Johann Wolfgang Goethe

Torquato
Tasso
 

entstanden 1780/81 & 1786/88, veröffentlicht 1790,
uraufgeführt am 16.2.1807 in Weimar

Personen

Alphons der Zweite, Herzog von Ferrara.

Leonore von Este, Schwester des Herzogs.

Leonore Sanvitale, Gräfin von Scandiano.

Torquato Tasso.

Antonio Montecatino, Staatssekretär.

Der Schauplatz ist auf Belriguardo, einem Lustschlosse.

Erster Aufzug

(Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert. Vorn an der Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost.)

Erster Auftritt

Prinzessin. Leonore.

Prinzessin.

Du siehst mich lächelnd an, Eleonore,

Und siehst dich selber an und lächelst wieder.

Was hast du? Lass es eine Freundin wissen!

Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt.

Leonore.

Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh’ ich

Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt.

Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen

Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt.

Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen,

Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand;

Du hast mit höherm Sinn und größerm Herzen

Den zarten schlanken Lorbeer dir gewählt.

Prinzessin.

Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,

Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden:

Ich setze sie Virgilen dankbar auf,

(Sie kränzt die Herme Virgils.)

Leonore.

So drück’ ich meinen vollen frohen Kranz

Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne –

(Sie kränzt Ariostens Herme.)

Er, dessen Scherze nie verblühen, habe

Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil.

Prinzessin.

Mein Bruder ist gefällig, dass er uns

In diesen Tagen schon aufs Land gebracht;

Wir können unser sein und stundenlang

Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.

Ich liebe Belriguardo; denn ich habe

Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,

Und dieses neue Grün und diese Sonne

Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.

Leonore.

Ja, es umgibt uns eine neue Welt!

Der Schatten dieser immer grünen Bäume

Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder

Das Rauschen dieser Brunnen. Schwankend wiegen

Im Morgenwinde sich die jungen Zweige.

Die Blumen von den Beeten schauen uns

Mit ihren Kinderaugen freundlich an.

Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus

Schon der Zitronen und Orangen ab.

Der blaue Himmel ruhet über uns

Und an dem Horizonte löst der Schnee

Der fernen Berge sich in leisen Duft.

Prinzessin.

Es wäre mir der Frühling sehr willkommen,

Wenn er nicht meine Freundin mir entführte.

Leonore.

Erinnre mich in diesen holden Stunden,

O Fürstin, nicht, wie bald ich scheiden soll.

Prinzessin.

Was du verlassen magst, das findest du

In jener großen Stadt gedoppelt wieder.

Leonore.

Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich

Zu dem Gemahl der mich so lang’ entbehrt.

Ich bring’ ihm seinen Sohn, der dieses Jahr

So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet,

Und Teile seine väterliche Freude.

Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert

Von allen seinen aufgehäuften Schätzen

Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.

Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,

Ferrara ward durch seine Fürsten groß.

Prinzessin.

Mehr durch die guten Menschen, die sich hier

Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.

Leonore.

Sehr leicht zerstreut der Zufall, was er sammelt.

Ein edler Mensch zieht edle Menschen an

Und weiß sie fest zu halten, wie ihr tut.

Um deinen Bruder und um dich verbinden

Gemüter sich, die eurer würdig sind,

Und ihr seid eurer großen Väter wert.

Hier zündete sich froh das schöne Licht

Der Wissenschaft, des freien Denkens an,

Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung

Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind

Der Name Herkules von Este schon,

Schon Hippolyt von Este voll ins Ohr.

Ferrara ward mit Rom und mit Florenz

Von meinem Vater viel gepriesen! Oft

Hab’ ich mich hingesehnt; nun bin ich da.

Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt,

Und Ariost fand seine Muster hier.

Italien nennt keinen großen Namen,

Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.

Und es ist vorteilhaft den Genius

Bewirten: Gibst du ihm ein Gastgeschenk,

So lässt er dir ein schöneres zurück.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,

Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt

Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.

Prinzessin.

Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.

Gar oft beneid’ ich dich um dieses Glück.

Leonore.

Das du, wie wenig andre, still und rein

Genießest. Drängt mich doch das volle Herz,

Sogleich zu sagen, was ich lebhaft fühle;

Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst.

Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks,

Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei

Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr:

Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack,

Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil groß

Am Großen, das du wie dich selbst erkennst.

Prinzessin.

Du solltest dieser höchsten Schmeichelei

Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen.

Leonore.

Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein

Den ganzen Umfang deines Werts erkennen.

Und lass mich der Gelegenheit, dem Glück

Auch ihren Teil an deiner Bildung geben;

Du hast sie doch, und bist’s am Ende doch,

Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt

Vor allen großen Frauen eurer Zeit.

Prinzessin.

Mich kann das, Leonore, wenig rühren,

Wenn ich bedenke, wie man wenig ist,

Und was man ist, das blieb man andern schuldig.

Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten,

Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der Mutter;

Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn

Ihr keine beider Töchter jemals gleich,

Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen,

So hat Lucretia gewiss das Recht.

Auch kann ich dir versichern hab’ ich nie

Als Rang und als Besitz betrachtet, was

Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.

Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,

Dass ich verstehen kann wie sie es meinen.

Es sei ein Urteil über einen Mann

Der alten Zeit und seiner Taten Wert;

Es sei von einer Wissenschaft die Rede,

Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,

Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt:

Wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt,

Ich folge gern, denn mir wird leicht, zu folgen.

Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,

Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust

So freundlich und so fürchterlich bewegen,

Mit Grazie die Rednerlippe spielt;

Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms,

Des ausgebreiteten Besitzes, Stoff

Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit,

Von einem klugen Manne zart entwickelt,

Statt uns zu hintergehen uns belehrt.

Leonore.

Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung,

Ruht unser Ohr und unser innrer Sinn

Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus,

Der uns die letzten lieblichsten Gefühle

Mit holden Tönen in die Seele flößt.

Dein hoher Geist umfasst ein weites Reich,

Ich halte mich am liebsten auf der Insel

Der Poesie in Lorberhainen auf.

Prinzessin.

In diesem schönen Lande, hat man mir

Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen

Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich

Gar viele sind, so sucht man unter ihnen

Sich seltner eine Freundin und Gespielin,

Als man dem Dichter gern begegnen mag,

Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint,

Etwas zu suchen scheint, das wir nicht kennen,

Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt.

Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns

Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt

Uns für den Schatz erkennte, den er lang

Vergebens in der weiten Welt gesucht.

Leonore.

Ich muss mir deinen Scherz gefallen lassen,

Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief.

Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst,

Und ich bin gegen Tasso nur gerecht.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;

Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;

Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,

Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:

Das weit zerstreute sammelt sein Gemüt,

Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.

Oft adelt er, was uns gemein erschien,

Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.

In diesem eignen Zauberkreise wandelt

Der wunderbare Mann und zieht uns an,

Mit ihm zu wandeln, Teil an ihm zu nehmen:

Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;

Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen

An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

Prinzessin.

Du hast den Dichter fein und zart geschildert,

Der in den Reichen süßer Träume schwebt.

Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche

Gewaltsam anzuziehn und fest zu halten.

Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen

Wir hin und wieder angeheftet finden,

Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien

Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle

Für holde Früchte einer wahren Liebe?

Leonore.

Ich freue mich der schönen Blätter auch.

Mit mannigfalt’gem Geist verherrlicht er

Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.

Bald hebt er es in lichter Glorie

Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend

Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;

Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach

Und jede Blume windet er zum Kranz.

Entfernt sich die Verehrte, heiligt er

Den Pfad, den leis ihr schöner Fuß betrat.

Versteckt im Busche, gleich der Nachtigall,

Füllt er aus einem liebekranken Busen

Mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:

Sein reizend Leid, die sel’ge Schwermut lockt

Ein jedes Ohr und jedes Herz muss nach –

Prinzessin.

Und wenn er seinen Gegenstand benennt,

So gibt er ihm den Namen Leonore.

Leonore.

Es ist dein Name wie es meiner ist.

Ich nähm’ es übel, wenn’s ein andrer wäre.

Mich freut es, dass er sein Gefühl für dich

In diesem Doppelsinn verbergen kann.

Ich bin zufrieden, dass er meiner auch

Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt.

Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,

Die sich des Gegenstands bemeistern will,

Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig

Den Anblick jedem andern wehren möchte.

Wenn er in seliger Betrachtung sich

Mit deinem Werth beschäftigt, mag er auch

An meinem leichtern Wesen sich erfreun.

Uns liebt er nicht, – verzeih dass ich es sage! –

Aus allen Sphären trägt er, was er liebt,

Auf einen Namen nieder, den wir führen,

Und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen

Den Mann zu lieben, und wir lieben nur

Mit ihm das Höchste, was wir lieben können.

Prinzessin.

Du hast dich sehr in diese Wissenschaft

Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge,

Die mir beinahe nur das Ohr berühren

Und in die Seele kaum noch übergehn.

Leonore.

Du? Schülerin des Plato! Nicht begreifen,

Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt?

Es müsste sein, dass ich zu sehr mich irrte;

Doch irr’ ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.

Die Liebe zeigt in dieser holden Schule

Sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:

Es ist der Jüngling der mit Psychen sich

Vermählte, der im Rat der Götter Sitz

Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft

Von einer Brust zur andern hin und her;

Er heftet sich an Schönheit und Gestalt

Nicht gleich mit süßem Irrtum fest, und büßet

Nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruss.

Prinzessin.

Da kommt mein Bruder! Lass uns nicht verraten,

Wohin sich wieder das Gespräch gelenkt:

Wir würden seinen Scherz zu tragen haben,

Wie unsre Kleidung seinen Spott erfuhr.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Alphons.

Alphons.

Ich suche Tasso, den ich nirgends finde,

Und treff’ ihn – hier sogar bei euch nicht an.

Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?

Prinzessin.

Ich sah ihn gestern wenig, heute nicht.

Alphons.

Es ist ein alter Fehler, dass er mehr

Die Einsamkeit als die Gesellschaft sucht.

Verzeih’ ich ihm, wenn er den bunten Schwarm

Der Menschen flieht und lieber frei im stillen

Mit seinem Geist sich unterhalten mag,

So kann ich doch nicht loben, dass er selbst

Den Kreis vermeidet, den die Freunde schließen.

Leonore.

Irr’ ich mich nicht, so wirst du bald, o Fürst,

Den Tadel in ein frohes Lob verwandeln.

Ich sah ihn heut von fern; er hielt ein Buch

Und eine Tafel, schrieb und ging und schrieb.

Ein flüchtig Wort das er mir gestern sagte,

Schien mir sein Werk vollendet anzukünden.

Er sorgt nur kleine Züge zu verbessern,

Um deiner Huld, die ihm so viel gewährt,

Ein würdig Opfer endlich darzubringen.

Alphons.

Er soll willkommen sein, wenn er es bringt,

Und los gesprochen sein auf lange Zeit.

So sehr ich Teil an seiner Arbeit nehme,

So sehr in manchem Sinn das große Werk

Mich freut und freuen muss, so sehr vermehrt

Sich auch zuletzt die Ungeduld in mir.

Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden,

Er ändert stets, ruckt langsam weiter vor,

Steht wieder still, er hintergeht die Hoffnung;

Unwillig sieht man den Genuss entfernt

In späte Zeit, den man so nah geglaubt.

Prinzessin.

Ich lobe die Bescheidenheit, die Sorge,

Womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht.

Nur durch die Gunst der Musen schließen sich

So viele Reime fest in eins zusammen!

Und seine Seele hegt nur diesen Trieb,

Es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ründen:

Er will nicht Mährchen über Mährchen häufen,

Die reizend unterhalten und zuletzt

Wie lose Worte nur verklingend täuschen.

Lass ihn, mein Bruder! Denn es ist die Zeit

Von einem guten Werke nicht das Maß;

Und wenn die Nachwelt mit genießen soll,

So muss des Künstlers Mitwelt sich vergessen.

Alphons.

Lass uns zusammen, liebe Schwester, wirken,

Wie wir zu beider Vorteil oft getan!

Wenn ich zu eifrig bin, so lindre du:

Und bist du zu gelind, so will ich treiben.

Wir sehen dann auf einmal ihn vielleicht

Am Ziel, wo wir ihn lang’ gewünscht zu sehn.

Dann soll das Vaterland, es soll die Welt

Erstaunen, welch ein Werk vollendet worden.

Ich nehme meinen Teil des Ruhms davon,

Und er wird in das Leben eingeführt.

Ein edler Mensch kann einem engen Kreise

Nicht seine Bildung danken. Vaterland

Und Welt muss auf ihn wirken. Ruhm und Tadel

Muss er ertragen lernen. Sich und andre

Wird er gezwungen recht zu kennen. Ihn

Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein.

Es will der Feind – es darf der Freund nicht schonen;

Dann übt der Jüngling streitend seine Kräfte,

Fühlt was er ist, und fühlt sich bald ein Mann.

Leonore.

So wirst du, Herr, für ihn noch alles tun,

Wie du bisher für ihn schon viel getan.

Es bildet ein Talent sich in der Stille,

Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.

O dass er sein Gemüt wie seine Kunst

An deinen Lehren bilde! Dass er nicht

Die Menschen länger meide, dass sein Argwohn

Sich nicht zuletzt in Furcht und Hass verwandle!

Alphons.

Die Menschen fürchtet nur, wer sie nicht kennt,

Und wer sie meidet, wird sie bald verkennen.

Das ist sein Fall, und so wird nach und nach

Ein frei Gemüt verworren und gefesselt.

So ist er oft um meine Gunst besorgt,

Weit mehr, als es ihm ziemte; gegen viele

Hegt er ein Misstraun, die, ich weiß es sicher,

Nicht seine Feinde sind. Begegnet ja,

Dass sich ein Brief verirrt, dass ein Bedienter

Aus seinem Dienst in einen andern geht,

Dass ein Papier aus seinen Händen kommt,

Gleich sieht er Absicht, sieht Verräterei

Und Tücke die sein Schicksal untergräbt.

Prinzessin.

Lass uns, geliebter Bruder, nicht vergessen,

Dass von sich selbst der Mensch nicht scheiden kann.

Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln sollte,

Sich einen Fuß beschädigte, wir würden

Doch lieber langsam gehn und unsre Hand

Ihm gern und willig leihen.

Alphons.

Besser wär’s,

Wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich

Auf treuen Rat des Arztes eine Kur

Versuchten, dann mit dem Geheilten froh

Den neuen Weg des frischen Lebens gingen.

Doch hoff’ ich, meine Lieben, dass ich nie

Die Schuld des rauen Arztes auf mich lade.

Ich tue, was ich kann, um Sicherheit

Und Zutraun seinem Busen einzuprägen.

Ich geb’ ihm oft in Gegenwart von vielen

Entschiedne Zeichen meiner Gunst. Beklagt

Er sich bei mir, so lass’ ich’s untersuchen;

Wie ich es tat, als er sein Zimmer neulich

Erbrochen glaubte. Lässt sich nichts entdecken,

So zeig’ ich ihm gelassen, wie ich’s sehe;

Und da man alles üben muss, so üb’ ich,

Weil er’s verdient, an Tasso die Geduld:

Und ihr, ich weiß es, steht mir willig bei.

Ich hab’ euch nun aufs Land gebracht und gehe

Heut’ Abend nach der Stadt zurück. Ihr werdet

Auf einen Augenblick Antonio sehen;

Er kommt von Rom und holt mich ab. Wir haben

Viel auszureden, abzutun. Entschlüsse

Sind nun zu fassen, Briefe viel zu schreiben;

Das alles nötigt mich zur Stadt zurück.

Prinzessin.

Erlaubst du uns dass wir dich hin begleiten?

Alphons.

Bleibt nur in Belriguardo, geht zusammen

Hinüber nach Consandoli! Genießt

Der schönen Tage ganz nach freier Lust.

Prinzessin.

Du kannst nicht bei uns bleiben? Die Geschäfte

Nicht hier so gut als in der Stadt verrichten?

Leonore.

Du führst uns gleich Antonio hinweg,

Der uns von Rom so viel erzählen sollte?

Alphons.

Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme

Mit ihm so bald, als möglich ist, zurück:

Dann soll er euch erzählen und ihr sollt

Mir ihn belohnen helfen, der so viel

In meinem Dienst aufs Neue sich bemüht.

Und haben wir uns wieder ausgesprochen,

So mag der Schwarm dann kommen, dass es lustig

In unsern Gärten werde, dass auch mir,

Wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen

Wenn ich sie suche gern begegnen mag.

Leonore.

Wir wollen freundlich durch die Finger sehen.

Alphons.

Dagegen wisst ihr, dass ich schonen kann.

Prinzessin (nach der Szene gekehrt).

Schon lange seh’ ich Tasso kommen. Langsam

Bewegt er seine Schritte, steht bisweilen

Auf einmal still, wie unentschlossen, geht

Dann wieder schneller auf uns los und weilt

Schon wieder.

Alphons.

Stört ihn, wenn er denkt und dichtet,

In seinen Träumen nicht, und lasst ihn wandeln.

Leonore.

Nein, er hat uns gesehn, er kommt hierher.

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Tasso.

Tasso (mit einem Buche, in Pergament geheftet).

Ich komme langsam, dir ein Werk zu bringen,

Und zaudre noch, es dir zu überreichen.

Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet,

Wenn es auch gleich geendigt scheinen möchte.

Allein, war ich besorgt, es unvollkommen

Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun

Die neue Sorge: Möcht’ ich doch nicht gern

Zu ängstlich, möcht’ ich nicht undankbar scheinen.

Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich!

Dass Freunde seiner schonend sich erfreuen,

So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin!

(Er übergibt den Band.)

Alphons.

Du überraschest mich mit deiner Gabe

Und machst mir diesen schönen Tag zum Fest.

So halt’ ich’s endlich denn in meinen Händen,

Und nenn’ es in gewissem Sinne mein!

Lang’ wünscht’ ich schon, du möchtest dich entschließen

Und endlich sagen: Hier! Es ist genug.

Tasso.

Wenn Ihr zufrieden seid, so ist’s vollkommen;

Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.

Betrachtet’ ich den Fleiß, den ich verwendet,

Sah ich die Züge meiner Feder an,

So konnt’ ich sagen: Dieses Werk ist mein.

Doch seh’ ich näher an, was dieser Dichtung

Den innren Wert und ihre Würde gibt,

Erkenn’ ich wohl: Ich hab’ es nur von euch.

Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe

Aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt,

So hatte mich das eigensinn’ge Glück

Mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen;

Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben

Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,

So trübte bald den jugendlichen Sinn

Der teuren Eltern unverdiente Not.

Eröffnete die Lippe sich zu singen,

So floss ein traurig Lied von ihr herab,

Und ich begleitete mit leisen Tönen

Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.

Du warst allein, der aus dem engen Leben

Zu einer schönen Freiheit mich erhob;

Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,

Mir Freiheit gab, dass meine Seele sich

Zu mutigem Gesang entfalten konnte;

Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält,

Euch dank’ ich ihn; denn euch gehört es zu.

Alphons.

Zum zweiten Mal verdienst du jedes Lob

Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich.

Tasso.

O könnt’ ich sagen wie ich lebhaft fühle,

Dass ich von Euch nur habe, was ich bringe!

Der tatenlose Jüngling – nahm er wohl

Die Dichtung aus sich selbst? Die kluge Leitung

Des raschen Krieges – hat er die ersonnen?

Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held

An dem beschiednen Tage kräftig zeigt,

Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut,

Und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft,

Hast du mir nicht, o kluger, tapfrer Fürst,

Das alles eingeflößt als wärest du

Mein Genius, der eine Freude fände,

Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen

Durch einen Sterblichen zu offenbaren?

Prinzessin.

Genieße nun des Werks, das uns erfreut!

Alphons.

Erfreue dich des Beifalls jedes Guten!

Leonore.

Des allgemeinen Ruhms erfreue dich.

Tasso.

Mir ist an diesem Augenblick genug.

An euch nur dacht’ ich wenn ich sann und schrieb;

Euch zu gefallen, war mein höchster Wunsch,

Euch zu ergötzen, war mein letzter Zweck.

Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht,

Verdient nicht, dass die Welt von ihm erfahre.

Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis,

In dem sich meine Seele gern verweilt.

Hier horch’ ich auf, hier acht’ ich jeden Wink.

Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack;

Ja, Welt und Nachwelt seh’ ich vor mir stehn.

Die Menge macht den Künstler irr’ und scheu:

Nur wer Euch ähnlich ist, versteht und fühlt,

Nur der allein soll richten und belohnen!

Alphons.

Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor,

So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.

Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt,

Das selbst der Held, der seiner stets bedarf,

Ihm ohne Neid ums Haupt gewunden sieht,

Erblick’ ich hier auf deines Anherrn Stirne.

(Auf die Herme Virgils deutend.)

Hat es der Zufall, hat’s ein Genius

Geflochten und gebracht? Es zeigt sich hier

Uns nicht umsonst. Virgil hör’ ich sagen:

Was ehret ihr die Toten? Hatten die

Doch ihren Lohn und Freude da sie lebten;

Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,

So gebt auch den Lebendigen ihr Teil.

Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug –

Der grüne Zweig gehört dem Leben an.

(Alphons winkt seiner Schwester; sie nimmt den Kranz von der Büste Virgils und nähert sich Tasso. Er tritt zurück.)

Leonore.

Du weigerst dich? Sieh welche Hand den Kranz,

Den schönen unverwelklichen, dir bietet!

Tasso.

O lasst mich zögern! Seh’ ich doch nicht ein,

Wie ich nach dieser Stunde leben soll.

Alphons.

In dem Genuss des herrlichen Besitzes,

Der dich im ersten Augenblick erschreckt.

Prinzessin (indem sie den Kranz in die Höhe hält).

Du gönnest mir die seltne Freude, Tasso,

Dir ohne Wort zu sagen, wie ich denke.

Tasso.

Die schöne Last aus deinen teuren Händen

Empfang’ ich kniend auf mein schwaches Haupt.

(Er kniet nieder, die Prinzessin setzt ihm den Kranz auf.)

Leonore (applaudierend).

Es lebe der zum ersten Mal bekränzte!

Wie zieret den bescheidnen Mann der Kranz!

(Tasso steht auf.)

Alphons.

Es ist ein Vorbild nur von jener Krone,

Die auf dem Kapitol dich zieren soll.

Prinzessin.

Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen;

Mit leiser Lippe lohnt die Freundschaft hier.

Tasso.

O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,

Nehmt ihn hinweg! Er sengt mir meine Locken,

Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß

Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft

Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze

Bewegt mein Blut. Verzeiht! Es ist zu viel!

Leonore.

Es schützet dieser Zweig vielmehr das Haupt

Des Manns, der in den heißen Regionen

Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirne.

Tasso.

Ich bin nicht wert, die Kühlung zu empfinden,

Die nur um Heldenstirnen wehen soll.

O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt

Ihn zwischen Wolken, dass er hoch und höher

Und unerreichbar schwebe! Dass mein Leben

Nach diesem Ziel ein ewig Wandeln sei!

Alphons.

Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Wert

Der holden Güter dieses Lebens schätzen;

Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben

Mit Willen nicht, was er einmal besaß;

Und wer besitzt, der, muss gerüstet sein.

Tasso.

Und wer sich rüsten will, muss eine Kraft

Im Busen fühlen, die ihm nie versagt.

Ach! Sie versagt mir eben jetzt! Im Glück

Verlässt sie mich, die angeborne Kraft,

Die standhaft mich dem Unglück, stolz dem Unrecht

Begegnen lehrte. Hat die Freude mir,

Hat das Entzücken dieses Augenblicks

Das Mark in meinen Gliedern aufgelöst?

Es sinken meine Knie! Noch einmal

Siehst du, o Fürstin, mich gebeugt vor dir!

Erhöre meine Bitte: Nimm ihn weg!

Dass, wie aus einem schönen Traum erwacht,

Ich ein erquicktes neues Leben fühle.

Prinzessin.

Wenn du bescheiden ruhig das Talent,

Das dir die Götter gaben, tragen kannst,

So lern’ auch diese Zweige tragen, die

Das Schönste sind, was wir dir geben können.

Wem einmal, würdig, sie das Haupt berührt,

Dem schweben sie auf ewig um die Stirne.

Tasso.

So lasst mich denn beschämt von hinnen gehn!

Lasst mich mein Glück im tiefen Hain verbergen,

Wie ich sonst meine Schmerzen dort verbarg.

Dort will ich einsam wandeln, dort erinnert

Kein Auge mich ans unverdiente Glück.

Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen

In seinem reinen Spiegel einen Mann,

Der wunderbar bekränzt im Widerschein

Des Himmels zwischen Bäumen, zwischen Felsen

Nachdenkend ruht: So scheint es mir, ich sehe

Elysium auf dieser Zauberfläche

Gebildet. Still bedenk’ ich mich und frage:

Wer mag der Abgeschiedne sein? Der Jüngling

Aus der vergangnen Zeit? So schön bekränzt?

Wer sagt mir seinen Namen? Sein Verdienst?

Ich warte lang’ und denke: Käme doch

Ein andrer und noch einer, sich zu ihm

In freundlichem Gespräche zu gesellen!

O säh’ ich die Heroen, die Poeten

Der alten Zeit um diesen Quell versammelt!

O säh’ ich hier sie immer unzertrennlich,

Wie sie im Leben fest verbunden waren!

So bindet der Magnet durch seine Kraft

Das Eisen mit dem Eisen fest zusammen,

Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet.

Homer vergaß sich selbst, sein ganzes Leben

War der Betrachtung zweier Männer heilig,

Und Alexander in Elysium

Eilt, den Achill und den Homer zu suchen.

O dass ich gegenwärtig wäre, sie,

Die größten Seelen, nun vereint zu sehen!

Leonore.

Erwach’! Erwache! Lass uns nicht empfinden,

Dass du das Gegenwärt’ge ganz verkennst.

Tasso.

Es ist die Gegenwart, die mich erhöht;

Abwesend schein’ ich nur: Ich bin entzückt.

Prinzessin.

Ich freue mich, wenn du mit Geistern redest,

Dass du so menschlich sprichst, und hör’ es gern.

(Ein Page tritt zu dem Fürsten und richtet leise etwas aus.)

Alphons.

Er ist gekommen! Recht zur guten Stunde.

Antonio! – Bring ihn her – Da kommt er schon!

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Antonio.

Alphons.

Willkommen! Der du uns zugleich dich selbst

Und gute Botschaft bringst.

Prinzessin.

Sei uns gegrüßt!

Antonio.

Kaum wag’ ich es zu sagen, welch Vergnügen

In eurer Gegenwart mich neu belebt.

Vor euren Augen find’ ich alles wieder,

Was ich so lang’ entbehrt. Ihr scheint zufrieden

Mit dem, was ich getan, was ich vollbracht;

Und so bin ich belohnt für jede Sorge,

Für manchen bald mit Ungeduld durchharrten,

Bald absichtsvoll verlornen Tag. Wir haben

Nun, was wir wünschen, und kein Streit ist mehr.

Leonore.

Auch ich begrüße dich, wenn ich schon zürne.

Du kommst nur eben, da ich reisen muss.

Antonio.

Damit mein Glück nicht ganz vollkommen werde,

Nimmst du mir gleich den schönen Teil hinweg.

Tasso.

Auch meinen Gruß! Ich hoffe mich der Nähe

Des viel erfahrnen Mannes auch zu freun.

Antonio.

Du wirst mich wahrhaft finden, wenn du je

Aus deiner Welt in meine schauen magst.

Alphons.

Wenn du mir gleich in Briefen schon gemeldet,

Was du getan, und wie es dir ergangen,

So hab’ ich doch noch manches auszufragen,

Durch welche Mittel das Geschäft gelang.

Auf jenem wunderbaren Boden will der Schritt

Wohl abgemessen sein, wenn er zuletzt

An deinen eignen Zweck dich führen soll.

Wer seines Herren Vorteil rein bedenkt,

Der hat in Rom gar einen schweren Stand:

Denn Rom will alles nehmen, geben nichts;

Und kommt man hin, um etwas zu erhalten,

Erhält man nichts, man bringe denn was hin,

Und glücklich, wenn man da noch was erhält.

Antonio.

Es ist nicht mein Betragen, meine Kunst,

Durch die ich deinen Willen, Herr, vollbracht;

Denn welcher Kluge fänd’ im Vatikan

Nicht seinen Meister? Vieles traf zusammen,

Das ich zu unserm Vorteil nutzen konnte.

Dich ehrt Gregor und grüßt und segnet dich.

Der Greis, der würdigste, dem eine Krone

Das Haupt belastet, denkt der Zeit mit Freuden,

Da er in seinen Arm dich schloss. Der Mann,

Der Männer unterscheidet, kennt und rühmt

Dich hoch! Um deinetwillen tat er viel.

Alphons.

Ich freue seiner guten Meinung mich,

Sofern sie redlich ist. Doch weißt du wohl,

Vom Vatikan herab sieht man die Reiche

Schon klein genug zu seinen Füßen liegen,

Geschweige denn die Fürsten und die Menschen.

Gestehe nur, was dir am meisten half!

Antonio.

Gut! Wenn du willst: Der hohe Sinn des Papsts.

Er sieht das Kleine klein, das Große groß.

Damit er einer Welt gebiete, gibt

Er seinen Nachbarn gern und freundlich nach.

Das Streifchen Land, das er dir überlässt,

Weiß er, wie deine Freundschaft, wohl zu schätzen.

Italien soll ruhig sein, er will

In seiner Nähe Freunde sehen, Friede

Bei seinen Grenzen halten, dass die Macht

Der Christenheit, die er gewaltig lenkt,

Die Türken da, die Ketzer dort vertilge.

Prinzessin.

Weiß man die Männer, die er mehr als andre

Begünstigt, die sich ihm vertraulich nahn?

Antonio.

Nur der erfahrne Mann besitzt sein Ohr,

Der tätige sein Zutraun, seine Gunst.

Er, der von Jugend auf dem Staat gedient,

Beherrscht ihn jetzt und wirkt auf jene Höfe,

Die er vor Jahren als Gesandter schon

Gesehen und gekannt und oft gelenkt.

Es liegt die Welt so klar vor seinem Blick

Als wie der Vorteil seines eignen Staats.

Wenn man ihn handeln sieht, so lobt man ihn

Und freut sich, wenn die Zeit entdeckt, was er

Im stillen lang’ bereitet und vollbracht.

Es ist kein schönrer Anblick in der Welt,

Als einen Fürsten sehn, der klug regieret,

Das Reich zu sehn, wo jeder stolz gehorcht,

Wo jeder sich nur selbst zu dienen glaubt,

Weil ihm das Rechte nur befohlen wird.

Leonore.

Wie sehnlich wünscht’ ich jene Welt einmal

Recht nah zu sehn!

Alphons.

Doch wohl um mit zu wirken

Denn bloß beschaun wird Leonore nie.

Es wäre doch recht artig, meine Freundin,

Wenn in das große Spiel wir auch zuweilen

Die zarten Hände mischen könnten – Nicht?

Leonore (zu Alphons).

Du willst mich reizen, es gelingt dir nicht.

Alphons.

Ich bin dir viel von andern Tagen schuldig.

Leonore.

Nun gut, so bleib’ ich heut in deiner Schuld!

Verzeih’ und störe meine Fragen nicht.

(Zu Antonio.) Hat er für die Nepoten viel getan?

Antonio.

Nicht weniger noch mehr, als billig ist.

Ein Mächtiger, der für die Seinen nicht

Zu sorgen weiß, wird von dem Volke selbst

Getadelt. Still und mäßig weiß Gregor

Den Seinigen zu nutzen, die dem Staat

Als wackre Männer dienen, und erfüllt

Mit Einer Sorge zwei verwandte Pflichten.

Tasso.

Erfreut die Wissenschaft, erfreut die Kunst

Sich seines Schutzes auch? Und eifert er

Den großen Fürsten alter Zeiten nach?

Antonio.

Er ehrt die Wissenschaft, so fern sie nutzt,

Den Staat regieren, Völker kennen lehrt;

Er schätzt die Kunst, so fern sie ziert, sein Rom

Verherrlicht und Palast und Tempel

Zu Wunderwerken dieser Erde macht.

In seiner Nähe darf nichts müßig sein!

Was gelten soll, muss wirken und muss dienen.

Alphons.

Und glaubst du, dass wir das Geschäfte bald

Vollenden können? Dass sie nicht zuletzt

Noch hie und da uns Hindernisse streuen?

Antonio.

Ich müsste sehr mich irren, wenn nicht gleich

Durch deinen Nahmenszug, durch wenig Briefe

Auf immer dieser Zwist gehoben wäre.

Alphons.

So lob’ ich diese Tage meines Lebens

Als eine Zeit des Glückes und Gewinns.

Erweitert seh’ ich meine Grenze, weiß

Sie für die Zukunft sicher. Ohne Schwertschlag

Hast du’s geleistet, eine Bürgerkrone

Dir wohl verdient. Es sollen unsre Frauen

Vom ersten Eichenlaub am schönsten Morgen

Geflochten dir sie um die Stirne legen.

Indessen hat mich Tasso auch bereichert:

Er hat Jerusalem für uns erobert

Und so die neue Christenheit beschämt,

Ein weit entferntes, hoch gestecktes Ziel

Mit frohem Mut und strengem Fleiß erreicht.

Für seine Mühe siehst du ihn gekrönt.

Antonio.

Du lösest mir ein Räthsel. Zwei Bekränzte

Erblickt’ ich mit Verwundrung, da ich kam.

Tasso.

Wenn du mein Glück vor deinen Augen siehst,

So wünscht’ ich, dass du mein beschämt Gemüt

Mit eben diesem Blicke schauen könntest.

Antonio.

Mir war es lang’ bekannt, dass im Belohnen

Alphons unmäßig ist, und du erfährst

Was jeder von den Seinen schon erfuhr.

Prinzessin.

Wenn du erst siehst, was er geleistet hat,

So wirst du uns gerecht und mäßig finden.

Wir sind nur hier die ersten stillen Zeugen

Des Beifalls, den die Welt ihm nicht versagt,

Und den ihm zehnfach künft’ge Jahre gönnen.

Antonio.

Er ist durch euch schon seines Ruhms gewiss.

Wer dürfte zweifeln, wo ihr preisen könnt?

Doch sage mir, wer druckte diesen Kranz

Auf Ariostes Stirne?

Leonore.

Diese Hand.

Antonio.

Und sie hat wohl getan! Er ziert ihn schön,

Als ihn der Lorbeer selbst nicht zieren würde.

Wie die Natur die innig reiche Brust

Mit einem grünen bunten Kleide deckt,

So hüllt er alles, was den Menschen nur

Ehrwürdig, liebenswürdig machen kann,

Ins blühende Gewand der Fabel ein.

Zufriedenheit, Erfahrung und Verstand

Und Geisteskraft, Geschmack und reiner Sinn

Fürs wahre Gute, geistig scheinen sie

In seinen Liedern und persönlich doch

Wie unter Blütenbäumen auszuruhn,

Bedeckt vom Schnee der leicht getragnen Blüten,

Umkränzt von Rosen, wunderlich umgaukelt

Vom losen Zauberspiel der Amoretten.

Der Quell des Überflusses rauscht darneben,

Und lässt uns bunte Wunderfische sehn.

Von seltenem Geflügel ist die Luft,

Von fremden Herden Wies’ und Busch erfüllt;

Die Schalkheit lauscht im Grünen halb versteckt,

Die Weisheit lässt von einer goldnen Wolke

Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche tönen,

Indes auf wohl gestimmter Laute wild

Der Wahnsinn hin und her zu wühlen scheint

Und doch im schönsten Takt sich mäßig hält.

Wer neben diesem Mann sich wagen darf,

Verdient für seine Kühnheit schon den Kranz.

Vergebt, wenn ich mich selbst begeistert fühle,

Wie ein Verzückter weder Zeit noch Ort,

Noch, was ich sage, wohl bedenken kann;

Denn alle diese Dichter, diese Kränze,

Das seltne festliche Gewand der Schönen

Versetzt mich aus mir selbst in fremdes Land.

Prinzessin.

Wer ein Verdienst so wohl zu schätzen weiß,

Der wird das andre nicht verkennen. Du

Sollst uns dereinst in Tassos Liedern zeigen,

Was wir gefühlt und was nur du erkennst.

Alphons.

Komm mit, Antonio! Manches hab’ ich noch,

Worauf ich sehr begierig bin, zu fragen.

Dann sollst du bis zum Untergang der Sonne

Den Frauen angehören. Komm! Lebt wohl.

(Dem Fürsten folgt Antonio, den Damen Tasso.)

 
 * 

Zweiter Aufzug

(Saal.)

Erster Auftritt

Prinzessin. Tasso.

Tasso.

Unsicher folgen meine Schritte dir,

O Fürstin, und Gedanken ohne Maß

Und Ordnung regen sich in meiner Seele.

Mir scheint die Einsamkeit zu winken, mich

Gefällig anzulispeln: Komm, ich löse

Die neu erregten Zweifel deiner Brust.

Doch werf’ ich einen Blick auf dich, vernimmt

Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe,

So wird ein neuer Tag um mich herum,

Und alle Bande fallen von mir los.

Ich will dir gern gestehn, es hat der Mann,

Der unerwartet zu uns trat, nicht sanft

Aus einem schönen Traum mich aufgeweckt;

Sein Wesen, seine Worte haben mich

So wunderbar getroffen, dass ich mehr

Als je mich doppelt fühle, mit mir selbst

Aufs neu’ in streitender Verwirrung bin.

Prinzessin.

Es ist unmöglich, dass ein alter Freund,

Der, lang’ entfernt, ein fremdes Leben führte,

Im Augenblick, da er uns wieder sieht,

Sich wieder gleich wie ehmals finden soll.

Er ist in seinem Innern nicht verändert;

Lass uns mit ihm nur wenig Tage leben,

So stimmen sich die Saiten hin und wider,

Bis glücklich eine schöne Harmonie

Aufs neue sie verbindet. Wird er dann

Auch näher kennen, was du diese Zeit

Geleistet hast, so stellt er dich gewiss

Dem Dichter an die Seite, den er jetzt

Als einen Riesen dir entgegen stellt.

Tasso.

Ach, meine Fürstin, Ariostes Lob

Aus seinem Munde hat mich mehr ergötzt,

Als dass es mich beleidigt hätte. Tröstlich

Ist es für uns, den Mann gerühmt zu wissen,

Der als ein großes Muster vor uns steht.

Wir können uns im stillen Herzen sagen:

Erreichst du einen Teil von seinem Wert,

Bleibt dir ein Teil auch seines Ruhms gewiss.

Nein, was das Herz im tiefsten mir bewegte,

Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt,

Es waren die Gestalten jener Welt,

Die sich lebendig, rastlos, ungeheuer

Um einen großen, einzig klugen Mann

Gemessen dreht und ihren Lauf vollendet,

Den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt.

Begierig horcht’ ich auf, vernahm mit Lust

Die sichern Worte des erfahrnen Mannes;

Doch ach! Je mehr ich horchte, mehr und mehr

Versank ich vor mir selbst, ich fürchtete,

Wie Echo an den Felsen zu verschwinden,

Ein Widerhall, ein Nichts mich zu verlieren.

Prinzessin.

Und schienst noch kurz vorher so rein zu fühlen,

Wie Held und Dichter füreinander leben,

Wie Held und Dichter sich einander suchen,

Und keiner je den andern neiden soll?

Zwar herrlich ist die liedeswerte Tat,

Doch schön ist’s auch, der Taten stärkste Fülle

Durch würd’ge Lieder auf die Nachwelt bringen.

Begnüge dich aus einem kleinen Staate,

Der dich beschützt, dem wilden Lauf der Welt,

Wie von dem Ufer, ruhig zuzusehn.

Tasso.

Und sah ich hier mit Staunen nicht zuerst,

Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?

Als unerfahrner Knabe kam ich her,

In einem Augenblick, da Fest auf Fest

Ferrara zu dem Mittelpunkt der Ehre

Zu machen schien. O! Welcher Anblick war’s!

Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze

Gewandte Tapferkeit sich zeigen sollte,

Umschloss ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht

So bald zum zweiten Mal bescheinen wird.

Es saßen hier gedrängt die schönsten Frauen,

Gedrängt die ersten Männer unsrer Zeit.

Erstaunt durchlief der Blick die edle Menge;

Man rief: Sie alle hat das Vaterland,

Das eine, schmale, Meer umgebne Land,

Hierher geschickt. Zusammen bilden sie

Das herrlichste Gericht, das über Ehre,

Verdienst und Tugend je entschieden hat.

Gehst du sie einzeln durch, du findest keinen,

Der seines Nachbarn sich zu schämen brauche! –

Und dann eröffneten die Schranken sich;

Da stampften Pferde, glänzten Helm und Schilde,

Da drängten sich die Knappen, da erklang

Trompetenschall, und Lanzen krachten splitternd,

Getroffen tönten Helm’ und Schilde, Staub,

Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd

Des Siegers Ehre, des Besiegten Schmach.

O lass mich einen Vorhang vor das ganze,

Mir allzu helle Schauspiel ziehen, dass

In diesem schönen Augenblicke mir

Mein Unwert nicht zu heftig fühlbar werde.

Prinzessin.

Wenn jener edle Kreis, wenn jene Taten

Zu Müh’ und Streben damals dich entflammten,

So konnt’ ich, junger Freund, zu gleicher Zeit

Der Duldung stille Lehre dir bewähren.

Die Feste, die du rühmst, die hundert Zungen

Mir damals priesen und mir manches Jahr

Nachher gepriesen haben, sah ich nicht.

Am stillen Ort, wohin kaum unterbrochen

Der letzte Widerhall der Freude sich

Verlieren konnte, musst’ ich manche Schmerzen

Und manchen traurigen Gedanken leiden.

Mit breiten Flügeln schwebte mir das Bild

Des Todes vor den Augen, deckte mir

Die Aussicht in die immer neue Welt.

Nur nach und nach entfernt’ es sich, und ließ

Mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben

Des Lebens, blass, doch angenehm, erblicken.

Ich sah’ lebend’ge Formen wieder sanft sich regen.

Zum ersten Mal trat ich, noch unterstützt

Von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer,

Da kam Lucretia voll frohen Lebens

Herbei und führte dich an ihrer Hand.

Du warst der erste, der im neuen Leben

Mir neu und unbekannt entgegen trat.

Da hofft ich viel für dich und mich; auch hat

Uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen.

Tasso.

Und ich, der ich, betäubt von dem Gewimmel

Des drängenden Gewühls, von so viel Glanz

Geblendet, und von mancher Leidenschaft

Bewegt, durch stille Gänge des Palasts

An deiner Schwester Seite schweigend ging,

Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald,

Auf deine Fraun gelehnt erschienest – mir

Welch ein Moment war dieser! O vergib!

Wie den Bezauberten von Rausch und Wahn

Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt,

So war auch ich von aller Phantasie,

Von jeder Sucht, von jedem falschen Triebe

Mit einem Blick in deinen Blick geheilt.

Wenn unerfahren die Begierde sich

Nach tausend Gegenständen sonst verlor,

Trat ich beschämt zuerst in mich zurück

Und lernte nun das Wünschenswerte kennen.

So sucht man in dem weiten Sand des Meers

Vergebens eine Perle, die verborgen

In stillen Schalen eingeschlossen ruht.

Prinzessin.

Es fingen schöne Zeiten damals an,

Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino

Die Schwester weggeführt, uns wären Jahre

Im schönen, ungetrübten Glück verschwunden.

Doch leider jetzt vermissen wir zu sehr

Den frohen Geist, die Brust voll Mut und Leben,

Den reichen Witz der liebenswürd’gen Frau.

Tasso.

Ich weiß es nur zu wohl, seit jenem Tage,

Da sie von hinnen schied, vermochte dir

Die reine Freude niemand zu ersetzen.

Wie oft zerriss es meine Brust! Wie oft

Klagt’ ich dem stillen Hain mein Leid um dich!

Ach! Rief ich aus, hat denn die Schwester nur

Das Glück, das Recht, der Teuern viel zu sein?

Ist denn kein Herz mehr wert, dass sie sich ihm

Vertrauen dürfte, kein Gemüt dem ihren

Mehr gleich gestimmt? Ist Geist und Witz verloschen?

Und war die eine Frau, so trefflich sie

Auch war, denn alles? Fürstin! O verzeih!

Da dacht’ ich manchmal an mich selbst und wünschte,

Dir etwas sein zu können. Wenig nur,

Doch etwas, nicht mit Worten, mit der Tat

Wünscht’ ich’s zu sein, im Leben dir zu zeigen,

Wie sich mein Herz im Stillen dir geweiht.

Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft

Tat ich im Irrtum was dich schmerzen musste,

Beleidigte den Mann, den du beschütztest,

Verwirrte unklug was du lösen wolltest,

Und fühlte so mich stets im Augenblick,

Wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner.

Prinzessin.

Ich habe, Tasso, deinen Willen nie

Verkannt und weiß, wie du, dir selbst zu schaden,

Geschäftig bist. Anstatt dass meine Schwester

Mit jedem, wie er sei, zu leben weiß,

So kannst du selbst nach vielen Jahren kaum

In einen Freund dich finden.

Tasso.

Tadle mich!

Doch sage mir hernach: Wo ist der Mann,

Die Frau, mit der ich wie mit dir

Aus freiem Busen wagen darf zu reden?

Prinzessin.

Du solltest meinem Bruder dich vertraun.

Tasso.

Er ist mein Fürst! – Doch glaube nicht, dass mir

Der Freiheit wilder Trieb den Busen blähe.

Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein,

Und für den Edeln ist kein schöner Glück,

Als einem Fürsten, den er ehrt, zu dienen.

Und so ist er mein Herr, und ich empfinde

Den ganzen Umfang dieses großen Worts.

Nun muss ich schweigen lernen, wenn er spricht,

Und tun, wenn er gebietet, mögen auch

Verstand und Herz ihm lebhaft widersprechen.

Prinzessin.

Das ist der Fall bei meinem Bruder nie,

Und nun, da wir Antonio wieder haben,

Ist dir ein neuer kluger Freund gewiss.

Tasso.

Ich hofft’ es ehmals, jetzt verzweifl’ ich fast.

Wie lehrreich wäre mir sein Umgang, nützlich

Sein Rat in tausend Fällen! Er besitzt,

Ich mag wohl sagen, alles, was mir fehlt.

Doch – haben alle Götter sich versammelt,

Geschenke seiner Wiege darzubringen:

Die Grazien sind leider ausgeblieben,

Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,

Der kann zwar viel besitzen, vieles geben,

Doch lässt sich nie an seinem Busen ruhn.

Prinzessin.

Doch lässt sich ihm vertraun, und das ist viel.

Du musst von einem Mann nicht alles fordern,

Und dieser leistet, was er dir verspricht.

Hat er sich erst für deinen Freund erklärt,

So sorgt er selbst für dich, wo du dir fehlst.

Ihr müsst verbunden sein! Ich schmeichle mir,

Dies schöne Werk in kurzem zu vollbringen.

Nur widerstehe nicht, wie du es pflegst!

So haben wir Lenore lang besessen,

Die fein und zierlich ist, mit der es leicht

Sich leben lässt; auch dieser hast du nie,

Wie sie es wünschte, näher treten wollen.

Tasso.

Ich habe dir gehorcht, sonst hätt’ ich mich

Von ihr entfernt, anstatt mich ihr zu nahen.

So liebenswürdig sie erscheinen kann,

Ich weiß nicht, wie es ist, konnt’ ich nur selten

Mit ihr ganz offen sein, und wenn sie auch

Die Absicht hat, den Freunden wohl zu tun,

So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.

Prinzessin.

Auf diesem Wege werden wir wohl nie

Gesellschaft finden, Tasso! Dieser Pfad

Verleitet uns, durch einsames Gebüsch,

Durch stille Täler fortzuwandern; mehr

Und mehr verwöhnt sich das Gemüt, und strebt,

Die goldne Zeit, die ihm von außen mangelt,

In seinem Innern wieder herzustellen,

So wenig der Versuch gelingen will.

Tasso.

O welches Wort spricht meine Fürstin aus.

Die goldne Zeit, wohin ist sie geflohn,

Nach der sich jedes Herz vergebens sehnt?

Da auf der freien Erde Menschen sich

Wie frohe Herden im Genuss verbreiteten;

Da ein uralter Baum auf bunter Wiese

Dem Hirten und der Hirtin Schatten gab,

Ein jüngeres Gebüsch die zarten Zweige

Um sehnsuchtsvolle Liebe traulich schlang;

Wo klar und still auf immer reinem Sande

Der weiche Fluss die Nymphe sanft umfing;

Wo in dem Grase die gescheuchte Schlange

Unschädlich sich verlor, der kühne Faun,

Vom tapfern Jüngling bald bestraft, entfloh;

Wo jeder Vogel in der freien Luft

Und jedes Tier, durch Berg’ und Täler schweifend,

Zum Menschen sprach: Erlaubt ist, was gefällt.

Prinzessin.

Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei,

Allein die Guten bringen sie zurück.

Und soll ich dir gestehen, wie ich denke:

Die goldne Zeit, womit der Dichter uns

Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war,

So scheint es mir, so wenig als sie ist;

Und war sie je, so war sie nur gewiss,

Wie sie uns immer wieder werden kann.

Noch treffen sich verwandte Herzen an

Und teilen den Genuss der schönen Welt;

Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund,

Ein einzig Wort: Erlaubt ist was sich ziemt.

Tasso.

O wenn aus guten, edlen Menschen nur

Ein allgemein Gericht bestellt entschiede,

Was sich denn ziemt! Anstatt dass jeder glaubt,

Es sei auch schicklich, was ihm nützlich ist.

Wir sehn ja, dem Gewaltigen, dem Klugen

Steht alles wohl, und er erlaubt sich alles.

Prinzessin.

Willst du genau erfahren, was sich ziemt,

So frage nur bei edlen Frauen an.

Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,

Dass alles wohl sich zieme, was geschieht.

Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer

Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.

Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,

Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.

Und wirst du die Geschlechter beide fragen:

Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.

Tasso.

Du nennest uns unbändig, roh, gefühllos?

Prinzessin.

Nicht das! Allein ihr strebt nach fernen Gütern,

Und euer Streben muss gewaltsam sein.

Ihr wagt es, für die Ewigkeit zu handeln,

Wenn wir ein einzig nah beschränktes Gut

Auf dieser Erde nur besitzen möchten,

Und wünschen, dass es uns beständig bleibe.

Wir sind von keinem Männerherzen sicher,

Das noch so warm sich einmal uns ergab.

Die Schönheit ist vergänglich, die ihr doch

Allein zu ehren scheint. Was übrig bleibt,

Das reizt nicht mehr, und was nicht reizt, ist tot.

Wenn’s Männer gäbe, die ein weiblich Herz

Zu schätzen wüssten, die erkennen möchten,

Welch einen holden Schatz von Treu’ und Liebe

Der Busen einer Frau bewahren kann;

Wenn das Gedächtnis einzig schöner Stunden

In euren Seelen lebhaft bleiben wollte;

Wenn euer Blick, der sonst durchdringend ist,

Auch durch den Schleier dringen könnte, den

Uns Alter oder Krankheit überwirft;

Wenn der Besitz, der ruhig machen soll,

Nach fremden Gütern euch nicht lüstern machte:

Dann wär’ uns wohl ein schöner Tag erschienen,

Wir feierten dann unsre goldne Zeit.

Tasso.

Du sagst mir Worte, die in meiner Brust

Halb schon entschlafne Sorgen mächtig regen.

Prinzessin.

Was meinst du, Tasso? Rede frei mit mir.

Tasso.

Oft hört’ ich schon, und diese Tage wieder

Hab’ ich’s gehört, ja hätt’ ich’s nicht vernommen,

So müsst’ ich’s denken: Edle Fürsten streben

Nach deiner Hand! Was wir erwarten müssen,

Das fürchten wir und möchten schier verzweifeln,

Verlassen wirst du uns, es ist natürlich;

Doch wie wir’s tragen wollen, weiß ich nicht.

Prinzessin.

Für diesen Augenblick seid unbesorgt!

Fast möcht’ ich sagen: Unbesorgt für immer.

Hier bin ich gern, und gerne mag ich bleiben.

Noch weiß ich kein Verhältnis, das mich lockte;

Und wenn ihr mich denn ja behalten wollt,

So lasst es mir durch Eintracht sehn und schafft

Euch selbst ein glücklich Leben, mir durch euch.

Tasso.

O lehre mich, das Mögliche zu tun!

Gewidmet sind dir alle meine Tage.

Wenn, dich zu preisen, dir zu danken, sich

Mein Herz entfaltet, dann empfind’ ich erst

Das reinste Glück, das Menschen fühlen können;

Das Göttlichste erfuhr ich nur in dir.

So unterscheiden sich die Erdengötter

Vor andern Menschen, wie das hohe Schicksal

Vom Rat und Willen selbst der klügsten Männer

Sich unterscheidet. Vieles lassen sie,

Wenn wir gewaltsam Wog’ auf Woge sehn,

Wie leichte Wellen, unbemerkt vorüber

Vor ihren Füßen rauschen, hören nicht

Den Sturm, der uns umsaust und niederwirft,

Vernehmen unser Flehen kaum und lassen,

Wie wir beschränkten armen Kindern tun,

Mit Seufzern und Geschrei die Luft uns füllen.

Du hast mich oft, o Göttliche, geduldet,

Und wie die Sonne, trocknete dein Blick

Den Tau von meinen Augenliedern ab.

Prinzessin.

Es ist sehr billig, dass die Frauen dir

Aufs freundlichste begegnen: Es verherrlicht

Dein Lied auf manche Weise das Geschlecht.

Zart oder tapfer, hast du stets gewusst,

Sie liebenswert und edel vorzustellen;

Und wenn Armide hassenswert erscheint,

Versöhnt ihr Reiz und ihre Liebe bald.

Tasso.

Was auch in meinem Liede widerklingt,

Ich bin nur einer, einer alles schuldig!

Es schwebt kein geistig unbestimmtes Bild

Vor meiner Stirne, das der Seele bald

Sich überglänzend nahte, bald entzöge.

Mit meinen Augen hab’ ich es gesehn,

Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;

Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:

Tancredes Heldenliebe zu Chlorinde,

Erminies stille, nicht bemerkte Treue,

Sophronies Großheit und Olindes Not,

Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,

Ich weiß es, sie sind ewig; denn sie sind.

Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte

Zu bleiben und im stillen fortzuwirken,

Als das Geheimnis einer edlen Liebe,

Dem holden Lied bescheiden anvertraut?

Prinzessin.

Und soll ich dir noch einen Vorzug sagen,

Den unvermerkt sich dieses Lied erschleicht?

Es lockt uns nach und nach, wir hören zu,

Wir hören und wir glauben zu verstehn,

Was wir verstehn, das können wir nicht tadeln,

Und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.

Tasso.

Welch einen Himmel öffnest du vor mir,

O Fürstin! Macht mich dieser Glanz nicht blind,

So seh’ ich unverhofft ein ewig Glück

Auf goldnen Strahlen herrlich niedersteigen.

Prinzessin.

Nicht weiter, Tasso! Viele Dinge sind’s,

Die wir mit Heftigkeit ergreifen sollen:

Doch andre können nur durch Mäßigung

Und durch Entbehren unser eigen werden.

So, sagt man, sei die Tugend, sei die Liebe,

Die ihr verwandt ist. Das bedenke wohl!

Zweiter Auftritt

Tasso (allein).

Ist dir’s erlaubt, die Augen aufzuschlagen?

Wagst du’s umher zu sehn? Du bist allein!

Vernahmen diese Säulen was sie sprach?

Und hast du Zeugen, diese stumme Zeugen

Des höchsten Glücks zu fürchten? Es erhebt

Die Sonne sich des neuen Lebenstages,

Der mit den vorigen sich nicht vergleicht.

Hernieder steigend hebt die Göttin schnell

Den Sterblichen hinauf. Welch neuer Kreis

Entdeckt sich meinem Auge, welches Reich!

Wie köstlich wird der heiße Wunsch belohnt!

Ich träumte mich dem höchsten Glücke nah,

Und dieses Glück ist über alle Träume.

Der Blindgeborne denke sich das Licht,

Die Farben wie er will; erscheinet ihm

Der neue Tag, ist’s ihm ein neuer Sinn.

Voll Mut und Ahnung, freudetrunken schwankend

Betret’ ich diese Bahn. Du gibst mir viel,

Du gibst, wie Erd’ und Himmel uns Geschenke

Mit vollen Händen übermäßig reichen,

Und forderst wieder, was von mir zu fordern

Nur eine solche Gabe dich berechtigt.

Ich soll entbehren, soll mich mäßig zeigen

Und so verdienen, dass du mir vertraust.

Was tat ich je, dass sie mich wählen konnte?

Was soll ich tun, um ihrer wert zu sein?

Sie konnte dir vertraun und dadurch bist du’s.

Ja, Fürstin, deinen Worten, deinen Blicken

Sei ewig meine Seele ganz geweiht!

Ja, fordre was du willst, denn ich bin dein!

Sie sende mich, Müh’ und Gefahr und Ruhm

In fernen Landen aufzusuchen, reiche

Im stillen Hain die goldne Leier mir,

Sie weihe mich der Ruh’ und ihrem Preis:

Ihr bin ich, bildend soll sie mich besitzen,

Mein Herz bewahrte jeden Schatz für sie.

O hätt’ ein tausendfaches Werkzeug mir

Ein Gott gegönnt, kaum drückt’ ich dann genug

Die unaussprechliche Verehrung aus.

Des Mahlers Pinsel und des Dichters Lippe,

Die süßeste, die je von frühem Honig

Genährt war, wünscht’ ich mir. Nein, künftig soll

Nicht Tasso zwischen Bäumen, zwischen Mensch

Sich einsam, schwach und trüb gesinnt verlieren!

Er ist nicht mehr allein, er ist mit dir.

O dass die edelste der Taten sich

Hier sichtbar vor mich stellte, rings umgeben

Von grässlicher Gefahr! Ich dränge zu

Und wagte gern das Leben, das ich nun

Von ihren Händen habe – forderte

Die besten Menschen mir zu Freunden auf,

Unmögliches mit einer edeln Schar

Nach Ihrem Wink und Willen zu vollbringen.

Voreiliger, warum verbarg dein Mund

Nicht das, was du empfandst, bis du dich wert

Und werter ihr zu Füßen legen konntest?

Das war dein Vorsatz, war dein kluger Wunsch.

Doch sei es auch! Viel schöner ist es, rein

Und unverdient ein solch Geschenk empfangen,

Als halb und halb zu wähnen, dass man wohl

Es habe fordern dürfen. Blicke freudig!

Es ist so groß, so weit, was vor dir liegt,

Und hoffnungsvolle Jugend lockt dich wieder

In unbekannte, lichte Zukunft hin!

– Schwelle Brust! – O Witterung des Glücks,

Begünst’ge diese Pflanze doch einmal!

Sie strebt gen Himmel, tausend Zweige dringen

Aus ihr hervor, entfalten sich zu Blüten.

O dass sie Furcht, o dass sie Freuden bringe!

Dass eine liebe Hand den goldnen Schmuck

Aus ihren frischen, reichen Ästen breche!

Dritter Auftritt

Tasso. Antonio.

Tasso.

Sei mir willkommen, den ich gleichsam jetzt

Zum ersten Mal erblicke! Schöner ward

Kein Mann mir angekündigt. Sei willkommen!

Dich kenn’ ich nun und deinen ganzen Wert,

Dir biet’ ich ohne Zögern Herz und Hand

Und hoffe, dass auch du mich nicht verschmähst.

Antonio.

Freigebig bietest du mir schöne Gaben,

Und ihren Wert erkenn’ ich wie ich soll:

Drum lass mich zögern, eh’ ich sie ergreife.

Weiß ich doch nicht, ob ich dir auch dagegen

Ein Gleiches geben kann. Ich möchte gern

Nicht übereilt und nicht undankbar scheinen:

Lass mich für beide klug und sorgsam sein.

Tasso.

Wer wird die Klugheit tadeln? Jeder Schritt

Des Lebens zeigt, wie sehr sie nötig sei;

Doch schöner ist’s, wenn uns die Seele sagt,

Wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen.

Antonio.

Darüber frage jeder sein Gemüt,

Weil er den Fehler selbst zu büßen hat.

Tasso.

So sei’s! Ich habe meine Pflicht getan:

Der Fürstin Wort, die uns zu Freunden wünscht,

Hab’ ich verehrt und mich dir vorgestellt.

Rückhalten durft’ ich nicht, Antonio; doch gewiss,

Zudringen will ich nicht. Es mag denn sein.

Zeit und Bekanntschaft heißen dich vielleicht

Die Gabe wärmer fordern, die du jetzt

So kalt beiseite lehnst und fast verschmähst.

Antonio.

Der Mäßige wird öfters kalt genannt

Von Menschen, die sich warm vor andern glauben,

Weil sie die Hitze fliegend überfällt.

Tasso.

Du tadelst, was ich tadle, was ich melde.

Auch ich verstehe wohl, so jung ich bin,

Der Heftigkeit die Dauer vorzuziehn.

Antonio.

Sehr weislich! Bleibe stets auf diesem Sinne.

Tasso.

Du bist berechtigt, mir zu raten, mich

Zu warnen; denn es steht Erfahrung dir

Als lang’ erprobte Freundin an der Seite.

Doch glaube nur, es horcht ein stilles Herz

Auf jedes Tages, jeder Stunde Warnung

Und übt sich ingeheim an jedem Guten,

Das deine Strenge neu zu lehren glaubt.

Antonio.

Es ist wohl angenehm, sich mit sich selbst

Beschäft’gen, wenn es nur so nützlich wäre.

Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes

Erkennen; denn er misst nach eignem Maß

Sich bald zu klein und leider oft zu groß.

Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur

Das Leben lehret jedem, was er sei.

Tasso.

Mit Beifall und Verehrung hör’ ich dich.

Antonio.

Und dennoch denkst du wohl bei diesen Worten

Ganz etwas anders, als ich sagen will.

Tasso.

Auf diese Weise rücken wir nicht näher.

Es ist nicht klug, es ist nicht wohl getan,

Vorsätzlich einen Menschen zu verkennen,

Er sei auch, wer er sei. Der Fürstin Wort

Bedurft’ es kaum, leicht hab’ ich dich erkannt:

Ich weiß, dass du das Gute willst und schaffst.

Dein eigen Schicksal lässt dich unbesorgt,

An andre denkst du, Andern stehst du bei,

Und auf des Lebens leicht bewegter Woge

Bleibt dir ein stetes Herz. So seh’ ich dich.

Und was wär’ ich, ging’ ich dir nicht entgegen?

Sucht’ ich begierig nicht auch einen Teil

An dem verschlossnen Schatz, den du bewahrst?

Ich weiß, es reut dich nicht, wenn du dich öffnest,

Ich weiß, du bist mein Freund, wenn du mich kennst:

Und eines solchen Freunds bedurft’ ich lange.

Ich schäme mich der Unerfahrenheit

Und meiner Jugend nicht. Still ruhet noch

Der Zukunft goldne Wolke mir ums Haupt.

O nimm mich, edler Mann, an deine Brust

Und weihe mich, den Raschen, Unerfahrnen,

Zum mäßigen Gebrauch des Lebens ein.

Antonio.

In einem Augenblicke forderst du,

Was wohlbedächtig nur die Zeit gewährt.

Tasso.

In einem Augenblick gewährt die Liebe,

Was Mühe kaum in langer Zeit erreicht.

Ich bitt’ es nicht von dir, ich darf es fordern.

Dich ruf’ ich in der Tugend Namen auf,

Die gute Menschen zu verbinden eifert.

Und soll ich dir noch einen Namen nennen?

Die Fürstin hofft’s, Sie will’s – Eleonore,

Sie will mich zu dir führen, dich zu mir.

O lass uns ihrem Wunsch entgegen gehn!

Lass uns verbunden vor die Göttin treten,

Ihr unsern Dienst, die ganze Seele bieten,

Vereint für sie das Würdigste zu tun.

Noch einmal! – Hier ist meine Hand! Schlag ein!

Tritt nicht zurück und weigre dich nicht länger,

O edler Mann, und gönne mir die Wollust,

Die schönste guter Menschen, sich dem Bessern

Vertrauend ohne Rückhalt hinzugeben!

Antonio.

Du gehst mit vollen Segeln! Scheint es doch,

Du bist gewohnt zu siegen, überall

Die Wege breit, die Pforten weit zu finden.

Ich gönne jeden Wert und jedes Glück

Dir gern, allein ich sehe nur zu sehr,

Wir stehn zu weit noch voneinander ab.

Tasso.

Es sei an Jahren, an geprüftem Wert;

An frohem Muth und Willen weich’ ich keinem.

Antonio.

Der Wille lockt die Taten nicht herbei;

Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor.

Wer angelangt am Ziel ist, wird gekrönt,

Und oft entbehrt ein Würd’ger eine Krone.

Doch gibt es leichte Kränze, Kränze gibt es

Von sehr verschiedner Art: Sie lassen sich

Oft im Spazierengehn bequem erreichen.

Tasso.

Was eine Gottheit diesem frei gewährt

Und jenem streng versagt, ein solches Gut

Erreicht nicht jeder, wie er will und mag.

Antonio.

Schreib es dem Glück vor andern Göttern zu,

So hör’ ich’s gern; denn seine Wahl ist blind.

Tasso.

Auch die Gerechtigkeit trägt eine Binde

Und schließt die Augen jedem Blendwerk zu.

Antonio.

Das Glück erhebe billig der Beglückte!

Er dicht’ ihm hundert Augen fürs Verdienst

Und kluge Wahl und strenge Sorgfalt an,

Nenn’ es Minerva, nenn’ es, wie er will,

Er halte gnädiges Geschenk für Lohn,

Zufälligen Putz für wohl verdienten Schmuck.

Tasso.

Du brauchst nicht deutlicher zu sein. Es ist genug!

Ich blicke tief dir in das Herz und kenne

Für’s ganze Leben dich. O kennte so

Dich meine Fürstin auch! Verschwende nicht

Die Pfeile deiner Augen, deiner Zunge!

Du richtest sie vergebens nach dem Kranze,

Dem unverwelklichen, auf meinem Haupt.

Sei erst so groß, mir ihn nicht zu beneiden!

Dann darfst du mir vielleicht ihn streitig machen.

Ich acht’ ihn heilig und das höchste Gut:

Doch zeige mir den Mann, der das erreicht,

Wornach ich strebe, zeige mir den Helden,

Von dem mir die Geschichten nur erzählten;

Den Dichter stell’ mir vor, der sich Homer,

Virgil sich vergleichen darf, ja, was

Noch mehr gesagt ist, zeige mir den Mann,

Der dreifach diesen Lohn verdiente, den

Die schöne Krone dreifach mehr als mich

Beschämte: Dann sollst du mich kniend sehn

Vor jener Gottheit, die mich so begabte;

Nicht eher stünd’ ich auf, bis sie die Zierde

Von meinem Haupt auf seins hinüber drückte.

Antonio.

Bis dahin bleibst du freilich ihrer wert.

Tasso.

Man wäge mich, das will ich nicht vermeiden;

Allein Verachtung hab’ ich nicht verdient.

Die Krone, der mein Fürst mich würdig achtete,

Die meiner Fürstin Hand für mich gewunden,

Soll keiner mir bezweifeln noch begrinsen!

Antonio.

Es ziemt der hohe Ton, die rasche Glut

Nicht dir zu mir, noch dir an diesem Orte.

Tasso.

Was du dir hier erlaubst, das ziemt auch mir.

Und ist die Wahrheit wohl von hier verbannt?

Ist im Palast der freie Geist gekerkert?

Hat hier ein edler Mensch nur Druck zu dulden?

Mich dünkt hier ist die Hoheit erst an ihrem Platz,

Der Seele Hoheit! Darf sie sich der Nähe

Der Großen dieser Erde nicht erfreun?

Sie darf’s und soll’s. Wir nahen uns dem Fürsten

Durch Adel nur, der uns von Vätern kam;

Warum nicht durchs Gemüt, das die Natur

Nicht jedem groß verlieh, wie sie nicht jedem

Die Reihe großer Ahnherrn geben konnte?

Nur Kleinheit sollte hier sich ängstlich fühlen,

Der Neid, der sich zu seiner Schande zeigt:

Wie keiner Spinne schmutziges Gewebe

An diesen Marmorwänden haften soll.

Antonio.

Du zeigst mir selbst mein Recht dich zu verschmähn!

Der übereilte Knabe will des Manns

Vertraun und Freundschaft mit Gewalt ertrotzen?

Unsittlich, wie du bist, hältst du dich gut?

Tasso.

Viel lieber, was ihr euch unsittlich nennt,

Als was ich mir unedel nennen müsste.

Antonio.

Du bist noch jung genug, dass gute Zucht

Dich eines bessern Wegs belehren kann.

Tasso.

Nicht jung genug, vor Götzen mich zu neigen,

Und, Trotz mit Trotz zu bänd’gen, alt genug.

Antonio.

Wo Lippenspiel und Saitenspiel entscheiden,

Ziehst du als Held und Sieger wohl davon.

Tasso.

Verwegen wär’ es, meine Faust zu rühmen;

Denn sie hat nichts getan; doch ich vertrau’ ihr.

Antonio.

Du traust auf Schonung, die dich nur zu sehr

Im frechen Laufe deines Glücks verzog.

Tasso.

Dass ich erwachsen bin, das fühl’ ich nun.

Mit dir am wenigsten hätt’ ich gewünscht

Das Wagespiel der Waffen zu versuchen:

Allein du schürest Glut auf Glut, es kocht

Das innre Mark, die schmerzliche Begier

Der Rache siedet schäumend in der Brust.

Bist du der Mann der du dich rühmst, so steh mir!

Antonio.

Du weißt so wenig wer, als wo du bist.

Tasso.

Kein Heiligtum heißt uns den Schimpf ertragen.

Du lästerst, du entweihest diesen Ort,

Nicht ich, der ich Vertraun, Verehrung, Liebe,

Das schönste Opfer, dir entgegen trug.

Dein Geist verunreint dieses Paradies

Und deine Worte diesen reinen Saal,

Nicht meines Herzens schwellendes Gefühl,

Das braust, den kleinsten Flecken nicht zu leiden.

Antonio.

Welch hoher Geist in einer engen Brust!

Tasso.

Hier ist noch Raum, dem Busen Luft zu machen.

Antonio.

Es macht das Volk sich auch mit Worten Luft.

Tasso.

Bist du ein Edelmann wie ich, so zeig’ es.

Antonio.

Ich bin es wohl, doch weiß ich wo ich bin.

Tasso.

Komm mit herab, wo unsre Waffen gelten.

Antonio.

Wie du nicht fordern solltest, folg’ ich nicht.

Tasso.

Der Feigheit ist solch Hindernis willkommen.

Antonio.

Der Feige droht nur, wo er sicher ist.

Tasso.

Mit Freuden kann ich diesem Schutz entsagen.

Antonio.

Vergib dir nur, dem Ort vergibst du nichts.

Tasso.

Verzeihe mir der Ort dass ich es litt.

(Er zieht den Degen.)

Zieh oder folge, wenn ich nicht auf ewig,

Wie ich dich hasse, dich verachten soll.

Vierter Auftritt

Alphons. Die Vorigen.

Alphons.

In welchem Streit treff’ ich euch unerwartet?

Antonio.

Du findest mich, o Fürst, gelassen stehn

Vor einem, den die Wut ergriffen hat.

Tasso.

Ich bete dich als eine Gottheit an,

Dass du mit Einem Blick mich warnend bändigst.

Alphons.

Erzähl’, Antonio, Tasso, sag’ mir an,

Wie hat der Zwist sich in mein Haus gedrungen?

Wie hat er euch ergriffen, von der Bahn

Der Sitten, der Gesetze kluge Männer

Im Taumel weggerissen? Ich erstaune.

Tasso.

Du kennst uns beide nicht, ich glaub’ es wohl.

Hier dieser Mann, berühmt als klug und sittlich,

Hat roh und hämisch, wie ein unerzogner,

Unedler Mensch, sich gegen mich betragen.

Zutraulich naht’ ich ihm, er stieß mich weg;

Beharrlich liebend drang ich mich zu ihm,

Und bitter, immer bittrer, ruht’ er nicht,

Bis er den reinsten Tropfen Bluts in mir

Zu Galle wandelte. Verzeih! Du hast mich hier

Als einen Wütenden getroffen. Dieser

Hat alle Schuld, wenn ich mich schuldig machte.

Er hat die Glut gewaltsam angefacht,

Die mich ergriff und mich und ihn verletzte.

Antonio.

Ihn riss der hohe Dichterschwung hinweg!

Du hast, o Fürst, zuerst mich angeredet,

Hast mich gefragt: Es sei mir nun erlaubt,

Nach diesem raschen Redner auch zu sprechen.

Tasso.

O ja, erzähl’, erzähl’ von Wort zu Wort!

Und kannst du jede Silbe, jede Miene

Vor diesen Richter stellen, wag’ es nur!

Beleidige dich selbst zum zweiten Male,

Und zeuge wider dich! Dagegen will

Ich keinen Hauch und keinen Pulsschlag leugnen.

Antonio.

Wenn du noch mehr zu reden hast, so sprich;

Wo nicht, so schweig und unterbrich mich nicht.

Ob ich, mein Fürst, ob dieser heiße Kopf

Den Streit zuerst begonnen? Wer es sei,

Der unrecht hat? Ist eine weite Frage,

Die wohl zuvörderst noch auf sich beruht.

Tasso.

Wie das? Mich dünkt, das ist die erste Frage:

Wer von uns beiden Recht und Unrecht hat.

Antonio.

Nicht ganz, wie sich’s der unbegränzte Sinn

Gedenken mag.

Alphons.

Antonio!

Antonio.

Gnädigster,

Ich ehre deinen Wink, doch lass ihn schweigen!

Hab’ ich gesprochen, mag er weiter reden;

Du wirst entscheiden. Also sag’ ich nur:

Ich kann mit ihm nicht rechten, kann ihn weder

Verklagen, noch mich selbst verteid’gen, noch

Ihm jetzt genug zu tun mich anerbieten.

Denn, wie er steht, ist er kein freier Mann.

Es waltet über ihm ein schwer Gesetz,

Das deine Gnade höchstens lindern wird.

Er hat mir hier gedroht, hat mich gefodert;

Vor dir verbarg er kaum das nackte Schwert.

Und tratst du, Herr, nicht zwischen uns herein,

So stünde jetzt auch ich als pflichtvergessen,

Mitschuldig und beschämt vor deinem Blick.

Alphons (zu Tasso).

Du hast nicht wohl getan.

Tasso.

Mich spricht, o Herr,

Mein eigen Herz, gewiss auch deines frei.

Ja, es ist wahr, ich drohte, forderte,

Ich zog. Allein, wie tückisch seine Zunge

Mit wohl gewählten Worten mich verletzt,

Wie scharf und schnell sein Zahn das feine Gift

Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber

Nur mehr und mehr erhitzt – du denkst es nicht!

Gelassen, kalt, hat er mich ausgehalten,

Aufs Höchste mich getrieben. O! Du kennst,

Du kennst ihn nicht und wirst ihn niemals kennen!

Ich trug ihm warm die schönste Freundschaft an –

Er warf mir meine Gaben vor die Füße;

Und hätte meine Seele nicht geglüht,

So war sie deiner Gnade, deines Dienstes

Auf ewig unwert. Hab’ ich des Gesetzes

Und dieses Orts vergessen, so verzeih.

Auf keinem Boden darf ich niedrig sein,

Erniedrigung auf keinem Boden dulden.

Wenn dieses Herz, es sei auch, wo es will,

Dir fehlt und sich, dann strafe, dann verstoße,

Und lass mich nie dein Auge wieder sehn.

Antonio.

Wie leicht der Jüngling schwere Lasten trägt

Und Fehler wie den Staub vom Kleide schüttelt!

Es wäre zu verwundern, wenn die Zauberkraft

Der Dichtung nicht bekannter wäre, die

Mit dem Unmöglichen so gern ihr Spiel

Zu treiben liebt. Ob du auch so, mein Fürst,

Ob alle deine Diener diese Tat

So unbedeutend halten, zweifl’ ich fast.

Die Majestät verbreitet ihren Schutz

Auf jeden, der sich ihr wie einer Gottheit

Und ihrer unverletzten Wohnung naht.

Wie an dem Fuße des Altars bezähmt

Sich auf der Schwelle jede Leidenschaft.

Da blinkt kein Schwert, da fällt kein drohend Wort,

Da fordert selbst Beleid’gung keine Rache.

Es bleibt das weite Feld ein offner Raum

Für Grimm und Unversöhnlichkeit genug:

Dort wird kein Feiger drohn, kein Mann wird fliehn.

Hier diese Mauern haben deine Väter

Auf Sicherheit gegründet, ihrer Würde

Ein Heiligtum befestigt, diese Ruhe

Mit schweren Strafen ernst und klug erhalten;

Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schuldigen.

Da war kein Ansehn der Person, es hielt

Die Milde nicht den Arm des Rechts zurück,

Und selbst der Frevler fühlte sich geschreckt.

Nun sehen wir nach langem, schönem Frieden

In das Gebiet der Sitten rohe Wut

Im Taumel wiederkehren. Herr, entscheide,

Bestrafe! Denn wer kann in seiner Pflicht

Beschränkten Grenzen wandeln, schützet ihn

Nicht das Gesetz und seines Fürsten Kraft?

Alphons.

Mehr, als ihr beide sagt und sagen könnt,

Lässt unparteiisch das Gemüt mich hören.

Ihr hättet schöner eure Pflicht getan,

Wenn ich dies Urteil nicht zu sprechen hätte;

Denn hier sind Recht und Unrecht nah verwandt.

Wenn dich Antonio beleidigt hat,

So hat er dir auf irgendeine Weise

Genug zu tun, wie du es fordern wirst.

Mir wär’ es lieb, ihr wähltet mich zum Austrag.

Indessen, dein Vergehen macht, o Tasso,

Dich zum Gefangnen. Wie ich dir vergebe,

So lindr’ ich das Gesetz um deinetwillen.

Verlass uns, Tasso! Bleib auf deinem Zimmer,

Von dir und mit dir selbst allein bewacht.

Tasso.

Ist dies, o Fürst, dein richterlicher Spruch?

Antonio.

Erkennest du des Vaters Milde nicht?

Tasso (zu Antonio).

Mit dir hab’ ich vorerst nichts mehr zu reden.

(Zu Alphons.) O Fürst, es übergibt dein ernstes Wort

Mich Freien der Gefangenschaft. Es sei!

Du hältst es recht. Dein heilig Wort verehrend,

Heiß’ ich mein innres Herz im tiefsten schweigen.

Es ist mir neu, so neu, dass ich fast dich

Und mich und diesen schönen Ort nicht kenne.

Doch diesen kenn’ ich wohl – Gehorchen will ich,

Ob ich gleich hier noch manches sagen könnte

Und sagen sollte. Mir verstummt die Lippe.

War’s ein Verbrechen? Wenigstens es scheint,

Ich bin als ein Verbrecher angesehn.

Und, was mein Herz auch sagt, ich bin gefangen.

Alphons.

Du nimmst es höher, Tasso, als ich selbst.

Tasso.

Mir bleibt es unbegreiflich wie es ist;

Zwar unbegreiflich nicht, ich bin kein Kind;

Ich meine fast, ich müsst’ es denken können.

Auf einmal winkt mich eine Klarheit an,

Doch augenblicklich schließt sich’s wieder zu,

Ich höre nur mein Urteil, beuge mich.

Das sind zuviel vergebne Worte schon.

Gewöhne dich von nun an zu gehorchen,

Ohnmächt’ger! Du vergaßest wo du standst:

Der Götter Saal schien dir auf gleicher Erde,

Nun überwältigt dich der jähe Fall.

Gehorche gern; denn es geziemt dem Manne,

Auch willig das Beschwerliche zu tun.

Hier nimm den Degen erst, den du mir gabst,

Als ich dem Kardinal nach Frankreich folgte;

Ich führt’ ihn nicht mit Ruhm, doch nicht mit Schande,

Auch heute nicht. Der hoffnungsvollen Gabe

Entäußr’ ich mich mit tief gerührtem Herzen.

Alphons.

Wie ich zu dir gesinnt bin fühlst du nicht.

Tasso.

Gehorchen ist mein Los, und nicht, zu denken!

Und leider eines herrlichern Geschenks

Verleugnung fordert das Geschick von mir.

Die Krone kleidet den Gefangnen nicht:

Ich nehme selbst von meinem Haupt die Zierde,

Die für die Ewigkeit gegönnt mir schien.

Zu früh war mir das schönste Glück verliehen

Und wird, als hätt’ ich sein mich überhoben,

Mir nur zu bald geraubt.

Du nimmst dir selbst, was keiner nehmen konnte,

Und was kein Gott zum zweiten Male gibt.

Wir Menschen werden wunderbar geprüft;

Wir könnten’s nicht ertragen, hätt’ uns nicht

Den holden Leichtsinn die Natur verliehn.

Mit unschätzbaren Gütern lehret uns

Verschwenderisch die Not gelassen spielen:

Wir öffnen willig unsre Hände, dass

Unwiederbringlich uns ein Gut entschlüpfe.

Mit diesem Kuss vereint sich eine Träne

Und weiht dich der Vergänglichkeit! Es ist

Erlaubt das holde Zeichen unsrer Schwäche.

Wer weinte nicht, wenn das Unsterbliche

Vor der Zerstörung selbst nicht sicher ist?

Geselle dich zu diesem Degen, der

Dich leider nicht erwarb! Um ihn geschlungen,

Ruhe, wie auf dem Sarg der Tapfern, auf

Dem Grabe meines Glücks und meiner Hoffnung!

Hier leg’ ich beide willig dir zu Füßen;

Denn wer ist wohl gewaffnet, wenn du zürnst?

Und wer geschmückt, o Herr, den du verkennst?

Gefangen geh’ ich, warte des Gerichts.

(Auf des Fürsten Wink, hebt ein Page den Degen mit dem Kranze auf und trägt ihn weg.)

Fünfter Auftritt

Alphons. Antonio.

Antonio.

Wo schwärmt der Knabe hin? Mit welchen Farben

Mahlt er sich seinen Wert und sein Geschick?

Beschränkt und unerfahren, hält die Jugend

Sich für ein einzig auserwähltes Wesen,

Und alles über alle sich erlaubt.

Er fühle sich gestraft, und strafen heißt

Dem Jüngling wohl tun, dass der Mann uns danke.

Alphons.

Er ist gestraft, ich fürchte: Nur zu viel.

Antonio.

Wenn du gelind mit ihm verfahren magst,

So gib, o Fürst, ihm seine Freiheit wieder,

Und unsern Zwist entscheide dann das Schwert.

Alphons.

Wenn es die Meinung fordert, mag es sein.

Doch sprich, wie hast du seinen Zorn gereizt?

Antonio.

Ich wüsste kaum zu sagen, wie’s geschah.

Als Menschen hab’ ich ihn vielleicht gekränkt,

Als Edelmann hab’ ich ihn nicht beleidigt.

Und seinen Lippen ist im größten Zorne

Kein sittenloses Wort entflohn.

Alphons.

So schien

Mir euer Streit, und was ich gleich gedacht,

Bekräftigt deine Rede mir noch mehr.

Wenn Männer sich entzweien, hält man billig

Den Klügsten für den Schuldigen. Du solltest

Mit ihm nicht zürnen; ihn zu leiten stünde

Dir besser an. Noch immer ist es Zeit:

Hier ist kein Fall, der euch zu streiten zwänge.

Solang mir Friede bleibt, so lange wünsch’ ich

In meinem Haus ihn zu genießen. Stelle

Die Ruhe wieder her – du kannst es leicht.

Lenore Sanvitale mag ihn erst

Mit zarter Lippe zu besänft’gen suchen:

Dann tritt zu ihm, gib ihm in meinem Namen

Die volle Freiheit wieder, und gewinne

Mit edeln, wahren Worten sein Vertraun.

Verrichte das, sobald du immer kannst;

Du wirst als Freund und Vater mit ihm sprechen.

Noch eh’ wir scheiden, will ich Friede wissen,

Und dir ist nichts unmöglich, wenn du willst.

Wir bleiben lieber eine Stunde länger

Und lassen dann die Frauen sanft vollenden,

Was du begannst; und kehren wir zurück,

So haben sie von diesem raschen Eindruck

Die letzte Spur vertilgt. Es scheint, Antonio,

Du willst nicht aus der Übung kommen! Du

Hast ein Geschäft kaum erst vollendet, nun

Kehrst du zurück und schaffst dir gleich ein neues.

Ich hoffe, dass auch dieses dir gelingt.

Antonio.

Ich bin beschämt und seh’ in deinen Worten,

Wie in dem klarsten Spiegel, meine Schuld!

Gar leicht gehorcht man einem edlen Herrn,

Der überzeugt, indem er uns gebietet.

 
 * 

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Prinzessin (allein).

Wo bleibt Eleonore? Schmerzlicher

Bewegt mir jeden Augenblick die Sorge

Das tiefste Herz. Kaum weiß ich was geschah;

Kaum weiß ich, wer von beiden schuldig ist.

O dass sie käme! Möcht’ ich doch nicht gern

Den Bruder nicht, Antonio nicht sprechen,

Eh’ ich gefasster bin, eh’ ich vernommen,

Wie alles steht, und was es werden kann.

Zweiter Auftritt

Prinzessin. Leonore.

Prinzessin.

Was bringst du, Leonore? Sag’ mir an,

Wie steht’s um unsre Freunde? Was geschah?

Leonore.

Mehr, als wir wissen, hab’ ich nicht erfahren.

Sie trafen hart zusammen, Tasso zog,

Dein Bruder trennte sie. Allein es scheint,

Als habe Tasso diesen Streit begonnen:

Antonio geht frei umher und spricht

Mit seinem Fürsten: Tasso bleibt dagegen

Verbannt in seinem Zimmer und allein.

Prinzessin.

Gewiss hat ihn Antonio gereizt,

Den hoch Gestimmten kalt und fremd beleidigt.

Leonore.

Ich glaub’ es selbst. Denn eine Wolke stand,

Schon als er zu uns trat, um seine Stirn.

Prinzessin.

Ach dass wir doch, dem reinen stillen Wink

Des Herzens nach zu gehen, so sehr verlernen!

Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust,

Ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an,

Was zu ergreifen ist und was zu fliehn.

Antonio erschien mir heute früh

Viel schroffer noch als je, in sich gezogner.

Es warnte mich mein Geist, als neben ihn

Sich Tasso stellte. Sieh das Äußre nur

Von beiden an, das Angesicht, den Ton,

Den Blick, den Tritt! Es widerstrebt sich alles;

Sie können ewig keine Liebe wechseln.

Doch überredete die Hoffnung mich,

Die Gleisnerinn: Sie sind vernünftig beide,

Sind edel, unterrichtet, deine Freunde;

Und welch ein Band ist sichrer als der Guten?

Ich trieb den Jüngling an; er gab sich ganz;

Wie schön, wie warm ergab er ganz sich mir!

O hätt’ ich gleich Antonio gesprochen!

Ich zauderte; es war nur kurze Zeit;

Ich scheute mich, gleich mit den ersten Worten

Und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen;

Verließ auf Sitte mich und Höflichkeit,

Auf den Gebrauch der Welt, der sich so glatt

Selbst zwischen Feinde legt; befürchtete

Von dem geprüften Manne diese Jähe

Der raschen Jugend nicht. Es ist geschehn!

Das Übel stand mir fern, nun ist es da.

O gib mir einen Rat! Was ist zu tun?

Leonore.

Wie schwer zu raten sei, das fühlst du selbst

Nach dem, was du gesagt. Es ist nicht hier

Ein Missverständnis zwischen gleich Gestimmten;

Das stellen Worte, ja im Notfall stellen

Es Waffen leicht und glücklich wieder her.

Zwei Männer sind’s, ich hab’ es lang gefühlt,

Die darum Feinde sind, weil die Natur

Nicht einen Mann aus ihnen beiden formte.

Und wären sie zu ihrem Vorteil klug,

So würden sie als Freunde sich verbinden:

Dann stünden sie für einen Mann und gingen

Mit Macht und Glück und Lust durchs Leben hin.

So hofft’ ich selbst; nun seh’ ich wohl: Umsonst.

Der Zwist von heute, sei er, wie er sei,

Ist beizulegen; doch das sichert uns

Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht.

Es wär’ am besten, dächt’ ich, Tasso reiste

Auf eine Zeit von hier; er könnte ja

Nach Rom, auch nach Florenz sich wenden; dort

Träf’ ich in wenig Wochen ihn und könnte

Auf sein Gemüt als eine Freundin wirken.

Du würdest hier indessen den Antonio,

Der uns so fremd geworden, dir aufs neue

Und deinen Freunden näher bringen: So

Gewährte das, was itzt unmöglich scheint,

Die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt.

Prinzessin.

Du willst dich in Genuss, o Freundin, setzen,

Ich soll entbehren; heißt das billig sein?

Leonore.

Entbehren wirst du nichts, als was du doch

In diesem Falle nicht genießen könntest.

Prinzessin.

So ruhig soll ich einen Freund verbannen?

Leonore.

Erhalten, den du nur zum Schein verbannst.

Prinzessin.

Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen lassen.

Leonore.

Wenn er es sieht wie wir, so gibt er nach.

Prinzessin.

Es ist so schwer, im Freunde sich verdammen.

Leonore.

Und dennoch rettest du den Freund in dir.

Prinzessin.

Ich gebe nicht mein Ja, dass es geschehe.

Leonore.

So warte noch ein größres Übel ab.

Prinzessin.

Du peinigst mich und weißt nicht, ob du nützest.

Leonore.

Wir werden bald entdecken, wer sich irrt.

Prinzessin.

Und soll es sein, so frage mich nicht länger.

Leonore.

Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz.

Prinzessin.

Entschlossen bin ich nicht, allein es sei,

Wenn er sich nicht auf lange Zeit entfernt –

Und lass uns für ihn sorgen, Leonore,

Dass er nicht etwa künftig Mangel leide,

Dass ihm der Herzog seinen Unterhalt

Auch in der Ferne willig reichen lasse.

Sprich mit Antonio; denn er vermag

Bei meinem Bruder viel, und wird den Streit

Nicht unserm Freund und uns gedenken wollen.

Leonore.

Ein Wort von dir, Prinzessin, gälte mehr.

Prinzessin.

Ich kann, du weißt es, meine Freundin, nicht

Wie’s meine Schwester von Urbino kann,

Für mich und für die Meinen was erbitten.

Ich lebe gern so stille vor mich hin,

Und nehme von dem Bruder dankbar an,

Was er mir immer geben kann und will.

Ich habe sonst darüber manchen Vorwurf

Mir selbst gemacht; nun hab’ ich überwunden.

Es schalt mich eine Freundin oft darum:

Du bist uneigennützig, sagte sie,

Das ist recht schön; allein so sehr bist du’s,

Dass du auch das Bedürfnis deiner Freunde

Nicht recht empfinden kannst. Ich lass’ es gehn

Und muss denn eben diesen Vorwurf tragen.

Um desto mehr erfreut es mich, dass ich

Nun in der Tat dem Freunde nützen kann;

Es fällt mir meiner Mutter Erbschaft zu,

Und gerne will ich für ihn sorgen helfen.

Leonore.

Und ich, o Fürstin, finde mich im Falle,

Dass ich als Freundin auch mich zeigen kann.

Er ist kein guter Wirth; wo es ihm fehlt,

Werd’ ich ihm schon geschickt zu helfen wissen.

Prinzessin.

So nimm ihn weg, und, soll ich ihn entbehren,

Vor allen andern sei er dir gegönnt!

Ich seh’ es wohl, so wird es besser sein.

Muss ich denn wieder diesen Schmerz als gut

Und heilsam preisen? Das war mein Geschick

Von Jugend auf; ich bin nun dran gewöhnt.

Nur halb ist der Verlust des schönsten Glücks,

Wenn wir auf den Besitz nicht sicher zählten.

Leonore.

Ich hoffe, dich, so schön du es verdienst,

Glücklich zu sehn!

Prinzessin.

Eleonore! Glücklich?

Wer ist denn glücklich? – Meinen Bruder zwar

Möcht’ ich so nennen; denn sein großes Herz

Trägt sein Geschick mit immer gleichem Mut;

Allein, was er verdient, das ward ihm nie.

Ist meine Schwester von Urbino glücklich?

Das schöne Weib, das edle große Herz!

Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;

Er achtet sie und lässt sie’s nicht entgelten,

Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.

Was half denn unsrer Mutter ihre Klugheit?

Die Kenntnis jeder Art, ihr großer Sinn?

Konnt’ er sie vor dem fremden Irrtum schützen?

Man nahm uns von ihr weg: Nun ist sie tot.

Sie ließ uns Kindern nicht den Trost, dass sie

Mit ihrem Gott versöhnt gestorben sei.

Leonore.

O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt;

Betrachte, was noch einem jeden bleibt!

Was bleibt nicht dir, Prinzessin?

Prinzessin.

Was mir bleibt?

Geduld, Eleonore! Üben konnt’ ich die

Von Jugend auf. Wenn Freunde, wenn Geschwister

Bei Fest und Spiel gesellig sich erfreuten,

Hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer fest,

Und in Gesellschaft mancher Leiden musst’

Ich früh entbehren lernen. Eines war,

Was in der Einsamkeit mich schön ergötzte,

Die Freude des Gesangs; ich unterhielt

Mich mit mir selbst, ich wiegte Schmerz und Sehnsucht

Und jeden Wunsch mit leisen Tönen ein.

Da wurde Leiden oft Genuss, und selbst

Das traurige Gefühl zur Harmonie.

Nicht lang’ war mir dies Glück gegönnt, auch dieses

Nahm mir der Arzt hinweg: Sein streng Gebot

Hieß mich verstummen; leben sollt’ ich, leiden,

Den einz’gen kleinen Trost sollt’ ich entbehren.

Leonore.

So viele Freunde fanden sich zu dir,

Und nun bist du gesund, bist lebensfroh.

Prinzessin.

Ich bin gesund, das heißt: Ich bin nicht krank;

Und manche Freunde hab’ ich, deren Treue

Mich glücklich macht. Auch hatt’ ich einen Freund –

Leonore.

Du hast ihn noch.

Prinzessin.

Und werd’ ihn bald verlieren.

Der Augenblick, da ich zuerst ihn sah,

War viel bedeutend. Kaum erholt’ ich mich

Von manchen Leiden; Schmerz und Krankheit waren

Kaum erst gewichen; still bescheiden blickt’ ich

Ins Leben wieder, freute mich des Tags

Und der Geschwister wieder, sog beherzt

Der süßen Hoffnung reinsten Balsam ein.

Ich wagt’ es vorwärts in das Leben weiter

Hinein zu sehn, und freundliche Gestalten

Begegneten mir aus der Ferne. Da,

Eleonore, stellte mir den Jüngling

Die Schwester vor; er kam an ihrer Hand,

Und, dass ich dir’s gestehe, da ergriff

Ihn mein Gemüt und wird ihn ewig halten.

Leonore.

O meine Fürstin, lass dich’s nicht gereuen!

Das Edle zu erkennen, ist Gewinst,

Der nimmer uns entrissen werden kann.

Prinzessin.

Zu fürchten ist das Schöne das Fürtreffliche,

Wie eine Flamme, die so herrlich nützt,

Solange sie auf deinem Herde brennt,

Solang sie dir von einer Fackel leuchtet,

Wie hold! Wer mag, wer kann sie da entbehren?

Und frisst sie ungehütet um sich her,

Wie elend kann sie machen! Lass mich nun.

Ich bin geschwätzig, und verbärge besser

Auch selbst vor dir, wie schwach ich bin und krank.

Leonore.

Die Krankheit des Gemütes löset sich

In Klagen und Vertraun am leichtsten auf.

Prinzessin.

Wenn das Vertrauen heilt, so heil’ ich bald;

Ich hab’ es rein und hab’ es ganz zu dir.

Ach, meine Freundin! Zwar ich bin entschlossen:

Er scheide nur! Allein ich fühle schon

Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn

Ich nun entbehren soll, was mich erfreute.

Die Sonne hebt von meinen Augenliedern

Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf,

Die Hoffnung ihn zu sehen füllt nicht mehr

Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht;

Mein erster Blick hinab in unsre Gärten

Sucht ihn vergebens in dem Tau der Schatten.

Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch,

Mit ihm zu sein an jedem heitern Abend!

Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen

Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn!

Und täglich stimmte das Gemüt sich schöner

Zu immer reinern Harmonien auf.

Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!

Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl

Des hohen Tags, der tausendfachen Welt

Glanzreiche Gegenwart, ist öd’ und tief

Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.

Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;

Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte,

Und, glücklich eingeschifft, trug uns der Strom

Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:

Nun überfällt in trüber Gegenwart

Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.

Leonore.

Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder

Und bringt dir neue Freude, neues Glück.

Prinzessin.

Was ich besitze, mag ich gern bewahren:

Der Wechsel unterhält, doch nutzt er kaum.

Mit jugendlicher Sehnsucht griff ich nie

Begierig in den Lostopf fremder Welt,

Für mein bedürfend unerfahren Herz

Zufällig einen Gegenstand zu haschen.

Ihn musst’ ich ehren, darum liebt’ ich ihn;

Ich musst’ ihn lieben, weil mit ihm mein Leben

Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt.

Erst sagt’ ich mir: Entferne dich von ihm!

Ich wich und wich und kam nur immer näher,

So lieblich angelockt, so hart bestraft!

Ein reines, wahres Gut verschwindet mir,

Und meiner Sehnsucht schiebt ein böser Geist

Statt Freud’ und Glück verwandte Schmerzen unter.

Leonore.

Wenn einer Freundin Wort nicht trösten kann,

So wird die stille Kraft der schönen Welt,

Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.

Prinzessin.

Wohl ist sie schön die Welt! In ihrer Weite

Bewegt sich so viel Gutes hin und her.

Ach, dass es immer nur um einen Schritt

Von uns sich zu entfernen scheint

Und unsre bange Sehnsucht durch das Leben

Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt!

So selten ist es, dass die Menschen finden,

Was ihnen doch bestimmt gewesen schien,

So selten, dass sie das erhalten, was

Auch einmal die beglückte Hand ergriff!

Es reißt sich los, was erst sich uns ergab,

Wir lassen los, was wir begierig fassten.

Es gibt ein Glück, allein wir kennen’s nicht:

Wir kennen’s wohl und wissen’s nicht zu schätzen.

Dritter Auftritt

Leonore (allein).

Wie jammert mich das edle, schöne Herz!

Welch traurig Los, das ihrer Hoheit fällt!

Ach sie verliert – und denkst du, zu gewinnen?

Ist’s denn so nötig, dass er sich entfernt?

Machst du es nötig, um allein für dich

Das Herz und die Talente zu besitzen,

Die du bisher mit einer andern teilst

Und ungleich teilst? Ist’s redlich, so zu handeln?

Bist du nicht reich genug? Was fehlt dir noch?

Gemahl und Sohn und Güter, Rang und Schönheit,

Das hast du alles, und du willst noch ihn

Zu diesem allen haben? Liebst du ihn?

Was ist es sonst, warum du ihn nicht mehr

Entbehren magst? Du darfst es dir gestehn. –

Wie reizend ist’s, in seinem schönen Geiste

Sich selber zu bespiegeln! Wird ein Glück

Nicht doppelt groß und herrlich, wenn sein Lied

Uns wie auf Himmelswolken trägt und hebt?

Dann bist du erst beneidenswert! Du bist,

Du hast das nicht allein, was viele wünschen;

Es weiß, es kennt auch jeder, was du hast!

Dich nennt dein Vaterland und sieht auf dich,

Das ist der höchste Gipfel jedes Glücks.

Ist Laura denn allein der Name, der

Von allen zarten Lippen klingen soll?

Und hatte nur Petrarch allein das Recht,

Die unbekannte Schöne zu vergöttern?

Wo ist ein Mann, der meinem Freunde sich

Vergleichen darf? Wie ihn die Welt verehrt,

So wird die Nachwelt ihn verehrend nennen.

Wie herrlich ist’s, im Glanze dieses Lebens

Ihn an der Seite haben! So mit ihm

Der Zukunft sich mit leichtem Schritte nahn!

Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts

Auf dich und nichts der freche Ruf,

Der hin und her des Beifalls Woge treibt:

Das, was vergänglich ist, bewahrt sein Lied.

Du bist noch schön, noch glücklich, wenn schon lange

Der Kreis der Dinge dich mit fortgerissen.

Du musst ihn haben, und ihr nimmst du nichts:

Denn ihre Neigung zu dem werten Manne

Ist ihren andern Leidenschaften gleich.

Sie leuchten, wie der stille Schein des Monds

Dem Wandrer spärlich auf dem Pfad zu Nacht,

Sie wärmen nicht, und gießen keine Lust

Noch Lebensfreud’ umher. Sie wird sich freuen,

Wenn sie ihn fern, wenn sie ihn glücklich weiß,

Wie sie genoss, wenn sie ihn täglich sah.

Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht

Von ihr und diesem Hofe mich verbannen:

Ich komme wieder, und ich bring’ ihn wieder.

So soll es sein! – Hier kommt der raue Freund:

Wir wollen sehn, ob wir ihn zähmen können.

Vierter Auftritt

Leonore. Antonio.

Leonore.

Du bringst uns Krieg statt Frieden: Scheint es doch,

Du kommst aus einem Lager, einer Schlacht,

Wo die Gewalt regiert, die Faust entscheidet,

Und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit

Die Hände segnend hebt und eine Welt

Zu ihren Füßen sieht, die gern gehorcht.

Antonio.

Ich muss den Tadel, schöne Freundin, dulden,

Doch die Entschuld’gung liegt nicht weit davon.

Es ist gefährlich, wenn man allzu lang

Sich klug und mäßig zeigen muss. Es lauert

Der böse Genius dir an der Seite

Und will gewaltsam auch von Zeit zu Zeit

Ein Opfer haben. Leider hab’ ich’s diesmal

Auf meiner Freunde Kosten ihm gebracht.

Leonore.

Du hast um fremde Menschen dich so lang

Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:

Nun, da du deine Freunde wieder siehst,

Verkennst du sie, und rechtest wie mit Fremden.

Antonio.

Da liegt, geliebte Freundin, die Gefahr!

Mit fremden Menschen nimmt man sich zusammen,

Da merkt man auf, da sucht man seinen Zweck

In ihrer Gunst, damit sie nutzen sollen;

Allein bei Freunden lässt man frei sich gehen:

Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt

Sich eine Laune, ungezähmter wirkt

Die Leidenschaft, und so verletzen wir

Am ersten die, die wir am zärt’sten lieben.

Leonore.

In dieser ruhigen Betrachtung find’ ich dich

Schon ganz, mein teurer Freund, mit Freuden wieder.

Antonio.

Ja, mich verdrießt – und ich bekenn’ es gern –

Dass ich mich heut so ohne Maß verlor.

Allein gestehe, wenn ein wackrer Mann

Mit heißer Stirn von saurer Arbeit kommt

Und spät am Abend in ersehnten Schatten

Zu neuer Mühe auszuruhen denkt

Und findet dann von einem Müßiggänger

Den Schatten breit besessen, soll er nicht

Auch etwas Menschlichs in dem Busen fühlen?

Leonore.

Wenn er recht menschlich ist, so wird er auch

Den Schatten gern mit einem Manne teilen,

Der ihm die Ruhe süß, die Arbeit leicht

Durch ein Gespräch, durch holde Töne macht.

Der Baum ist breit, mein Freund, der Schatten gibt,

Und keiner braucht den andern zu verdrängen.

Antonio.

Wir wollen uns, Eleonore, nicht

Mit einem Gleichnis hin und wider spielen.

Gar viele Dinge sind in dieser Welt,

Die man dem andern gönnt und gerne teilt;

Jedoch es ist ein Schatz, den man allein

Dem Hochverdienten gerne gönnen mag,

Ein andrer, den man mit dem Höchstverdienten

Mit gutem Willen niemals teilen wird –

Und fragst du mich nach diesen beiden Schätzen:

Der Lorbeer ist es und die Gunst der Frauen.

Leonore.

Hat jener Kranz um unsers Jünglings Haupt

Den ernsten Mann beleidigt? Hättest du

Für seine Mühe, seine schöne Dichtung

Bescheidnern Lohn doch selbst nicht finden können.

Denn ein Verdienst, das außerirdisch ist,

Das in den Lüften schwebt, in Tönen nur,

In leichten Bildern unsern Geist umgaukelt, –

Es wird denn auch mit einem schönen Bilde,

Mit einem holden Zeichen nur belohnt;

Und wenn er selbst die Erde kaum berührt,

Berührt der höchste Lohn ihm kaum das Haupt.

Ein unfruchtbarer Zweig ist das Geschenk,

Das der Verehrer unfruchtbare Neigung

Ihm gerne bringt, damit sie einer Schuld

Aufs leichtste sich entlade. Du missgönnst

Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein

Ums kahle Haupt wohl schwerlich; und gewiss,

Der Lorbeerkranz ist, wo er dir erscheint,

Ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks.

Antonio.

Will etwa mich dein liebenswürd’ger Mund

Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?

Leonore.

Ein jedes Gut nach seinem Wert zu schätzen,

Brauch’ ich dich nicht zu lehren. Aber doch,

Es scheint, von Zeit zu Zeit bedarf der Weise

So sehr wie andre, dass man ihm die Güter,

Die er besitzt, im rechten Lichte zeige.

Du, edler Mann, du wirst an ein Phantom

Von Gunst und Ehre keinen Anspruch machen.

Der Dienst, mit dem du deinem Fürsten dich,

Mit dem du deine Freunde dir verbindest,

Ist wirkend, ist lebendig, und so muss

Der Lohn auch wirklich und lebendig sein.

Dein Lorbeer ist das fürstliche Vertraun,

Das auf den Schultern dir, als liebe Last,

Gehäuft und leicht getragen ruht; es ist

Dein Ruhm das allgemeine Zutraun.

Antonio.

Und von der Gunst der Frauen sagst du nichts:

Die willst du mir doch nicht entbehrlich schildern?

Leonore.

Wie man es nimmt. Denn du entbehrst sie nicht,

Und leichter wäre sie dir zu entbehren,

Als sie es jenem guten Mann nicht ist.

Denn sag’: Geläng’ es einer Frau, wenn sie

Nach ihrer Art für dich zu sorgen dächte,

Mit dir sich zu beschäft’gen unternähme?

Bei dir ist alles Ordnung, Sicherheit;

Du sorgst für dich, wie du für andre sorgst,

Du hast, was man dir geben möchte. Jener

Beschäftigt uns in unserm eignen Fache:

Ihm fehlt’s an tausend Kleinigkeiten, die

Zu schaffen eine Frau sich gern bemüht.

Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid

Mit etwas Stickerei, das trägt er gern.

Er sieht sich gern geputzt, vielmehr, er kann

Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet,

An seinem Leib nicht dulden, alles soll

Ihm fein und gut und schön und edel stehn.

Und dennoch hat er kein Geschick, das alles

Sich anzuschaffen, wenn er es besitzt,

Sich zu erhalten: Immer fehlt es ihm

An Geld, an Sorgsamkeit. Bald lässt er da

Ein Stück, bald eines dort. Er kehret nie

Von einer Reise wieder, dass ihm nicht

Ein Drittteil seiner Sachen fehle. Bald

Bestiehlt ihn der Bediente. So, Antonio,

Hat man für ihn das ganze Jahr zu sorgen.

Antonio.

Und diese Sorge macht ihn lieb und lieber.

Glücksel’ger Jüngling, dem man seine Mängel

Zur Tugend rechnet, dem so schön vergönnt ist,

Den Knaben noch als Mann zu spielen, der

Sich seiner holden Schwäche rühmen darf!

Du müsstest mir verzeihen, schöne Freundin,

Wenn ich auch hier ein wenig bitter würde.

Du sagst nicht alles, sagst nicht was er wagt,

Und dass er klüger ist, als wie man denkt.

Er rühmt sich zweier Flammen! Knüpft und löst

Die Knoten hin und wieder und gewinnt

Mit solchen Künsten solche Herzen! Ist’s

Zu glauben?

Leonore.

Gut! Selbst das beweist ja schon,

Dass es nur Freundschaft ist, was uns belebt;

Und wenn wir denn auch Lieb’ um Liebe tauschten,

Belohnten wir das schöne Herz nicht billig,

Das ganz sich selbst vergisst und hingegeben

Im holden Traum für seine Freunde lebt?

Antonio.

Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr,

Lasst seine Selbstigkeit für Liebe gelten,

Beleidigt alle Freunde, die sich euch

Mit treuer Seele widmen, gebt dem Stolzen

Freiwilligen Tribut, zerstöret ganz

Den schönen Kreis geselligen Vertrauns!

Leonore.

Wir sind nicht so parteiisch wie du glaubst,

Ermahnen unsern Freund in manchen Fällen;

Wir wünschen ihn zu bilden, dass er mehr

Sich selbst genieße, mehr sich zu genießen

Den andern geben könne. Was an ihm

Zu tadeln ist, das bleibt uns nicht verborgen.

Antonio.

Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre.

Ich kenn’ ihn lang, er ist so leicht zu kennen,

Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald

Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz

Die Welt in seinem Busen, er sich ganz

In seiner Welt genug, und alles rings

Umher verschwindet ihm. Er lässt es gehn,

Lässt’s fallen, stößt’s hinweg und ruht in sich –

Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke

Die Mine zündet, sei es Freude, Leid,

Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:

Dann will er alles fassen, alles halten;

Dann soll geschehn, was er sich denken mag;

In einem Augenblicke soll entstehn,

Was jahrelang bereitet werden sollte,

In einem Augenblick gehoben sein,

Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte.

Er fordert das Unmögliche von sich,

Damit er es von andern fordern dürfe.

Die letzten Enden aller Dinge will

Sein Geist zusammenfassen; das gelingt

Kaum einem unter Millionen Menschen,

Und er ist nicht der Mann: Er fällt zuletzt,

Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.

Leonore.

Er schadet andern nicht, er schadet sich.

Antonio.

Und doch verletzt er andre nur zu sehr.

Kannst du es leugnen, dass im Augenblick

Der Leidenschaft, die ihn behend ergreift,

Er auf den Fürsten, auf die Fürstin selbst,

Auf wen es sei, zu schmähn, zu lästern wagt?

Zwar augenblicklich nur; allein genug,

Der Augenblick kommt wieder: Er beherrscht

So wenig seinen Mund als seine Brust.

Leonore.

Ich sollte denken, wenn er sich von hier

Auf eine kurze Zeit entfernte, sollt’

Es wohl für ihn und andre nützlich sein.

Antonio.

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch eben jetzt

Ist nicht daran zu denken; denn ich will

Den Fehler nicht auf meine Schultern laden;

Es könnte scheinen, dass ich ihn vertreibe,

Und ich vertreib’ ihn nicht. Um meinetwillen

Kann er an unserm Hofe ruhig bleiben;

Und wenn er sich mit mir versöhnen will,

Und wenn er meinen Rat befolgen kann,

So werden wir ganz leidlich leben können.

Leonore.

Nun hoffst du selbst, auf ein Gemüt zu wirken,

Das dir vor kurzem noch verloren schien.

Antonio.

Wir hoffen immer, und in allen Dingen

Ist besser hoffen als verzweifeln. Denn

Wer kann das mögliche berechnen? Er

Ist unserm Fürsten wert. Er muss uns bleiben.

Und bilden wir dann auch umsonst an ihm,

So ist er nicht der einz’ge, den wir dulden.

Leonore.

So ohne Leidenschaft, so unparteiisch

Glaubt’ ich dich nicht. Du hast dich schnell bekehrt.

Antonio.

Das Alter muss doch Einen Vorzug haben,

Dass, wenn es auch dem Irrtum nicht entgeht,

Es doch sich auf der Stelle fassen kann.

Du warst, mich deinem Freunde zu versöhnen,

Zuerst bemüht. Nun bitt’ ich es von dir.

Tu’ was du kannst, dass dieser Mann sich finde,

Und alles wieder bald im Gleichen sei.

Ich gehe selbst zu ihm, so bald ich nur

Von dir erfahre, dass er ruhig ist,

Sobald du glaubst, dass meine Gegenwart

Das Übel nicht vermehrt. Doch, was du tust,

Das tu’ in dieser Stunde; denn es geht

Alphons heut’ Abend noch zurück, und ich

Werd’ ihn begleiten. Leb’ indessen wohl.

Fünfter Auftritt

Leonore (allein).

Für diesmal, lieber Freund, sind wir nicht eins:

Mein Vorteil und der deine gehen heut

Nicht Hand in Hand. Ich nütze diese Zeit

Und suche Tasso zu gewinnen. Schnell!

 
 * 

Vierter Aufzug

(Zimmer.)

Erster Auftritt

Tasso (allein).

Bist du aus einem Traum erwacht, und hat

Der schöne Trug auf einmal dich verlassen?

Hat dich nach einem Tag der höchsten Lust

Ein Schlaf gebändigt, hält und ängstet nun

Mit schweren Fesseln deine Seele? Ja,

Du wachst und träumst. Wo sind die Stunden hin,

Die um dein Haupt mit Blumenkränzen spielten?

Die Tage, wo dein Geist mit freier Sehnsucht

Des Himmels ausgespanntes Blau durchdrang?

Und dennoch lebst du noch, und fühlst dich an,

Du fühlst dich an, und weißt nicht, ob du lebst.

Ist’s meine Schuld, ist’s eines andern Schuld,

Dass ich mich nun als schuldig hier befinde?

Hab’ ich verbrochen, dass ich leiden soll?

Ist nicht mein ganzer Fehler ein Verdienst?

Ich sah ihn an, und ward vom guten Willen,

Vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt:

Der sei ein Mensch, der menschlich Ansehn trägt.

Ich ging mit offnen Armen auf ihn los

Und fühlte Schloss und Riegel, keine Brust.

O hatt’ ich doch so klug mir ausgedacht,

Wie ich den Mann empfangen wollte, der

Von alten Zeiten mir verdächtig war!

Allein was immer dir begegnet sei,

So halte dich an der Gewissheit fest:

Ich habe sie gesehn! Sie stand vor mir!

Sie sprach zu mir, ich habe sie vernommen!

Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn,

Sie sind auf ewig mein, es raubt sie nicht

Die Zeit, das Schicksal, noch das wilde Glück!

Und hob mein Geist sich da zu schnell empor

Und ließ ich allzu rasch in meinem Busen

Der Flamme Luft, die mich nun selbst verzehrt,

So kann mich’s nicht gereun, und wäre selbst

Auf ewig das Geschick des Lebens hin.

Ich widmete mich ihr und folgte froh

Dem Winke, der mich ins Verderben rief.

Es sei! So hab’ ich mich doch wert gezeigt

Des köstlichen Vertrauns, das mich erquickt,

In dieser Stunde selbst erquickt, die mir

Die schwarze Pforte langer Trauerzeit

Gewaltsam öffnet. – Ja, nun ist’s getan!

Es geht die Sonne mir der schönsten Gunst

Auf einmal unter; seinen holden Blick

Entziehet mir der Fürst, und lässt mich hier

Auf düstrem, schmalen Pfad verloren stehn.

Das hässliche zweideutige Geflügel,

Das leidige Gefolg’ der alten Nacht,

Es schwärmt hervor und schwirrt mir um das Haupt.

Wohin, wohin beweg’ ich meinen Schritt,

Dem Ekel zu entfliehn, der mich umsaust,

Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?

Zweiter Auftritt

Leonore. Tasso.

Leonore.

Was ist begegnet? Lieber Tasso, hat

Dein Eifer dich, dein Argwohn so getrieben?

Wie ist’s geschehn? Wir alle stehn bestürzt.

Und deine Sanftmut, dein gefällig Wesen,

Dein schneller Blick, dein richtiger Verstand,

Mit dem du jedem gibst was ihm gehört,

Dein Gleichmut, der erträgt, was zu ertragen

Der Edle bald, der Eitle selten lernt,

Die kluge Herrschaft über Zung’ und Lippe –

Mein teurer Freund, fast ganz verkenn’ ich dich.

Tasso.

Und wenn das alles nun verloren wäre?

Wenn einen Freund, den du einst reich geglaubt,

Auf einmal du als einen Bettler fändest?

Wohl hast du Recht, ich bin nicht mehr ich selbst,

Und bin’s doch noch so gut, als wie ich’s war.

Es scheint ein Rätsel, und doch ist es keins.

Der stille Mond, der dich bei Nacht erfreut,

Dein Auge, dein Gemüt mit seinem Schein

Unwiderstehlich lockt, er schwebt am Tage

Ein unbedeutend blasses Wölkchen hin.

Ich bin vom Glanz des Tages überschienen,

Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr.

Leonore.

Was du mir sagst, mein Freund, versteh’ ich nicht,

Wie du es sagst. Erkläre dich mit mir.

Hat die Beleidigung des schroffen Manns

Dich so gekränkt, dass du dich selbst und uns

So ganz verkennen magst? Vertraue mir.

Tasso.

Ich bin nicht der Beleidigte, du siehst

Mich ja bestraft, weil ich beleidigt habe.

Die Knoten vieler Worte löst das Schwert

Gar leicht und schnell, allein ich bin gefangen.

Du weißt wohl kaum – erschrick nicht, zarte Freundin –

Du triffst den Freund in einem Kerker an.

Mich züchtiget der Fürst wie einen Schüler.

Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht.

Leonore.

Du scheinest mehr, als billig ist, bewegt.

Tasso.

Hältst du mich für so schwach, für so ein Kind,

Dass solch ein Fall mich gleich zerrütten könne?

Das was geschehn ist, kränkt mich nicht so tief,

Allein das kränkt mich, was es mir bedeutet.

Lass meine Neider meine Feinde nur

Gewähren! Frei und offen ist das Feld.

Leonore.

Du hast gar manchen fälschlich in Verdacht, –

Ich habe selbst mich überzeugen können –

Und auch Antonio feindet dich nicht an,

Wie du es wähnst. Der heutige Verdruss –

Tasso.

Den lass’ ich ganz bei Seite, nehme nur

Antonio, wie er war, und wie er bleibt.

Verdrießlich fiel mir stets die steife Klugheit,

Und dass er immer nur den Meister spielt.

Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist

Nicht schon für sich auf guten Spuren wandle,

Belehrt er dich von manchem, das du besser

Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort,

Das du ihm sagst, und wird dich stets verkennen.

Verkannt zu sein, verkannt von einem Stolzen,

Der lächelnd dich zu übersehen glaubt!

Ich bin so alt noch nicht und nicht so klug,

Dass ich nur duldend gegenlächeln sollte.

Früh oder spät, es konnte sich nicht halten,

Wir mussten brechen; später wär’ es nur

Um desto schlimmer worden. Einen Herrn

Erkenn’ ich nur, den Herrn der mich ernährt,

Dem folg’ ich gern, sonst will ich keinen Meister.

Frei will ich sein im Denken und im Dichten:

Im Handeln schränkt die Welt genug uns ein.

Leonore.

Er spricht mit Achtung oft genug von dir.

Tasso.

Mit Schonung willst du sagen, fein und klug.

Und das verdrießt mich eben; denn er weiß

So glatt und so bedingt zu sprechen, dass

Sein Lob erst recht zum Tadel wird, und dass

Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt als Lob

Aus seinem Munde.

Leonore.

Möchtest du, mein Freund

Vernommen haben, wie er sonst von dir

Und dem Talente sprach, das dir vor vielen

Die gütige Natur verlieh. Er fühlt gewiss

Das, was du bist und hast, und schätzt es auch.

Tasso.

O glaube mir, ein selbstisches Gemüt

Kann nicht der Qual des engen Neids entfliehen.

Ein solcher Mann verzeiht dem andern wohl

Vermögen, Stand und Ehre; denn er denkt:

Das hast du selbst, das hast du, wenn du willst,

Wenn du beharrst, wenn dich das Glück begünstigt.

Doch das, was die Natur allein verleiht,

Was jeglicher Bemühung, jedem Streben

Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold,

Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit

Erzwingen kann, das wird er nie verzeihn.

Er gönnt es mir? Er, der mit steifem Sinn

Die Gunst der Musen zu ertrotzen glaubt?

Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter

Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint?

Weit eher gönnt er mir des Fürsten Gunst,

Die er doch gern auf sich beschränken möchte,

Als das Talent, das jene Himmlischen

Dem armen, dem verwaisten Jüngling gaben.

Leonore.

O sähest du so klar, wie ich es sehe!

Du irrst dich über ihn: So ist er nicht.

Tasso.

Und irr’ ich mich an ihm, so irr’ ich gern!

Ich denk’ ihn mir als meinen ärgsten Feind

Und wär’ untröstlich, wenn ich mir ihn nun

Gelinder denken müsste. Töricht ist’s,

In allen Stücken billig sein; es heißt

Sein eigen Selbst zerstören. Sind die Menschen

Denn gegen uns so billig? Nein, o nein!

Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen

Der doppelten Empfindung, Lieb’ und Hass.

Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tags?

Des Schlafens wie des Wachens? Nein, ich muss

Von nun an diesen Mann als Gegenstand

Von meinem tiefsten Hass behalten; nichts

Kann mir die Lust entreißen, schlimm und schlimmer

Von ihm zu denken.

Leonore.

Willst du, teurer Freund,

Von deinem Sinn nicht lassen, seh’ ich kaum,

Wie du am Hofe länger bleiben willst.

Du weißt, wie viel er gilt und gelten muss.

Tasso.

Wie sehr ich längst, o schöne Freundinn, hier

Schon überflüssig bin, das weiß ich wohl.

Leonore.

Das bist du nicht, das kannst du nimmer werden!

Du weißt vielmehr, wie gern der Fürst mit dir,

Wie gern die Fürstin mit dir lebt; und kommt

Die Schwester von Urbino, kommt sie fast

So sehr um deint- als der Geschwister willen.

Sie denken alle gut und gleich von dir,

Und jegliches vertraut dir unbedingt.

Tasso.

O Leonore, welch Vertraun ist das?

Hat er von seinem Staate je ein Wort,

Ein ernstes Wort mit mir gesprochen? Kam

Ein eigner Fall, worüber er sogar

In meiner Gegenwart mit seiner Schwester,

Mit andern sich beriet, mich fragt’ er nie.

Da hieß es immer nur: Antonio kommt!

Man muss Antonio schreiben! Fragt Antonio!

Leonore.

Du klagst, anstatt zu danken. Wenn er dich

In unbedingter Freiheit lassen mag,

So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.

Tasso.

Er lässt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.

Leonore.

Du bist nicht unnütz, eben weil du ruhst.

So lange hegst du schon Verdruss und Sorge,

Wie ein geliebtes Kind an deiner Brust.

Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken

Wie ich es will: Auf diesem schönen Boden,

Wohin das Glück dich zu verpflanzen schien,

Gedeihst du nicht. O Tasso! – Rat’ ich dir’s?

Sprech’ ich es aus? – Du solltest dich entfernen!

Tasso.

Verschone nicht den Kranken, lieber Arzt!

Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran,

Ob’s bitter sei. – Ob er genesen könne,

Das überlege wohl, o kluge, gute Freundin!

Ich seh’ es alles selbst, es ist vorbei!

Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir;

Und sein bedarf man, leider meiner nicht.

Und er ist klug, und leider bin ich’s nicht.

Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann,

Ich mag nicht gegen wirken. Meine Freunde,

Sie lassen’s gehn, sie sehen’s anders an.

Sie widerstreben kaum und sollten kämpfen.

Du glaubst, ich soll hinweg; ich glaub’ es selbst –

So lebt denn wohl! Ich werd’ auch das ertragen.

Ihr seid von mir geschieden – werd’ auch mir,

Von euch zu scheiden, Kraft und Mut verliehn!

Leonore.

Auch in der Ferne zeigt sich alles reiner,

Was in der Gegenwart uns nur verwirrt.

Vielleicht wirst du erkennen, welche Liebe

Dich überall umgab, und welchen Wert

Die Treue wahrer Freunde hat, und wie

Die weite Welt die Nächsten nicht ersetzt.

Tasso.

Das werden wir erfahren! Kenn’ ich doch

Die Welt von Jugend auf, wie sie so leicht

Uns hilflos, einsam lässt, und ihren Weg

Wie Sonn’ und Mond und andre Götter geht.

Leonore.

Vernimmst du mich, mein Freund, so sollst du nie

Die traurige Erfahrung wiederholen.

Soll ich dir raten, so begibst du dich

Erst nach Florenz, und eine Freundin wird

Gar freundlich für dich sorgen. Sei getrost,

Ich bin es selbst. Ich reise, den Gemahl

Die nächsten Tage dort zu finden, kann

Nichts freudiger für ihn und mich bereiten,

Als wenn ich dich in unsre Mitte bringe.

Ich sage dir kein Wort, du weißt es selbst,

Welch einem Fürsten du dich nahen wirst,

Und welche Männer diese schöne Stadt

In ihrem Busen hegt, und welche Frauen. –

Du schweigst? Bedenk’ es wohl! Entschließe dich.

Tasso.

Gar reizend ist, was du mir sagst, so ganz

Dem Wunsch gemäß, den ich im stillen nähre;

Allein es ist zu neu: Ich bitte dich,

Lass mich bedenken! Ich beschließe bald.

Leonore.

Ich gehe mit der schönsten Hoffnung weg

Für dich und uns und auch für dieses Haus.

Bedenke nur, und wenn du recht bedenkst,

So wirst du schwerlich etwas Bessers denken.

Tasso.

Noch eins, geliebte Freundin! Sage mir,

Wie ist die Fürstin gegen mich gesinnt?

War sie erzürnt auf mich? Was sagte sie? –

Sie hat mich sehr getadelt? Rede frei.

Leonore.

Da sie dich kennt, hat sie dich leicht entschuldigt.

Tasso.

Hab’ ich bei ihr verloren? Schmeichle nicht.

Leonore.

Der Frauen Gunst wird nicht so leicht verscherzt.

Tasso.

Wird sie mich gern entlassen, wenn ich gehe?

Leonore.

Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiss.

Tasso.

Werd’ ich des Fürsten Gnade nicht verlieren?

Leonore.

In seiner Großmut kannst du sicher ruhn.

Tasso.

Und lassen wir die Fürstin ganz allein?

Du gehst hinweg; und wenn ich wenig bin,

So weiß ich doch, dass ich ihr etwas war.

Leonore.

Gar freundliche Gesellschaft leistet uns

Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich wissen.

Und es gelingt: Ich sehe dich beglückt,

Du wirst von hier nicht unzufrieden gehn.

Der Fürst befahl’s: Antonio sucht dich auf.

Er tadelt selbst an sich die Bitterkeit,

Womit er dich verletzt. Ich bitte dich,

Nimm ihn gelassen auf, so wie er kommt.

Tasso.

Ich darf in jedem Sinne vor ihm stehn.

Leonore.

Und schenke mir der Himmel, lieber Freund,

Noch eh’ du scheidest, dir das Aug’ zu öffnen:

Dass niemand dich im ganzen Vaterlande

Verfolgt und hasst, und heimlich druckt und neckt!

Du irrst gewiss, und wie du sonst zur Freude

Von andern dichtest, leider dichtest du

In diesem Fall ein seltenes Gewebe,

Dich selbst zu kränken. Alles will ich tun,

Um es entzwei zu reißen, dass du frei

Den schönen Weg des Lebens wandeln mögest.

Leb’ wohl! Ich hoffe bald ein glücklich Wort.

Dritter Auftritt

Tasso (allein).

Ich soll erkennen, dass mich niemand hasst,

Dass niemand mich verfolgt, dass alle List

Und alles heimliche Gewebe sich

Allein in meinem Kopfe spinnt und webt!

Bekennen soll ich, dass ich Unrecht habe,

Und manchem unrecht tue, der es nicht

Um mich verdient! Und das in einer Stunde,

Da vor dem Angesicht der Sonne klar

Mein volles Recht, wie ihre Tücke, liegt!

Ich soll es tief empfinden, wie der Fürst

Mit offner Brust mir seine Gunst gewährt,

Mit reichem Maß die Gaben mir erteilt,

Im Augenblicke, da er, schwach genug,

Von meinen Feinden sich das Auge trüben

Und seine Hand gewiss auch fesseln lässt!

Dass er betrogen ist, kann er nicht sehen;

Dass sie Betrüger sind, kann ich nicht zeigen;

Und nur damit er ruhig sich betrüge,

Dass sie gemächlich ihn betrügen können,

Soll ich mich stille halten, weichen gar!

Und wer gibt mir den Rat? Wer dringt so klug

Mit treuer, lieber Meinung auf mich ein?

Lenore selbst, Lenore Sanvitale,

Die zarte Freundin! Ha, dich kenn’ ich nun!

O warum traut’ ich ihrer Lippe je!

Sie war nicht redlich, wenn sie noch so sehr

Mir ihre Gunst, mir ihre Zärtlichkeit

Mit süßen Worten zeigte! Nein, sie war

Und bleibt ein listig Herz, sie wendet sich

Mit leisen klugen Tritten nach der Gunst.

Wie oft hab’ ich mich willig selbst betrogen,

Auch über sie! Und doch im Grunde hat

Mich nur – die Eitelkeit betrogen. Wohl!

Ich kannte sie, und schmeichelte mir selbst.

So ist sie gegen andre, sagt’ ich mir,

Doch gegen dich ist’s offne treue Meinung.

Nun seh’ ich’s wohl, und seh’ es nur zu spät:

Ich war begünstigt, und sie schmiegte sich

So zart – an den Beglückten. Nun ich falle,

Sie wendet mir den Rücken wie das Glück.

Nun kommt sie als ein Werkzeug meines Feindes,

Sie schleicht heran und zischt mit glatter Zunge,

Die kleine Schlange, zauberische Töne.

Wie lieblich schien sie! Lieblicher als je!

Wie wohl tat von der Lippe jedes Wort!

Doch konnte mir die Schmeichelei nicht lang

Den falschen Sinn verbergen: An der Stirne

Schien ihr das Gegenteil zu klar geschrieben

Von allem, was sie sprach. Ich fühl’ es leicht,

Wenn man den Weg zu meinem Herzen sucht

Und es nicht herzlich meint. Ich soll hinweg?

Soll nach Florenz, sobald ich immer kann?

Und warum nach Florenz? Ich seh’ es wohl.

Dort herrscht der Mediceer neues Haus,

Zwar nicht in offner Feindschaft mit Ferrara,

Doch hält der stille Neid mit kalter Hand

Die edelsten Gemüter aus einander.

Empfang’ ich dort von jenen edlen Fürsten

Erhabne Zeichen ihrer Gunst, wie ich

Gewiss erwarten dürfte, würde bald

Der Höfling meine Treu’ und Dankbarkeit

Verdächtig machen. Leicht geläng’ es ihm.

Ja, ich will weg, allein nicht, wie ihr wollt;

Ich will hinweg, und weiter als ihr denkt.

Was soll ich hier? Wer hält mich hier zurück?

O, ich verstund ein jedes Wort zu gut,

Das ich Lenoren von den Lippen lockte!

Von Silb’ zu Silbe nur erhascht’ ich’s kaum,

Und weiß nun ganz wie die Prinzessin denkt –

Ja, ja, auch das ist wahr, verzweifle nicht!

„Sie wird mich gern entlassen, wenn ich gehe,

Da es zu meinem Wohl gereicht.“ O! Fühlte

Sie eine Leidenschaft im Herzen, die mein Wohl

Und mich zugrunde richtete! Willkommner

Ergriffe mich der Tod, als diese Hand,

Die kalt und starr mich von sich lässt. – Ich gehe! –

Nun hüte dich und lass dich keinen Schein

Von Freundschaft oder Güte täuschen! Niemand

Betrügt dich nun, wenn du dich nicht betrügst.

Vierter Auftritt

Antonio. Tasso.

Antonio.

Hier bin ich, Tasso, dir ein Wort zu sagen,

Wenn du mich ruhig hören magst und kannst.

Tasso.

Das Handeln, weißt du, bleibt mir untersagt;

Es ziemt mir wohl, zu warten und zu hören.

Antonio.

Ich treffe dich gelassen, wie ich wünschte,

Und spreche gern zu dir aus freier Brust.

Zuvörderst lös’ ich in des Fürsten Namen

Das schwache Band, das dich zu fesseln schien.

Tasso.

Die Willkür macht mich frei, wie sie mich band;

Ich nehm’ es an und fordre kein Gericht.

Antonio.

Dann sag’ ich dir von mir: Ich habe dich

Mit Worten, scheint es, tief und mehr gekränkt,

Als ich, von mancher Leidenschaft bewegt,

Es selbst empfand. Allein kein schimpflich Wort

Ist meinen Lippen unbedacht entflohen:

Zu rächen hast du nichts als Edelmann,

Und wirst als Mensch Vergebung nicht versagen.

Tasso.

Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf,

Will ich nicht untersuchen: Jene dringt

Ins tiefe Mark, und dieser reizt die Haut.

Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück,

Der zu verwunden glaubt; die Meinung andrer

Befriedigt leicht das wohl geführte Schwert –

Doch ein gekränktes Herz erholt sich schwer.

Antonio.

Jetzt ist’s an mir, dass ich dir dringend sage:

Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunsch,

Den Wunsch des Fürsten, der mich zu dir sendet.

Tasso.

Ich kenne meine Pflicht und gebe nach.

Es sei verziehn, sofern es möglich ist!

Die Dichter sagen uns von einem Speer,

Der eine Wunde, die er selbst geschlagen,

Durch freundliche Berührung heilen konnte.

Es hat des Menschen Zunge diese Kraft;

Ich will ihr nicht gehässig widerstehn.

Antonio.

Ich danke dir und wünsche, dass du mich

Und meinen Willen, dir zu dienen, gleich

Vertraulich prüfen mögest. Sage mir,

Kann ich dir nützlich sein? Ich zeig’ es gern.

Tasso.

Du bietest an was ich nur wünschen konnte.

Du brachtest mir die Freiheit wieder; nun

Verschaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.

Antonio.

Was kannst du meinen? Sag’ es deutlich an.

Tasso.

Du weißt, geendet hab’ ich mein Gedicht;

Es fehlt noch viel, dass es vollendet wäre.

Heut überreicht’ ich es dem Fürsten, hoffte

Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen.

Gar viele meiner Freunde find’ ich jetzt

In Rom versammelt; einzeln haben sie

Mir über manche Stellen ihre Meinung

In Briefen schon eröffnet; vieles hab’ ich

Benutzen können, manches scheint mir noch

Zu überlegen, und verschiedne Stellen

Möcht’ ich nicht gern verändern, wenn man mich

Nicht mehr, als es geschehn ist, überzeugt.

Das alles wird durch Briefe nicht getan:

Die Gegenwart löst diese Knoten bald.

So dacht’ ich heut den Fürsten selbst zu bitten:

Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen

Und hoffe diesen Urlaub nun durch dich.

Antonio.

Mir scheint nicht rätlich, dass du dich entfernst

In dem Moment, da dein vollendet Werk

Dem Fürsten und der Fürstin dich empfiehlt.

Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte:

Man muss geschäftig sein, sobald sie reift.

Entfernst du dich, so wirst du nichts gewinnen,

Vielleicht verlieren, was du schon gewannst.

Die Gegenwart ist eine mächt’ge Göttin:

Lern’ ihren Einfluss kennen, bleibe hier!

Tasso.

Zu fürchten hab’ ich nichts: Alphons ist edel,

Stets hat er gegen mich sich groß gezeigt;

Und was ich hoffe, will ich seinem Herzen

Allein verdanken, keine Gnade mir

Erschleichen; nichts will ich von ihm empfangen,

Was ihn gereuen könnte, dass er’s gab.

Antonio.

So fordre nicht von ihm, dass er dich jetzt

Entlassen soll; er wird es ungern tun,

Und ich befürchte fast: Er tut es nicht.

Tasso.

Er wird es gern, wenn recht gebeten wird,

Und du vermagst es wohl, sobald du willst.

Antonio.

Doch welche Gründe, sag’ mir, leg’ ich vor?

Tasso.

Lass mein Gedicht aus jeder Stanze sprechen!

Was ich gewollt ist, löblich, wenn das Ziel

Auch meinen Kräften unerreichbar blieb.

An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt.

Der heitre Wandel mancher schönen Tage,

Der stille Raum so mancher tiefen Nächte,

War einzig diesem frommen Lied geweiht.

Bescheiden hofft’ ich, jenen großen Meistern

Der Vorwelt mich zu nahen, kühn gesinnt,

Zu edlen Taten unsern Zeitgenossen

Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann

Vielleicht mit einem edlen Christenheere

Gefahr und Ruhm des heil’gen Kriegs zu teilen.

Und soll mein Lied die besten Männer wecken,

So muss es auch der besten würdig sein.

Alphons bin ich schuldig, was ich tat;

Nun möcht’ ich ihm auch die Vollendung danken.

Antonio.

Und eben dieser Fürst ist hier, mit andern,

Die dich so gut als Römer leiten können.

Vollende hier dein Werk, hier ist der Platz,

Und um zu wirken, eile dann nach Rom.

Tasso.

Alphons hat mich zuerst begeistert, wird

Gewiss der letzte sein, der mich belehrt,

Und deinen Rat, den Rat der klugen Männer,

Die unser Hof versammelt, schätz’ ich hoch.

Ihr sollt entscheiden, wenn mich ja zu Rom

Die Freunde nicht vollkommen überzeugen.

Doch diese muss ich sehn. Gonzaga hat

Mir ein Gericht versammelt, dem ich erst

Mich stellen muss. Ich kann es kaum erwarten.

Flaminio de’ Nobili, Angelio

Da Barga, Antoniano und Speron Speroni!

Du wirst sie kennen. – Welche Namen sind’s!

Vertraun und Sorge flößen sie zugleich

In meinen Geist, der gern sich unterwirft.

Antonio.

Du denkst nur dich und denkst den Fürsten nicht.

Ich sage dir, er wird dich nicht entlassen,

Und wenn er’s tut, entlässt er dich nicht gern.

Du willst ja nicht verlangen, was er dir

Nicht gern gewähren mag. Und soll ich hier

Vermitteln, was ich selbst nicht loben kann?

Tasso.

Versagst du mir den ersten Dienst, wenn ich

Die angebotne Freundschaft prüfen will?

Antonio.

Die wahre Freundschaft zeigt sich im Versagen

Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe

Gar oft ein schädlich Gut, wenn sie den Willen

Des Fordernden mehr als sein Glück bedenkt.

Du scheinest mir in diesem Augenblick

Für gut zu halten, was du eifrig wünschest,

Und willst im Augenblick, was du begehrst.

Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende,

Was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.

Es fordert meine Pflicht, so viel ich kann

Die Hast zu mäß’gen, die dich übel treibt.

Tasso.

Schon lange kenn’ ich diese Tyrannei

Der Freundschaft, die von allen Tyranneien

Die unerträglichste mir scheint. Du denkst

Nur anders, und du glaubst deswegen

Schon recht zu denken. Gern erkenn’ ich an:

Du willst mein Wohl; allein verlange nicht,

Dass ich auf deinem Weg es finden soll.

Antonio.

Und soll ich dir sogleich mit kaltem Blut,

Mit voller, klarer Überzeugung schaden?

Tasso.

Von dieser Sorge will ich dich befrein!

Du hältst mich nicht mit diesen Worten ab.

Du hast mich frei erklärt, und diese Türe

Steht mir nun offen, die zum Fürsten führt.

Ich lasse dir die Wahl: Du oder ich!

Der Fürst geht fort. Hier ist kein Augenblick

Zu harren. Wähle schnell! Wenn du nicht gehst,

So geh’ ich selbst, und werd’ es, wie es will.

Antonio.

Lass mich nur wenig Zeit von dir erlangen

Und warte nur des Fürsten Rückkehr ab!

Nur heute nicht!

Tasso.

Nein, diese Stunde noch,

Wenn’s möglich ist! Es brennen mir die Sohlen

Auf diesem Marmorboden; eher kann

Mein Geist nicht Ruhe finden, bis der Staub

Des freien Wegs mich Eilenden umgibt.

Ich bitte dich! Du siehst, wie ungeschickt

In diesem Augenblick ich sei, mit meinem Herrn

Zu reden; siehst – wie kann ich das verbergen –

Dass ich mir selbst in diesem Augenblick,

Mir keine Macht der Welt gebieten kann.

Nur Fesseln sind es, die mich halten können!

Alphons ist kein Tyrann, er sprach mich frei.

Wie gern gehorcht’ ich seinen Worten sonst!

Heut kann ich nicht gehorchen. Heute nur

Lasst mich in Freiheit, dass mein Geist sich finde!

Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.

Antonio.

Du machst mich zweifelhaft. Was soll ich tun?

Ich merke wohl: Es steckt der Irrtum an.

Tasso.

Soll ich dir glauben, denkst du gut für mich,

So wirke was ich wünsche, was du kannst.

Der Fürst entlässt mich dann, und ich verliere

Nicht seine Gnade, seine Hilfe nicht.

Das dank’ ich dir, und will dir’s gern verdanken;

Doch hegst du einen alten Groll im Busen,

Willst du von diesem Hofe mich verbannen,

Willst du auf ewig mein Geschick verkehren,

Mich hilflos in die weite Welt vertreiben,

So bleib auf deinem Sinn und widersteh!

Antonio.

Weil ich dir doch, o Tasso, schaden soll,

So wähl’ ich denn den Weg, den du erwählst.

Der Ausgang mag entscheiden, wer sich irrt!

Du willst hinweg! Ich sag’ es dir zuvor:

Du wendest diesem Hause kaum den Rücken,

So wird dein Herz zurück verlangen, wird

Dein Eigensinn dich vorwärts treiben; Schmerz,

Verwirrung, Trübsinn harrt in Rom auf dich,

Und du verfehlest hier und dort den Zweck.

Doch sag’ ich dies nicht mehr, um dir zu raten;

Ich sage nur voraus, was bald geschieht,

Und lade dich auch schon im voraus ein,

Mir in dem schlimmsten Falle zu vertraun.

Ich spreche nun den Fürsten, wie du’s forderst.

Fünfter Auftritt

Tasso (allein).

Ja, gehe nur, und gehe sicher weg,

Dass du mich überredest, was du willst.

Ich lerne mich verstellen; denn du bist

Ein großer Meister, und ich fasse leicht.

So zwingt das Leben uns zu scheinen, ja

Zu sein wie jene, die wir kühn und stolz

Verachten konnten. Deutlich seh’ ich nun

Die ganze Kunst des höfischen Gewebes!

Mich will Antonio von hinnen treiben

Und will nicht scheinen, dass er mich vertreibt.

Er spielt den Schonenden, den Klugen, dass

Man nur recht krank und ungeschickt mich finde,

Bestellet sich zum Vormund, dass er mich

Zum Kind erniedrige, den er zum Knecht

Nicht zwingen konnte. So umnebelt er

Die Stirn des Fürsten und der Fürstin Blick.

Man soll mich halten, meint er: Habe doch

Ein schön Verdienst mir die Natur geschenkt;

Doch leider habe sie mit manchen Schwächen

Die hohe Gabe wieder schlimm begleitet,

Mit ungebundnem Stolz, mit übertriebner

Empfindlichkeit und eignem düstern Sinn.

Es sei nicht anders, einmal habe nun

Den einen Mann das Schicksal so gebildet;

Nun müsse man ihn nehmen, wie er sei,

Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm,

Was Freude bringen kann, am guten Tage

Als unerwarteten Gewinst genießen,

Im Übrigen, wie er geboren sei,

So müsse man ihn leben, sterben lassen.

Erkenn’ ich noch Alphonsens festen Sinn,

Der Feinden trotzt und Freunde treulich schützt?

Erkenn’ ich ihn, wie er nun mir begegnet?

Ja, wohl erkenn’ ich ganz mein Unglück nun!

Das ist mein Schicksal, dass nur gegen mich

Sich jeglicher verändert, der für andre fest

Und treu und sicher bleibt, sich leicht verändert

Durch einen Hauch, in einem Augenblick.

Hat nicht die Ankunft dieses Manns allein

Mein ganz Geschick zerstört, in einer Stunde?

Nicht dieser das Gebäude meines Glücks

Von seinem tiefsten Grund aus umgestürzt?

O, muss ich das erfahren, muss ich’s heut!

Ja, wie sich alles zu mir drängte, lässt

Mich alles nun; wie jeder mich an sich

Zu reißen strebte, jeder mich zu fassen,

So stößt mich alles weg und meidet mich.

Und das warum? Und wiegt denn er allein

Die Schale meines Werts und aller Liebe,

Die ich so reichlich sonst besessen, auf?

Ja, alles flieht mich nun. Auch du! Auch du!

Geliebte Fürstin, du entziehst dich mir!

In diesen trüben Stunden hat sie mir

Kein einzig Zeichen ihrer Gunst gesandt.

Hab’ ich’s um sie verdient? – Du armes Herz,

Dem so natürlich war sie zu verehren! –

Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang

Ein unaussprechliches Gefühl die Brust!

Erblickt’ ich sie, da ward das helle Licht

Des Tags mir trüb; unwiderstehlich zog

Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie

Erhielt sich kaum, und aller Kraft

Des Geists bedurft’ ich, aufrecht mich zu halten,

Vor ihre Füße nicht zu fallen; kaum

Vermocht’ ich diesen Taumel zu zerstreun.

Hier halte fest, mein Herz! Du klarer Sinn,

Lass hier dich nicht umnebeln! Ja, auch sie!

Darf ich es sagen? Und ich glaub’ es kaum;

Ich glaub’ es wohl, und möcht’ es mir verschweigen.

Auch Sie! Auch Sie! Entschuldige sie ganz,

Allein verbirg’ dir’s nicht: Auch Sie! Auch Sie!

O dieses Wort, an dem ich zweifeln sollte,

Solang ein Hauch von Glauben in mir lebt,

Ja, dieses Wort, es gräbt sich, wie ein Schluss

Des Schicksals noch zuletzt am ehrnen Rande

Der voll geschriebnen Qualentafel ein.

Nun sind erst meine Feinde stark, nun bin ich

Auf ewig einer jeden Kraft beraubt.

Wie soll ich streiten, wenn Sie gegenüber

Im Heere steht? Wie soll ich duldend harren,

Wenn Sie die Hand mir nicht von ferne reicht?

Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begegnet?

Du hast’s gewagt zu denken, hast’s gesprochen,

Und es ist wahr, eh’ du es fürchten konntest!

Und ehe nun die Verzweiflung deine Sinnen

Mit ehrnen Klauen aus einander reißt,

Ja, klage nur das bittre Schicksal an

Und wiederhole nur: Auch Sie! Auch Sie!

 
 * 

Fünfter Aufzug

(Garten.)

Erster Auftritt

Alphons. Antonio.

Antonio.

Auf deinen Wink ging ich das zweite Mal

Zu Tasso hin, ich komme von ihm her.

Ich hab’ ihm zugeredet, ja gedrungen;

Allein er geht von seinem Sinn nicht ab

Und bittet sehnlich, dass du ihn nach Rom

Auf eine kurze Zeit entlassen mögest.

Alphons.

Ich bin verdrießlich, dass ich dir’s gestehe,

Und lieber sag’ ich dir, dass ich es bin,

Als dass ich den Verdruss verberg’ und mehre.

Er will verreisen; gut, ich halt’ ihn nicht.

Er will hinweg, er will nach Rom; es sei!

Nur dass mir Scipio Gonzaga nicht,

Der kluge Medicis, ihn nicht entwende!

Das hat Italien so groß gemacht,

Dass jeder Nachbar mit dem andern streitet,

Die Bessern zu besitzen, zu benutzen.

Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,

Der die Talente nicht um sich versammelt:

Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt,

Ist ein Barbar, er sei auch, wer er sei.

Gefunden hab’ ich diesen und gewählt,

Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz,

Und da ich schon für ihn so viel getan,

So möcht’ ich ihn nicht ohne Not verlieren.

Antonio.

Ich bin verlegen; denn ich trage doch

Vor dir die Schuld von dem, was heut geschah;

Auch will ich meinen Fehler gern gestehn,

Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn;

Doch wenn du glauben könntest, dass ich nicht

Das mögliche getan, ihn zu versöhnen,

So würd’ ich ganz untröstlich sein. O! Sprich

Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder

Mich fassen kann, mir selbst vertrauen mag.

Alphons.

Antonio, nein, da sei nur immer ruhig,

Ich schreib’ es dir auf keine Weise zu;

Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes,

Und weiß nur allzu wohl was ich getan,

Wie sehr ich ihn geschont, wie sehr ich ganz

Vergessen, dass ich eigentlich an ihn

Zu fordern hätte. Über vieles kann

Der Mensch zum Herrn sich machen, seinen Sinn

Bezwinget kaum die Not und lange Zeit.

Antonio.

Wenn andre vieles um den einen tun,

So ist’s auch billig, dass der eine wieder

Sich fleißig frage, was den andern nützt.

Wer seinen Geist so viel gebildet hat,

Wer jede Wissenschaft zusammengeizt,

Und jede Kenntnis, die uns zu ergreifen

Erlaubt ist, sollte der, sich zu beherrschen,

Nicht doppelt schuldig sein? Und denkt er dran?

Alphons.

Wir sollen eben nicht in Ruhe bleiben!

Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken,

Zur Übung unsrer Tapferkeit ein Feind,

Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.

Antonio.

Die erste Pflicht des Menschen, Speis’ und Trank

Zu wählen, da ihn die Natur so eng

Nicht wie das Tier beschränkt, erfüllt er die?

Und lässt er nicht vielmehr sich wie ein Kind

Von allem reizen, was dem Gaumen schmeichelt?

Wann mischt er Wasser unter seinen Wein?

Gewürze, süße Sachen, stark Getränke,

Eins um das andre schlingt er hastig ein,

Und dann beklagt er seinen trüben Sinn,

Sein feurig Blut, sein allzu heftig Wesen,

Er schilt auf die Natur und das Geschick.

Wie bitter und wie thöricht hab’ ich ihn

Nicht oft mit seinem Arzte rechten sehn;

Zum Lachen fast, wär’ irgend lächerlich,

Was einen Menschen quält und andre plagt.

„Ich fühle dieses Übel,“ sagt er bänglich

Und voll Verdruss: „Was rühmt ihr eure Kunst?

Schafft mir Genesung!“ – Gut versetzt der Arzt,

So meidet das und das. – „Das kann ich nicht.“ –

So nehmet diesen Trank. – „O nein! Der schmeckt

Abscheulich, er empört mir die Natur.“ –

So trinkt denn Wasser. – „Wasser? Nimmermehr!

Ich bin so wasserscheu als ein Gebissner.“ –

So ist euch nicht zu helfen. – „Und warum?“ –

„Das Übel wird sich stets mit Übeln häufen

Und, wenn es euch nicht töten kann, nur mehr

Und mehr mit jedem Tag Euch quälen.“ – „Schön!

Wofür seid Ihr ein Arzt? Ihr kennt mein Übel,

Ihr solltet auch die Mittel kennen, sie

Auch schmackhaft machen, dass ich nicht noch erst,

Der Leiden los zu sein, recht leiden müsse.“

Du lächelst selbst und doch ist es gewiss,

Du hast es wohl aus seinem Mund gehört?

Alphons.

Ich hab’ es oft gehört und oft entschuldigt.

Antonio.

Es ist gewiss, ein ungemäßigt Leben,

Wie es uns schwere, wilde Träume gibt,

Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen.

Was ist sein Argwohn anders als ein Traum?

Wohin er tritt, glaubt er von Feinden sich

Umgeben. Sein Talent kann niemand sehn,

Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden,

Der ihn nicht hasst und bitter ihn verfolgt.

So hat er oft mit Klagen dich belästigt:

Erbrochne Schlösser, aufgefangne Briefe,

Und Gift und Dolch! Was alles vor ihm schwebt!

Du hast es untersuchen lassen, untersucht,

Und hast du was gefunden? Kaum den Schein.

Der Schutz von keinem Fürsten macht ihn sicher,

Der Busen keines Freundes kann ihn laben.

Und willst du einem solchen Ruh und Glück,

Willst du von ihm wohl Freude dir versprechen?

Alphons.

Du hättest Recht, Antonio, wenn in ihm

Ich meinen nächsten Vorteil suchen wollte!

Zwar ist es schon mein Vorteil, dass ich nicht

Den Nutzen grad und unbedingt erwarte.

Nicht alles dienet uns auf gleiche Weise;

Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes

In seiner Art, so ist er wohl bedient.

Das haben uns die Medicis gelehrt,

Das haben uns die Päpste selbst gewiesen.

Mit welcher Nachsicht, welcher fürstlichen

Geduld und Langmut trugen diese Männer

Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade

Nicht zu bedürfen schien und doch bedurfte!

Antonio.

Wer weiß es nicht, mein Fürst? Des Lebens Mühe

Lehrt uns allein des Lebens Güter schätzen.

So jung hat er zu vieles schon erreicht,

Als dass genügsam er genießen könnte.

O, sollt’ er erst erwerben, was ihm nun

Mit offnen Händen angebothen wird:

Er strengte seine Kräfte männlich an

Und fühlte sich von Schritt zu Schritt begnügt.

Ein armer Edelmann hat schon das Ziel

Von seinem besten Wunsch erreicht, wenn ihn

Ein edler Fürst zu seinem Hofgenossen

Erwählen will, und ihn der Dürftigkeit

Mit milder Hand entzieht. Schenkt er ihm noch

Vertraun und Gunst und will an seine Seite

Vor andern ihn erheben, sei’s im Krieg,

Sei’s in Geschäften oder im Gespräch,

So, dächt’ ich, könnte der bescheidne Mann

Sein Glück mit stiller Dankbarkeit verehren.

Und Tasso hat zu allem diesem noch

Das schönste Glück des Jünglings: Dass ihn schon

Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft.

O glaube mir, sein launisch Missbehagen

Ruht auf dem breiten Polster seines Glücks.

Er kommt, entlass ihn gnädig, gib ihm Zeit,

In Rom und in Neapel, wo er will,

Das aufzusuchen, was er hier vermisst,

Und was er hier nur wieder finden kann.

Alphons.

Will er zurück erst nach Ferrara gehn?

Antonio.

Er wünscht in Belriguardo zu verweilen.

Das Nötigste, was er zur Reise braucht,

Will er durch einen Freund sich senden lassen.

Alphons.

Ich bin’s zufrieden. Meine Schwester geht

Mit ihrer Freundin gleich zurück, und reitend

Werd’ ich vor ihnen noch zu Hause sein.

Du folgst uns bald, wenn du für ihn gesorgt.

Dem Kastellan befiehl das Nötige,

Dass er hier auf dem Schlosse bleiben kann,

Solang er will, so lang, bis seine Freunde

Ihm das Gepäck gesendet, bis wir ihm

Die Briefe schicken, die ich ihm nach Rom

Zu geben Willens bin. Er kommt! Leb’ wohl!

Zweiter Auftritt

Alphons. Tasso.

Tasso (mit Zurückhaltung).

Die Gnade, die du mir so oft bewiesen,

Erscheinet heute mir in vollem Licht:

Du hast verziehen, was in deiner Nähe

Ich unbedacht und frevelhaft beging;

Du hast den Widersacher mir versöhnt;

Du willst erlauben, dass ich eine Zeit

Von deiner Seite mich entferne, willst

Mir deine Gunst großmütig vorbehalten.

Ich scheide nun mit völligem Vertraun,

Und hoffe still, mich soll die kleine Frist

Von allem heilen, was mich jetzt beklemmt.

Es soll mein Geist aufs neue sich erheben

Und auf dem Wege, den ich froh und kühn,

Durch deinen Blick ermuntert, erst betrat,

Sich deiner Gunst aufs neue würdig machen.

Alphons.

Ich wünsche dir zu deiner Reise Glück

Und hoffe, dass du froh und ganz geheilt

Uns wieder kommen wirst. Du bringst uns dann

Den doppelten Gewinst für jede Stunde,

Die du uns nun entziehst, vergnügt zurück.

Ich gebe Briefe dir an meine Leute,

An Freunde dir nach Rom und wünsche sehr,

Dass du dich zu den Meinen überall

Zutraulich halten mögest, wie ich dich

Als mein, obgleich entfernt, gewiss betrachte.

Tasso.

Du überhäufst, o Fürst, mit Gnade den,

Der sich unwürdig fühlt und selbst zu danken

In diesem Augenblicke nicht vermag.

Anstatt des Danks eröffn’ ich eine Bitte!

Am meisten liegt mir mein Gedicht am Herzen.

Ich habe viel getan und keine Mühe

Und keinen Fleiß gespart; allein es bleibt

Zu viel mir noch zurück. Ich möchte dort,

Wo noch der Geist der großen Männer schwebt,

Und wirksam schwebt, dort möcht’ ich in die Schule

Aufs neue mich begeben: Würdiger

Erfreute deines Beifalls sich mein Lied.

O, gib die Blätter mir zurück, die ich

Jetzt nur beschämt in deinen Händen weiß!

Alphons.

Du wirst mir nicht an diesem Tage nehmen,

Was du mir kaum an diesem Tag gebracht.

Lass zwischen dich und zwischen dein Gedicht

Mich als Vermittler treten: Hüte dich,

Durch strengen Fleiß die liebliche Natur

Zu kränken, die in deinen Reimen lebt,

Und höre nicht auf Rat von allen Seiten!

Die tausendfältigen Gedanken vieler

Verschiedner Menschen, die im Leben sich

Und in der Meinung widersprechen, fasst

Der Dichter klug in eins und scheut sich nicht,

Gar manchem zu missfallen, dass er manchem

Um desto mehr gefallen möge. Doch

Ich sage nicht, dass du nicht hie und da

Bescheiden deine Feile brauchen solltest;

Verspreche dir zugleich: In kurzer Zeit

Erhältst du abgeschrieben dein Gedicht.

Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen,

Damit ich seiner erst mit meinen Schwestern

Mich recht erfreuen möge. Bringst du es

Vollkommner dann zurück: Wir werden uns

Des höheren Genusses freun und dich

Bei mancher Stelle nur als Freunde warnen.

Tasso.

Ich wiederhole nur beschämt die Bitte:

Lass mich die Abschrift eilig haben! Ganz

Ruht mein Gemüt auf diesem Werke nun.

Nun muss es werden, was es werden kann.

Alphons.

Ich billige den Trieb, der dich beseelt!

Doch, guter Tasso, wenn es möglich wäre,

So solltest du erst eine kurze Zeit

Der freien Welt genießen, dich zerstreuen,

Dein Blut durch eine Kur verbessern. Dir

Gewährte dann die schöne Harmonie

Der hergestellten Sinne, was du nun

Im trüben Eifer nur vergebens suchst.

Tasso.

Mein Fürst, so scheint es; doch, ich bin gesund,

Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,

Und so macht wieder mich der Fleiß gesund.

Du hast mich lang gesehn: Mir ist nicht wohl

In freier Üppigkeit. Mir lässt die Ruh

Am mindsten Ruhe. Dies Gemüt ist nicht

Von der Natur bestimmt, ich fühl’ es leider,

Auf weichem Element der Tage froh

Ins weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.

Alphons.

Dich führet alles, was du sinnst und treibst,

Tief in dich selbst. Es liegt um uns herum

Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub;

Doch hier in unserm Herzen ist der tiefste,

Und reizend ist es sich hinab zu stürzen.

Ich bitte dich, entreiße dich dir selbst!

Der Mensch gewinnt, was der Poet verliert.

Tasso.

Ich halte diesen Drang vergebens auf,

Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt.

Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll,

So ist das Leben mir kein Leben mehr.

Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,

Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt:

Das köstliche Geweb’ entwickelt er

Aus seinem Innersten, und lässt nicht ab,

Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.

O, geb’ ein guter Gott uns auch dereinst

Das Schicksal des beneidenswerten Wurms,

Im neuen Sonnental die Flügel rasch

Und freudig zu entfalten!

Alphons.

Höre mich!

Du gibst so vielen doppelten Genuss

Des Lebens, lern’, ich bitte dich,

Den Wert des Lebens kennen, das du noch

Und zehnfach reich besitzest. Lebe wohl!

Je eher du zu uns zurücke kehrst,

Je schöner wirst du uns willkommen sein.

Dritter Auftritt

Tasso (allein).

So halte fest, mein Herz, so war es recht!

Es wird dir schwer, es ist das erste Mal,

Dass du dich so verstellen magst und kannst.

Du hörtest wohl: Das war nicht sein Gemüt,

Das waren seine Worte nicht; mir schien,

Als klänge nur Antonios Stimme wider.

O gib nur Acht! Du wirst sie nun so fort

Von allen Seiten hören. Fest, nur fest!

Um einen Augenblick ist’s noch zu tun.

Wer spät im Leben sich verstellen lernt,

Der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus.

Es wird schon gehn, nur übe dich mit ihnen.

(Nach einer Pause.)

Du triumphierst zu früh, dort kommt sie her!

Die holde Fürstin kommt! O welch Gefühl!

Sie tritt herein, es löst in meinem Busen

Verdruss und Argwohn sich in Schmerzen auf

Vierter Auftritt

Prinzessin. Tasso. Gegen das Ende des Auftritts die Übrigen.

Prinzessin.

Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst

Vielmehr in Belriguardo noch zurück

Und willst dich dann von uns entfernen, Tasso?

Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit.

Du gehst nach Rom?

Tasso.

Ich richte meinen Weg

Zuerst dahin, und nehmen meine Freunde

Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf,

So leg’ ich da mit Sorgfalt und Geduld

Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht.

Ich finde viele Männer dort versammelt,

Die Meister aller Art sich nennen dürfen.

Und spricht in jener ersten Stadt der Welt

Nicht jeder Platz, nicht jeder Stein zu uns?

Wie viele tausend stumme Lehrer winken

In ernster Majestät uns freundlich an!

Vollend’ ich da nicht mein Gedicht, so kann

Ich’s nie vollenden. Leider, ach, schon fühl’ ich,

Mir wird zu keinem Unternehmen Glück!

Verändern werd’ ich es, vollenden nie.

Ich fühl’, ich fühl’ es wohl, die große Kunst,

Die jeden nährt, die den gesunden Geist

Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten,

Vertreiben wird sie mich. Ich eile fort!

Nach Napel will ich bald!

Prinzessin.

Darfst du es wagen?

Noch ist der strenge Bann nicht aufgehoben,

Der dich zugleich mit deinem Vater traf.

Tasso.

Du warnest recht, ich hab’ es schon bedacht.

Verkleidet geh’ ich hin, den armen Rock

Des Pilgers oder Schäfers zieh’ ich an.

Ich schleiche durch die Stadt, wo die Bewegung

Der Tausende den einen leicht verbirgt.

Ich eile nach dem Ufer, finde dort

Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten,

Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun

Nach Hause kehren, Leute von Sorrent;

Denn ich muss nach Sorrent hinübereilen.

Dort wohnet meine Schwester, die mit mir

Die Schmerzensfreude meiner Eltern war.

Im Schiffe bin ich still, und trete dann

Auch schweigend an das Land, ich gehe sacht

Den Pfad hinauf, und an dem Tore frag’ ich:

Wo wohnt Cornelia? Zeigt mir es an!

Cornelia Sersale? Freundlich deutet

Mir eine Spinnerinn die Straße, sie

Bezeichnet mir das Haus. So steig’ ich weiter.

Die Kinder laufen nebenher und schauen

Das wilde Haar, den düstern Fremdling an.

So komm’ ich an die Schwelle. Offen steht

Die Türe schon, so tret’ ich in das Haus –

Prinzessin.

Blick’ auf, o Tasso, wenn es möglich ist,

Erkenne die Gefahr, in der du schwebst!

Ich schone dich; denn sonst würd’ ich dir sagen:

Ist’s edel so zu reden, wie du sprichst?

Ist’s edel, nur allein an sich zu denken,

Als kränktest du der Freunde Herzen nicht?

Ist’s dir verborgen wie mein Bruder denkt?

Wie beide Schwestern dich zu schätzen wissen?

Hast du es nicht empfunden und erkannt?

Ist alles denn in wenig Augenblicken

Verändert? Tasso! Wenn du scheiden willst,

So lass uns Schmerz und Sorge nicht zurück.

(Tasso wendet sich weg.)

Prinzessin.

Wie tröstlich ist es, einem Freunde, der

Auf eine kurze Zeit verreisen will,

Ein klein Geschenk zu geben, sei es nur

Ein neuer Mantel oder eine Waffe!

Dir kann man nichts mehr geben; denn du wirfst

Unwillig alles weg, was du besitzest.

Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel,

Den langen Stab erwählst du dir und gehst

Freiwillig arm dahin und nimmst uns weg,

Was du mit uns allein genießen konntest.

Tasso.

So willst du mich nicht ganz und gar verstoßen?

O süßes Wort, o schöner, teurer Trost!

Vertritt mich! Nimm in deinen Schutz mich auf! –

Lass mich in Belriguardo hier, versetze

Mich nach Consandoli, wohin du willst!

Es hat der Fürst so manches schöne Schloss,

So manchen Garten, der das ganze Jahr

Gewartet wird, und ihr betretet kaum

Ihn einen Tag, vielleicht nur eine Stunde.

Ja, wählet den entferntsten aus, den ihr

In ganzen Jahren nicht besuchen geht,

Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt:

Dort schickt mich hin! Dort lasst mich euer sein!

Wie will ich deine Bäume pflegen! Die Zitronen

Im Herbst mit Brettern und mit Ziegeln decken,

Und mit verbundnem Rohre wohl verwahren!

Es sollen schöne Blumen in den Beeten

Die breiten Wurzeln schlagen; rein und zierlich

Soll jeder Gang und jedes Fleckchen sein.

Und lasst mir auch die Sorge des Palastes!

Ich will zur rechten Zeit die Fenster öffnen,

Dass Feuchtigkeit nicht den Gemälden schade;

Die schön mit Stuckatur verzierten Wände

Will ich mit einem leichten Wedel säubern;

Es soll das Estrich blank und reinlich glänzen;

Es soll kein Stein, kein Ziegel sich verrücken;

Es soll kein Gras aus einer Ritze keimen!

Prinzessin.

Ich finde keinen Rat in meinem Busen,

Und finde keinen Trost für dich und – uns.

Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott

Uns Hilfe reichen möchte, möchte mir

Ein heilsam Kraut entdecken, einen Trank,

Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns.

Das treuste Wort, das von der Lippe fließt,

Das schönste Heilungsmittel wirkt nicht mehr.

Ich muss dich lassen, und verlassen kann

Mein Herz dich nicht.

Tasso.

Ihr Götter, ist sie’s doch,

Die mit dir spricht und deiner sich erbarmt?

Und konntest du das edle Herz verkennen?

War’s möglich, dass in ihrer Gegenwart

Der Kleinmut dich ergriff und dich bezwang?

Nein, nein, du bist’s! Und nun, ich bin es auch.

O fahre fort und lass mich jeden Trost

Aus deinem Munde hören! Deinen Rat

Entzieh mir nicht! O sprich: Was soll ich tun,

Damit dein Bruder mir vergeben könne,

Damit du selbst mir gern vergeben mögest,

Damit ihr wieder zu den Euren mich

Mit Freuden zählen möget? Sag’ mir an!

Prinzessin.

Gar wenig ist’s, was wir von dir verlangen,

Und dennoch scheint es allzu viel zu sein.

Du sollst dich selbst uns freundlich überlassen.

Wir wollen nichts von dir, was du nicht bist,

Wenn du nur erst dir mit dir selbst gefällst.

Du machst uns Freude, wenn du Freude hast,

Und du betrübst uns nur, wenn du sie fliehst;

Und wenn du uns auch ungeduldig machst,

So ist es nur, dass wir dir helfen möchten,

Und, leider! Sehn, dass nicht zu helfen ist,

Wenn du nicht selbst des Freundes Hand ergreifst,

Die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.

Tasso.

Du bist es selbst, wie du zum ersten Mal,

Ein heil’ger Engel, mir entgegen kamst!

Verzeih dem trüben Blick des Sterblichen,

Wenn er auf Augenblicke dich verkannt.

Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet sich

Die Seele, nur dich ewig zu verehren.

Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit –

Sie ist’s, sie steht vor mir. Welch ein Gefühl!

Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht?

Ist’s Raserei? Ist’s ein erhöhter Sinn,

Der erst die höchste, reinste Wahrheit fasst?

Ja, es ist das Gefühl, das mich allein

Auf dieser Erde glücklich machen kann,

Das mich allein so elend werden ließ,

Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen

Es bannen wollte. Diese Leidenschaft

Gedacht’ ich zu bekämpfen; stritt und stritt

Mit meinem tiefsten Sein, zerstörte frech

Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst –

Prinzessin.

Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll,

So mäßige die Glut, die mich erschreckt.

Tasso.

Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,

Der schäumend wallt und brausend überschwillt?

Mit jedem Wort’ erhöhest du mein Glück,

Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller.

Ich fühle mich im Innersten verändert,

Ich fühle mich von aller Not entladen,

Frei wie ein Gott, und alles dank’ ich dir!

Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht,

Entfließet deinen Lippen; ja, du machst

Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir

Von meinem ganzen Ich mir künftig an.

Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht,

Es schwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß nicht mehr.

Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir,

Und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu.

Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen,

So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin!

(Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich.)

Prinzessin (ihn von sich stoßend und hinweg eilend).

Hinweg!

Leonore (die sich schon eine Weile im Grunde sehen lassen, herbeieilend).

Was ist geschehen? Tasso! Tasso!

(Sie geht der Prinzessin nach.)

Tasso (im Begriff, ihnen zu folgen).

O Gott!

Alphons (der sich schon eine Zeitlang mit Antonio genähert).

Er kommt von Sinnen, halt ihn fest. (Ab.)

Fünfter Auftritt

Tasso. Antonio.

Antonio.

O stünde jetzt, so wie du immer glaubst,

Dass du von Feinden rings umgeben bist,

Ein Feind bei dir, wie würd’ er triumphieren!

Unglücklicher, noch kaum erhol’ ich mich!

Wenn ganz was Unerwartetes begegnet,

Wenn unser Blick was Ungeheures sieht,

Steht unser Geist auf eine Weile still:

Wir haben nichts, womit wir das vergleichen.

Tasso (nach einer langen Pause).

Vollende nur dein Amt – ich seh’, du bist’s!

Ja, du verdienst das fürstliche Vertraun;

Vollende nur dein Amt, und martre mich,

Da mir der Stab gebrochen ist, noch langsam

Zu Tode! Ziehe! Zieh am Pfeile nur,

Dass ich den Widerhaken grimmig fühle,

Der mich zerfleischt!

Du bist ein teures Werkzeug des Tyrannen,

Sei Kerkermeister, sei der Marterknecht,

Wie wohl, wie eigen steht dir beides an!

(Gegen die Szene.)

Ja, gehe nur, Tyrann! Du konntest dich

Nicht bis zuletzt verstellen, triumphiere!

Du hast den Sklaven wohl gekettet, hast

Ihn wohl gespart zu ausgedachten Qualen:

Geh nur, ich hasse dich, ich fühle ganz

Den Abscheu, den die Übermacht erregt,

Die frevelhaft und ungerecht ergreift.

(Nach einer Pause.)

So seh’ ich mich am Ende denn verbannt,

Verstoßen und verbannt als Bettler hier!

So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt

Als Opfertier vor den Altar zu führen!

So lockte man mir noch am letzten Tage

Mein einzig Eigentum, mir mein Gedicht

Mit glatten Worten ab, und hielt es fest!

Mein einzig Gut ist nun in euren Händen,

Das mich an jedem Ort empfohlen hätte,

Das mir noch blieb, vom Hunger mich zu retten!

Jetzt seh’ ich wohl, warum ich feiern soll.

Es ist Verschwörung, und du bist das Haupt.

Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde,

Dass nur mein Name sich nicht mehr verbreite,

Dass meine Neider tausend Schwächen finden,

Dass man am Ende meiner gar vergesse,

Drum soll ich mich zum Müßiggang gewöhnen,

Drum soll ich mich und meine Sinne schonen.

O werte Freundschaft, teure Sorglichkeit!

Abscheulich dacht’ ich die Verschwörung mir,

Die unsichtbar und rastlos mich umspann,

Allein abscheulicher ist es geworden.

Und du, Sirene! Die du mich so zart,

So himmlisch angelockt, ich sehe nun

Dich auf einmal! O Gott, warum so spät!

Allein wir selbst betrügen uns so gern

Und ehren die Verworfnen, die uns ehren.

Die Menschen kennen sich einander nicht;

Nur die Galeerensklaven kennen sich,

Die eng an eine Bank geschmiedet keuchen;

Wo keiner was zu fordern hat und keiner

Was zu verlieren hat, die kennen sich;

Wo jeder sich für einen Schelmen gibt

Und seinesgleichen auch für Schelmen nimmt.

Doch wir verkennen nur die andern höflich,

Damit sie wieder uns verkennen sollen.

Wie lang verdeckte mir dein heilig Bild

Die Buhlerin, die kleine Künste treibt.

Die Maske fällt: Armide seh’ ich nun

Entblößt von allen Reizen – ja, du bist’s!

Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!

Und die verschmitzte kleine Mittlerin!

Wie tief erniedrigt seh’ ich sie vor mir!

Ich höre nun die leisen Tritte rauschen,

Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich.

Euch alle kenn’ ich! Sei mir das genug!

Und wenn das Elend alles mir geraubt,

So preis’ ich’s doch: Die Wahrheit lehrt es mich.

Antonio.

Ich höre, Tasso, dich mit Staunen an,

So sehr ich weiß, wie leicht dein rascher Geist

Von einer Grenze zu der andern schwankt.

Besinne dich! Gebiete dieser Wut!

Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort,

Das deinen Schmerzen zu verzeihen ist,

Doch das du selbst dir nie verzeihen kannst.

Tasso.

O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu,

Lass mich kein kluges Wort von dir vernehmen!

Lass mir das dumpfe Glück, damit ich nicht

Mich erst besinne, dann von Sinnen komme.

Ich fühle mir das innerste Gebein

Zerschmettert, und ich leb’ um es zu fühlen.

Verzweiflung fasst mit aller Wut mich an,

Und in der Höllenqual, die mich vernichtet,

Wird Lästrung nur ein leiser Schmerzenslaut.

Ich will hinweg! Und wenn du redlich bist,

So zeig’ es mir, und lass mich gleich von hinnen!

Antonio.

Ich werde dich in dieser Not nicht lassen;

Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht,

So soll mir’s an Geduld gewiss nicht fehlen.

Tasso.

So muss ich mich dir denn gefangen geben?

Ich gebe mich, und so ist es getan;

Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl –

Und lass es dann mich schmerzlich wiederholen,

Wie schön es war, was ich mir selbst verscherzte.

Sie gehn hinweg – O Gott! Dort seh’ ich schon

Den Staub, der von den Wagen sich erhebt –

Die Reiter sind voraus – Dort fahren sie,

Dort gehn sie hin! Kam ich nicht auch daher?

Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich.

O küsst’ ich nur noch einmal seine Hand!

O dass ich nur noch Abschied nehmen könnte!

Nur einmal noch zu sagen: O verzeiht!

Nur noch zu hören: Geh, dir ist verziehn!

Allein ich hör’ es nicht, ich hör’ es nie –

Ich will ja gehn! Lasst mich nur Abschied nehmen,

Nur Abschied nehmen! Gebt, o gebt mir nur

Auf einen Augenblick die Gegenwart

Zurück! Vielleicht genes’ ich wieder. Nein,

Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe

Mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme

Nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht,

Nicht mehr begegnen –

Antonio.

Lass eines Mannes Stimme dich erinnern,

Der neben dir nicht ohne Rührung steht!

Du bist so elend nicht, als wie du glaubst.

Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.

Tasso.

Und bin ich denn so elend, wie ich scheine?

Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige?

Ist alles denn verloren? Hat der Schmerz,

Als schütterte der Boden, das Gebäude

In einen grausen Haufen Schutt verwandelt?

Ist kein Talent mehr übrig, tausendfältig

Mich zu zerstreun, zu unterstützen?

Ist alle Kraft erloschen, die sich sonst

In meinem Busen regte? Bin ich nichts,

Ganz nichts geworden?

Nein, es ist alles da, und ich bin nichts;

Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir!

Antonio.

Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst,

Vergleiche dich! Erkenne, was du bist!

Tasso.

Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! –

Hilft denn kein Beispiel der Geschichte mehr?

Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen,

Der mehr gelitten, als ich jemals litt,

Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse?

Nein, alles ist dahin! – Nur eines bleibt:

Die Träne hat uns die Natur verliehen,

Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt

Es nicht mehr trägt – Und mir noch über alles –

Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,

Die tiefste Fülle meiner Not zu klagen:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,

Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.

Antonio (tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand).

Tasso.

O edler Mann! Du stehest fest und still,

Ich scheine nur die sturmbewegte Welle.

Allein bedenk’ und überhebe nicht

Dich deiner Kraft! Die mächtige Natur,

Die diesen Felsen gründete, hat auch

Der Welle die Beweglichkeit gegeben.

Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht

Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über.

In dieser Woge spiegelte so schön

Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne

An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte.

Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe. –

Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr

Und schäme mich nicht mehr es zu bekennen.

Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht

Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt

Der Boden unter meinen Füßen auf!

Ich fasse dich mit beiden Armen an!

So klammert sich der Schiffer endlich noch

Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.

 
 * 

Sämtliche Werke
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