorum specie, pomulatum vocant equisones, et si orbes sunt latiusculi, rotatum. Videtur ad extremum natura amare coeruleum: eo enim, ut initio diximus, mare collustravit, ac coelum ipsum: quod nunquam stellis fulgentibus ornasset, nisi eadem quoque fulvo maxime delectaretur. Sed quia vicissim videmus terram, aut viriditate convestiri, aut eo ornatu spoliatam, pullam esse, aut etiam candore niveo contegi: viridem, pullum, atque album naturae gratum esse nemo potest dubitare. Nigra insuper est nox: nigri sunt Indi, atque Aethiopes. Gaudet igitur rerum mater colore nigro: quam a rubro nihil abhorrere, hominum ac caeterarum animantium sanguis facile declarat.

Antonius Thylesius

Als uns in der Epoche der erneuten Wissenschaften vorstehendes kleines Buch freundlich begegnete, war es uns eine angenehme Erscheinung, um so mehr, als es sich jenem des Aristoteles an die Seite und in gewissem Sinne entgegen stellte. Wir gedachten es zu übersetzen, fanden aber bald, daß man in einer Sprache nicht die Etymologie der andern behandeln könne, und so entschlossen wir uns, es in der Urschrift wieder abdrucken zu lassen. Es ist zwar nicht selten, indem es öfter anderen größeren und kleineren Schriften beigefügt worden, jedoch einzeln nicht immer zur Hand, und so glaubten wir es um so mehr einschalten zu dürfen, als uns aus demselben das Gefühl einer freien und heitern Zeit entgegenkommt und die Tugenden des Verfassers wohl verdienen, daß ihre Wirkungen nochmals vervielfältigt werden.

Antonius Thylesius war zu Cosenza geboren, einer Stadt, die an der Kultur des untern Italien schon früher teilnahm. In dem ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts war er Professor zu Mailand. Er gehört unter diejenigen, welche man in der Literargeschichte als Philologen, Redner und Poeten zugleich gerühmt findet. Ein gründliches und doch liberales Studium der Alten regte in solchen Männern die eigene Produktivität auf, und wenn sie auch eigentlich nicht zu Poeten geboren waren, so schärfte sich doch am Altertum ihr Blick für die Natur und für die Darstellung derselben.

Ein Büchelchen De coronis gab er 1526 heraus. Die Anmut des gewählten Gegenstandes zeugt für die Anmut seines Geistes. Er führt in demselben sehr kurz und leicht alle Kränze und Kronen vor, womit sich Götter und Heroen, Priester, Helden, Dichter, Schmausende und Leidtragende zu schmücken pflegten, und man begreift sehr leicht, wie bei solcher Gelegenheit ein gesunder Blick auf Farbe mußte aufmerksam gemacht werden.

So finden wir denn auch in der kleinen Schrift über die Farben einen Mann, dem es um das Verständnis der Alten zu tun ist. Es entgeht ihm nicht, daß die Farbenbenennungen sehr beweglich sind und von mancherlei Gegenständen gebraucht werden. Er dringt daher auf den ersten Ursprung der Worte, und ob wir gleich seinem Etymologisieren nicht immer beistimmen, so folgen wir ihm doch gern und belehren uns an und mit ihm.

Beide oben benannte Aufsätze wurden mit seinen übrigen poetischen Schriften von Konrad Geßner 1545 zu Basel herausgegeben, wobei sich bemerken läßt, daß ihm seine Zeitgenossen eine gewisse Originalität zugestanden, indem sie ihn andern entgegensetzen, die nur durch Zusammenstellung von Worten und Phrasen der Alten ein neues Gedicht, eine neue Rede hervorzubringen glaubten.

Eine Tragödie, Der goldene Regen, kleinere Gedichte, der Zyklop, Galathee, und so weiter zeigen genugsam, daß wenn man ihn auch nicht eigentlich einen Poeten nennen darf, einen solchen, der einen Gegenstand zu beleben, das Zerstreute zur Einheit zwingen kann, so müssen wir doch außer seiner antiquarischen Bildung, einen aufmerksamen Blick in die Welt, ein zartes Gemüt an ihm rühmen. Er behandelt die Spinne, den Leuchtwurm, das Rohr auf eine Weise, die uns überzeugt, daß er in der Mittelgattung von Dichtkunst, in der beschreibenden, noch manches Erfreuliche hätte leisten können. Uns steht er als Repräsentant mancher seiner Zeitgenossen da, die das Wissen mit Anmut behandelten und der Anmut etwas Gewußtes unterzulegen nötig fanden.

Mit welchem freien, liebe- und ehrfurchtsvollen Blick er die Natur angesehen, davon zeugen wenige Verse, die wir zu seinem Angedenken hier einzurücken uns nicht enthalten können.

Omniparens natura, hominum rerumque creatrix,

Difficilis, facilis, similis tibi, dissimilisque,

Nulligena, indefessa, ferax, te pulchrior ipsa,

Solaque quae tecum certas, te et victa revincis.

Omnia me nimis afficiunt, quo lumina cunque

Verto libens, nihil est non mirum, daedala quod tu

Effingis, rebusque animam simul omnibus afflas,

Unde vigent, quaecunque ridentur, pabula, frondes,

Et genus aligerum, pecudesque et squamea turba.

Simon Portius

Das Büchlein von den Farben, welches dem Theophrast zugeschrieben wird, scheint in der mittlern Zeit nicht viel gekannt gewesen zu sein; wenigstens haben wir es auf unserm Wege nicht zitiert gefunden. In der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts nimmt Simon Portius sich desselben an, übersetzt, kommentiert es und gibt statt einer Vorrede eine kleine Abhandlung über die Natur der Farben.

Aus der Zueignung an Cosmus den Ersten, Großherzog von Florenz, lernen wir, daß er von demselben als Gelehrter begünstigt und unter den Seinen wohlaufgenommen war. Er hielt über die Aristotelischen Schriften öffentliche Lehrstunden und hatte auch über mehr gedachtes Büchlein in den Ferien gelesen. Später ward Übersetzung und Kommentar eine Villeggiatur-Arbeit. Soviel wir wissen, erschien die erste Ausgabe zu Neapel 1537. Diejenige, deren wir uns bedienen, ist zu Paris 1549 gedruckt.

Sogleich, wie sich einige Bildungslust auf der Welt wieder zeigt, treten uns die Aristotelischen Verdienste frisch entgegen. Freilich standen diese schriftlichen Überlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und von einer andern auf einem zu hohen Punkte der glücklichsten Bildung, als daß die Auffinder ihnen hätten gewachsen sein können. Man verstand sie leider nicht genugsam, weder ihrer Absicht nach, noch insofern schon genug durch sie geleistet war. Was also gegenwärtig an ihnen geschah, war eine zwar lobenswerte, aber meist unfruchtbare Mühe.

Sowohl in der von Portius vorausgeschickten Vorrede, worin uns etwas über die Natur der Farben versprochen wird, als auch in den Anmerkungen selbst, welche dem Text beigefügt sind, sehen wir einen belesenen und zugleich in der Aristotelischen Schulmethode wohlgeübten Mann und können ihm daher unsere Achtung sowie unsern Dank für das, was wir von ihm lernen, nicht versagen. Allein der Gewinn, den wir aus einem mühsamen Studium seiner Arbeit ziehen, ist doch nur historisch. Wir erfahren, wie die Alten sich über diesen Gegenstand ausgedrückt, wir vernehmen ihre Meinungen und Gegenmeinungen; wir werden von mancherlei Widerstreit belehrt, den unser Autor nach seiner Art weder zu vergleichen noch zu entscheiden sich imstande befindet.

Von einer eigentlichen Naturanschauung ist hier gar die Rede nicht. Das ausgesprochene Wort, die gebildete Phrase, die mehr oder weniger zulängliche Definition werden zum Grund gelegt; das Original, die Übersetzung, eine Worterklärung, eine Umschreibung ergreifen sich wechselsweise; bald wird etwas Verwandtes herbeigeholt, etwas Ähnliches oder Unähnliches zitiert, Zweifel nicht verschwiegen, Fragen beantwortet, dem Widerspruch begegnet und bald beifällig, bald abfällig verfahren, wobei es nicht an Mißverständnissen und Halbverständnissen fehlt; da denn durchaus eine sorgfältige und fleißige Behandlung an die Stelle einer gründlichen tritt. Die Form des Vortrags, Noten zu einem Text zu schreiben, nötigt zum Wiederholen, zum Zurückweisen, alles Gesagte wird aber und abermals durch- und übereinander gearbeitet, so daß es dem Ganzen zwar an innerer Klarheit und Konsequenz nicht fehlt, wie irgendeinem Karten-und Steinspiel; hat man jedoch alles gelesen und wieder gelesen, so weiß man wohl etwas mehr als vorher, aber gerade das nicht, was man erwartete und wünschte.

Solche schätzenswerte und oft nur sehr geringe Frucht tragende Arbeiten muß man kennen, wenn man in der Folge diejenigen Männer rechtfertigen will, welche von einem lebhaften Trieb zur Sache beseelt, diese Wortarbeiten als Hindernisse ansahen, die Überlieferung überhaupt anfeindeten und sich gerade zur Natur wendeten oder gerade zu ihr hinwiesen.

Wir geben den Vorsatz auf, einige übersetzte Stellen mitzuteilen, indem sie weder belehrend noch erfreulich sein könnten. Auch haben wir schon das Brauchbare in unserm Aufsatze, worin wir die Meinungen und Lehren der Griechen behandelt, aufgeführt und werden künftig Gelegenheit haben, eins und anderes am schicklichen Orte zu wiederholen.

Julius Cäsar Scaliger

Von 1484 bis 1558

Dieser merkwürdige Mann brachte seine Jugend am Hof, sein Jünglingsalter im Militärstande zu, suchte später als Arzt seinen Lebensunterhalt und war wegen seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit vor vielen seiner Zeitgenossen berühmt. Ein starkes Gedächtnis verhalf ihm zu vielem Wissen; doch tut man ihm wohl nicht unrecht, wenn man ihm eigentlichen Geschmack und Wahrheitssinn abspricht. Dagegen war er, bei einem großen Vorgefühl seiner selbst, von dem Geiste des Widerspruchs und Streitlust unablässig erregt.

Cardan, dessen wir später gedenken werden, publiziert eine seiner Arbeiten unter dem Titel: De subtilitate. Scaliger findet es gelegen, sich daran zu üben, und verfaßte ein großes Buch gegen ihn, worin er ihm zeigt, daß man mehr wissen, genauer bemerken, subtiler unterscheiden und bestimmter vortragen könne. Dieses Werk ist seinem Inhalte nach schätzbar genug: denn es es sind eigentlich nur in Streitform zusammengestellte Kollektaneen, wodurch wir unterrichtet werden, wie manches damals bekannt war und wie vieles die Wißbegierigen schon interessierte.

Was Scaliger über die Farben in der dreihundertfünfundzwanzigsten Exerzitation vorzubringen weiß, läßt sich in zwei Hauptabschnitte teilen, in einen theoretischen und einen etymologischen. In dem ersten wiederholt er, was die Alten von den Farben gesagt, teils beifällig, teils mißfällig; er hält sich auf der Seite des Aristoteles, die Platonischen Vorstellungsarten wollen ihm nicht einleuchten. Da er aber keinen eigentlichen Standpunkt hat, so ist es auch nur ein Hin- und Widerreden, wodurch nichts ausgemacht wird.

Bei dieser Gelegenheit läßt sich jene Betrachtung anstellen, die uns auch schon früher entgegendrang: welch eine andre wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewannen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblieben wäre und sich anstatt der lateinischen verbreitet hätte.

Die weniger sorgfältigen arabischen und lateinischen Übersetzungen hatten schon früher manches Unheil angerichtet, aber auch die sorgfältigste Übersetzung bringt immer etwas Fremdes in die Sache, wegen Verschiedenheit des Sprach gebrauchs.

Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art, durch Verba, besonders durch Infinitiven und Partizipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, bepfählt und festgesetzt, es ist nur eine Andeutung, um den Gegenstand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateinische Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Substantiven entscheidend und befehlshaberisch. Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt, im Worte erstarrt, mit welchem nun als einem wirklichen Wesen verfahren wird. Wir werden später Ursache haben, an diese Betrachtungen wieder zu erinnern.

Was den zweiten etymologischen Teil betrifft, so ist derselbe schätzenswert, weil er uns mit vielen lateinischen Farbenbenennungen bekannt macht; wodurch wir den Thylesius und andre supplieren können.

Wir fügen hier eine Bemerkung bei, jedoch mit Vorsicht, weil sie uns leicht zu weit führen könnte. In unserm kleinen Aufsatz über die Farbenbenennungen der Griechen und Römer, S. 288 des gegenwärtigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der Farbenbenennungen bei den Alten aufmerksam gemacht; doch ist nicht zu vergessen, wie viele derselben bei ihrem Ursprunge sogleich fixiert worden: denn gerade durch diesen Widerstreit des Fixen und Beweglichen wird die Anwendung der Farbenbenennungen bis auf den heutigen Tag noch immer schwierig.

So einfach auch die Farben in ihrer ersten elementaren Erscheinung sein mögen, so werden sie doch unendlich mannigfaltig, wenn sie aus ihrem reinen und gleichsam abstrakten Zustande sich in der Wirklichkeit manifestieren, besonders an Körpern, wo sie tausend Zufälligkeiten ausgesetzt sind. Dadurch entspringt eine Individualisierung bis ins Grenzenlose, wohin keine Sprache, ja alle Sprachen der Welt zusammengenommen, nicht nachreichen.

Nun sind aber die meisten Farbenbenennungen davon ausgegangen, daß man einen individuellen Fall als ein Beispiel ergriffen, um, nach ihm und an ihm, andre ähnliche zu bezeichnen. Wenn uns nun das Altertum dergleichen Worte schon genugsam überliefert, so ist in der Folge der Zeit, durch eine ausgebreitetere Kenntnis der Welt, natürlicher Körper, ja so vieler Kunstprodukte bei jeder Nation ein neuer Zuwachs von Terminologie entstanden, die, immer aufs neue wieder auf bekannte und unbekannte Gegenstände angewendet, neue Bedenklichkeiten, neue Zweifel und Irrungen hervorbringt, wobei denn doch zuletzt nichts weiter übrig bleibt, als den Gegenstand, von dem die Rede ist, recht genau zu kennen, und ihn womöglich in der Einbildungskraft zu behalten.

Zwischenbetrachtung

Da wir durch erstgedachte drei Männer in das Altertum wieder zurückgeführt worden, so erinnern wir uns billig dessen, was früher, die naturwissenschaftlichen Einsichten der Alten betreffend, bemerkt ward. Sie wurden nämlich als tüchtige Menschen von den Naturbegebenheiten aufgeregt und betrachteten mit Verwunderung die verwickelten Phänomene, die uns täglich und stündlich umgeben und wodurch die Natur ihnen eher verschleiert als aufgedeckt ward.

Wenn wir oben dem glücklichen theoretischen Bemühen mancher Männer volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, so ist doch nicht zu leugnen, daß man ihren Theorien meistens einen empirischen Ursprung nur allzusehr ansieht. Denn was war ihre Teilung natürlicher Uranfänge in vier Elemente anders als eine notdürftige Topik, nach welcher sich die erscheinenden Erscheinungen allenfalls ordnen und mit einiger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl, die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie und die daraus entspringende Bequemlichkeit machte eine solche Lehre zur Fortpflanzung geschickt, und obgleich aufmerksamere Beobachter mancherlei Zweifel erregen, manche Frage aufwerfen mochten, so blieb doch Schule und Menge dieser Vorstellungs- und Einteilungsart geneigt.

In der neuern Zeit brachte die Chemie eine Hauptveränderung hervor; sie zerlegte die natürlichen Körper und setzte daraus künstliche auf mancherlei Weise wieder zusammen; sie zerstörte eine wirkliche Welt, um eine neue, bisher unbekannte, kaum möglich geschienene, nicht geahndete wieder hervor zu bauen. Nun ward man genötigt, über die wahrscheinlichen Anfänge der Dinge und über das daraus Entsprungene immer mehr nachzudenken, so daß man sich bis an unsre Zeit zu immer neuen und höheren Vorstellungsarten heraufgehoben sah, und das um so mehr, als der Chemiker mit dem Physiker einen unauflöslichen Bund schloß, um dasjenige, was bisher als einfach erschienen war, wo nicht in Teile zu zerlegen, doch wenigstens in den mannigfaltigsten Bezug zu setzen und ihm eine bewundernswürdige Vielseitigkeit abzugewinnen. In dieser Rücksicht haben wir zu unsern Zwecken gegenwärtig nur eines einzigen Mannes zu gedenken.

Paracelsus

geboren 1493, gestorben 1541

Man ist gegen den Geist und die Talente dieses außerordentlichen Mannes in der neuern Zeit mehr als in einer früheren gerecht, daher man uns eine Schilderung derselben gern erlassen wird. Uns ist er deshalb merkwürdig, weil er den Reihen derjenigen anführt, welche auf den Grund der chemischen Farbenerscheinung und -veränderung zu dringen suchen.

Paracelsus ließ zwar noch vier Elemente gelten, jedes war aber wieder aus dreien zusammengesetzt, aus Sal, Sulphur und Mercurius, wodurch sie denn sämtlich, ungeachtet ihrer Verschiedenheit und Unähnlichkeit, wieder in einen gewissen Bezug untereinander kamen.

Mit diesen drei Uranfängen scheint er dasjenige ausdrücken zu wollen, was man in der Folge alkalische Grundlagen, säuernde Wirksamkeiten, und begeistende Vereinigungsmittel genannt hat. Den Ursprung der Farben schreibt Paracelsus dem Schwefel zu, wahrscheinlich daher, weil ihm die Wirkung der Säuren auf Farbe und Farbenerscheinung am bedeutendsten auffiel, und im gemeinen Schwefel sich die Säure im hohen Grade manifestiert. Hat sodann jedes Element seinen Anteil an dem höher verstandenen mystischen Schwefel, so läßt sich auch wohl ableiten, wie in den verschiedensten Fällen Farben entstehen können.

So viel für diesmal; in der Folge werden wir sehen, wie seine Schüler und Nachkommen diese Lehre erweitert und ihr durch mancherlei Deutungen zu helfen gesucht.

Sämtliche Werke
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